Читать книгу Einführung in die Septuaginta - Michael Tilly - Страница 12
3. Titel, Umfang, Anordnung und Inhalt
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Die vorliegende Septuaginta ist ein christliches Buch. Der griechische Begriff οί έβδοµήκοντα bzw. seine lateinische Entsprechung Septuaginta (nach dem lateinischen Zahlzeichen für 70 auch „LXX“) zur Bezeichnung der christlich tradierten Sammlung von griechischen Übersetzungen Heiliger Schriften mitsamt den Büchern, die nicht zu den verbindlichen jüdischen Sammlungen hebräischer Heiliger Schriften gehören, sondern sich allein in kirchlichen Handschriften und Drucken finden (s. u. 18–25), stammt von einem christlichen Autor; er findet sich in keiner vorchristlichen jüdischen Quelle. Das hellenistische Judentum bezog die Septuagintalegende (s. u. 27 ff.) ausschließlich auf die Tora. Vor dem 2. Jahrhundert n. Chr. wurde kein griechischer Bibeltext „Septuaginta“ genannt. Erst der frühchristliche Schriftsteller Justin (gest. 165) verwendete den Begriff zur Bezeichnung der von ihm zitierten gesamten Übersetzung von Tora und Propheten (Dialog mit Tryphon 137,3). Die bislang ältesten griechischen Bibelhandschriften, an deren Ende die Bezeichnung in Kolophonen (Schlußformeln) zu finden ist (vgl. z. B. die Hinzufügung hinter Gen 50,26 in Codex Vaticanus ([B; s. o. 14]: γένεσις κατἁ τοῡς έβδοµήκοντα [„Genesis nach der Septuaginta“]), stammen erst aus dem 4. Jahrhundert. Der alexandrinische christliche Theologe Origenes gebrauchte den Namen „Septuaginta“ sowohl für den griechischen Bibeltext, den er nach dem ihm zugänglichen hebräischen Text und den ihm zugänglichen „wörtlicheren“ griechischen Alternativversionen überarbeitete, als auch für das monumentale Produkt seiner umfänglichen Überarbeitungstätigkeit, nämlich der hexaplarischen Rezension als der griechischen Textausgabe des christlichen Alten Testaments, die zunächst in seinem Traditionsbereich (Jerusalem und der Osten des Römischen Reichs) und später dann in der griechischen Kirche bestimmend wurde (s.u. 84ff.).
Umfang
Üblicherweise und im weiteren Sinne werden die griechischen Übersetzungen der gesamten hebräischen Bibel (ursprünglich in aramäischer Sprache geschrieben sind Esr 4,8–6,18; 7,12–26; Dan 2,4–7,28; Jer 10,11 sowie zwei Wörter in Gen 31,47) mitsamt den (in den Manuskripten hinsichtlich ihrer Anordnung und ihres Umfangs uneinheitlich überlieferten) sogenannten „Apokryphen“ („Verborgenen [Büchern]“; reformatorische Tradition) bzw. „deuterokanonischen Schriften“ (katholische Tradition), den Büchern Judit, der Weisheit Salomos, Tobit, Sirach, Baruch, dem Brief Jeremias, dem 1. und dem 2. Buch der Makkabäer, sowie den Stücken zu Esther und den Zusätzen zu Daniel als Septuaginta bezeichnet (s. u. 21 ff.). Nach der Lutherbibel letzter Hand, Wittenberg 1545, gehört zu den hier zwischen den alt- und neutestamentlichen Schriften eingeordneten „Apocrypha: Das sind Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten und doch nützlich und gut zu lesen sind“ auch noch das – 2. Chr 33,11–19 auffüllende, anfangs allein in der syrischen Didaskalia und den apostolischen Konstitutionen (II 22,12–14) bezeugte, nur in wenigen griechischen Bibelhandschriften überlieferte und erst im 13. Jahrhundert in Vulgatacodices aufgenommene – Gebet Manasses, das von dem Wittenberger Reformator als Muster eines Beicht- und Bußgebets besonders geschätzt wurde. Die verbreitete griechische Textausgabe von Alfred Rahlfs (s. o. 16) bietet daneben einige Bücher, die in der Editio Sixto-Clementina von 1592 hinter dem Neuen Testament stehen und hier ausdrücklich als extra seriem canonicorum librorum („außer der Reihe der kanonischen Schriften“) bezeichnet werden. Zu diesen Büchern gehören:
das wohl unvollständig überlieferte 1. Buch Esdras (= 3. Ezra in der Vulgata [s. u. 98 f.]), eine für ihre griechischsprechenden jüdischen Adressaten gut lesbare eigenständige Geschichtserzählung auf der Basis des hebräisch-aramäischenen Textes von 2. Chr 35 f., Esra und Nehemia, die den Wert der Weisheit hervorhebt. In der lateinischen Bibel wird das Buch gefolgt von 4. Ezra, einer jüdischen Apokalypse aus der Zeit nach der Tempelzerstörung im Jahre 70 n. Chr.; nicht wenige lateinische Handschriften enthalten daneben auch noch ein 5. und 6. Ezrabuch);
das 3. Buch der Makkabäer, das seinem Inhalt nach nicht im Zusammenhang mit der Geschichte der Makkabäer steht. Als Ätiologie eines jährlichen Diasporafestes erzählt es die von Gott bewirkte wunderbare Errettung der alexandrinischen Juden vor ihrer Ermordung auf Betreiben des ptolemäischen Königs;
das der philosophischen Literatur zuzurechnende 4. Buch der Makkabäer, eine Abhandlung in Redenform, deren vordringliches Ziel die religiöse Erziehung ist und die anhand von Exempla aus der biblischen Überlieferung und dem 2. Buch der Makkabäer lehrt, wie die fromme Vernunft die Affekte und Triebe zu beherrschen vermag;
der Psalm 151, eine auf 1. Sam (= LXX 1. Kön) 16,1–13; 17,14; 2. Sam (= LXX 2. Kön) 7,8; 2. Chr 29,26, Ps 78 (LXX 77),70; 89 (LXX 88),20 basierende Dichtung aus vorchristlicher Zeit, die wohl der Auffüllung der
ihrem Umfang nach bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. feststehenden – Psalmensammlung diente und bei der in der Forschung umstritten ist, ob es eine hebräische Vorlage gegeben hat;
die erst von einer christlichen Redaktion aus Liedern in verschiedenen alt- und neutestamentlichen Büchern (Ex 15,1–19; Dtn 32,1–43; 1. Sam 2,1–10; Jes 26,9–20; Jona 2,3–10; Hab 3,1–19; Jes 38,10–20; Dan 3,26–45.52–88; Lk 1,46–55.68–79; 2,29–32), dem Gebet Manasses (s. o. 18) sowie einem christlichen Bußgebet zusammengestellten 14 Oden (nicht zu verwechseln mit den 42 Oden Salomos, einer großenteils in syrischer Sprache überlieferten christlichen Sammlung von Hymnen);
18 Psalmen Salomos, ursprünglich wohl in hebräischer Sprache verfaßte Dichtungen antihasmonäischer frommer Juden, die unter dem Eindruck der römischen Einnahme Jerusalems im Jahre 63 v. Chr. eine pessimistische Geschichtsdeutung mit Ansätzen messianischer Hoffnungen seines Trägerkreises verbanden.
Im antiken Judentum, dem sie (mit Ausnahme eines Teils der Oden) entstammen, scheinen alle diese „apokryphen“ bzw. „deuterokanonischen“ Schriften überwiegend lehrhaften Charakters nur separat tradiert worden zu sein; als Bestandteil von Sammlungen begegnen sie allein in christlichen Bibelhandschriften. Keine von ihnen war jemals Bestandteil eines jüdischen bzw. „alexandrinischen“ Septuagintakanons.
Die Bezeichnung „Septuaginta“
Der Name „Septuaginta“ verweist zunächst allein auf die Entstehungsgeschichte und insbesondere auf die antike jüdische (von kirchlichen Autoren aufgegriffene und ausgestaltete) Entstehungslegende der griechischen Toraübersetzung, in der wiederholt von 72 jüdischen Übersetzern (je 6 Männer aus den 12 Stämmen Israels) die Rede ist (s. u. 28). Die vereinfachte Zahl 70 (in griechischen Zahlzeichen: οἱ oʹ) als Rundung bzw. Abkürzung der 72 (οἱ οβʹ) setzte sich bereits früh in der christlichen Tradition durch; sie begegnet allerdings auch in einigen jüdischen Quellen, wo sie wahrscheinlich der Angleichung dieser Legende an die biblisch Erzählung von den 70 Ältesten diente, die Moses zum Sinai begleiteten (Ex 24,1–11) und auf die später ein Teil seines Geistes überging (Num 11,16–25), indem sie anzeigte, daß die jüdischen Septuagintaübersetzer gleichsam als bevollmächtigte Gehilfen des Offenbarungsempfängers Moses erscheinen und an seiner Autorität teilhaben (vgl. den Traktat Sefer Tora [I 8], eine in ihrem Grundbestand auf das 3. Jahrhundert n. Chr. zurückgehende rabbinische Sammlung von Vorschriften über das Schreiben von Torarollen).
Im eigentlichen und engeren Sinne der jüdischen Übersetzungslegende bezieht sich der Begriff „Septuaginta“ also allein auf die im 3. Jahrhundert v. Chr. im ptolemäischen Alexandria entstandene älteste griechische Übersetzung der Tora, der fünf Bücher Moses, im Unterschied sowohl zu den verschiedenen nach dieser entstandenen jüdischen Übersetzungen der Prophetenbücher und der Hagiographen ins Griechische als auch zu den jüngeren (jüdischen und christlichen) Überarbeitungen sämtlicher übersetzten biblischen Bücher. Erst im frühen Christentum wurde der Begriff auf Prophetenbücher und Hagiographen ausgedehnt; das griechische Zahlwort wuchs als inscriptio („Überschrift“) dem Gesamtwerk zu und prägte fortan seinen Namen.
Um zwischen dieser als christliches Altes Testament tradierten, mittlerweile vielfach redigierten und bereits durch die Anordnung (s. u. 23 f.) der tradierten Einzelschriften theologisch deutenden Sammlung und den älteren Bibelübersetzungen aus dem Traditionsbereich des vorchristlichen antiken Judentums in der gebotenen Weise zu differenzieren, haben sich für die letztere in der Septuagintaforschung auch die Bezeichnungen „alexandrinische Übersetzung“ oder „alte griechische Übersetzung“ (bzw. die auch in der deutschsprachigen Fachliteratur wohl aufgrund des erwünschten Verfremdungseffekts nicht seltene anglophone Benennung „Old Greek“) eingebürgert.
Die Septuaginta ist eine gewachsene Sammlung von Übersetzungen aus dem Hebräischen (bzw. Aramäischen) und von Schriften, die in griechischer Sprache abgefaßt wurden. Sie enthält neben den griechischen Übersetzungen der 22 bzw. 24 Bücher der hebräischen Bibel auch eine Anzahl jüdischer Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, von denen man bis in die späte Neuzeit keine hebräische bzw. aramäische Fassung kannte und die im antiken Judentum zum größeren Teil nur innerhalb einiger Gruppen gelesen und tradiert wurden. Es ist anzumerken, daß diese Schriften auch im frühen Christentum erkennbar seltener zitiert und in der gottesdienstlichen Lesung auch in geringerem Maße verwendet wurden als die im Judentum späterhin kanonisch gewordenen Bücher. Ebenso ist ihre handschriftliche Bezeugung geringer und sie wurden weniger in den kirchlichen Lektionaren (Vorlesebüchern für den gottesdienstlichen Gebrauch) verwendet.
Kanonisierungsbestrebungen
Der Abschluß dieser Sammlung wurde irgendwann vorausgesetzt, aber nie wirklich festgelegt. Erst seit Origenes (s. u. 84 ff.) läßt sich von einer einigermaßen klaren Fixierung sprechen. Doch auch sie änderte nichts daran, daß die Grenzen des christlichen Kanons lange beweglich waren und bis heute ein offener Rand bleibt, da es nie zu einer eindeutigen und definitiven Entscheidung über den Umfang der Septuaginta gekommen ist. Erst im 4. Jahrhundert n. Chr. bildete sich im Christentum überhaupt die Auffassung heraus, es müsse einen allgemein anerkannten „Kanon“, d. h. ein Verzeichnis aller biblischen Bücher geben, die endgültig und verbindlich in allen Kirchen als Heilige Schriften gelten sollten, und die Kirchen begannen, den Umfang der Sammlung dieser griechischen jüdischen Schriften für sich festzulegen. Der 39. Osterfestbrief des Bischofs Athanasius von Alexandria (295–373), der keinesfalls als ein verbindliches „kirchenamtliches“ Schreiben mißverstanden werden darf, zählte im Jahre 367 alle Bücher der – nach persönlichem Dafürhalten seines Verfassers – kirchlich verbindlichen Bibel namentlich auf und differenzierte in dieser Liste zwischen den unbestritten gültigen, den nur vorzulesenden und den „apokryphen“ Schriften. Letztere waren seines Erachtens zwar zum kirchlichen Gebrauch zugelassen, aber von geringerer Bedeutung; der Begriff „apokryph“ ist hier also nicht identisch mit seinem späteren Gebrauch (s. u. 109 f.). Die Synoden von Hippo (393) und Karthago (397), die auch in diesem Punkt unter dem Einfluß des Augustinus standen (s. u. 110), hielten an der bisherigen kirchlichen Tradition fest und bestimmten, daß der erweiterte Umfang der Septuaginta mitsamt einer Auswahl von Büchern, die sich in der hebräischen Bibel nicht finden, für den christlichen Westen fortan verbindlich sei. Als canonicae scripturae („kanonische Schriften“) des Alten Testaments, deren Verwendung im Gottesdienst nichts im Wege stand, wurden auf dem dritten afrikanischen Plenarkonzil von Karthago aufgeführt:
Genesis
Exodus
Leviticus
Numeri
Deuteronomium
Josua
Richter
Rut
4 Bücher der Königreiche
2 Chronikbücher
Hiob
Psalter
Sprüche
Kohelet (Prediger; lat.: Ecclesiastes; nicht zu verwechseln mit Jesus Sirach [lat.: Ecclesiasticus; s.u. 22])
Hoheslied
Weisheit Salomos
Sirach
Dodekapropheton (in den wichtigsten Majuskelhandschriften in folgender Reihenfolge: Hosea, Amos, Micha, Joel, Obadja, Jona, Nahum Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi)
Jesaja
Jeremia
Ezechiel
Daniel
Tobit
Judit
Esther
2 Esrabücher
2 Bücher der Makkabäer
Zwar wurde diese Entscheidung der Synode von Karthago auf dem (in der Kuppel [in trullo] des kaiserlichen Palasts in der byzantinischen Metropole tagenden) ökumenischen Konzil von Konstantinopel (692) von den östlichen Kirchen übernommen, aber das Trullanum II, das im Osten als Teil des vorangehenden Konzils von Konstantinopel (681) betrachtet wurde, erkannte neben dieser nordafrikanischen Kanonliste auch noch fünf verschiedene andere Listen an. Der „Septuagintakanon“ blieb auch hier noch immer offen.
jüdische Bibel und christliches Altes Testament
Die Tatsache, daß das christliche Alte Testament um einen nicht unbeträchtlichen Teil umfangreicher war als die jüdische Bibel, galt den kirchlichen Lehrern mehrheitlich als größerer Reichtum und nicht als das wesentliche Kriterium der wertenden Unterscheidung der biblischen Schriften im Hinblick auf ihre unterschiedliche Autorität und Bedeutung als „vor-“ und „nachrangige“ Bücher. Zu den Büchern, die keinen Eingang in die verbindlichen jüdischen Sammlungen hebräischer Heiliger Schriften fanden, sondern neben diesen im antiken Judentum vor allem der moralisch-pädagogischen Erbauung und frommen Unterhaltung sowie der religiösen Propaganda dienten, von hier aus in die Literatur der jungen christlichen Kirche eingingen und sich – in wechselndem Umfang – allein in kirchlichen griechischen Bibelhandschriften und Drucken finden, gehören:
das bereits gegen Ende der Perserherrschaft abgefaßte Buch Judit, dessen Syntax und Sprachgebrauch anzeigen, daß es auf ein hebräisches Original zurückgeht. Die belehrende Erzählung handelt von der Rettung einer Stadt Betulia (d.i. Jerusalem) vor dem assyrischen Heer des Holofernes durch die junge, reiche, schöne und gottesfürchtige Witwe Judit;
die Weisheit Salomos, die ihre Bezeichnung dem Umstand verdankt, daß das Buch, besonders in den Kapiteln 7–9, als eine Lobrede Salomos auf die Weisheit gelten will. Das in griechischer Sprache verfaßte Werk des hellenistischen Diasporajudentums will zu einem frommen und gottgefälligen, d. h. von der Tora als göttlicher Weisheit bestimmten Leben anleiten;
das Buch Tobit, von dem in Qumran hebräische und aramäische Fragmente gefunden wurden, und das als eine komplexe weisheitlich-theologische Lehrerzählung mit märchenhaften Zügen bezeichnet werden kann. Die in zwei unterschiedlichen griechischen Textformen vorliegende Schrift (s.u. 96f.) führt ihren Lesern in Form einer anschaulich gestalteten Familiengeschichte ein vorbildliches jüdisches Leben vor Augen;
das Buch Jesus Sirach (lat.: Ecclesiasticus) ein aus zahlreichen Einzelsprichwörtern bestehendes weisheitliches Spruchbuch zu unterschiedlichen Themen, das auf ein hebräisches Original zurückgeht (s.u. 53);
das aus disparaten Teilen kompilierte pseudepigraphische Buch Baruch, in dem unter dem Namen des Sekretärs des Propheten Jeremia (vgl. Jer 36; 45) tradierte Bußgebete und Verheißungen stehen;
der vor Assimilationsbestrebungen warnende Brief Jeremias, der in der Vulgata mit dem Baruchbuch (Bar 6) verbundenen ist. Sein Inhalt thematisiert vor allem die Verwerfung des – in karikierender Weise dargestellten – törichten und sinnlosen Götzendienstes;
das 1. Buch der Makkabäer, dessen hebräisches Original dem Hieronymus wohl noch vorgelegen hat, aber seitdem verschollen ist. Es schildert den lang andauernden Konflikt zwischen den judäischen Juden und den hellenistischen Herrschern und den Aufstieg des hasmonäischen Herrscherhauses von der Thronbesteigung des Seleukidenherrschers Antiochos IV. Epiphanes bis zum Tod des Makkabäerbruders Simon;
das 2. Buch der Makkabäer, das in Gestalt pathetischer Geschichtsschreibung ebenfalls die jüdischen Auseinandersetzungen mit den Seleukiden behandelt. Die ursprünglich griechische Schrift enthält zwei Briefe der Jerusalemer Juden und eine Epitome (d.h. einen Auszug) eines fünfbändigen griechischen Werks eines ansonsten unbekannten Jason von Kyrene;
das 3. und 4. Buch der Makkabäer (s. o. 18);
Stücke zu Esther, die in erbaulich-novellistischer Weise den religiösen Gehalt des biblischen Estherbuchs steigern und den Mangel beheben, daß Gott hier nirgends ausdrücklich erwähnt wird (s.u. 94f.);
Zusätze zu Daniel (Susanna; Bel und der Drache; Gebet Asarjas; Gebet der drei Männer im Feuerofen). Die beiden erbaulichen Tendenzerzählungen, das Klagelied und der Hymnus stellen als Zusätze zum griechischen Danielbuch die anfangs große Freiheit bei dessen Überlieferung unter Beweis (s.u. 91);
das 1. Buch Esdras (s. o. 18);
die Psalmen Salomos (s. o. 19);
die Sammlung der Oden (s. o. 19).
Erhalten sind alle diese hellenistisch-jüdischen Schriften fast ausschließlich in der Überlieferung der Alten Kirche. Als Dokumente der unterschiedlichen Glaubensvorstellungen im Judentum zu hellenistisch-römischer Zeit sind sie von großem Wert für die Erhellung der Gedankenwelt der Antike. Bereits im Neuen Testament finden sich zahlreiche Zitate aus und Bezugnahmen auf die Apokryphen (z. B. Mk 10,19, vgl. Sir 4,1; Mt 9,36, vgl. Jdt 11,19; 2. Tim 2,19, vgl. Sir 17,26), und auch Josephus hat sie in seinen Werken als Quellen benutzt. Während die katholische Kirche, die sich hinsichtlich der Zahl und Länge der verbindlichen alttestamentlichen Schriften seit dem ersten Konzil von Trient (s. u. 99) am Bestand der Septuaginta orientierte, einige der genannten Texte als „deuterokanonisch“ übernahm, lehnten die Reformatoren, die sich aufgrund von sachkritischen Argumenten und vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Auseinandersetzungen primär am rabbinischen Kanon orientierten, sie als „apokryph“ ab, wenn auch Martin Luther (1483–1546) nirgendwo in seinem umfangreichen Werk einen expliziten Grund für ihre pauschale Ausgrenzung nannte. Auch Ansätze Zürcher Reformatoren, die Septuaginta doch in die deutsche Bibelübersetzung einzubeziehen, setzten sich nicht durch. Die Kirchen der Reformation, deren Wortführer durch den humanistischen Drang zu den Quellen („ad fontes“) beeinflußt waren, beschränkten sich seitdem auf den Inhalt der hebräischen Bibel und orientierten sich an ihrem Text. In der Reihenfolge der einzelnen Bücher entsprachen ihre Bibelausgaben allerdings gegen die traditionelle Anordnung der Heiligen Schriften im Judentum dem römisch-katholischen Kanon.
Benennung der biblischen Bücher
Hinsichtlich der Benennung der biblischen Bücher weicht die Septuaginta grundsätzlich von der im Judentum üblichen Zitation nach dem Anfangswort eines Buchs ab und folgt der Gewohnheit der griechischen Bibliothekare, seinen Verfasser und/oder seinen Inhalt anzugeben. Der griechische Titel des fünften Buchs Moses ∆ευτερονὀµιον („zweites Gesetz“) entspricht dabei allerdings der Zitation des Buchs als Mišne ha-Tora („Wiederholung des Gesetzes“) in der rabbinischen Literatur. Auffällig sind besonders die in den Septuagintacodices begegnende gemeinsame Bezeichnung von 1.2. Samuel und 1.2. Könige als (βιβλία) βασιλειῶν („[Bücher] der Königreiche“) und die Bezeichnung von 1.2. Chronik als (βιβλία) παραλειποµένων βασιλέων Ιουδα („[Bücher] der ausgelassenen [Ereignisse] der Könige von Juda“). Während die Wahl des ersteren nach inhaltlichen Kriterien zusammenfassenden Begriffs vermutlich darauf zurückzuführen ist, daß die Tradenten der griechischen Bibel ein ganz besonderes Interesse an der politischen Geschichte der Königszeit hatten, beruht die letztere Umbenennung darauf, daß die Chronikbücher nicht als eine eigenständige Neuschreibung der Geschichte des Südreichs Juda angesehen wurden, sondern als ein ergänzender Nachtrag zu den bereits in 1.2 Samuel und 1.2. Könige (LXX 1.–4. Königreiche) berichteten Geschehnissen aus der Königszeit. Die Titel der Bücher in der Septuaginta wurden später von der Vetus Latina und von der Vulgata (s. u. 97–99) übernommen und gelangten von hier aus im Bereich der Kirchen in alle europäischen Sprachen.
Einteilung und Anordnung der biblischen Bücher
Die grobe Einteilung der Bücher in den jüdischen Sammlungen hebräischer Heiliger Schriften entsprach der Bedeutungsentwicklung bzw. dem Zeitraum des Abschlusses der Teilsammlung im antiken Judentum, orientierte sich vor allem an der Chronologie der erzählten Zeit und beruhte daneben auch auf praktischen Bedürfnissen (Auffüllung der Buchrollen). Die Abfolge von Tora, Propheten und Hagiographen stand im antiken Judentum bereits früh fest, wenn auch die vorgegebene Reihenfolge der einzelnen biblischen Bücher von den jüdischen Schreibern häufig nicht als verbindlich angesehen wurde (Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Hagiographen; z.B. finden sich die Chronikbücher bald an letzter [Codex British Museum, Add. 15252]), bald an erster Stelle [Codex Leningradensis bzw. Petropolitanus; die Biblia Hebraica Stuttgartensia von 1977 weicht in ihrer Anordnung von ihrer Textvorlage ab]). Erst der Buchdruck sorgte hier für eine Vereinheitlichung.
Die veränderte Einteilung der Bücher in der Septuaginta zeugt dagegen von einem christlichen Blickwinkel. Durch die sich bald aushärtende Anordnung ihrer Buchteile in der Abfolge von Gesetzbüchern, Geschichtsbüchern, Lehrbüchern und Propheten wurden drei zentrale theologische Aussagen transportiert, nämlich die christozentrische heilsgeschichtliche Deutung der Vergangenheit des Gottesvolkes, die hohe Bedeutung der in Anspruch genommenen jüdischen Heiligen Schriften für die fromme christliche Daseinsgestaltung in der Gegenwart, und die Interpretation der biblischen Schriftpropheten (unter Einschluß der Psalmen als Dichtungen Davids) als Künder der Zukunft bzw. die Deutung ihrer Botschaft als voraussagende Weissagung „auf Christus hin“ (s. u. 103).
Innerhalb dieser grundlegenden Ordnung finden sich weitere Unterschiede gegenüber der hebräischen Bibel, wobei auch in Bezug auf die Septuaginta einschränkend festzustellen ist, daß die handschriftliche Überlieferung in diesem Punkt nicht einheitlich ist (z. B. findet sich das Buch Hiob in den Manuskripten an unterschiedlichen Stellen). Die Chronikbücher stehen hier zwischen 1.–4. Königreiche und 1.2. Esdras und werden so – in chronologischer Abfolge des erzählten Geschehens – als Geschichtsbücher in die Gruppe der übrigen Geschichtscorpora integriert. Auch findet sich das Buch Rut in der griechischen Bibel nicht bei den Hagiographen, sondern nach dem Richterbuch, wohl weil Rut 1,1 seine Handlung in die Zeit der Richter datiert (durch diese Ordnung wird auch die Übereinstimmung der Ahnenreihe Jesu [Mt 1,6; Lk 3,32] mit der davidischen Genealogie akzentuiert [vgl. Rut 4,17]). In der Septuagintaüberlieferung fand wieder eine Verknüpfung der Übersetzung des hebräischen Esrabuchs mit der folgenden Nehemiaerzählung statt, deren frühe Abtrennung wohl durch den Neueinsatz in Neh 1,1 mit der Überschrift „Bericht Nehemias, des Sohns Hachaljas“ angeregt wurde. Als 2. Esdras wurde die kombinierte Version (Neh 1,1 entspricht LXX 2. Esdr 11,1) – wohl in Entsprechung der ursprünglichen Gestalt als zusammenhängendes Buch – im Christentum schließlich kanonisch.
Während die Versteilung der Psalmen in den neuzeitlichen Textausgaben der Septuaginta in der Regel mit dem hebräischen Bibeltext übereinstimmt, weicht die Zählung der einzelnen Psalmendichtungen an mehreren Stellen vom hebräischen Psalter ab. Aufgrund der Zuordnung von Ps 10 (LXX 9,23–39) zum vorangehenden Ps 9 und der Teilung von Ps 147 (LXX 146,1–11; 147,1–9) im frühen Verlauf der christlichen Überlieferung veränderte sich die gesamte Zählung, was zur Folge hat, daß sich die Numerierung der einzelnen Psalmen im hebräischen und im griechischen Bibeltext seitdem allein bei Ps 1–8 und 148–150 entspricht, wohingegen sie zwischen Ps 10 und 147 in der Septuaginta immer um 1 nach unten abweicht. Ps 114,1–8 und 115,1–18 werden im griechischen Psalter zu Ps 113, 1–26 zusammengefaßt und Ps 116,1–19 wird in die Psalmen 114,1–9 und 115,1–10 zerlegt. Das Danielbuch wurde in die christlich tradierte Septuaginta bald als eines der vier großen prophetischen Bücher eingeordnet; seine Endstellung entsprach dabei seiner Deutung als eines eschatologischen (bzw. auf die Christusoffenbarung hinführenden) Abschlusses des Alten Testaments (s. u. 104).
Die Apokryphen bzw. deuterokanonischen Schriften sind in den erhaltenen christlichen Septuagintacodices in Entsprechung ihrer jeweiligen literarischen Gattung in die verschiedenen Teilsammlungen der alttestamentlichen Schriften eingeordnet; ihre Stellung in den einzelnen Codices variiert. Durch ihre Hinzufügung veränderte sich der Charakter der Septuaginta als Gesamtwerks, denn mit der Weisheit Salomos stieg der Anteil salomonischer Pseudepigraphie, und durch Baruch und den Brief Jeremias wurde die Bedeutung des Propheten Jeremia akzentuiert. Die Aufnahme des 1. und 2. Makkabäerbuchs bedeutete eine Verlängerung der Darstellung der Heilsgeschichte bis in die jüngere Zeit hinein, und die Eingliederung von Tobit, Judit, und Sirach verstärkte das erbauliche und das weisheitliche Element der Sammlung.