Читать книгу Die ANKUNFT der Raumsiedler - Michael Wächter - Страница 10
Kapitel 7
ОглавлениеJenis war deprimiert. Er hatte kaum geschlafen. Das Untersuchungsverfahren zur Klärung des mysteriösen Arbeitsunfalles um den Tod des Piloten Jähn-Mu war eingestellt. Es blieb ohne Indizien für äußere Einwirkung, ohne Anzeichen für verschlampte Kontrollen und Inspektionen oder anderes Versagen der Triebwerkstechniker. Einfach ohne Ergebnis. General Fazzuwär hatte ihn als unfähig abgestempelt und angemacht, doch mehr konnte auch der General nicht tun. Er war für die Altakolia I nicht zuständig. Trotzdem brauchte er sie. Er musste sie, den Strategien zur Machtübernahme über den Planeten folgend, noch einmal besuchen. Und so meldete er seinen Besuch auf der Altakolia I an und ließ sich den Raumgleiter startklar machen.
Jenis erfuhr es, als er im Wohnzylinder bei Ma-Ting Coqey saß. Sie brütete über einem Problem an ihrem Wasserstoff-Bioreaktor.
„Schau, Jenis, hier ist die Stelle im Ökosystem, an der wir Öle aus Algen gewinnen. Biowasserstoff. Thermophile und Cyanobakterien setzten die Biomasse um“, erklärte sie. „Aber ihr Kohlendioxid behindert die Wasserstoffproduktion. Für die Photosynthese sind diese Dicarbamate doch nötig, und der Lichtbedarf für die Umsetzungen ist auch noch enorm.“
Kapitän Jenis konnte wenig zu ihrem Problem sagen – er war weder Biotechniker noch Stoffkundler. Lieber hätte er Tüngör besucht, der an einem raffinierten Projekt arbeitete. Er untersuchte den Reifegrad der Früchte auf den sariahnischen Äckern über IR-Satelliten, die er dem blauen Planeten entgegengeschickt hatte. Aber Jenis konnte nichts machen: Zu seinen Pflichten als Kapitän gehörte es nun mal, zu allen Crewmitgliedern guten Kontakt zu halten. Auch wenn sie in ihm fremden Fachbereichen tätig waren.
Ein wenig später begab er sich in die Kapitänskabine. Die Wochenansprache an die Crew stand an.
„Eine Durchsage, öffentlich an alle Besatzungsmitglieder der Altakolia I. Hier spricht der Captain.“, flötete Jenis. Die Crew wusste es sofort: Der Kapitän war heute gemäßigter Laune.
Als Kapitän Jenis sein Bordmikro schloss, sah er in Vizekapitän Ta-Sarjowairs Augen.
„Wie war ich?“, fragte er seinen Vize schmunzelnd.
„Nun, Captain, ihre Wochenansprache war gut. Nun wird niemand mehr Sorgen haben, unsere Vorräte seien zu knapp bemessen. In der Tat werden wir die Lebensmittelproduktion im Wohnzylinder jedoch weiter ausbauen und deutlich steigern müssen. Von der alten Tiefkühlkost aus der Heimat ist nichts mehr übrig.“
„Da haben sie recht, Fanzru!“, stimmte Jenis ihm zu. „Aber ich habe im Moment ganz andere Sorgen!“
„Kapitän?“
„Ach, Fanzru, mir liegt dieser Fazzuwär schwer im Magen.“
„General Fazzuwär von der Altakolia VII?“
„Ja, Sie wissen doch: Er übernimmt nächsten Tolonmonat turnusgemäß den Oberbefehl unserer Mission – sein Antrittsbesuch auf der Altakolia I ist terminiert.“
„Ich vermute, nicht nur der Antrittsbesuch des Generals?“
„Nein, Fanzru, der General selbst. Nicht, weil er Sararier ist, Fanzru, das wissen sie! Aber dieser Haudegen ist ein sturer Hardliner. Ich mag ihn nicht, ihn und seinen Führungsstil. Dieses militärische Denken, und dieses demonstrative „Ich bin geläutert, ich bin kein Sarfazist mehr“. Ich traue ihm nicht. Was nützt es, wenn man Schreiben, Lesen, Kämpfen gelernt hat, aber das Denken anderen überlässt? Wer vor seiner Vergangenheit flieht, der verliert das Rennen doch immer!“
Jenis holte Luft, beruhigte sich. Dann sah er in Ta-Sarjowärs treue Augen.
„Können Sie ihn nicht für mich in Empfang nehmen? Ich stoße dann später hinzu.“
„Ay, Captain. Ich nehme den Termin für sie wahr.“
„Danke, Fanzru“, sagte Jenis erleichtert. „Sie haben einen gut bei mir!“
Fanzru Ta-Sarjowair lächelte und flog davon.
Am folgenden Puntirjanday stand er an der Spitze der Ehrenformation, die General Fazzuwär auf der Landungsbrücke begrüßte. Sein Shuttle dockte planmäßig an. In Begleitung zweier Stewards von der Altakolia VII verließ der General sein Raumfahrzeug, schritt auf Ta-Sarjowair zu und reichte ihm die Hand.
„Ich freue mich, sie zu sehen, Vizekapitän!“, zwitscherte er. „Wo können wir ungestört reden?“
„Reden?“ Ta-Sarjowair staunte. Er geleitete den General in den Besprechungsraum der Andockstation.
„General, sie wünschen?“
„Mein lieber Ta-Sarjowair“, begann Fazzuwär. „Ich möchte sie unter uns Sarkariern darüber unterrichten, dass mein Missions-Oberbefehl von Seiten unserer heimatlichen IPO-Kommandantur aus etwas beinhaltet, was Ihrem Kapitän Jenis und auch bei Ihnen auf der Altakolia I noch nicht bekannt gemacht werden soll.“
„General?“ Ta-Sarjowair stutzte.
„Herr Vizekapitän, wir sind nun im Begriff, in das Altakol-System einzudringen. Die Vorboten haben es erkundet und uns orbitale Andock- und Versorgungs-Stationen errichtet. Was meinen sie wohl, wozu?“
„Damit wir dort siedeln können, General.“
„Wir wissen, dass es dort nicht nur Lebewesen gibt, sondern sogar eine Zivilisation. Und wenn diese uns nicht willkommen heißt, mein lieber Ta-Sarjowair, was dann?“
„Wir können überall siedeln, General, das System ist groß genug!“
„Wir werden dort siedeln, wo wir die besten Chancen haben! Und das wird dort sein, wo diese eventuell sogar technisierte Zivilisation ihr Zentrum haben wird: Auf dem blauen Planeten in der bewohnbaren Zone. Nur dort.“
Ta-Sarjowair wurde es etwas frostig, ihn schauerte.
„Das heißt, General?“, fragte er.
„Das heißt, die IPO hat uns den Geheimauftrag gegeben, Möglichkeiten zur Invasion und Okkupation der dort eventuell vorhandenen Zivilisation auszuloten. Gegebenenfalls ist ein vernichtender Angriff vorzubereiten.“
„General! Kapitän Jenis wird das mit Sicherheit anders sehen! Er sprach von Koop…“
„Vizekapitän!“, polterte der General barsch. „Ich verstehe ihre Loyalität. Er ist ihr Captain. Aber ich sage ihnen das unter uns Sarkariern. Das geht diese IPO-Raumfahrtbehörden und auch ihren Captain nichts an. Ich untersage Ihnen hiermit, Captain Jenis von diesem geheimen Missionsziel zu berichten. Ich bin hier, um alles Notwendige für die Vorbereitungen zu veranlassen. Sie werden mich dabei unterstützen – ohne ihren Kapitän davon zu informieren. Das ist ein Befehl!“, schnauzte er.
„Ja, Sir!“, blaffte Ta-Sarjowair widerwillig zurück. Dann entstand ein langes Schweigen.
Die Tür ging auf. Kapitän Jenis betrat den Besprechungsraum. General Fazzuwär wandte sich ihm zu.
„Kapitän, wir sprachen gerade über sie. Ich begrüße sie!“, sagte der General.
„Willkommen auf der Altakolia I, Kommandant“, entgegnete Jenis. „Sie hatten eine gute Reise?“
„Ja, Kapitän, danke! Die Stewards versorgten uns gut, und der Shuttleflug lief problemlos.“
„Das freut mich.“
Jenis geleitete den General aus dem Besprechungsraum zum Gästequartier im Wohnzylinder. Der General erkundigte sich nach den Ereignissen der letzten Monate auf der Altakolia I. Auch ließ er sich zum Punkt Sicherheit nochmals von den damaligen Vorfällen um Sserfaru Xing berichten.
„Sie kannten ihn?“, fragte Ta-Sarjowair.
„Nein“, log der General. Dann erzählte er Jenis zur Ablenkung von Sicherheitsproblemen, die er auf der Altakolia VII gehabt hatte, und er ignorierte Vizekapitän Ta-Sarjowair in auffälliger Weise.
Ta-Sarjowair folgte ihnen schweigend, und Jenis fragte sich, was dafür wohl der Grund sein würde. Der General und seine Stewards wurden einquartiert.
Am folgenden Abend stellte Jenis seinen Vize zur Rede.
„Fanzru, sie schweigen, seit der General an Bord ist. Was ist der Grund für ihr Verhalten? Was geht hier vor?“
Ta-Sarjowair jedoch wich aus, redete von früheren Zeiten, in denen er dem General begegnet war – im IPO-Hauptquartier auf Puntirjan, noch vor dem Start der Altakolia-Mission.
„Fanzru, sie weichen aus. Was ist zwischen ihnen und dem General? Irgendeine alte Sarkarier-Sache, von der ich nicht wissen soll?“
„Nein, Kapitän, aber bei aller Loyalität ihnen gegenüber: der General erteilte mir Befehl, darüber nicht zu reden.“
„Dann kann ich wohl nichts machen, Fanzru“, sagte Jenis traurig und beendete das Gespräch.
Einige Tage Routine folgten. Der General war in seinem Quartier an der Computerkonsole aktiv. Er inspizierte die Raumstation mit seinen Stewards und ließ zur Verwunderung des Schiffschefingenieurs spezielle, codierte Programme installieren. Jenis ließ ihn gewähren. Plötzlich jedoch gab es Streit. Ta-Sarjowair indessen mit General Fazzuwär aneinander. Sie waren in der Astronavigation kurz allein. Fazzuwär tobte. Er fand, dass Ta-Sarjowair seine Befehle zur Installation der Sondensteuerungs-Programme zu langsam befolgte, und zögernd.
„Vizekapitän, ich sagte, sie sollen das Programm F13 installieren, um eine Laservorrichtung in das IR-Spektrometer der ISR-Sonde zu integrieren.“
„General, bedenken sie, die Laservorrichtung könnte als Waffe eingesetzt werden, um die Reaktorsatelliten aus dem Orbit …“
„Vizekapitän, das war ein Befehl! Das weiß ich selbst!“
„General!“ Ta-Sarjowair stand auf und stellte sich vor Fazzuwär auf. „Ich kann das nicht gutheißen! Das Plutonium der Reaktorsatelliten könnte durch IR-Laserbestrahlung …“
„Vizekapitän!“, schrie Fazzuwär. Ta-Sarjowair fuhr fort.
„Nein, General, dieses angebliche, geheime IPO-Missionsziel verstößt gegen friedliche …“
„Vizekapitän, ich warne sie. Ich habe ihnen einen Befehl erteilt. Ich werde nicht weiter diskutieren.“
„General, ich gebe hiermit zu Protokoll, dass ich den Befehl nur unter Protest befolgen werde! Das ermöglicht ein Kriegsverbrechen gegen die Sariahner, einen Völkermord! Wir Raumsiedler haben keine Okkupations-Interessen. Wir sind unabhängig von Puntirjan, und unsere Mission dient der friedlichen Erforschung und Besiedlung des Altakolsystems! Ohne territorial-aggressiven Absichten!“
„Kolonisation – im Bedarfsfall heißt das auch In-Besitz-Nahme, Vizekapitän. Und jetzt führen sie meinen Befehl aus, oder ich lasse sie in Arrest nehmen.“
Ta-Sarjowair knirschte mit dem Schnabel, dass man hätte meinen können, zwei Titansägen reiben aneinander. Grimmig gehorchte er und setzte die von Fazzuwär angeordnete Arbeit fort – die Vorbereitung zum Auslöschen der Sariahner.
Ex-Generalinspekteur Vladimir Komarow auf der Erde war zufrieden. Viele Jahre waren seit dem seltsamen Ereignis in der Podkamennaja Tunguska im Siedlungsgebiet der Ewenken vergangen. Komarow, Augenzeuge des damaligen Ereignisses, war inzwischen ein reicher Mann. Monatelang hatte er Felle gekauft – von Jägern, Sammlern, Dorfältesten, Schamanen, Kommandeuren und Deserteuren. Er hatte Handelsdepots eröffnet in Petersburg, Moskau, Kiew und im fernen Wladiwostok. Und sie liefen gut. Sie liefen so gut, dass ihm die Rubel nur so zurollten – und trotz Oktoberrevolution und Weltkrieg brummte sein Handelsgeschäft im nahezu gesamten russischen Reich.
Leonid Alexejewitsch Kulik, Komarows Freund aus Tartu, hatte eine andere Laufbahn angetreten. Im russisch-japanischen Krieg hatte er brav in der Armee gedient, sich dann aber den Revolutionären zugewandt. Das brachte ihm einige Jahre Gefängnis ein – und jetzt, da der erste Weltkrieg ausgebrochen war, diente er erneut in der Armee – bis zum Ende von Weltkrieg und Zarenherrschaft.
Von Vladimir hatte er vom Tunguska-Ereignis gehört, und jetzt, da er durch seinen Dienst in der russischen Armee wieder rehabilitiert war, wandte er sich wieder seiner Berufung zu: Der Mineralogie. Er wurde Ausbilder und lehrte Mineralogie in Tomsk. Da traf es sich ausgezeichnet, dass ihm 1920 eine Stelle am Mineralogischen Museum in Sankt Petersburg angeboten wurde. Von hier aus organisierte Kulik eine Expedition in die Tunguska und sammelte auf dem Weg dorthin erste Informationen über das seltsame Ereignis von 1908. Er kam nur bis auf 600 km an den Explosionsort heran, bis zum Örtchen Kansk. Die Wirren nach der Revolution, die Armut und die Folgen der Unruhen machten eine Weiterreise unmöglich. Eine ordnende Zarenmacht gab es hier nicht mehr.