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Erstes Sklavereiplateau ohne Menschenhandel (Beginn etwa 20 000 / 8000 v. Chr.)
ОглавлениеSlaving ist eine mächtige Triebfeder der Geschichte. Sklavereien haben die Weltgeschichte von Anfang an nicht nur begleitet, sondern waren oft – wie Gewalt (als ordnende Kraft und als Grausamkeit oder Zwang), wie Krieg und Gier nach Ruhm, Erfolg oder auch Jagderfolg, Profite, Macht und Reichtum – eine Art Motor hinter dynamischen Entwicklungen. Die Frage, wo Sklaven und Sklavinnen oder Sklavereien Spuren und Quellen in der Menschheitserinnerung und Tradition hinterlassen haben, soll im Folgenden nur punktuell, anhand von drei Aspekten, thematisiert werden, obwohl sie für die Globalgeschichte heute ausgesprochen wichtig ist.
1. Die meiste Zeit seit etwa 20 000 v. Chr. gab es opportunistische Versklavungen, vor allem von Frauen, Kindern und Fremden.
2. Wo ist die Erinnerung der versklavten Menschen selbst, und wo ist die Erinnerung an sie geblieben? Die meisten Versklavten sind ihr gesamtes Leben in der Sklaverei verblieben und, bildlich gesprochen, in Ketten gestorben (oder durch Selbsttötung, meist durch Erhängen). Das ist keine heroische Perspektive für die Memoria, aber eine realistische. Ihre Körper wurden, mit Ausnahme vielleicht des frühen Christentums, in Armen-, Massengräbern oder Sonderbegräbnissen verscharrt und möglicherweise gar nicht begraben; von ihnen ist nichts oder nur sehr wenig geblieben. Erinnerungen gibt es, Geschichte keine.
3. Wo sind die Gewinne geblieben, die Sklavenhalter aus der Sklaverei und sehr oft direkt aus den Körpern Versklavter gezogen haben? Bei (potenziell) nachweisbaren Spuren oder Quellen handelte es sich in neueren Zeiten vor allem um Vermögen sowie religiöse Anlagen, Festungen und Mauern, Kirchen, Paläste, repräsentative Gebäude, Agrarland, Industrieanlagen, Hafenplätze und -städte, ja das Gepräge ganzer Großstädte. In Europa ist diese Frage zwar im Detail schwierig, aber mit dem Verweis auf die Kapitalakkumulation sowie Profite und Reichtum von Institutionen und Personen noch vergleichsweise einfach zu beantworten. Strukturgeschichtlich gesehen legte Sklaverei die Basis für den Industriekapitalismus und die Konsumgesellschaft sowie prozessual für die Dynamik des atlantischen Kapitalismus. Darauf ist noch ausführlich zurückzukommen.
Wenn wir uns von der gängigen Vorstellung lösen, Sklaverei und Sklaven habe es vor allem in der europäischen Antike (Griechenland und Rom) sowie im Süden der USA vor dem Bürgerkrieg gegeben (diese beiden Sklavereien sind auch die welthistorisch Einzigen, in denen Sklaverei die scharfe Antinomie von »Freiheit« war), können wir Sklaverei historisieren. Es gab Sklavereien als extreme Abhängigkeit und extreme Form der Verfügung über Körper von Menschen überall auf unserem Globus, wo Menschen siedelten, und in einem Zeitraum, der Prähistorikern und Geologen kurz erscheinen mag (10 000–20 000 Jahre), nach der Faustformel »je älter, desto lokaler«. Gerade diese ältesten »kleinen« Sklavereiformen existieren heute noch bzw. verbreiten sich sogar wieder.
Unter Historikern und Archäologen ist umstritten, wann das weltgeschichtliche Phänomen der Versklavung (slaving) seinen Anfang nahm: Joseph Miller ist der Meinung, dass erste Sklavereien schon vor rund 20 000 Jahren (Jungpaläolithikum, speziell Magdalénien) einsetzten, mit ersten individuellen, segmentären und regionalen Differenzierungen. Ich nehme mit Detlev Gronenborn an, dass nicht-institutionalisierte und mehr oder weniger opportunistische Versklavungen mit der Neolithisierung und erste institutionalisierte Sklavereien mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit, Landwirtschaft, Vorratswirtschaft und frühen befestigten Siedlungen sowie der Herausbildung von Viehhaltungswirtschaften einsetzten (in Vorderasien 10.–6. Jahrtausend v. Chr.; in vielen anderen Gebieten später bzw. bis in historische Zeiten reichend).47
Das erste Sklavereiplateau in der Globalgeschichte ist das der Sklavinnen ohne Institutionalisierung. Vor allem Frauen, Mädchen und Kinder (Waisen, ausgesetzte, geraubte oder vertauschte Kinder) sowie Fremde wurden versklavt, ohne dass es erkennbare Regeln oder Institutionen gegeben hätte – mit Ausnahme eines niederen Status und der Tendenz zur Integration in Gemeinschaften. Die soziale Position einer Sklavin in diesem Plateau hing mit der Gewährung von Schutz oder der Aufnahme in eine neue Gruppe (Herdfeuerlager, Siedlungsgemeinschaft, Verwandtengruppe) zusammen. Die Neuankömmlinge mussten, sozusagen als legitime Gegenleistung, meist die unangenehmsten Arbeiten machen bzw. den Gruppenchefs zu Diensten sein – vor allem mit ihren Körpern und möglicherweise auch schon durch eine zeitlich ziemlich unbegrenzte Arbeitsleistung. Einige wurden eventuell auch geopfert, d. h. man nahm ihnen das Leben.
Dies sind in den meisten Fällen logisch extrapolierte Hypothesen, die sich archäologisch-historisch höchstens an bestimmten Formen von Sklaverei in rituellen Ökonomien (Opfer, Totenfolge, Kannibalismus) oder an (Massen-)Gräbern ohne Beigaben nachweisen lassen, das heißt an – im archäologischen Sinne – ›anonymen‹ Gräbern. Die Namen der Begrabenen wissen wir in frühhistorischen Zeiten ohnehin nicht, aber diese Begrabenen können heute nicht einmal mit Rangbezeichnungen à la »Fürst von …« benannt werden.48 Es kann aber auch sein, dass schon ein Begräbnis an sich ein Zeichen für sozialen Status ist und dass Versklavte dieses Plateaus überhaupt nicht rituell bestattet wurden.
Mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit stellten sich für die Siedler, die Landwirtschaft, Gartenbau, Vorratswirtschaft mit Keramik und Textilproduktion sowie Viehhaltung betrieben, neue Grundprobleme: Der Anspruch auf ein Territorium musste definiert und die Gruppe, die ihn erhob, als solche gestärkt werden, was zumeist in Riten geschah.49 In solchen Riten sind drei Formen von frühem Sklavenstatus denkbar, ohne dass diese schon institutionalisiert gewesen sein müssen: erstens Menschen, die unter Gewalt oder mit Betäubungsmitteln zu Opfern (Opfersklaverei) gemacht wurden, und zweitens der Ausschluss Fremder aus der auch genealogisch bestimmten Gemeinschaft.50 Drittens nahm man Fremde zur Stärkung von Gemeinschaften auf, die zunächst einen extrem niedrigen Status hatten und gewisse Riten durchmachen mussten (die manchmal auch Torturen bis hin zum Tod beinhalteten). Sowohl der Ausschluss bzw. die Verstoßung (Weggabe, z. B. von Kindern) aus der Gruppe, dem Haus, dem Clan oder der engeren Verwandtschaft als auch die Aufnahme von Fremden in einem niederen Status sind in weiten Teilen der Welt der eigentliche Ursprung von Sklavereien gewesen. Inwieweit die Beschaffung von Opfern, vor allem von Kindern und jungen Frauen, für die Riten zu frühen Konflikten und Razzien führte, bleibt offen. Hierarchien und Konflikte/Kriege in und zwischen frühgeschichtlichen Gemeinschaften wird man aber voraussetzen können.
Ein anderes denkbares Szenario sind Hierarchisierungen innerhalb von und zwischen Häusern oder Haushalten der eigenen Gruppe innerhalb einer Siedlung, die möglicherweise die Traditionen von Menschen, die jagten und sammelten oder Vieh hielten, mit denen von Bodenbauern vereinigten.51 All das ist nur extrem punktuell nachweisbar und keinesfalls als chronologisch und räumlich klarer Beginn bekannter politischer Formen (wie Staaten) oder evolutiver Sozialgroßformationen (wie ›Sklavereigesellschaften‹) zu verstehen. Sklavereien und unfreie Arbeiten treiben eher die Dynamik von Hierarchisierungen voran. Ein drittes allgemeines Szenario der Entstehung informeller Sklaverei, auch von Kindern oder sogar schon jungen Männern, könnten schwerste Routinearbeiten in Bergwerken oder in der Metallurgie überhaupt sein. Auch als Hirten könnten versklavte Männer in früheren Zeiten eingesetzt worden sein – siehe die Odyssee und Herodots Beschreibung der Skythen.52 Oft arbeitete man damals wohl auch schon mit Verstümmelungen (Blendung; Durchtrennen der Sehnen eines Fußes). Generell waren vermutlich »Sklaven in einer einfachen Subsistenzwirtschaft eine Belastung«.53 Am einfachsten war es noch, Frauen und Kinder zu versklaven, die dann eine Vielfalt von Arbeiten und Dienstleistungen bei schlechter Ernährung übernehmen mussten.
Erste Nachweise bestimmter Statusunterschiede hängen möglicherweise mit der Entwicklung sesshafter Wirtschafts- und Lebensweisen in »spätneolithischen Dörfern«54 (Johannes Müller) zusammen. Die Organisation der Arbeit größerer Gruppen von etwa 200 bis 300 Individuen durch Eliten für Jagd, Rituale, Bewässerungen oder Bauarbeiten dürfte innerhalb von nichtstaatlichen Gesellschaften mit relativ geringen oder punktuellen Hierarchien möglich gewesen sein. Das unterscheidet sich deutlich von bestimmten gigantischen Arbeitsleistungen (Pyramidenbau, Bau der Großen Mauer, der kaiserlichen Grabpaläste sowie der Kanäle in China), die auch Formen kollektiver Sklaverei in frühen Staatsgebilden voraussetzen. Diese Formen scheinen sich weniger aus den Dorfgemeinschaften (deren Funktionieren für die landwirtschaftliche Produktion unbedingt notwendig war) als aus dem Rechtssystem und/oder aus kriegerischen Gewalthandlungen herausgebildet zu haben. Sklaven-»Handel«, der zur entwickelten Sklaverei gehört wie ein Zwilling, existierte möglicherweise schon in den opportunistischen ersten Sklavereien (als Tausch), aber als eine Art Elitentausch setzte er nachweisbar zunächst mit Razzien- und Expansionskriegen, der Vergabe von Kriegsgefangenen an Eliten sowie dem Gabenaustausch zwischen Herrschern ein (im 2. Jahrtausend v. Chr.).
Dieses erste Plateau der Sklavinnen ohne Institution dürfte das älteste und am weitesten verbreitete in der Geschichte sein. Vom hypothetisch-opportunistischen Beginn der Sklavereien bis mindestens zur Bildung erster Dominanzformen unter Häuptlingen, Priestern, Eliten und von Territorien bestimmter Siedlungen mit Kontrolle über das Land war es wohl das vorrangige Plateau von Sklaverei. Dieses Plateau war das einzige mindestens bis zum mittleren Neolithikum und der Metall-/Bronzezeit (um 3000–800 v. Chr.); in Mitteleuropa wohl bis zur sogenannten Michelsberger Kultur. Und es ist trotz der scheinbaren Simplizität eine doch recht komplizierte und vor allem sehr lange Geschichte, in der sich entehrende Arbeiten (Unrat, Blut, Dreck, Abfall, schwerste Routinearbeiten), körperliche Dienste, Patriarchalismus, erzwungener Sex (sexualisierte Gewalt), aber auch die Annahme elternloser Kinder, Konkubinat und andere den Fremdenstatus abschwächende Sozialrituale ausbildeten.55 Wichtig für dieses alle Sklavereien begründende Plateau ist, dass es Sklaven »ohne Sklaverei«, vor allem Sklavinnen und Kindersklaven, bis heute gegeben hat und gibt.
Ein fast schlagendes Beispiel von Sklavenstatus »ohne Sklaverei« am Beginn der Neuzeit ist die Indigene aus dem Volk der Tocobaga im heutigen Florida (bei Tampa), der die Spanier den Namen Madalena gegeben hatten. Sie war 1539 bei einem Razzienüberfall der Expedition Hernando de Sotos durch La Florida (damit bezeichneten die Spanier im 16. Jahrhundert das ganze Nordamerika außerhalb Neu-Spanien-Mexikos) gefangen genommen worden (Razziensklaverei). Sie wurde von De Soto in den Haushalt seiner Ehefrau Inés (Isabel) de Bobadilla nach Havanna verschleppt. De Soto kam gegen 1542 am Mississippi um. Seine Witwe nahm Madalena mit nach Sevilla. Als Inés de Bobadilla dort 1546 gestorben war, kehrte Madalena nach Havanna zurück und half als lengua (Übersetzerin) dem Dominikanermönch Luis Cáncer (ein enger Vertrauter von Bartolomé de las Casas) bei der Vorbereitung einer Expedition zur heutigen Tampa Bay. Die Dominikaner versuchten dort eine Missionsstation zu etablieren (entrada). Nach schweren Konflikten mit Tocobaga-Kriegern, die Cáncer töteten, verschwand Madalena 1549 aus den schriftlichen Quellen (wie fast alle Sklavinnen »ohne Sklaverei« in der Weltgeschichte). Das Spannende in Bezug auf diesen Sklavenstatus illustriert eine kleine Notiz in einem Artikel zur life history von Madalena: »Madalena wird nie formal Sklavin genannt, aber ihre Entführung, ihre Verschleppung und Arbeit erzeugten die Sklaverei, in Taten statt Worten«.56 Es gab auch in Europa zwischen 1400 und 1900 etwa zwei Millionen Sklaven, obwohl viele europäische Staaten in ihren Rechtsordnungen »Sklaverei« nicht definierten oder, vor allem seit dem 18. Jahrhundert, Sklaven auf ihrem Territorium verboten (free-soil-Prinzip). Die meisten dieser Versklavten in West- und Mitteleuropa waren Nichteuropäer und Nichtchristen, oft Gefangene der Türkenkriege, Kinder aus Afrika oder anderen Kolonialgebieten, Opfer der Seeräuber- und Korsarenplünderfahrten im Mittelmeer sowie zunehmend Statussklavinnen und -sklaven aus der Karibik, die ihre Herren oder Herrinnen mit nach Europa genommen hatten. Auch hielt man sich geschenkte Kinder oder junge Frauen oder sogenannte »Hofmohren« – eine Mode unter europäischen Eliten der Aufklärungszeit.57 Hermann von Pückler-Muskau kaufte 1837 auf dem Sklavenmarkt von Kairo eine Oromo-Sklavin namens Machbuba (etwa 1823–1840) als Mätresse.