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Vier

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Logan glich noch einmal die Adresse mit der in Hopes Nachricht ab. Er solle sich beim Portier anmelden und sie vor der Wohnung abholen. Es war zwanzig vor acht – er war viel zu früh dran –, dabei war er eigentlich der Typ, der grundsätzlich zu spät kam. Vielleicht lag es an der Nervosität. Was eigentlich auch gar nicht sein Ding war.

Logan entschloss sich trotzdem dazu in die Lobby des Apartment-Komplexes zu gehen. Die Eingangshalle war einladend dekoriert. Man traute sich kaum, mit dreckigen Schuhen auf den weißen Hochglanzfliesen zu trampeln. Die Wände waren in Schwarz vertäfelt. Zweisitzer-Sofas und Sessel standen um einen Kaffeetisch. Ein kleiner, schlaksiger Mann saß in einem der Sessel und las die Zeitung. Der Portier, der hinter einer halbrunden Theke saß und auf dessen Namensschild Paul stand, wünschte Logan einen guten Morgen und fragte, ob er ihm behilflich sein könne.

»Ich möchte zu Dr. O’Reilly. Mein Name ist Logan Reynolds.«

Paul lächelte und tippte etwas in den Computer. Als er wieder aufschaute, sagte er: »Nehmen Sie den Aufzug in die sechste Etage, folgen Sie dem Flur nach rechts. Apartment Nummer 3.«

Logan bedankte sich und ging zu den Aufzügen hinüber. Im schwach beleuchteten Lift drückte er den Knopf für die sechste Etage und überprüfte seine Haare im Spiegel. Die Fahrstuhltüren öffneten sich mit einem Ruckeln und durchfluteten den Lift mit warmen Licht. Logan trat auf den Flur und sah sich um. Rechts und Apartment Nummer 3, hatte der Portier gesagt.

Logan folgte dem Gang. Vor der Tür blieb er stehen, rieb die Hände aneinander um sie zu wärmen, bevor er Hope die Hand gab und klopfte. Neben der Tür stand eine Kristallschale mit roten Äpfeln auf einem Holzpodest. Logan nahm sich einen, legte ihn aber dann wieder zurück.

Das Klicken des Sicherheitsriegels war zu hören und die Tür öffnete sich. Der Duft von Früchten und Vanille strömte ihm in die Nase. Logan fühlte sich sofort geborgen. Ihre Ausstrahlung war so herzlich und ehrlich, dass man für immer bleiben mochte. Dexter drückte den Kopf an Hope vorbei und wedelte mit dem Schwanz. Er machte einen deutlich freundlicheren Eindruck als auf dem Revier und scheinbar sah er Logan nicht als Eindringling an.

»Guten Morgen.« Hope lächelte und bat ihn herein. »Sie sind früh dran.« Sie trug eine enge Jeans mit einer hellrosa Bluse. Ihr Spitzen-BH zeichnete sich unter dem dünnen Stoff ab.

Sie gingen ins Wohnzimmer und Logan bot sich ein Ausblick aufs Meer.

»Ich dachte mir, wir verlegen unser Gespräch in meine Wohnung, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Hier habe ich alle Unterlagen und Akten vom Fall M. Boyed.«

Logan betrachtete die Unterlagen, die sorgfältig auf dem Boden verteilt lagen. Es ergaben ein riesiges Bild aus Papier.

Dexter warf sich in seinen überdimensionalen Korb und schnaubte.

»Möchten Sie Tee?«

»Ein Kaffee wäre mir lieber.«

»Auch noch Sonderwünsche?« Sie zwinkerte ihm zu.

»Nur, wenn es Ihnen keine Umstände bereitet.«

»Milch? Zucker?«

»Schwarz. Darf ich fragen, warum Sie alles auf dem Boden ausgebreitet haben?«

»Damit ich einen besseren Überblick habe. Manchmal springen mir so fehlende Zusammenhänge ins Auge.«

»Interessant«, stellte er fest und umkreiste die Papiere.

Während Hope sich in die Küche begab, sah sich Logan weiter um. Auf dem Kaminsims entdeckte er eine Fotokollage. Eines der Bilder war verkehrt herum in die Ecke gestellt worden. Es zeigte eine Frau und ein kleines Mädchen. Vermutlich Mutter und Tochter. Das Bild kam ihm merkwürdig bekannt vor.

Hope kam mit zwei Tassen zurück und reichte ihm eine davon. Sie öffnete die Schiebetür und trat auf den Balkon hinaus. Dexter rührte sich keinen Millimeter, sondern verfolgte sie nur mit den Augen.

»Kommen Sie?«, fragte Hope.

Logan folgte ihr hinaus in die kühle Luft. Auf dem großzügigen Balkon befand sich eine Sechs-Sitzer-Rattan-Garnitur in L-Form und ein dazu passender Tisch. Hope deutete ihm, Platz zu nehmen. Er setzte sich ihr gegenüber und schaute über das Balkongeländer. Es ging ziemlich weit runter, nur gut, dass er keine Höhenangst hatte.

Hope wickelte sich in eine Decke und kramte einen Aschenbecher unter dem Tisch hervor. Logan zog die Zigarettenschachtel aus seiner Jacke und bot Hope eine an. Sie griff danach und suchte ein Feuerzeug. Logan war schneller und hielt ihr seines hin. Sie schob ihre Zigarette in die Flamme, bedankte sich nickend und stieß eine kleine Rauchwolke aus.

»Eigentlich rauche ich nicht viel. Sie sind kein guter Einfluss, sie stiften mich zum Rauchen an«, witzelte sie.

»Das tut mir natürlich leid«, sagte er.

»Dann schießen Sie mal los. Was möchten Sie wissen?«

»Alles. Von Anfang an.«

»Das kann etwas dauern.«

»Ich habe alle Zeit der Welt.«

»Also gut.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Tee. »Vor gut einem Jahr wurde das erste Opfer entdeckt. 24 Jahre, Studentin. Sie wurde in einem Waldstück des Dorchester Parks gefunden. Die junge Frau wurde dort nicht umgebracht, sie wurde platziert und arrangiert. Die Hände lagen verschränkt auf der Brust, als würde sie in einem Sarg liegen. Sie wies einige Folterspuren auf – ihr wurden die Fingernägel ausgerissen, tiefe Schnittwunden zugefügt, Blutergüsse bedeckten ihren ganzen Körper und ein Auge wurde entfernt. Sexuell missbraucht wurde sie nicht, was eine sexuell-motivierte Handlung erstmal ausschloss. Jedoch waren die Verletzungen nicht die Todesursache. Sie starb durch einen Kopfschuss. Man hat Schmauchspuren an ihrer rechten Hand nachgewiesen. Das bedeutete, sie hat sich selbst erschossen. Entweder aus freiem Willen oder sie wurde dazu gezwungen. Fremde DNA wurde nicht gefunden. Es stellte sich heraus, dass das Opfer drei Tage lang als vermisst gemeldet war. Sie war ungefähr seit fünf Stunden tot, als man sie fand. Das heißt, der Täter hielt sie gefangen, folterte sie und stellte das Opfer nach dem Tod der Öffentlichkeit zur Schau. Es wurden keinerlei Hinweise am Tatort gefunden und Zeugenaussagen ergaben auch nichts. Natürlich haben sich einige angebliche Zeugen gemeldet, die sich einfach nur wichtigmachen wollten, aber im Endeffekt nichts half. Als die Gerichtsmedizin die Leiche untersuchte, fanden sie die eingebrannten Buchstaben »MB« auf dem Schulterblatt. Das war ein Anhaltspunkt, jedoch gab es keine Verbindung zum Opfer. Keine Person in ihrem Umfeld, welches akribisch geprüft wurde, hatte diese Initialen oder ließ keinen Anhaltspunkt auf etwas Anderes schließen.

Gut zwei Wochen später wurde dann eine zweite Leiche gefunden. Die gleichen Folterspuren, die gleiche Aufbahrung der Leiche, das »MB« auf dem Schulterblatt. Nur der Standort und die Todesursache waren anders. Durch einige Tests wurde festgestellt, dass sie an einer Kaliumcyanid-Vergiftung gestorben war. Sie kennen bestimmt Cyanid aus dem zweiten Weltkrieg. Oder aus Filmen wie James Bond. Die Einnahme von Cyanid bewirkt die Blockierung der Sauerstoffbindungsstelle und führt zu einer innerlichen Erstickung. Das heißt, der Sauerstoff kann von den Zellen nicht mehr verwertet werden. Man erstickt. Eine sehr hohe Dosierung kann auch in ein paar Minuten zu einem Herzstillstand führen. Bei einer Atemnot sollte man eigentlich mit bläulichen Verfärbungen der Haut rechnen, jedoch ist das venöse Blut sauerstoffarm, und damit hellrot. Also haben Vergiftete eine rosige Hautfarbe. Zudem kann man einen mandelartigen Geruch feststellen.

Nach dem zweiten Opfer wurde ich hinzugezogen, da man davon ausging, es könne sich um einen Serienmörder handeln. Durch die Signatur des Mörders schlossen wir darauf, dass er auf sich aufmerksam machen wollte. Wir suchten nach einer Verbindung zwischen den beiden Opfern. Diese war nicht schwer zu finden. Beide besuchten dieselbe Universität und belegten die gleichen Kurse. Sie waren Freundinnen. Das zweite Opfer wurde sogar noch befragt, ob sie etwas über das Verschwinden ihrer Freundin wisse. Wer hätte gedacht, dass sie kurz darauf ebenfalls auf dem Seziertisch landen würde?« Hope nahm einen Zug ihrer Zigarette. »Als ich die Fotos der Leichen genauer betrachtete, wurde mir eins klar: Die Position, in der sie platziert wurden, ließ auf eine gewisse Zuneigung schließen. Die Opfer wurden fürsorglich abgelegt und arrangiert. Es war ein grausames Verbrechen, doch andererseits konnte man auf eine verkehrte Art und Weise Liebe spüren.

Wir hielten eine Pressekonferenz ab, wobei wir die Details zurückhielten. Danach bekam ich Briefe. Der Täter oder die Täterin, was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten, schrieb mir. Wie sie ja wissen, war das Boyed. Er schrieb, ich wäre ihm sehr vertraut und er möchte seine Sicht der Dinge schildern. Er wäre kein Monster, er müsse es tun, weil die jungen Frauen es verdient und sich ihr Schicksal selbst ausgesucht hätten. Er wollte sich verteidigen und mein Vertrauen gewinnen. Ich schloss aus seinen sehr emotionalen Briefen, dass er nicht immer gewalttätig war, sondern ein prägendes Erlebnis eine akute Belastungsreaktion bei ihm hervorgerufen hatte und er aus dieser Reaktion heraus impulsiv von seiner Wut geleitet handelte. In vielen Fällen haben Betroffene erhebliche Schwierigkeiten mit Gefühlen wie Wut oder Trauer. Manche reagieren übermäßig emotional, bis hin zum Verlust der Kontrolle. Dies äußert sich gelegentlich in Fremdverletzung. Wir suchten also nach einer Person, die eine schlimme Situation durchlebte.

Keine vier Tage später wurde eine dritte Leiche gefunden. Das gleiche Schema. Nur die zeitlichen Abstände waren unterschiedlich. Dies warf weitere Fragen auf. Die Tote studierte ebenso auf der gleichen Uni. Es musste also etwas in der Uni passiert sein. Ihr wurde ein Brief beigelegt. Er fragte mich, ob ich schon jemals den Lebensmut verloren habe und ob ich jemandem Bestimmtes die Schuld dafür geben würde.«

Hope machte eine kurze Pause und streichelte unbewusst ihren Arm. Es dauerte nur einen Bruchteil einer Sekunde, doch Logan fiel eine Unstimmigkeit in Hopes selbstsicheren Auftreten auf, konnte aber noch nicht greifen, was es war.

»Doch was hatte der Täter mit jungen Studentinnen zu tun und was wollte er mir damit sagen? Er gab in dem Brief an, er habe ein viertes Opfer und würde uns die Chance geben, sie zu retten, sollte ich imstande sein, sein Rätsel zu lösen. Da ich den Brief so oft gelesen habe, kenne ich die Worte noch auswendig:

Sie war mein Ein und Alles.

Meine Seelenverwandte, meine Zukunft.

Nichts bleibt für die Ewigkeit.

Nur ein einziger Ort bleibt dir für immer.

Wir standen ungemein unter Zeitdruck. Das nächste Blutbad musste um jeden Preis verhindert werden. Also fing ich an, zu wühlen. Mich in die tiefsten Abgründe der Frauen zu stürzen und die dunkelsten Geheimnisse zum Vorschein zu bringen. Alle Verbindungen zwischen den Opfern wurden umgedreht und auf den Kopf gestellt. Wir suchten nach einem einschneidenden Ereignis, welches in ihrem direkten Umfeld stattfand. Ich entdeckte den Selbstmord einer Studienkollegin der Opfer. Mary Boyed schnitt sich die Pulsadern auf, ohne Anzeichen von Fremdeinwirkung. In ihrem Abschiedsbrief machte sie die drei ermordeten Frauen und eine weitere Frau dafür verantwortlich. Ich grub mich durch die Angehörigen und stieß auf den trauernden Vater. Seine Verwandten berichteten mir, ihn seit ein paar Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommen zu haben, geschweige denn, etwas von ihm gehört zu haben. Mein Verdacht war geweckt. James vertraute auf meinen Instinkt und schickte ein Einsatzkommando zu seinem Haus. Doch natürlich war er nicht zu Hause. Also nahm ich mir seinen Brief noch einmal zur Hand. Welcher Ort bleibt dir für immer?«

»Das ist schwierig, aber ich habe ja eine gewisse Vorkenntnis. Es ist das Grab«, antwortete Logan.

»Bingo! Familie Boyed hat ein Familiengrab, eine Krypta. Das perfekte Versteck. Niemand hört dich und niemand stört dich. Ein Sonderkommando stürmte die Krypta und fand die junge Frau, die sich gerade die Pulsadern aufschneiden wollte. Das ist schwieriger als man denkt – was für sie und für uns von Vorteil war. Sie war in einem sehr schlechten Zustand, aber sie überlebte. Boyed wurde verhaftete und weggesperrt.«

»Er hatte die Frauen auf eine grauenvolle Weise gefoltert, gab ihnen immer wieder die Chance, sich selbst das Leben zu nehmen. Sie konnten sich aussuchen, wie sie sich das Leben nehmen wollten. Er wollte also Rache für den Tod seiner Tochter«, schlussfolgerte Logan. »Es ging gar nicht um die Freude an der Gewalt, sondern nur um einen schwer belasteten Vater, dem die Sicherung durchgebrannt ist.«

»Das bringt es auf den Punkt. Deshalb glaube ich nicht, dass Boyed den Mord begangen hat. Ich bin mir sogar sicher. Mir ist natürlich bewusst, dass wir in alle Richtungen ermitteln müssen, doch ich halte sogar einen Komplizen für unwahrscheinlich.«

»Ich verstehe. Und was vermuten Sie?«

»Ohne weitere Informationen ist das schwierig zu sagen. Ich vermute jedoch, dass Boyed sich jemandem anvertraut hat und dieser es weitergetragen hat. Diese Person hat vielleicht schon früher gemordet und suchte einen Kick. Er dachte sich, er könnte uns verwirren, indem er im Namen eines Häftlings tötet und so seine Spuren verwischt.«

»Das klingt plausibel. Doch dafür müssen wir herausfinden, mit wem er Kontakt hatte. Sie werden gezwungen sein, erneut mit ihm zu sprechen.«

Hope senkte den Blick. »Ich weiß und das macht mir sehr zu schaffen. Ich denke nicht, dass er noch einmal mit mir sprechen möchte. Er wurde verletzt. Und der Klinikleiter sowie seine Psychiaterin sind keine allzu großen Fans von mir.«

»Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie, wenn sie Ihren Standpunkt vertreten, sehr einschüchternd wirken können, wenn man Sie nicht kennt?«

»Was meinen Sie damit?«

»Allein Ihr Auftreten. Eine Selbstsicherheit, von denen die meisten Menschen nur träumen können. Man merkt sofort, Sie haben den vollen Durchblick – egal, was Sie tun. Um ehrlich zu sein, ich war perplex, als ich Sie gestern zum ersten Mal sah. Erst wenn man mit Ihnen ins Gespräch kommt, spürt man Ihre Warmherzigkeit. Ich möchte Ihnen den Job nicht streitig machen, aber ich denke, für die Menschen, die Sie lieben, würden Sie alles riskieren. Sowie für die Wahrheit. Und dass Sie gut aussehen, muss ich Ihnen ja nicht sagen.«

Hopes Wangen röteten sich. »So habe ich das noch nie wahrgenommen. Mögen mich die Mitarbeiter des Reviers deswegen nicht?«

»Sie haben ihnen offensichtlich die Show gestohlen und sie denken, dass Sie ihnen in ihre Seelen schauen können.«

Hope fing an, herzlich zu lachen. »Da haben sie gar nicht so Unrecht.«

Sie mäßigte sich wieder, wurde etwas nachdenklich. »Wenn ich den Leuten dann wenigstens helfen könnte, wenn ich schon in ihre Seele schauen kann. Aber das schaff ich ja nicht mal bei meiner besten Freundin.«

Logan bemerkte an ihrer verschlossenen Körperhaltung, dass sie das angeschnittene Thema nicht mit ihm diskutieren wollte. »Hope, wenn Ihnen etwas auf dem Herzen liegt, habe ich ein offenes Ohr«, sagte er trotzdem. »Ich bin unvoreingenommen und unbeteiligt und werde mich bestimmt nicht in Ihre Angelegenheiten einmischen.«

»Das ist sehr lieb, Logan. Aber Sie sind ein Fremder, auch wenn sie James Bruder sind, und was sollten Sie mit meinen Sorgen anfangen?«

»Ich denke, es würde Ihnen bessergehen, wenn Sie sich etwas Luft schaffen.«

Hope schien darüber nachzudenken. »Also gut«, sagte sie schließlich. »Vielleicht haben Sie Recht.«

Sie erzählte ihm von Zoe, von den letzten Tagen, von den letzten Jahren, von der Veränderung von Zoe und Tom.

»Zoe sollte den Mistkerl verlassen und ihn verklagen«, sagte Logan. »Er sollte mir besser nicht über den Weg laufen.«

»Ich verpflichte Sie zur absoluten Verschwiegenheit. Es würde das Feuer nur mehr schüren.«

»Sie haben mein Wort. Auch wenn es mir schwerfällt, dem Typ nicht den Schmerz spüren zu lassen, den Zoe spürt.«

»Ich weiß. Mir geht es genauso. Und ich fühle mich schrecklich, weil ich nicht mehr tun kann.«

»Es ist ganz allein Zoes Entscheidung. Sie können ihr nur helfen die Sache durchzustehen – bis es sich wieder zum Guten wendet oder eskaliert.«

»Wahrscheinlich wird es ein böses Ende nehmen. Und ich werde daran nicht unbeteiligt sein.«

»Wenn Sie Hilfe brauchen, können Sie mich jederzeit anrufen. Egal, wann. Und ich bitte Sie darum, es wirklich zu tun. Denn es ist ein ernst gemeintes Angebot.«

»Versprochen. Ich könnte wahrlich Unterstützung brauchen«, entgegnete Hope und griff nach der Visitenkarte, die Logan ihr entgegenstreckte. »Ehrlich gesagt bin ich erleichtert darüber, es Ihnen mitgeteilt zu haben, Logan. James sollte es besser nicht wissen. Sie kennen ihn ja. Er würde sich wieder hineinsteigern und bei Zoe auf der Matte stehen und sie, ohne nachzudenken, da rauszerren. Er ist in solchen Situationen sehr impulsiv, wenn es Freunde angeht. Bitte nicht falsch verstehen, das ist absolut kein charakterlicher Nachteil. Das macht ihn nur noch liebenswerter, weil er immer für einen da ist und alles stehen und liegen lässt.«

»Darf ich Sie etwas über meinen Bruder fragen?«

Ihre Augen wurden ein wenig schmaler, als sie ihn abschätzend anschaute. »Kommt darauf an.«

»Ich habe leider nicht mehr allzu viel Kontakt mit ihm. Wenn er Probleme hat, sagt er mir nicht mehr Bescheid. Der erste Fall mit Boyed warf sein Leben aus den Bahnen. Ich hab es aus den Klatschzeitungen erfahren. Vom Detectiv zum Alkoholiker war damals die große Schlagzeile. Vielleicht können Sie sich noch daran erinnern. Wie stehen die Chancen, ihn bei diesem Fall vom Alkohol fernzuhalten?«

»Es war eine schwere Zeit für ihn. Ich kann mich noch gut daran erinnern. James versuchte den Alkoholkonsum zu reduzieren, aber es half natürlich nicht, dass die Medien seinen Ruf in den Schlamm gezogen haben. Doch im Endeffekt haben ihm die Medien in gewisser Weise wieder auf die Beide geholfen. James ließ es nicht auf sich sitzen und bekam sein Leben wieder in den Griff. Ich denke, er schafft das – und das sage ich, auch wenn ich grundsätzlich keine Freunde und Familie analysiere.«

Hope machte eine kurze Pause.

»Außer in Ausnahmesituationen. Die ich momentan ziemlich oft erlebe«, gestand sie sich selbst ein. »Mir schien es, als wären es damals nur die Anfänge einer Alkoholsucht gewesen. Allerdings sollten wir die Augen offenhalten. Wenn er sich uns gegenüber nicht verschließt und offen mit seinen Sorgen umgeht, stehen die Chancen ganz gut, dass er mit der Situation umzugehen weiß. Auch wenn es unangenehm oder sogar peinlich ist, müssen wir das Problem ansprechen und nicht darüber hinwegsehen. Es kostet zwar jede freie Minute einen Mord aufzuklären, jedoch sollte er kein AA-Treffen verpassen. Wenn er mit uns nicht spricht, dann vielleicht mit denen.«

»Hoffen wir das Beste.«

Hopes Handy klingelte. »Wie auf‘s Stichwort – es ist James«, sagte sie und nahm das Gespräch an. Sie hörte ihm aufmerksam zu und beendete das Gespräch schließlich mit den Worten: »Wir kommen sofort.« Dann wandte sie sich an Logan. »James möchte sich die Überwachungsbänder der Anstalt mit uns ansehen.«

Logan nickte und erhob sich. »Können wir unser Gespräch ein andermal fortsetzen?«

»Ich habe Ihnen alles erzählt. Haben Sie noch Fragen?«

Logan war die Situation peinlich und er wusste keine Antwort darauf.

Das brachte Hope zum Lachen. »Ich wusste schon ganz genau, was Sie meinten. Aber dieser verwirrte Dackelblick ist einfach unbezahlbar.«

Verkehrte Welt, dachte Logan. Normalerweise warfen sich ihm die meisten Frauen sofort an den Hals, aber Hope nicht. Hope war anders und er konnte sie nicht einschätzen. Hatte sie Interesse an ihm oder waren sie einfach nur Kollegen? Falls man das nach einem Tag überhaupt beurteilen kann. Er wusste es ja selbst nicht. Logan war keiner von denen, die an die Frau fürs Leben glaubte, aber er hatte das Verlangen, mehr Zeit mit Hope verbringen zu wollen.

»Sie dürfen mich zum Abendessen einladen«, sagte sie in diesem Moment.

»Sehr gerne. Soll ich Sie mit aufs Revier nehmen?

»Wenn Dexter mitfahren darf?«

»Wenn er mich nicht beißt?«

»Das tut er nur, wenn Sie nicht nett zu mir sind.«

Herzblut

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