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Die Geburt

Alexandras Geburtstermin rückt näher. Alle Vorbereitungen sind getroffen. In einer kleinen privaten Geburtsklinik soll die Entbindung stattfinden. Inzwischen ist es Ende November, die Tage sind kurz und das Wetter kühl. Doch Alexandra will noch nicht das Licht der Welt erblicken. Sie lässt den berechneten Termin verstreichen. »Es ist noch nicht der richtige Augenblick«, spricht sie. »Ich möchte noch ein wenig warten.« Und die Eltern bleiben geduldig. Die Untersuchungen bei Dr. Chistiansen geben ihnen das Vertrauen, dass alles in guter Ordnung ist.

Zehn Tage sind seit dem geplanten Geburtsdatum vergangen. Der Mond zeigt sich nachts als zarte Sichel am Himmel und wird in zwei Wochen, am 23. Dezember, als letzter und dreizehnter Vollmond des Jahres hell strahlen. Da ist der Moment der Geburt gekommen.

An diesem Sonntagabend bringen die Eltern wie gewohnt ihre kleine Tochter zu Bett. Heute haben sie gemeinsam einen Ausflug in den Tierpark unternommen. Patricia war fasziniert von den Rindern, Eseln und Kamelen. Frei streifen sie über die großzügig angelegten Weiden. Sie liebt gleichfalls die Affen, wild und laut schaukeln sie am Dach des Käfigs, und die Hühner und Enten, die kleinen Ziegen und dicken Schweine. Jetzt am Abend liest Jens ihr noch eine Geschichte vor und spricht ein Nachtgebet.

Früh am Abend legt auch er sich schlafen. Er freut sich auf die Bettruhe. Morgen beginnt ein neuer Arbeitstag, da muss er zeitig aufstehen und möchte ausgeschlafen sein.

Sofía findet noch keine Ruhe. Eine leichte Nervosität hält sie wach. Nach dem Ende der Nachrichtensendung bleibt sie eine Weile vor dem Fernseher sitzen und schaut sich belanglose Beiträge an. Inzwischen nähert sich die elfte Abendstunde. Dann räumt sie in der Küche auf, beugt sich, um einen Kochtopf in eine untere Schublade zu legen, da bemerkt sie ein Ziehen im Bauch und spürt, wie Wasser ihre Beine herunterläuft. Die Fruchtblase ist geplatzt und Wehen setzen ein.

Vollkommen selbstverständlich erscheint ihr, was geschieht. Die Geburt beginnt.

»Ich muss raus«, meldet sich Alexandra. »Es ist nun Zeit. Es wird mir viel zu eng im Mutterleib.«

Worte von Leboyer kommen Sofía in den Sinn: »Wenn eine Frau wirklich Mutter wird, zählt das Kind mehr als sie selbst. Diese Verwandlung von der Frau zur Mutter kann nur erleben, wer den Mut hat, sich den eigenen Gefühlen zu stellen.«

Sofía begibt sich ins Bad, reinigt und trocknet sich, zieht ihren Bademantel an und denkt weiter an die Worte, die sie gehört hat. »Eine Frau in den Wehen ist wie auf einem kleinen Boot inmitten eines tosenden Sturms. Sie ist ganz allein und begegnet einer Kraft, die viel, viel stärker ist als sie. Eine Geburt ist immer ein Akt der Gewalt. Deshalb muss die Gebärende wissen, dass sie ganz allein auf dem winzig kleinen Boot im schlimmsten Unwetter um ihr Überleben kämpfen wird. Ist sie bereit, sich dieser Erfahrung zu stellen, dann kann sie die Niederkunft als ein großes Fest erleben.«

Sofía weckt ihren Mann. Schlaftrunken steht er auf. Er ruft die Betreuerin der Kindergruppe von Patricia an, die sich sofort auf den Weg macht. Bis sie eintrifft, ist alles Notwendige vorbereitet.

Die Wehen kommen nun regelmäßig. Es ist Zeit, durch die kalte Nacht und entlang verwaister Straßen in die Klinik zu fahren. Sofía hat mit hochgelegten Beinen auf der Rücksitzbank Platz genommen. Jens fährt langsam durch die Dunkelheit. Beim Klinikeingang ist der Gehweg leicht gefroren. Jens trägt das Gepäck, stützt zugleich seine Frau, und so begeben sie sich vorsichtig zur Eingangstür. Die Gebärende wird unverzüglich in den Kreißsaal gebracht. Jens begleitet sie. Alles ist gut organisiert und verläuft ohne jegliche Störung. Zwischenzeitlich ist Mitternacht vorbei. Noch einmal denkt Sofía an die Worte von Leboyer: »Die Geburt ist Intimität, daran sind nur zwei wahrhaft beteiligt. Die Gebärende und das Kind. Der Sturm trägt die Frau immer weiter und weiter. Ihre Wahrnehmung ändert sich. Es gibt in diesem Moment nichts auf der Welt, nur noch die Frau und das Kind. Die Reise der Niederkunft muss die Gebärende allein antreten.«

Jens ist anwesend und doch nur Begleiter. Er spürt dies. Die Mutter gebärt ihr Kind! Bereits während der Schwangerschaft musste er lernen, dass sich seine Frau veränderte und einem Geschehen zuwandte, zu dem er keinen Zugang besitzt. Er erlebt dies als richtig und es ist seine Aufgabe, den eigenen Lebensbereich auszufüllen. Für ihn bleibt Außenwelt, was der Frau Innenwelt ist. Er möchte sie unterstützen, ihr das Notwendige geben, und tritt zugleich einen Schritt zurück. Während ihren Körper Wehen in steter Folge durchströmen, sucht er sie von allen anderen Einflüssen abzuschirmen.

Dr. Ekkehard, der Gynäkologe, trifft ein. Von ganzem Herzen ist er Geburtshelfer. Bereits sein Vater hat diesen Beruf ausgeübt. Es erfüllt ihn, für die neuen Erdenbürger den Weg zu bereiten. Mitten in der Nacht ist er in sein Krankenhaus geeilt. Er ist bereit. Sofía hat auf einer Geburtsliege Platz gefunden. Helferinnen erledigen behutsam routiniert alle notwendigen Aufgaben. Die Geburt kommt gut voran. Die Spannung der vergangenen Stunden weicht.

Jens wird zum entbehrlichen Zuschauer. Fast stört er die Intimität des Augenblicks zwischen Mutter und Kind. Ein Schwindel erfasst ihn. Aufregung, Anspannung, Freude, Gerüche und Geräusche … Wie ein Wirbel kreist das Geschehen und trägt ihn mit. Er muss den Kreißsaal verlassen und wieder sein Gleichgewicht finden.

Alexandra sieht sich von mächtigen Kräften erfasst, die drücken und vorwärtsdrängen. Bedrohlich kündigen sie von einer endgültigen Trennung. Wie ihre Mutter fühlt sie sich einem gewaltigen Wüten ausgeliefert. Jeglichen Halt und alle Gewissheit scheint es zu vernichten. Wellen der Angst durchströmen Alexandra, wenn die starken Mächte ihren Körper zusammenpressen, als wollten sie die Seele in den Leib quetschen, als wäre ein Entrinnen unmöglich. Du gehörst nun der Erde, scheinen sie zu sprechen, und unterliegst irdischen Gesetzen und Pflichten.

Im Mutterleib schufen Plazenta und Gebärmutter eine Ordnung, die einen beschützenden Himmel, ein tragendes Meer und den festen Halt der Erde zu besitzen schien. Nun verschwindet alles im Chaos. So begründet die Geburt einen Schöpfungsmythos von der Entstehung einer neuen Welt. Es öffnet sich ein Raum, eine andere Zeit beginnt. Alexandras Kopf zeigt sich, der Körper folgt nach. Es hat sich Bahn gebrochen, was sein soll!

Mit geübter Hand und dennoch voller Anteilnahme erledigen die Helfer, was zu geschehen hat. Alexandra liegt auf der Brust ihrer Mutter. Beide sind erschöpft und glücklich. Das Wüten des Sturms ist überstanden und brachte etwas Wunderbares hervor!

In all den Tagen der Schwangerschaft hatte Sofía stets das Bild eines Mädchens vor Augen, das sie unter ihrem Herzen trägt. Nun hält sie dieses in den Armen. Es ist wahr, was sie ahnte, wünschte … Es ist Wirklichkeit geworden, was sie als Versprechen spürte. Dieses Kind ist nun auf der Welt. Heftige Freude durchströmt den Körper.

Dr. Ekkehard wartet auf die Nachgeburt. Sie sollte sich schon von der Gebärmutter getrennt haben. Er ist ein wenig ungeduldig. Es ist mitten in der Nacht, er sehnt sich danach, wieder nach Hause fahren zu können. Seine Hand greift in den Mutterleib und will die Plazenta herauslösen. Die Harmonie und Intimität des Augenblicks werden schmerzhaft und jäh unterbrochen. Sofía wehrt sich gegen den unvermittelten, verletzenden Eingriff. Sie stößt den Arzt mit dem Fuß beiseite. Dann gilt ihre Konzentration wieder ganz dem Kind. Es werden Maßnahmen eingeleitet, um die Nachgeburt unter Anästhesie aus der Gebärmutter zu entfernen. Schließlich ist alles glücklich überstanden. Erschöpft findet die Mutter auf der Station Ruhe.

Im Zeichen des großen Lehrers und Heilers, des Zentaurs Cheiron, von dem die griechische Mythologie berichtet, steht die Geburt in Alexandras Horoskop. Die Menschen kennen den Zentaur sowohl als ein seit alters her nach ihm benanntes Sternbild am südlichen Himmel als auch als einen Asteroiden unter seinem lateinischen Namen Chiron. Auf einer elliptischen Bahn umkreist dieser unsere Sonne. In einem Zeitraum von 50 Jahren, den er für eine Umrundung benötigt, begibt sich Chiron zum Rand unseres Sonnensystems, um dann in dessen Mitte zurückzukehren und so zu verbinden, was scheinbar getrennt existiert.

Zu welcher Welt gehört Chiron? Er besitzt vielfache Besonderheiten, und für den Menschen ist es schwierig, seine Erscheinung zu verstehen. Und doch, was Chiron durch seine Bahn miteinander in Kontakt bringt, soll der Mensch in sich vereinen: Himmel und Erde. Es gilt, die schmerzhafte Trennung von der Einheit, die jeder Sterbliche beispielhaft mit seiner Geburt erfährt, anzunehmen und schließlich in sich zu überwinden. Ein Gleichgewicht zwischen Geist und Materie muss der Mensch in sich errichten. Er soll weder mit Überheblichkeit gegenüber der Materie in die geistige Welt fliehen, noch in der Starrheit irdischmaterieller Begrenzung und Notwendigkeit verharren.

In der Erzählung der griechischen Mythologie ist Cheiron halb Pferd und halb von menschlicher Gestalt, ein göttliches Wesen, Sohn des großen Titanen Kronos und der Philyra, einer Tochter des die Welt im stetigen Strom umfließenden gewaltigen Oceanos. Herakles, der ruhmreiche Held, verwundet Cheiron ohne Absicht mit einem vergifteten Pfeil derart, dass dessen Dasein von nicht enden wollender Qual gezeichnet ist. Cheiron wählt die Erlösung durch den Tod, um den Schmerz zu beenden.

Den großen Prometheus befreit er durch diese Tat von den Qualen, die dieser als Gefangener des Zeus – an eine Felswand des Kaukasusgebirges gefesselt – erdulden muss. Er errettet ihn durch den Verzicht auf seine göttliche Unsterblichkeit. Durch den Tod verschreibt sich Cheiron ganz den Gesetzen des Irdischen und führt seine Existenz hin zu einem tiefgreifenden Wandel. Zeus erkennt die Bedeutung seines Handelns und versetzt den allseits bewunderten Lehrmeister und Heiler aus den Tiefen des Totenreichs als Sternbild des Zentaur in den Himmel. Vollendet hat Cheiron, was er zu erfüllen hatte.

Cheiron tritt als Träger einer Zweigestalt in das menschliche Bewusstsein. Als Asteroid und gleichfalls als periodischer Komet wird er angesehen; er verkörpert in seiner Erscheinung ein tierisches und ein menschliches Wesen; er muss an seiner Wunde ohne Aussicht auf Genesung leiden, auch wenn er andere zu heilen vermag; er ist unsterblich und sucht doch die Sterblichkeit als Erlösung.

Cheirons Thema ist die Erfahrung des Zwiespalts zwischen körperlicher Unvollkommenheit und geistiger Größe, zwischen Opfer und Erlösung. Er ist ein Mittler zwischen der materiellen und der geistigen Wirklichkeit. Ihm ist die schamanische Aufgabe eigen, mit den verschiedenen Welten des Menschseins vertraut zu sein. Er kennt die Polarität und bleibt ihrem Widerspruch vollkommen ausgeliefert. Sollte er, der Verwundete, versuchen, seinen Körper zu missachten, so erinnert ihn Schmerz – wie als Vertreter des Urschmerzes, den jeder Mensch erleidet – an seine irdische Gebundenheit. Derart verpflichtet wird der Tod ihm Erlösung!

Cheiron entscheidet sich, mit der Annahme der Sterblichkeit den Weg des Wandels, des Wachstums und der Entwicklung zu gehen. Dieser bedeutet, stets auch Abschied, Zerstörung sowie Trennung zu erfahren. Allein durch das Sterben kann das Neue werden und Fruchtbarkeit das Sein regieren. Das Alte muss vergehen. In der Wirklichkeit des Irdischen befindet sich das Wesen stets in einem Prozess des Werdens und Vergehens. Demgegenüber ist die himmlische Idee, geboren aus dem Denken eines allumfassenden Bewusstseins, immer. Sie wird nie und sie vergeht nie.

Cheirons Heilung folgt aus der absoluten Hingabe, die in größter Liebe das Dasein annimmt. Die Verwundung wird zum Wendepunkt seiner Existenz.

Im Augenblick von Alexandras Geburt steht Cheiron an hervorgehobener Stelle ihres Horoskops. Er regiert am Punkt der Himmelsmitte das Geburtsbild ihres Sternenhimmels. Dieser Punkt gibt Auskunft, wie der Mensch sich im Leben zeigt.

Bereits im Moment der Geburt wird ersichtlich, welch große Aufgabe dieses Kind in sein Leben mitbringt. Geist und Materie, Herkunft und Lebensziel sollen miteinander versöhnt werden. Das Gewaltige des Schöpfungsprozesses hat mit der Geburt seinen bestimmenden Ausdruck erreicht. Und jetzt muss sich zeigen, was dies bedeutet! Alexandra ist an ihre Bestimmung gebunden!

Früh am Morgen bringt die Krankenschwester Alexandra zu ihrer Mutter, die in leichtem Schlaf erschöpft in ihrem Bett liegt. Sofort öffnet sie die Augen, als sie Schritte auf sich zukommen hört. Voller Freude schaut sie auf das kleine Bündel, das ihr gereicht wird. Sie betrachtet das fein geschnittene Gesicht, die schwarzen Haare, die zarten Hände, schaut in die strahlenden Augen ... Ein unendliches Glücksgefühl durchströmt ihren Körper. Für diesen Menschen möchte sie da sein!

Der Eingriff zur Entfernung der Plazenta ist gut überstanden. Die Krankenschwester steht freundlich neben dem Bett. Es scheint, als wollte sie noch etwas sagen. Sie zögert ein wenig. »Ihr Kind besitzt einen ganz besonders starken Willen«, bemerkt sie schließlich. Es gibt diese Augenblicke, in denen die Menschen etwas voll innerer Gewissheit spüren, ohne dass ihr Verstand dafür eine Erklärung weiß!

Alexandra möchte die Wärme und Geborgenheit ihrer Mutter spüren und mit ihr in engem Kontakt sein. »Mama, wir sind auf alle Zeit miteinander verbunden. Sollte das Leben auch vieles von uns fordern, wir meistern das gemeinsam! Es ist ein großer Schritt, auf diese Erde zu kommen. Ich entstamme der Sternenwelt. Ich weiß, Mama, hier erwartet mich Ungewissheit. Ich spüre ein wenig Angst vor der Unabänderlichkeit des Geschehens. Doch zugleich bin ich voller Freude. Lass uns Vertrauen haben!«

Alexandra spürt den Körper ihrer Mutter, hört ihren Herzschlag und wird vom Auf und Ab des Brustkorbs bewegt. Sie schmiegt ihren Kopf an die weiche Haut. Wenig später trinkt sie von der Brust und fühlt sich unermesslich reich versorgt. Alle Last fällt nun ab. Sie ist da!

Zur Mittagszeit kommen Patricia und Jens zu Besuch. Ehrfürchtig steht die kleine Tochter am Krankenhausbett und betrachtet das Neugeborene. Schöne schwarze Haare hat ihre Schwester. Ganz klein und zart wirkt sie. Alexandra soll sie heißen, hat ihr Vater gesagt. Sie findet, das passt. Denn auch wenn ihre Schwester noch ganz klein ist, so wirkt sie doch stark, und mit dem Namen Alexandra verbindet sie Kraft und Willen.

Als Patricia am Morgen aufwachte, wunderte sie sich, dass ihre Betreuerin aus der Kleinkindergruppe bei ihr war. Sogleich erzählte diese ihr, dass die Mama im Krankenhaus sei und ihr Geschwisterchen zur Welt komme. Dass dies bald geschehen würde, wusste sie. Aber warum sich die Geburt mitten in der Nacht ereignet und sie alles verschlafen hat ... So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Die Betreuerin brachte sie in den Kindergarten und Patricia hoffte, ihr Vater käme bald vorbei, damit sie die Mama und ihr Geschwisterchen besuchen können. Gleich beim Ankommen im Kindergarten hat sie allen erzählt, was heute Nacht geschehen ist. Ein wenig ungewohnt schien es ihr, dass Papa und Mama nicht da waren. Eigentlich sollten sie bei ihr sein, wenn etwas derart Aufregendes passiert.

Jetzt, als sie am Bett steht, ihre Hand vorsichtig die Schwester streichelt, da schlägt ihr Herz aufgeregt. Sie schaut zur Mama und zum Papa, sieht in ihren Gesichtern Freude und weiß: Alles ist gut!

Einige Tage verbringen Alexandra und ihre Mutter in der Klinik. Schließlich steht die Entlassung an. In dem kleinen Krankenhaus sind alle Patientinnen über den Termin informiert. Eine große Abschiedsrunde findet sich zusammen. Die Frauen, die gleichfalls gerade entbunden haben oder kurz vor der Entbindung stehen, treffen sich bei Alexandra und wünschen ihr und ihrer Mama das Beste für den weiteren Weg. Voller Freude und ein wenig feierlich sitzen sie beieinander. Alexandra schaut ernst und doch zugleich freundlich. »Ich danke euch«, sprechen ihre Gedanken. »Auch ich wünsche euch alles Gute. Schön, dass ihr zu mir gekommen seid!«

Abschließend treffen sich die Eltern noch mit Dr. Ekkehard zum Entlassungsgespräch. Zuerst unterhalten sie sich über die zurückliegende Geburt und die kommenden Tage. Doch der Arzt möchte noch etwas mitteilen. Er holt aus seinen Unterlagen einige Fotos hervor. »Ich habe diese Aufnahmen gemacht«, sagt er, »von der Plazenta. Schauen Sie mal. Eine ganz ungewöhnliche Plazenta. Das musste ich aufnehmen. Ich habe zuvor noch nie so etwas gesehen.« Dr. Ekkehard zeigt den Eltern die Fotos. Darauf ist ein flaches, handtellergroßes, leicht ellipsenförmiges Organ zu erkennen.

»Sehen Sie diese vielen kleinen Hügel?«, fragt der Arzt.

Die Eltern nicken. Sie können jedoch nicht nachvollziehen, was ihr Gesprächspartner als derart ungewöhnlich ansieht. Noch nie zuvor haben sie das Foto einer Plazenta betrachtet. Sie reichen die Aufnahmen zurück. Für sie lässt sich die Bedeutung der Aussage von Dr. Ekkehard nicht einordnen und sie fragen auch nicht nach. Ihr Wunsch ist es, nun endlich in ihr vertrautes Zuhause zu kommen.

Der Arzt blickt weiterhin voller Verwunderung auf die Bilder.

»Das ist wirklich ausgesprochen ungewöhnlich«, wiederholt er sich. »Sehr ungewöhnlich!«

Das ist, was meinen Körper nicht verlassen wollte, denkt Sofía. Diese besondere Plazenta hat für Alexandra gesorgt. Mit der Geburt musste sie sterben. Offensichtlich fiel ihr der Tod nicht leicht. Sie klammerte sich an das sie umgebende Gewebe, als hätte sie ihre Aufgabe noch nicht ganz erfüllt und stände die Versorgung des Kindes weiterhin in ihrer Pflicht. Für ein Kind zu sorgen ist eine riesige Herausforderung! Bei diesem Gedanken durchströmt Sofía ein leichter Schreck. Es kann eine über die Maßen anspruchsvolle Aufgabe sein und diese habe nun ich zu übernehmen.

»Es ist ein großer Auftrag, den ihr erfüllen sollt«, spricht Alexandra. »Die Plazenta mit ihren kleinen Hügeln bildete für mich den Sternenhimmel ab. Ich weiß, ihr seid die richtigen Eltern! Mama, Papa, ich möchte den Sternenhimmel in mir tragen, auch wenn ich Mensch dieser Erde geworden bin. Helft mir dabei!«

Alexandra drückt ihren Kopf an die Brust ihrer Mama, die sie in ihren Armen trägt. Sofía schaut hinab auf ihr Kind. Was für ein wunderschönes Mädchen, denkt sie. Eine tiefe Liebe durchströmt sie. Die Worte des Arztes erreichen sie nicht mehr. Ein Lächeln zeigt sich in ihrem Gesicht. So sehr freut sie sich, nun mit Alexandra nach Hause zu kommen. Sie fühlt sich stark und voller Vertrauen.

Jens blickt aufmerksam hin zu seinem Gegenüber. Dieses Gespräch und die Aufregung des Arztes graben sich in sein Gedächtnis ein. Doch jetzt möchte er die Geburtsklinik verlassen. Er hat eingekauft, der Wagen steht vor der Tür, bei der Arbeit ist alles organisiert. Alexandra und seine Frau sind gesund. Patricia befindet sich noch im Kindergarten. Er ist glücklich!

Alexandra wird in ihre Decke eingepackt. Das Gepäck steht bereit. Die Fahrt nach Hause dauert nur zehn Minuten. Dort sind zwischenzeitlich zahlreiche Glückwünsche von der Familie und Freunden eingegangen. Die Nachbarn haben Blumen vorbeigebracht. Gleich muss Patricia vom Kindergarten abgeholt werden. Gemeinsam essen sie danach zu Mittag. So beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Es ist die zweite Dezemberhälfte, der Mond steht fast voll am Nachthimmel und bald wird der kürzeste Tag des Jahres anbrechen.

Lebenszeiten

Es gibt Kräfte, es gibt Zeiten,

es gibt Menschen, Himmelsweiten.

Es gibt Leid, für Freude Räume,

hartes Leben, schöne Träume.

Es gibt vieles zu erleben,

es wird das immer für euch geben.

Die Seele ist unendlich groß.

Ihr Menschen ahnt der Seele Los,

in vielen Schritten zu durchschreiten

des Daseins vielfältige Seiten.

Alexandra - die Geschichte eines ungewöhnlichen Lebens

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