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2. Die gebräuchlichen modernen Textausgaben

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diplomatische Textausgaben

Eine „diplomatische“ Textausgabe (wie z. B. die Biblia Hebraica Stuttgartensia) bietet den urkundengetreuen Text einer bestimmten Bibelhandschrift und fügt zu jedem Bibelvers alle varianten Lesarten der anderen Textzeugen in einem textkritischen Apparat an. Die verbreitetste diplomatische Edition der Septuaginta ist die von den englischen Gelehrten Alan E. Brooke (1863–1939), Norman McLean (1865–1947) und Henry St. John Thackeray (1869–1930) herausgegebene „Cambridger Ausgabe“ (The Old Testament in Greek According to the Text of Vaticanus, Cambridge 1906– 1940; sie enthält Genesis – Nehemia; Esther; Judit; Tobit). Ihr Text beruht auf dem Codex Vaticanus (B); wo dieser fehlt, wurde nach den Codices Alexandrinus (A) und Sinaiticus (S) ergänzt (s. o. 14). Eine vollständige Handausgabe dieser Edition (Cambridge 1887–1894) wurde herausgegeben von Henry B. Swete (1835–1917).

eklektische und kritische Textausgaben

Eine „eklektische“ Ausgabe nimmt dagegen immer wieder eine Auswahl vor, welcher Textzeuge an der jeweiligen Stelle als der zuverlässigste gelten kann. Eine „kritische“ Ausgabe (wie z.B. das Novum Testamentum Graece) trägt zudem auch auf einer Reihe von textkritischen Plausibilitätskriterien beruhende „Konjekturen“ (verbessernde Textänderungen) der Herausgeber ein. In den beiden letzteren Fällen führt die Erweiterung der Quellenbasis durch neue Textfunde prinzipiell immer wieder zu Neubewertungen des erreichbaren Textbestands, die von Auflage zu Auflage in kleinere und größere Änderungen des rekonstruierten mutmaßlich ursprünglichen Bibeltextes münden können.

Aufgabe des großen Septuaginta-Unternehmens der Göttinger Akademie der Wissenschaften (bisher 24 Bände) ist die Edition einer großen kritischen Textausgabe der Septuaginta. Das eigentliche Hauptanliegen und Ziel der im Jahre 1931 begonnenen gründlichen Editionsarbeit der an dem Unternehmen beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besteht in der Rekonstruktion des ursprünglichen (bzw. des ältesten erreichbaren) jüdischen griechischen Bibeltextes anhand des gesamten verfügbaren handschriftlichen Materials. Die Ermittlung der ältesten bekannten Lesarten einer Perikope als Ausgangspunkt bzw. zur Absicherung weiterer Rekonstruktionen (z.B. des Charakters der hebräischen Vorlage oder jüngerer griechischer Überarbeitungsstufen) geschieht dabei mittels Erhebung und Beseitigung aller im Verlauf seiner Transmission eingedrungenen Fehler und vor allem sämtlicher erkennbarer Spuren christlicher Rezensionstätigkeit. Um der hiermit gestellten überaus schwierigen Aufgabe der Synthetisierung des im Haupttext aller Einzelbände gebotenen „ältesten“ griechischen Bibeltextes gerecht zu werden, die Originale der einzelnen jüdischen Übersetzungen durch die Ausscheidung aller sekundären Bestandteile wiederherzustellen bzw. ihnen möglichst nahe zu kommen, werden alle verfügbaren Handschriften und sonstige Textbezeugungen gesichtet, einer eingehenden Beurteilung unterzogen und beschrieben, nach charakteristischen Merkmalen gruppiert und anhand ihrer formalen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in eine relative Abfolge gebracht. Da die „verbessernde“ sekundäre Angleichung des griechischen Bibeltextes an die bestimmende hebräische Texttradition das am häufigsten vorkommende Merkmal für seine redaktionelle Überarbeitung ist (s. u. 61 f.), werden dabei Lesarten, die vom Wortlaut des hebräischen Textes weiter entfernt sind, bei der Textrekonstruktion generell vorgezogen.

Seit der Edition des Jesajabuchs im Jahre 1939 haben die Textbände des Göttinger Septuaginta-Unternehmens entgegen der bisherigen editorischen Praxis einen doppelten und streng voneinander geschiedenen textkritischen Apparat. Unterhalb des rekonstruierten griechischen Haupttextes und einer Kopfleiste, in der die auf der entsprechenden Seite herangezogenen Handschriften verzeichnet sind, finden sich zum einen (im Oberteil des Apparats) die eigentlichen Überlieferungsvarianten aus den einzelnen Septuagintahandschriften, Handschriftengruppen, Zitaten bei antiken christlichen oder paganen Autoren sowie alten Bibelübersetzungen verzeichnet, und wird zum anderen (im separaten Unterteil) der Text der erhaltenen Fragmente von jüngeren griechischen Alternativübersetzungen (Aquila, Symmachus, Theodotion [α σ θ]; s. u. 87–91) geboten. Beide textkritische Apparate verzeichnen dabei allein die Abweichungen vom Haupttext der entsprechenden Seite.

Als nicht nur im deutschsprachigen Raum verbreitete „Handausgabe“ des Göttinger Septuaginta-Unternehmens, die zwar auf deren System beruht, aber im Gegensatz zu diesem bereits abgeschlossen ist, kann die bemerkenswerte Edition des griechischen Bibeltextes durch den Alttestamentler Alfred Rahlfs (1865–1935) gelten. Das im Todesjahr seines Autors erschienene Werk bietet ebenso wie die „große“ Ausgabe einen synthetisch rekonstruierten Text, dessen handschriftliche Basis sich jedoch in der Regel auf die Majuskelcodices S,A und B beschränkt. Hinsichtlich des Umfangs und der Anordnung der einzelnen Schriften folgte Rahlfs der bereits erwähnten Liste im 39. Osterfestbrief des Bischofs Athanasius (s.u. 20), die er noch um die Oden und um die Psalmen Salomos (deren Bearbeitung in der Göttinger Ausgabe nicht vorgesehen ist) ergänzte.

Das sich hieraus ergebende Problem, daß der Textbestand der Septuagintaausgabe von Alfred Rahlfs hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Ordnung keiner jemals im Judentum oder im Christentum existierenden verbindlichen „kanonischen“ Sammlung griechischer Heiliger Schriften entspricht, und auch die Tatsache, daß sowohl die Handausgabe als auch die umfangreichere Edition des Göttinger Septuaginta-Unternehmens einen synthetisch rekonstruierten Mischtext bieten, der in dieser Form niemals benutzt wurde (wobei auch Lesarten begegnen, die kaum oder gar nicht tradiert sind), führen dazu, daß man sich bei der textkritischen Arbeit mit beiden unverzichtbaren Werken stets vor Augen halten muß, daß man es hier keinesfalls mit dem „Urtext“ der Septuaginta zu tun hat, zumal immer auch an die Möglichkeit zu denken ist, daß die ursprüngliche Lesart einer Bibelstelle in keinem einzigen der erhaltenen bzw. von den Editoren verarbeiteten Manuskripte mehr existiert.

Einführung in die Septuaginta

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