Читать книгу Die ANKUNFT der Raumsiedler - Michael Wächter - Страница 11
Kapitel 8
ОглавлениеDiese Mistqualle von Kriegstreiber!
Kapitän Jenis kochte. Er war außer sich. Er tobte vor Wut und hätte dem General am liebsten ein Feuerwerk unter dem Allerwertesten bereitet, dass es ihn zerfetzt hätte. Mit Hilfe seines Schiffschefinformatikers hatte er herausgefunden, welche Art von Arbeiten der General vornehmen ließ. Die Decodierung seiner Programme hatte einige Tolonmonate gekostet. Jenis konnte einfach nicht glauben, dass sein Vize Fanzru Ta-Sarjowair an diesen Arbeiten teilnahm, ohne etwas zu sagen. Einige der für Sariah bestimmten Raumsonden an Bord waren mit Nuklearsprengsätzen und Laserkanonen ausgestattet worden. Ihre Computerprogramme verrieten, dass dort ein nuklearer elektromagnetischer Impuls ausgelöst werden sollte, ein Impuls, der eine technisierte Zivilisation planetenweit lahmlegen kann. Weitere Sonden trugen sogar Nuklearsprengsätze, die in Meereshöhe detonieren und Flutwellen erzeugen konnten – Tsunamis, die ganze Küstenstädte vernichten konnten. Transportsonden schließlich trugen Heere von Nanorobotern, programmiert darauf, Infrastruktur- und Versorgungsnetze zu infiltrieren und zu zerstören, Trinkwasserreservoirs zu vergiften und etwaige militärische Verteidigungsanlagen zu deaktivieren. Das war Kriegsführung! Der General bereitete tatsächlich heimlich einen Angriff auf die Bewohner des Altakolsystems vor. Er musste Fazzuwär stoppen. Und er musste Ta-Sarjowair wegen seines Doppelspieles zur Rede stellen.
Er traf sie im Gästequartier des Generals.
„Das trifft sich gut!“, wandte er sich an den General persönlich. „Ich wollte auch sie sprechen.“
„Kapitän?“, sagte der General überrascht von Jenis‘ frostigen Ton.
„General, ich habe Information, dass sie eine Okkupation der eventuell technisierten Zivilisation im Altakolsystem vorbereiten – eine kriegerische Okkupation.“
„Das stimmt, Kapitän“, entwich es Ta-Sarjowair. Er antwortete an Stelle des verdutzten Generals.
„Vizekapitän! Sie schweigen!“, donnerte der General los. „Kapitän Jenis, egal was sie vermuten, ich habe das Oberkommando über diese Mission. Und ein geheimes Missionsziel zu befolgen – im Auftrag der IPO-Kommandantur!“
„Ich glaube es nicht …“, wollte Jenis ansetzen.
„Kapitän!“, wetterte der General weiter. „Ich erteile ihnen hiermit den Befehl, die Vorbereitung der notfalls kriegerischen Okkupation einer eventuell technisierten Zivilisation im Altakolsystem zu unterstützen und über dieses geheime Missionsziel der Crew gegenüber zu schweigen!“
Jenis erschauderte. Er schnappte nach Luft, um sich zu beruhigen, überlegte eine ruhige Antwort. Entscheidungen, erst recht eine solche über Leben und Tod, überlässt man nicht der Leidenschaft oder der Angst, sondern dem Verstand, dachte er. Trotzdem konnte er nicht ruhig bleiben. Nicht angesichts solcher Pläne.
„Das wollen sie wirklich durchziehen?“, brüllte er. „Sie glauben doch nicht im ernst, dass meine Mannschaft und ich sie dabei unterstützen werden! Das widerspricht der Ehre und der Moral. Es widerspricht unserer Religion, den Grundsätzen unserer Zivilisation und …“
„Kapitän, ich habe ihnen einen Befehl erteilt!“, zischte der General.
„General, ich habe ihnen widersprochen, Ich bin Zivilist und werde einen solchen Befehl nicht befolgen“, gab Jenis zurück.
„Vizekapitän! Kapitän Jenis verhaftet und seines Ranges enthoben!“
Ta-Sarjowair verschränkte die Arme, schwieg und sah den General trotzig an.
„Vizekapitän! Sie sollen Kapitän Jenis verhaften! Ich verhänge das Kriegsrecht. Sie unterstehen meinem Befehl und sind ab sofort Kapitän und Kommandant der Altakolia I.“
Ta-Sarjowair schwieg. Jenis schmunzelte.
„Sicherheit!“ Der General rief die Wachmannschaft über Videophon herbei. Drei Wachleute stürmten in das Gästequartier des Generals.
„Sicherheit, verhaften sie den Kapitän und den Vizekapitän! Sofort!“
Verdutzt sahen die Wachmänner Jenis an. Jenis regte sich nicht.
„Ich verweigere den Befehl zur Vorbereitung ihres Angriffskrieges!“, wiederholte er.
„Ich auch!“, sagte Ta-Sarjowair.
Die Wachleute sahen sich an.
„Wir auch!“, ergänzten sie.
„Sicherheit, verhaften sie den General. Er kommt vor das Bordgericht der Raumstation“, sagte Jenis.
Der General stieß die Wachleute um, noch ehe sie reagieren konnten. Er rannte zum Korridor, flog hastig zur Andockstation. Dort zog er seine Waffe, um die dortigen Crewmitglieder in Schach zu halten. Zum Entsetzen der Anwesenden stellte er sie von „Betäubungsprojektil“ um auf „Töten“. Ein Schuss, und er hätte jetzt die Außenwand durchlöchern können. Die Crewmitglieder wichen zurück. Sie starrten ihn an. Fazzuwär schwang sich in seinen Shuttle. Er öffnete die Andockrampe, vollführte einen Alarmstart und entkam ins All mit Kurs auf die Altakolia VII.
Jenis folgte ihm nicht. Er beschloss, ihn später festzunehmen. Sei friedlich, denn auch sich nicht zu rächen kann eine furchtbare Rache sein – und fruchtbar obendrein, ging ihm durch den Kopf. Es galt, erst einige seiner Viren und Computerprogramme zu deaktivieren. Das Ziel war die friedliche Erforschung und Besiedlung der neuen Welt um Altakol. Um Fazzuwär kann ich mich auch noch später kümmern. Für ihn war dieser Kriegsverbrecher sowieso kein IPO-General mehr.
Eine steife Brise wehte um die Gesichter der Radiofunker. Sie blickten den Händler an, der ihnen das letzte, fehlende Bauteil für die Sendestation geliefert hatte. Sein Gesicht zeichnete sich scharf ab vor der in der Nordsee versinkenden Abendsonne. Georg von Steinfurt, der Ersatzteil-Händler aus Westfalen, strahlte hoch zufrieden, fast wie der Sendemast selbst. Er handelte unter anderem mit Funktechnik-Ersatzteilen. Zufrieden stand er mit seinen Partnern am neuen Sendeturm. Es war der 26. Oktober 1926. Sie feierten, dass der erste Kurzwellensender der Küstenfunkstelle Norddeich Radio auf 68 m Welle in Betrieb ging. Auf der 36 m Welle hatten sie erfolgreiche Kurzwellenversuche sogar mit der Cap Polonio bis kurz vor Montevideo unternommen, später sogar bis Buenos Aires selbst.
„Ein großer Erfolg, Georg!“
Tjark, einer der Radiotechniker, prostete ihm zu. „Nun können wir über Funk um die halbe Welt kommunizieren!“
„Ich freu mich für euch, und dass ich aushelfen konnte!“, entgegnete ihm der eifrige Georg.
Bernhard war glücklich. Er dachte gerade an Charlotte, seine Verlobte aus Erfurt. Er hatte bei Charlottes Vater Otto Wilhelm Köller um ihre Hand angehalten. Obwohl Bernhard aus bravem, katholischen Hause kam, katholisch, wie es ein Münsterländer eben ist, und Charlotte aus preußisch-protestantischem Hause, hatte Otto Wilhelm Ja gesagt. Jetzt waren sie verlobt.
„Die Rechnung für die Hilfe kommt dann in ein paar Tagen per Post!“, frozzelte Georg.
Bernhard lachte über Georgs spitze Bemerkung. Das ließ sich toppen.
„Er schreibt sie euch dann auf einer meiner Schreibmaschinen – so eine, wie ich sie euch an die Funkstation geliefert habe!“, warf er Tjark zu.
„Neumodischer Schietkram!“, gab Tjark abfällig zurück. „In feiner Sytterlin-Handschrift kanntu dat viel bedder lesen!“. Es passte ihm nicht, dass Hein, sein Chef, bei diesem Herrn Bernhard Jedermann diese Schreibmaschine bestellt hatte. Trotzdem erzählte er Georg stolz die Geschichte ihrer Funkstation: August 1924 hatten sie begonnen, Ozean-Wettermeldungen auf Langwelle zu verbreiten. Mitte Oktober 1924 dann den Blindfunk für Schiffe, täglich auf 2290 m. Um 1 Uhr, 13,15 Uhr und 22 Uhr. Anfang 1925 hatte der Nordweststurm drei fast 150 m hohe, im Bau befindliche Türme bei der Sendefunkstelle umgeworfen. Trotzdem ging der erste Kurzwellensender auf 68 m Welle in Betrieb.
„Denn man tau!“, lachte Cheftechniker Hein Peterssen seinen Kollegen an. „Wat mokt wi da?“
„Ich sag’s mal hochdeutsch: Abwarten und Tee trinken!“, lachte der. Georg lachte zurück. Vom Strand her kreischten die Möwen.
Gut 800 m abseits von ihnen, weit hinten in den Dünen, schwebte ein kleines Objekt vom Himmel hinab. Es war etwa so groß wie ein Pfirsich und hing an einem kleinen Fallschirm. Es plumpste sanft in den Sand, grub sich einige Zentimeter ein und wurde von der nächsten Welle fast in die See gespült. Niemand hatte es bemerkt, und so blieb die puntirjanische Mikrosonde aus den Tiefen des Alls an der Küste unentdeckt, ebenso wie das Sendemodul der Fremden in den Anden und ihre Schraube, die beide mit dem Kometen niedergegangen waren.
Die Ebbe kam. Die fremde Sonde, nahm ihren Betrieb noch in der Nacht auf. Wenige Meter vom Norddeicher Strand entfernt lag sie im Schlick. Sie zeichnete die Radiosendungen auf, die die Sariahner ausstrahlten. Und sie leitete sie weiter über eine Relaisstation im Orbit, an die Raumsiedler aus Puntirjan.
Jenis flog zu Tüngör, in seine Com-Station. „Der General ist zurückgeflogen“, informierte er. Tüngör seufzte erleichtert. Er wertete Daten aus, die seine neue Späher-Mikrosonde übertragen hatte. Sie kamen aus dem Küstengebiet, in dem sie die modulierten Radiowellen von den Sariahnern entdeckt hatten. Die Sonde hatte ihre Empfangsantennen ausgefahren und meldete der Altakolia neuen Empfang: Wieder eine Art Funkverkehr, irgendeine Folge von Analogsignalen. Weder Tüngör noch seine Quantenrechner konnten sie verstehen, zur Entschlüsselung fehlte noch der Zusammenhang. Aber die Radiosignale belegten erneut, dass die Bewohner des Planeten die Funktechnik beherrschten. Wenn sich ihre Signale erst einmal entschlüsseln ließen, würden sie mit ihnenn kommunizieren können.
Kulik kam nicht zur Ruhe. Leonid Alexejewitsch Kulik, der angesehene Mineraloge aus Petersburg, wollte herausfinden, was da damals in der Tunguska geschehen war. Unbedingt. Er organisierte eine weitere Expedition. 1927 drang seine sowjetische Expedition endlich in das verwüstete Gebiet vor. Kulik befragte lokale Zeugen. Reste des vermuteten Meteoriten-Einschlags waren nirgendwo zu finden. Zwei Jahre später ließ er die Besatzung des Luftschiffes Graf Zeppelin nach einem Krater dort suchen. Über seinen Freund Vladimir Komarows hatte er einen deutschen Luftschiffer auf dem Zeppelin aufgetan. Der hatte zugesagt, bei der geplanten Erdumrundung das vermeintliche Einschlagsgebiet des von Kulik vermuteten Meteoriten mit dem Zeppelin abzusuchen. Sie fanden wieder nichts – keinen Krater, keinen Meteoriten, keine Spuren.
Jetzt, Sommer 1927, war Kulik noch auf eine andere Spur gestoßen. Sie war heiß wie ein Schmiedeeisen im Feuer, das in seinem Forscherherzens loderte. Es kam mit der Post, per Kurier aus dem fernen Nordosten. Es war ebenfalls von Komarow. Komarows Händler, die auf der Suche nach Fellen Taiga und Tundra durchreisten, brachten oft auch andere brauchbare Dinge mit: Räucherfisch und Bernstein, Tee und Gewürze – alles was als Tausch- und Handelsware im fernen Osten zu bekommen war. Kulik jedoch interessierte sich nur für Eines: Mineralien. Komarow hatte Kulik einige wunderschöne Exemplare mitbringen lassen. Kulik hatte sie ihm für einen Freundschaftspreis abkaufen können, zur Untersuchung im Mineralogischen Institut. Sein neustes Stück war in dem Päckchen: ein Mineral aus der Tunguska. Es bestand aus einem Konglomerat von kleinen Kristallen, mikroskopisch kleine Partikel aus Diamantstaub, Graphitsplittern und geschmolzenen Eisen- und Nickelkörnchen. Komarow hatte notiert, es würde dem Meteoriten aus Kargalyk in der Ukraine ähneln.
Aufgeregt öffnete Kulik das Päckchen. Seine Hände zitterten. Er nahm den in Papier gewickelten Inhalt heraus, überflog Komarows Grußkarte und wickelte den Inhalt aufgeregt aus dem Papier. Da war es: Das Mineral aus der Tunguska.
Er untersuchte es sofort. Er hielt es für den ersehnten Überrest des Tunguska-Boliden. Nach theoretischen Abschätzungen der möglichen Bahnen des Tunguska-Boliden, die ein befreundeter Astronom für ihn vorgenommen hatte, war ein Steinasteroid der Verursacher des Tunguska-Ereignisses – oder auch ein Komet.
Er mikroskopierte und analysierte. Zur genaueren Bestimmung nahm er sein Hämmerchen. Er konnte es vor Aufregung kaum halten. Er entfernte eine kleine Probe des Minerals. Als er sie abschlug, blieb ihm fastr das Herz stehen. Eine metallische Spitze schaute aus dem Kristallkonglomerat. Es war grauglänzend und wies eine Art spiraliges Gewinde auf.
Er betrachtete das Mineral durch die Lupe. Tatsächlich: Ein Gewinde. Aber eine Metallspitze mit Gewinde im Inneren eines Meteoritenrestes? Was zum Teufel ist das?
Er schlug er ein weiteres Stück vom Mineral ab. Der metallische Stift mit Gewinde war etwa zwei Zentimeter lang. Ein dritter Schlag. Der Metallstift fiel aus dem Kristallbrocken und flog zu Boden. Kulik hob ihn auf, betrachtete ihn genauer. Ein Kopf saß auf dem Stift, fast wie der Kopf einer Schraube. Doch statt eines Schlitzes oder Kreuzes, in den man einen Schraubendreher setzen könnte, erkannte er eine winzige, Y-förmige Einkerbung. Der Metallstift blieb abrupt am Hammer hängen – er war hochmagnetisch.
Zorn kochte in Kulik hoch. Wütend schleuderte er den Hammer samt Metallstift in die Ecke. Das Mineral flog hinterher. Dann fegte er doch alles wieder auf. Ihm kam der Gedanke, dass er es vielleicht trotzdem noch irgendwann weiter untersuchen wollte. Er legte die Brocken in einen Karton. Fluchend verließ er den Raum. Dieser Metallstift, der aus dem Inneren des Kristallbrockens kam, war zweifelsfrei künstlich hergestellt worden. Er war kein Produkt irgendwelcher Vorgänge im Weltraum, kein Asteroiden- oder Meteoritenfragment. „Mist! Von wegen außerirdisch!“, wetterte er. Er geschloss, das kuriose Objekt zu verschenken, an einen Freund. An Georg von Steinfurt. Der hatte das mineralogische Institut mit neuen Büroschreibmaschinen und einem kleinen Funkgerät ausgestattet, das er ihm von Norddeich mitgebracht hatte. Es sollte ein kleines, kurioses Dankeschön sein. Der deutsche Händler nahm es mit beiläufigem Interesse an sich. Es ging mit ihm auf die Heimreise, nach Westfalen.