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Das erste Date

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Bea lief schon das fünfte Mal ins Badezimmer, um ihr Make-up zu überprüfen. Mitten in der Nacht war ihr eingefallen, dass sie nur eine alte Jeans und einen ausgefransten Pullover eingepackt hatte, da sie nicht vorgehabt hatte, das Hotel zu verlassen. Also musste wenigstens das Make-up stimmen. Zum wahrscheinlich tausendsten Mal schaute sie auf die Uhr. Es war erst halb zehn. Noch eine Stunde warten und sie war jetzt schon völlig nervös. Wenn sie sich nicht bald beruhigte, würde sie einen Herzinfarkt bekommen. Und dann würde sie Patrick erst recht nicht wiedersehen. Sie setzte sich aufs Bett und atmete dreimal tief durch. Dann schaltete sie den Fernseher an, um sich ein wenig ablenken zu lassen. Als eine Viertelstunde später das Telefon klingelte, schrak sie zusammen.

„Ja bitte?“ meldete sie sich.

„Hallo“, hörte sie Patricks dunkle Stimme durch den Hörer. „Ich bin bereits fertig mit meinem Termin und wollte wissen, ob wir uns auch schon um 10 Uhr treffen können?“

„Von mir aus gerne.“

„Sehr schön. Dann sehen wir uns gleich. Ich melde mich nochmal, wenn ich im Hotel bin.“

„OK. Bis gleich.“

Bea rannte ins Bad und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Der schwarze Kajal um ihre braunen Augen war ein wenig verwischt. Vorsichtig brachte sie das in Ordnung. Dann wuschelte sie sich nochmal mit den Händen durch ihr kurzes dunkles Haar, damit es nicht ganz so streng aussah. So, besser kriege ich das eh nicht hin.

Bea trat aus dem Aufzug und blickte sich suchend um. Patrick stand mit dem Rücken zu ihr an der Rezeption. Er trug einen Anzug. Toll, dachte sie. Ich bin völlig underdressed. Allerdings konnte ich ja auch nicht damit rechnen, eine private Führung durch Chicago zu bekommen. Lächelnd ging sie auf ihn zu.

„Guten Morgen, junger Mann“, sprach sie ihn an. „Sind sie bereit einer Ungläubigen die Schönheiten von Chicago näher zu bringen?“

„Guten Morgen, hübsche Frau. Ich bin sicher, dass sie nach dieser Führung nie wieder weg möchten.“

Das möchte ich jetzt schon nicht mehr, dachte sie.

Er bot ihr seinen Arm an. Sie hakte sich unter und gemeinsam verließen sie das Hotel. Patrick erwies sich als sehr angenehmer Stadtführer, der die Geschichte Chicagos und des Chicago Rivers interessant und spannend erklärte. Er ging mir ihr von einer Ecke Chicagos in die andere. Dabei erklärte er ihr jede Sehenswürdigkeit. Ganz besonders lange blieb er am Chicago River stehen und geriet ins Schwärmen als er ihr berichtete, was für ein wahnsinnig tollen Anblick der Fluss zum Sankt Patricks Day bot. Dann nämlich wurde das Wasser grün eingefärbt und ein Riesenspektakel am Fluss veranstaltet.

„Das würde ich wirklich gerne mal erleben“, sagte Bea verträumt.

„Wer weiß, vielleicht kann ich es dir mal zeigen“, erwiderte Patrick.

Dann gingen sie weiter. Wenn ihnen zu viele Menschen entgegen kamen, ergriff Patrick ihre Hand, damit sie sich nicht verloren. Bea versuchte, dem keine Bedeutung beizumessen. Aber sie war jedes Mal enttäuscht, wenn er ihre Hand wieder losließ.

„So, und nachdem du mir jetzt zweieinhalb Stunden zuhören musstest, lade ich dich noch in den Sears Tower auf einen Kaffee ein. Da hat man einen sehr schönen Überblick über Chicago. Die Bar befindet sich nämlich im 96. Stockwerk. Man kann, wenn man drin ist, sogar deutlich sehen, dass der Tower hin und her schwenkt.“

„Das ist wirklich eine sehr nette Vorstellung im 96. Stock hilflos den Schwankungen des Turms ausgeliefert zu sein.“ Bea schauderte.

„Keine Angst. Er hat noch nie so sehr geschwankt, dass er umgekippt ist“, entgegnete er augenzwinkernd.

Patrick winkte ein Taxi heran und sie ließen sich bis zum Sears Tower fahren. Bea war dankbar dafür, da ihr die Füße ein bisschen weh taten und sie schließlich noch den ganzen langen Flug zurück nach Frankfurt genug würde laufen müssen.

„Alleine für die Fahrt in dem Fahrstuhl würde sich der Tower schon lohnen“, sagte Bea begeistert als sie aus diesem trat. Die 96 Stockwerke hatte er in Null Komma Nix zurückgelegt.

Patrick schmunzelte. „Ja, das begeistert die Damen, denen ich Chicago zeige, immer am meisten.“

„So?! Und ich dachte, ich sei die einzige, die in den Genuss dieser besonderen Stadtführung gekommen ist.“

„Das bist du ja auch. Aber mein Ego lässt nicht zu, dass ich das zugebe.“

„Verstehe. Dann bin ich jetzt mal total erbost, weil ich anscheinend nur eine von vielen bin.“

„Das ist lieb von dir. Mein Ego dankt es.“

Sie betraten die Bar. Bea war überwältigt von dem Anblick. Ganz Chicago lag ihr sozusagen zu Füßen.

„Gigantisch“, brachte sie schwärmerisch hervor.

„Wäre schön, wenn du mich auch mal so anschauen würdest wie du die Stadt anschaust.“

„Hör auf damit.“ Sie knuffte ihn in die Seite. „Das würde deiner Freundin bestimmt nicht gefallen.“

„Bestimmt nicht, aber sie ist im Moment nicht hier.“

„Ach so, so einer bist du also“, sagte sie gespielt böse. „Kaum ist deine Freundin nicht in der Nähe, verdrehst du harmlosen Flugbegleiterinnen den Kopf, um sie dann eiskalt im Regen stehen zu lassen.“

„Nein“, entgegnete er plötzlich sehr ernst werdend. „Es gibt Situationen im Leben, denen bin auch ich völlig hilflos ausgeliefert. Und dazu zählt unter anderem, dass plötzlich eine wahnsinnig faszinierende Frau in mein Leben tritt, die mich dazu bringt nicht mehr an Melanie zu denken. Und ich weiß nicht genau, wo das hinführen soll.“

„Na ja, erst mal an den Tisch dort drüber, der grade frei wird“, versuchte Bea das Gespräch wieder auf die lockerere Ebene zu bringen.

Patrick seufzte und folgte ihr. Als der Kellner kam, bestellten sie zwei Kaffee. Bea entspannte sich etwas. Mit der Andeutung von Patrick konnte sie absolut nicht umgehen. Normalerweise wäre sie auf so eine Aussage eingegangen und hätte abgewartet, wo das ganze hinführt. Doch nach weiteren drei Stunden mit ihm, merkte sie, dass sie bereits ihr Herz an ihn gehängt hatte. Und das würde er ihr mit Sicherheit brechen. Also riskierte sie lieber nichts. In folge dessen plätscherte das Gespräch nun so vor sich hin bis es Zeit war, ins Hotel zurückzukehren. Patrick besorgte wieder ein Taxi, da Bea nach einem Blick auf ihre Uhr feststellte, dass sie ziemlich spät dran war. Als sie vor dem Hotel aus dem Taxi stieg, waren auch schon ein paar Kollegen in Uniform dort.

„Bea. Jetzt musst du dich aber ranhalten, wenn du noch rechtzeitig umgezogen sein willst“, rief ihre Kollegin ihr zu.

„Keine Panik. Ich schaffe das schon. Ich bin eine von der schnellen Sorte.“

Patrick begleitete sie bis zum Fahrstuhl.

„Es war ein sehr schöner Morgen mit dir. Vielen Dank“, sagte sie, während sie auf den Knopf für den Fahrstuhl drückte.

„Beatrix.“ Er blickte sie an. „Im Flugzeug war diese nervige Blondine, die du gekonnt ausgetrickst hast. Erinnerst du dich?“

„Selbstverständlich.“

„Ich hoffe, du hast auch registriert, dass ich ihr nicht meine Karte gegeben habe, sondern mir ihre habe geben lassen.“

„Ja, auch das ist mir aufgefallen. Ich hätte gerne mit deiner Karte vor ihrer völlig überpuderten Nase rumgewedelt.“

Er lächelte bei der Vorstellung. „Ich möchte damit auch nur ausdrücken, dass du wirklich etwas Besonderes bist und dass ich nicht jeder Frau Chicago zeige.“

„Ich weiß. Das hatte ich auch nie angenommen.“

„Wäre es dann zu viel verlangt, wenn ich dich um deine Telefonnummer bitten würde. Ich bin ab und zu in Frankfurt. Vielleicht könnten wir uns dort mal sehen.“

Beatrix wollte eigentlich ablehnen. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Aber als sie in seine Augen blickte, holte sie tatsächlich einen Stift aus ihrer Handtasche und schrieb ihm ihre Nummer auf. Der Fahrstuhl kam und sie reichte ihm die Hand.

„Nochmal vielen Dank. Jetzt verstehe ich, warum du Chicago so schön findest.“

„Vielleicht kann ich dir irgendwann mal das Nachtleben zeigen. Das macht die Stadt noch interessanter als sie sowieso schon ist.“

Er zog sie in seine Arme, hielt sie kurz fest und gab ihr einen leichten Kuss auf die Wange. Dann drehte er sich um und ging.

Zum Glück für Bea hatte sie auf dem Rückflug so viel zu tun, dass sie nicht dazu kam, sich auch nur eine Sekunde Gedanken um Patrick zu machen. Dazu kam sie erst wieder, als sie im Auto saß. Ich muss unbedingt mit Susanne reden. Vielleicht hat die einen guten Tipp, was ich jetzt machen soll. Allerdings landete ihre Maschine erst morgen Abend aus Johannesburg. Und Tanja war übers Wochenende zu ihren Eltern gefahren. Das bedeutete sie war mutterseelenallein mit ihren Gedanken und Gefühlen.

„Das halte ich auf gar keinen Fall aus.“

Sie nahm ihr Handy in die Hand und rief Sven an. Er meldete sich bereits nach dem zweiten Klingeln. „Hallo, Bea. Wieder sicher gelandet?“

„Hi, Sven. Ja, grad so. Bist du zuhause?“

„Nein. Ich stehe vor dem Kino und warte auf einen Freund. Warum?“

„Ich brauche dich jetzt.“

„Mensch. Das hättest du mir mal vor so ca. zwölf Jahren sagen sollen, dann wären wir jetzt verheiratet und hätten mindestens sechs Kinder.“

Bea lachte auf. „Aber nur, wenn du die bekommen hättest.“

„Für dich hätte ich auch das getan. Wie schlimm ist es denn?“

„Sehr schlimm. Schon mehr als ein Notfall.“

„Alles klar. Wir treffen uns bei mir. Ich besorge noch eine Flasche Rotwein und Pizza. Brauche ungefähr eine halbe Stunde.“

„Du bist ein Schatz.“

„Ich weiß. Bis gleich.“

Erleichtert, nicht alleine sein zu müssen, ließ Bea den Motor an und fuhr Richtung Svens Wohnung. Sie kamen gleichzeitig dort an. Bea nahm ihren Koffer aus dem Auto und folgte Sven ins Treppenhaus. Mit einem Blick auf den Koffer sagte er: „Also, mein Schatz, du willst über Nacht bleiben. Allerspätestens jetzt mache ich mir sehr sehr große Sorgen um dich.“

„Ich bin so unglücklich.“ Mit großen Augen blickte sie ihn an.

„Wirklich? Du siehst eher verwirrt als unglücklich aus.“

„Haarspalterei. Ich bin beides.“

Sven schloss die Wohnungstür auf. Sofort stürzte Lucky, Svens riesengroßer roter Kater auf die beiden zu und maunzte kläglich.

Bea beugte sich runter und kraulte ihn hinter den Ohren. „Arme Katze. Hat Sven dich wieder mal völlig vernachlässigt?!“

„Wenn der weiter solch jämmerliche Töne von sich gibt, denken das die Nachbarn auch und hetzen mir den Tierschutz auf den Hals. Dabei gibt es in ganz Frankfurt keinen einzigen Kater, der so verwöhnt wird wie Lucky. Ach, in ganz Deutschland gibt es den nicht.“

Sven ging in die Küche, holte Gläser und Besteck und ging dann zu Bea, die mittlerweile im Wohnzimmer auf der Couch saß. Lucky lag neben ihr und ließ sich genüsslich kraulen.

„So, Kleine. Dann erzähl mal. Hast du Patrick angerufen?“ fragte er sie, während er den Wein eingoss und die Pizza verteilte.

Bea nickte: „Er hat seiner Freundin von unserem Flug erzählt. Und er wollte mit mir und ihr abends essen gehen.“

„Na, das ehrt ihn doch. Immerhin scheint er ein ehrlicher Mensch zu sein.“

„Klasse. Und mir wollte er zumuten, einen Abend mit ihm und Melanie zu verbringen. Das ich mich dabei unwohl fühlen könnte, ist ihm wohl gar nicht erst in den Sinn gekommen.“

„Tut mir leid, dir das jetzt sagen zu müssen, aber bist du schon mal auf den Gedanken gekommen, dass er einfach nur nett zu dir sein wollte?“

„Du solltest erst mal den Rest der Story abwarten.“

„Es geht noch weiter?“ Neugierig blickte Sven sie an. „Ich denke, du bist nicht mit den beiden essen gegangen?“

„Nein, bin ich nicht. Aber ich hatte ja noch den Vormittag in Chicago.“

„Sag bloß, ihr habt euch tatsächlich noch mal getroffen.“ Sven angelte nach einer Serviette und wischte sich die Tomatensauce vom Mund.

Wieder nickte Bea und erzählte ihm von der Stadtführung. Sie verschwieg ihm auch nicht die Andeutung, die Patrick im Sears Tower gemacht hatte und auch nicht den Abschied.

Nachdem sie geendet hatte, blickte Sven sie an. „OK, das klingt wirklich nicht nach einfach nur nett sein.“

„Aber was genau soll ich jetzt davon halten?“ Verzweifelt schlug sie mit ihrer Hand aufs Sofa, was Lucky mit einem wütenden Fauchen kommentierte.

„Schwere Frage.“ Sven verscheuchte Lucky mit einer raschen Handbewegung. „Wie ich schon sagte, scheint er ein ehrlicher Mensch zu sein. Und wenn wir das mal voraussetzen, dann hat er nicht gelogen, als er sagte, dass er dich faszinierend findet. Es kann im Leben durchaus mal vorkommen, dass man, trotz dem man eine Beziehung hat, einen anderen Menschen anziehend findet. Und manchmal kommt es auch vor, dass man die bestehende Beziehung löst und sich auf eine neue einlässt.“

„Ach, Sven. Ich würde dir so gerne glauben.“ Bea schaute ihn mit Tränen in den Augen an.

„Mensch, Bea. Dich hat es ja wirklich erwischt.“ Er nahm sie in den Arm. „Ab heute glaube ich an Liebe auf den ersten Blick. Wenn sogar eine so vernünftige und pragmatisch denkende Person wie du wegen eines Mannes, den du zweimal in deinem Leben gesehen hast, so völlig aus dem Häuschen ist, dann muss da was dran sein.“

Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, sagte Sven zu ihr: „Gehen wir das ganze mal ganz nüchtern an. Er hat sich deine Telefonnummer geben lassen. Also wird er auch vorhaben, dich anzurufen. Und darauf musst du jetzt wohl oder übel erst mal warten.“

„Ich weiß. Aber was, wenn er nicht anruft? Und was, wenn er anruft? Was, wenn er genau jetzt anruft und ich bei dir bin? Dann erreicht er mich ja gar nicht!“ rief sie entsetzt aus.

„Du verwirrst mich. Soll er nun anrufen oder nicht?“

„Ich weiß auch nicht genau.“ Bea fing schon wieder an zu weinen.

„Ich glaube, ich hole jetzt erst mal etwas Kräftigeres her. Rotwein alleine scheint nicht mehr zu reichen.“

Als die zwei dann um vier Uhr morgens ins Bett wankten, war Bea zwar kein bisschen schlauer als am Abend zuvor, aber sie fühlte sich besser. Reden half manchmal doch.

Ohne dich

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