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ОглавлениеKapitel zwei
Uns interessierte nur das Herumgammeln.
Um diese Zeit herum nahm Kurt in der Schule erstmals Notiz von Chris Novoselic. „Ich wollte ihn unbedingt näher kennenlernen“, erzählte Kurt. „Aber wir kamen nie zusammen.“ Sie hatten keine gemeinsamen Schulstunden – Kurt sah Chris nur manchmal bei Versammlungen, wo Chris bei kleinen Satiren mitspielte – meist nur zu dem Zweck, sie zu sabotieren, etwa wenn er plötzlich „Star-Spangled Banner“ zu singen begann.
„Er war ein lustiger Typ mit einem ganz eigenen Humor“, sagte Kurt. Jedermann lachte über ihn, aber ich lachte mit ihm, weil er einfach alle zum Narren hielt. Er war ein wirklich cleveres und lustiges Großmaul. Er war größer als alle anderen in der Schule. Er war riesig. Leider war ich nie mit ihm unterwegs, ich hätte in der Highschool-Zeit wirklich einen Freund gebraucht.“
Kurt kam sich vor wie ein Ausgestoßener, aber auch Ausgestoßene können andere Ausgestoßene finden und sich mit ihnen anfreunden. Außer natürlich in Aberdeen. „Ich wollte irgendwo dazugehören, aber nicht zum Durchschnitt, nicht zu den üblichen Schulkindern. Ich wollte zu den Ausgeflippten gehören, aber die Ausgeflippten in Aberdeen waren bloß Narren. Sie waren nicht wirklich auf meinem Trip – sie hörten zum Beispiel keine Musik von Devo. Sie waren einfach ganz normal geschädigt.“
Kurt erzählte, dass es ganze zwei Typen in der Schule gegeben hatte, mit denen er sich eine Freundschaft auch nur vorstellen hätte können. Die beiden waren zumindest so cool, dass sie sich für Oingo Boingo, die verrückte New Wave Band aus Los Angeles, interessierten. „Aber sonst waren sie totale Idioten“, sagte Kurt. „Typen, die sich beim Footballspielen das Gesicht anschmierten,“
Die Highschool war für Kurt eine einzige Einöde, die aus drei Klassen bestand: den Angepassten, den Mathematiktrotteln und den Kiffern. Kurt war den Mädchen in der Aberdeen High wegen seiner neckischen Grübchen und blauen Augen aufgefallen, sie hielten ihn für süß. „Irgendwie mochten sie mich“, sagte Kurt, „aber ich mochte keine Einzige – sie waren einfach dumm.“ Und weil die Mädels Kurt mochten, versuchten sich auch noch deren sportliche Freunde bei ihm beliebt zu machen, aber Kurt ließ auch sie abblitzen.
Blieben nur mehr die Kiffer. „Ich hasste sie zwar, aber zumindest interessierten sie sich für Rock’n’Roll.“ Also zog sich Kurt ihre typische Uniform an – die Jeansjacke mit Vliesfutter, die sich unter den jungen Drogenfreaks auch heute noch großer Beliebtheit erfreut – und begann sich beim örtlichen Raucher-Treffpunkt in einem Schuppen herumzutreiben. Er sprach kaum mit jemandem; er war so verschlossen, dass man ihn manchmal sogar für einen Drogenfahnder hielt.
Nachdem er wieder nach Aberdeen gezogen war, hatte Kurt den Kontakt zu den Melvins verloren. Aber im Raucherschuppen lernte er einen Musikfan namens Dale Crover kennen. Auch Chris kannte Crover, von dessen Jam Sessions mit Robert, seinem jüngeren Bruder. Als die Melvins einen Schlagzeuger benötigten, schlug Chris Crover vor, und er wurde es auch. Und weil Kurt Crover kannte, kam er wieder in den Kreis rund um die Melvins.
Die Melvins hatten ihr Probenquartier in einem Extrazimmer im Haus von Crovers Eltern. Wie jeder Standort zuvor wurde auch dieser Anziehungspunkt für eine Runde von Kiffern aus Aberdeen, die „Cling-Ons“ (Wortspiel: to cling on – anhaften, aber auch die Klingonen aus der TV-Serie StarTreck) genannt wurden. Sie trugen Glockenhosen und gesteppte Jacken mit Zipptaschen, damit ihnen niemand ihren Stoff stehlen konnte. „Sie waren die klassischen Comic-Kiffer-Metalheads“, erinnerte sich Kurt. „Einfach witzig – sie hatten Pickel, keine Zähne und stanken nach Dope.“
Für die Cling-Ons waren die Proben der Melvins die einzige Unterhaltung, die es gab. „In Aberdeen konnte man nichts tun außer Bier trinken, Gras rauchen und den Teufel anbeten“, kicherte Crover. „Es gibt dort einfach nichts. Außer viel Fernsehen.“
Der Probenraum selbst war vollgepflastert mit Postern von Kiss, Mötley Crue und Ted Nugent, herausgerissenen Seiten aus der Zeitschrift Circus und Bildern von nackten Frauen, denen sie andere Köpfe aufgeklebt hatten (ein Motiv, das später auch auf einem Nirvana-T-Shirt auftauchen sollte). Besucher mussten das Haus durch den Hintereingang betreten, dann ging es durch ein winziges Zimmer in den Probenraum. Bei den Proben selbst wollte Buzz nicht viel Publikum, die Cling-Ons begnügten sich daher damit, im Hinterhaus herumzuhängen. Die Melvins probten drei oder mehr Stunden am Tag, aber sie machten ungefähr alle 20 Minuten eine Pause, weil ein Bandmitglied mit einem der Cling-Ons Geschäfte machen musste.
Kurt spielte einmal bei den Melvins vor, aber das war ein Reinfall. „Ich habe es total verpatzt“, sagte Kurt. „Ich war so nervös, dass ich alle Songs vergaß. Ich konnte buchstäblich keine einzige Note spielen. Ich stand nur da mit meiner Gitarre und hatte einen hochroten Kopf.“
Das war jedoch nicht weiter schlimm, denn Kurt schrieb schon seine eigenen Songs und nahm sie auch auf. Matt Lukin erinnerte sich an ein Tonband mit Kurts Eigenkompositionen – nur Gitarre und Gesang. „Sie waren wirklich recht gut, erzählte Lukin. „vor allem für einen in Aberdeen in seinem Alter – die meisten anderen wollten nur Judas Priest spielen. Wir fanden es auf jeden Fall ungewöhnlich, dass da einer seine eigenen Songs schrieb und diese lieber spielte als Mötley Crue.“
Buzz Osborne brachte dann Kurt Cobain endgültig zum Punkrock. Er stellte ein paar Bänder zusammen, hauptsächlich mit Bands aus Südkalifornien wie Black Flag, Flipper und MDC. Das erste Lied auf dem ersten Band war „Damaged 11“ von Black Flag, eine einzige Attacke von schreienden Gitarren und schepperndem, mörderischem Schlagzeug. Die Nummer quoll über vor Hass. „Damaged by you, damaged by me/ I’m confused, I’m confused/ Don’t want to be confused“, brüllte der Sänger Henry Rollins.
Kurt war elektrisiert. „Es war, als hätte ich Musik von einem anderen Planeten gehört. Ich brauchte ein paar Tage, um damit fertigzuwerden.“ Am Ende dieser Woche war er ein überzeugter und selbsternannter Punkrocker. „Ich spürte, dass diese Sachen klarer und wirklichkeitsnaher waren als die durchschnittlichen Rock’n’Roll-Texte.“
Kurze Zeit später, im August 1984, fuhren Kurt, Lukin, Osborne und noch ein paar andere nach Seattle, um sich im Mountaineer Club ein Black-Flag-Konzert im Rahmen der Slip It/w-Tour anzuschauen. Um genug Geld für ein Ticket aufzutreiben, verscherbelte Kurt seine Plattensammlung – sie bestand damals aus Platten von Joumey, Foreigner oder Pat Benatar – um zwölf Dollar. „Es war wirklich toll“, sagte Kurt über die Show. „Ich war auf der Stelle bekehrt.“
„Es war gut für mein schwach ausgebildetes Selbstbewusstsein, dass ich ein Punkrocker wurde, denn es half mir, von der Zielvorstellung des Rockstars wegzukommen. Ich wollte gar kein Rockstar mehr werden“, erzählte Kurt. „Es war ein ewiger Balanceakt zwischen Wollen und Nicht-Können auf der einen und gleichzeitiger Gleichgültigkeit auf der anderen Seite. Dennoch wollte ich mich beweisen. Ziemlich verwirrend. Ich bin sehr froh, dass ich mich damals dem Punkrock verpflichtet habe, das gab mir einfach die paar Jahre, die ich benötigte, um mein Weltbild in Ordnung zu bringen. Dass ich Punk entdeckt habe, das war wirklich ein Gottesgeschenk.“
Osborne zeigte ihm auch einen Weg, wie er mit seiner Umwelt fertigwerden konnte. „Er hatte eine Art, mit den Rednecks umzugehen, die mir unheimlich imponierte“, sagte Kurt. „Seine Einstellung inspirierte mich sehr, sie lautete ungefähr: Geh ihnen auf die Nerven, so viel du nur kannst. Wir gingen auf die Parties der Sportstypen, hängten uns dort an die Fersen der großen Muskelmänner und spuckten ihnen auf den Rücken. Wir schrieben dreckige Sprüche auf die Wände, nahmen die Eier aus dem Kühlschrank und legten sie ins Bett des Gastgebers. Wir versuchten, so viel Schaden wie möglich anzurichten.“
Dann lernte Kurt Jesse Reed kennen. Er bezeichnete ihn als „den einzigen netten Freund, den ich in Aberdeen finden konnte“, außer einem weiteren sympathischen Jungen namens Myer Loftin.
Kurt begegnete Loftin im Kunstunterricht. Sie taten sich zusammen, nachdem sie entdeckt hatten, dass sie sich für dieselbe Art Musik interessierten – alles von AC/DC über Aerosmith und Led Zeppelin bis zu Punkrock. Auf Loftin wirkte Kurt „wie ein gewöhnlicher netter Junge mit Blue Jeans und ordentlichem Haarschnitt.“ Es überraschte ihn sehr, dass Kurt Musik machte. „Er war so sanftmütig und still“, sagte Loftin. „Sehr angenehm, sehr ernsthaft.“ Sie wurden gute Freunde.
Kurt fiel zunächst nicht auf, dass Loftin homosexuell war. Loftin eröffnete es ihm sehr bald. „Er sagte: Ist schon gut, du bist noch immer mein Freund, ich liebe dich noch immer, kein Problem“, erinnerte sich Loftin. „Und wir umarmten uns.“
Loft in übernachtete manchmal bei Kurt, und Wendy, ganz die „coole Mutter“, ließ ihnen im Haus freien Lauf, solange sie bis zum nächsten Morgen nicht wegfuhren. Einmal kam Wendy heim und erwischte sie beim Haschischrauchen. In einem sinnlosen Anfall, Kurt davon abzubringen, stopfte sie sich seinen ganzen Vorrat in den Mund, schluckte ihn und wurde davon völlig stoned. Außerdem wurde ihr sterbensübel. An ruhigeren Abenden blieben sie einfach in Kurts Zimmer, und Kurt brachte Loftin Led-Zeppelin-Riffs auf der Gitarre bei.
Aber es war schwieriger, sich mit jemandem sehen zu lassen, der seine Homosexualität offen zugab, als Kurt geglaubt hatte. „Die Leute starrten mich noch seltsamer an als gewöhnlich.“ Man begann, ihn zu schikanieren. Fast immer passierte es in der Turnstunde. Wenn alle umgezogen waren, war es unausweichlich, dass irgendwer Kurt einen Schwulen nannte und ihn gegen einen Garderobekasten stieß. „Sie fühlten sich wohl bedroht, weil sie nackt waren und mich für homosexuell hielten“, sagte Kurt. „Sie hatten also zwei Möglichkeiten: ihre Schwänze zu verstecken oder mich zu prügeln. Oder beides.“
Das Leben in der Highschool wurde immer härter für Kurt. Die Sportsknaben verfolgten ihn oft am Heimweg und rannten hinter ihm her. Manchmal erwischten sie ihn. Jeden Tag nach der Schule“, sagte Kurt, „drückte mich ein bestimmter Kerl in den Schnee und setzte sich auf meinen Kopf.“ „Als Folge davon wurde ich langsam stolz darauf, homosexuell zu sein, obwohl ich es gar nicht war. Der Konflikt machte mir wirklich Spaß. Es war sehr aufregend, weil ich ganz nah an mein wirkliches Selbst herankam. Ich war ein besonderer Ausgeflippter. Ich war nicht ganz der Punkrocker, der ich sein wollte, aber ich war immerhin besser als der Durchschnitts-Freak.“
Letztlich wurde der Druck aber doch zu groß, und eines Tages kam Kurt sichtlich niedergeschlagen zu Loftin und teilte ihm mit, dass er die Freundschaft beenden müsste. Es hatte einfach zu viele Erniedrigungen verursacht, der „Freund eines Schwulen“ zu sein. Loftin verstand, und ihre Wege trennten sich.
Kurt hatte im neunten Jahrgang begonnen, Haschisch zu rauchen, und rauchte bis zum Abschlussjahr täglich. Im letzten Jahr wartete er damit immer bis zur Dunkelheit. „Ich wollte meine ohnehin vorhandene Paranoia nicht noch durch Pot verstärken“, sagte er darüber.
Er wurde in der Schule immer schlechter und begann mit dem Schwänzen einzelner Fächer. Der dauernde Schulwechsel war nur ein Teil des Problems. „Der Hauptgrund war, dass ich die Lehrer so sehr hasste. Es gab diesen religiösen Fanatiker, ein apokalyptischer Rassist. Er unterrichtete Sozialkunde und tat nichts, außer unsere Zeit damit zu verschwenden, seine Offenbarungen in die Geschichte hineinzuschmuggeln. Er war ein Verfechter des kalten Kriegs der Achtziger – die Russen kommen, so ein Verbreiter der Reagan-Mentalität. Ein Hurensohn. Ich wollte ihn andauernd nur umbringen. Ich stellte mir vor, wie ich ihn vor der versammelten Schulklasse umbringen würde. Der Rest der Klasse kaufte seine ganzen Redensarten, sie schluckten den ganzen Mist. Es war unglaublich, dass so viele das einfach hinnahmen.“
Kurt probte auch daheim den Aufstand. „Er wollte zwar im Haus wohnen, aber nicht Teil der Familie sein“, sagte Wendy. „Er nörgelte über alles, was ich von ihm wollte, dabei war das gar nicht viel.“ Gleichzeitig räumte Wendy ein, dass ihre Geduld mit Kurt nicht sehr lang anhielt, weil sie auch mit Pats Trunksucht zu kämpfen hatte. Sie übertrug einen Teil ihrer Wut auf ihre Kinder.
Einige Monate lang ging Kurt mit „einer Kifferin“, einer sehr hübschen jungen Frau namens Jackie. Nach Kurts Worten „hat sie mich nur gebraucht, bis ihr Freund wieder aus dem Gefängnis kam.“
Eines Abends nahm Kurt Jackie mit hinauf in sein Zimmer. Er war knapp davor, seine Jungfräulichkeit zu verlieren. Sie hatten sich gerade ausgezogen, als plötzlich Wendy hereinplatzte, das Licht andrehte und zischte: „Raus mit der Schlampe!“ Kurt flüchtete zu einem Freund und blieb dort so lange, bis dessen Mutter anrief und sagte: „Wendy, ich habe das Gefühl, dein Sohn wohnt bei mir.“
Kurt hörte mit dem Kiffen auf, „als Versuch, meinem Leben eine Wende zu geben“. Dann meldete sich Kurts Stiefmutter und wollte Kurt wieder zu sich holen. Don stellte die Bedingung, dass Kurt mit der Musik aufhören und aus seinem Leben etwas Sinnvolles machen musste, wenn er bei ihnen wohnen wollte. Irgendwie überredete er ihn, seine Gitarre zu versetzen und die Aufnahmsprüfung bei der Navy zu machen. Kurt erzielte beim Test eine hohe Punktezahl, und ein begeisterter örtlicher Rekrutierungsbeamter besuchte sie an zwei Abenden hintereinander. Am zweiten Abend, als sie kurz vor der Unterschrift standen, ging Kurt in sein Kellerzimmer, fand etwas Gras, rauchte es, ging wieder nach oben und sagte: „Nein danke.“ Dann packte er seine Sachen und verschwand. Er war insgesamt nur eine Woche dort gewesen. Die nächsten acht Jahre sollte er seinen Vater nicht sehen.
Don sammelt alle greifbaren Zeitschriftenartikel über Kurt. Er hat ein großes Klebealbum und einen Schrank voller Andenken. „Alles, was ich über Kurt weiß“, sagte Don Cobain, „weiß ich aus Zeitungen und Zeitschriften. Ich habe ihn so erst kennengelernt.“
Wendy schickte Kurt zu dessen Freund Jesse Reed. Er sollte bei dessen Eltern, die Anhänger einer christlichen Sekte waren, wohnen. Kurt war pleite und bot einem örtlichen Dealer seine Gitarre zum Kauf an. Er ließ sie auf Vertrauensbasis in dessen Haus. Eine Woche darauf überlegte er es sich anders, aber der Dealer rückte sie nicht mehr heraus, also musste er monatelang ohne Gitarre auskommen, bis Reed und er sie dem Dealer wieder entwenden konnten.
Kurt war nicht gerade der ideale Gast im Haus der Reeds. „Ich war ein schlechter Einfluß für Jesse“, sagte er. „Ich rauchte Pot und wollte nicht zur Schule gehen.“ Einmal sagte Kurt in einem langen Telefongespräch eine Menge beleidigender Dinge über Jesses Mutter und kam erst beim Aufhängen darauf, dass sie die ganze Zeit auf einem anderen Apparat mitgehört hatte. Das Fass lief über, als sie Kurt eines Tages aus dem Haus gesperrt hatte und er darauf das für ihn einzig Logische tat: Er trat die Tür ein. Kurt erzählte, dass Reeds Vater an die Decke gegangen war: „Kurt, wir haben uns wirklich bemüht, aus dir einen guten Staatsbürger zu machen, aber es funktioniert einfach nicht. Du bist für die Gesellschaft verloren. Also pack lieber deine Sachen zusammen und verschwinde.“ Mrs. Reed erklärte Wendy, Kurt würde Jesse auf den falschen Weg führen“.
Ein spezielles Notprogramm für die Schule funktionierte ebenso wenig. Sechs Monate vor Schulabschluss wurde klar, dass Kurt zwei Jahre Versäumtes nachzuholen gehabt hätte. Sein Kunstlehrer Mr. Hunter hätte ihm sogar die Möglichkeit für ein Kunststipendium am College verschafft, trotzdem entschied er sich im Mai 1985, nur wenige Wochen vor Schulende, zum Ausstieg.
Kurt hatte beschlossen, Musik zu seiner Lebensaufgabe zu machen, doch Wendy hielt das für Zeitverschwendung. „Ich sagte ihm, er sollte lieber ein vernünftiges Leben beginnen“, erzählte Wendy. „Wenn du die Schule schon abbrichst, kümmere dich um einen Job – von uns wirst du nicht ausgehalten.“
Aber Kurt lebte weiterhin von seiner Mutter, bis Wendy eines Tages der Kragen platzte. „Ich sagte ihm: Wenn das nicht besser wird und du nicht bald Arbeit findest, werfe ich dich hinaus. Eines Tages wirst du heimkommen und dein ganzes Zeug in einer Schachtel verpackt finden!“ Und so war es auch. Eines Tages kam Kurt von einer Probe der Melvins heim und fand seine ganze Habe in Kartonschachteln im Speisezimmer. „Ich versuchte es mit Liebe durch Härte“, sagte Wendy. „Das kam damals gerade auf, und ich wollte es an ihm ausprobieren.“
Kurt zog zusammen mit Jesse Reed in eine Wohnung in Aberdeen. Für die Kaution verwendete er einen Teil der Alimente von Don, für die Miete arbeitete er in einem Restaurant in einem der Erholungsgebiete an der Küste Washingtons. Er versuchte, Reed zum gemeinsamen Musikmachen zu bringen. Bei ihrer allerersten Begegnung war es schließlich um Gitarren gegangen, und Reeds Vater hatte in einer Surfband gespielt, die sogar einige Singles herausgebracht hatte. Als Reed erzählte, dass er eben eine Bassgitarre bekommen hatte, war Kurt begeistert. „Wir spielten einmal zusammen, dabei stellte sich heraus, dass er absolut keine musikalische Begabung hatte“, schwang immer noch die Enttäuschung in Kurts Stimme. „Er konnte nicht einmal ,Louie, Louie‘ spielen.“
Kurt bekam bald einen Job als Hausmeister an der Aberdeen Highschool. Die meiste Zeit verbrachte er mit dem Abkratzen von Kaugummis von der Unterseite der Tische. Es war das Letzte. Eines Tages schmuggelte er einen Karton mit Rasierschaum nach Hause und verzierte damit eine Puppe, bis sie aussah, als wäre sie dem Film Der Exorzist entstiegen. Er ließ die Puppe am Hals aus dem Fenster baumeln, das auf den Gehsteig hinausging, um die Passanten zu erschrecken.
„Die Wohnung war in typischer Punk-Manier dekoriert, mit blutüberströmten erhängten Baby-Puppen an den Wänden und Bier, Erbrochenem und Blut auf dem Teppich. Der Mist stapelte sich monatelang, und ich wusch nie ab. Jesse und ich kochten ungefähr eine Woche lang und setzten dann das fettige Geschirr unter Wasser, und dort blieb es die ganzen fünf Monate.“ Außerdem gab es andauernd Partys, die immer in Rasierschaumschlachten gipfelten.
Am Rande der Proben der Melvins hatte sich Kurt mit Chris Novoselic angefreundet. Chris hatte erwähnt, dass er Gitarre spielte, sie hörten Musik, tranken und machten kleine Super-8-Filme mit Chris’ Kamera. Manchmal kam auch die Freundin von Chris, Shelli, in die Wohnung. Sie waren Ausgestoßene, aber sie waren es wenigstens miteinander. „Wir hatten so viel gemeinsam“, sagte Shelli. „Das Motto war: Wir gegen den Rest der Welt. Es war toll, wir bildeten eine verschworene Gemeinschaft, und nichts konnte uns etwas anhaben. Wir waren viel offener und toleranter als die anderen. Es war wirklich schön.“
Nach drei Monaten zog Jesse Reed aus und ging zur Navy.
Eines Tages hatte Kurt zusammen mit einem Freund, der mit einem Motorroller gekommen war, Acid genommen. Als der Freund etwas von seinem Roller holen wollte, fiel Kurts spießiger Nachbar über ihn her und schlug auf ihn ein, weil der Roller auf seinem Grund abgestellt war. Kurt hörte die Aufregung, lief hinunter und sah seinen Freund flüchten. Der Nachbar schnappte sich Kurt und stieß ihn zurück in die Wohnung, wo er ihn zwei Stunden lang prügelte und misshandelte wie in einem Katz-und-Maus-Spiel. Als er endlich damit aufhörte, sah er erst die verstümmelten Barbie-Puppen, die Zeichnungen der dreiköpfigen Babys, die Graffiti und den ganzen Schmutz und Abfall. Ein Schatten von Angst und Verwirrung kam über sein Gesicht. „Er begann mich auszufragen“, sagte Kurt, „warum ich das alles in meinem Zimmer hätte.“ Wieder malträtierte er Kurt, und der schrie, bis die Vermieterin aus dem unteren Stockwerk lauthals mit der Polizei drohte. Der Kerl verschwand. Die Polizei riet Kurt, es sich nicht gerichtlich mit ihm anzulegen.
Kurt bekam seine Rache. Den ganzen nächsten Monat lang terrorisierten er und seine Freunde den Nachbarn. Sie hämmerten gegen seine Wände, bedrohten ihn mit dem Tod, und der Kerl verkroch sich in seiner Wohnung. Kurt erzählte, dass sie kleine Geschenke an seiner Eingangstür hinterließen, wie eine Sechserpackung Bier mit LSD versetzt oder die Zeichnung eines erhängten Rednecks.
Kurt blieb noch ein paar Monate, nachdem Jesse ausgezogen war. Es gelang ihm zunächst, die Vermieterin dazu zu bringen, ihm die Miete zu stunden, doch bald bemerkte sie, in welchem Zustand sich das Appartement befand. Das ganze Stiegenhaus war voll mit den Graffiti seiner Freunde, die Wohnung selbst war ein Schlachtfeld.
Kurt konnte die Miete nicht mehr zahlen und zog letztendlich mit einigen Monaten Rückstand im Herbst 1985 aus. Er war arbeitslos, besaß praktisch keinen Pfennig und verbrachte den Winter in der öffentlichen Bibliothek, wo er las und Gedichte schrieb. Am Abend kaufte er eine Packung Bier und ging zu einem Freund, wo sie sich betranken und er dann auf der Couch übernachtete. Manchmal schlief er auch in einem Karton an Dale Crovers Hintereingang, manchmal im Kombi von Chris und Shelli, oder er schlich sich ins Haus seiner Mutter, während sie bei der Arbeit war, und versteckte sich am Dachboden, um dort zu schlafen. Manchmal übernachtete er sogar unter der North Aberdeen Bridge, die in der Nähe von Wendys Haus über den Wishkah River führte.
Als Alleinstehendem standen Kurt Essensmarken im Wert von 40 Dollar pro Monat zu, aber er verwendete sie nur selten für den Kauf von Lebensmitteln. Er und seine Freunde schwärmten in der Stadt aus, kauften überall ein paar Süßigkeiten, und verwendeten das Restgeld für Bier. So eine Operation war die Arbeit eines ganzen Tages.
Er war ziemlich stolz darauf, ohne Arbeit und ohne Zuhause überleben zu können. Seine einzige Beschäftigung war es, Lebensmittel zu stehlen, Fische aus dem Fluß zu fangen, sich Essensmarken zu besorgen und von Zeit zu Zeit von seinen Freunden Makkaroni und Käse zu schnorren. „Ich lebte die Aberdeen-Version eines Punkrockers aus“, sagte Kurt. „Es war ganz einfach. Es war gar nichts im Vergleich dazu, was auf die Kids zukam, die in die Großstadt flüchteten. Es gab auch nie eine bedrohliche Situation, niemals.“ Kurt hätte es gereizt, nach Seattle zu ziehen, aber er traute sich nicht alleine in die große Stadt (schließlich war er bisher kaum über die Gegend Aberdeen-Montesano hinausgekommen), und niemand außer ihm war mutig genug mitzutun.
Manchmal besuchte er Wendy, sie machte ihm dann ein Essen. Sie sagte: „Wegen meiner Schuldgefühle – dass ich ihn verstoßen und zu seinem Vater geschickt habe – habe ich ihn immer verwöhnt. Er kam, und ich kochte schon. Weil ich mich schuldig fühlte, schrecklich schuldig.“
Wendy wurde wieder schwanger und war sehr verzweifelt, weil sie sah, was aus Kurt geworden war. „Ich habe mein erstes Kind komplett verpfuscht, was soll ich also mit einem zweiten?“, erinnerte sie sich an ihre Gedanken. „Und eines Tages, als ich schon hochschwanger war und gerade weinte, kam er und fragte mich, was los wäre, und ich erzählte ihm von dem fürchterlichen Gefühl, ein Kind in mir drinnen und eines draußen auf der Straße zu haben, und er kniete sich einfach hin, umarmte mich und sagte, dass es ihm gut ginge und ich mir keine Sorgen machen müsste und alles gut werden würde.“
In diesem Winter tat sich Kurt mit Dale Crover am Bass und Greg Hokanson am Schlagzeug zusammen, und sie probten ein paar seiner Sachen. Einmal trat das Trio, das Kurt Fecal Matter getauft hatte, im Vorprogramm der Melvins auf in der Spot Tavern von Moclips, einer abgelegenen Kleinstadt an der Küste. Nach einer Weile trennten sie sich von Hokanson, den sie ohnedies nicht sehr gemocht hatten. Die beiden begannen intensiv zu proben, sie wollten ein Demoband aufnehmen. Matt Luk in saß am Steuer des blauen Impala, mit dem sie nach Seattle zu Kurts Tante Mary – der Musikerin – fuhren, denn die hatte schließlich ein Vierspur-Tonbandgerät.
Mary war verblüfft über die Aggressivität in Kurts Gesang. „Sie hatte nie geahnt, dass ich so ein zorniger Mensch war“, sagte Kurt. Er nahm die Gitarren direkt in das Vierspur-Gerät auf – eine klassische Low-Budget-Technik des Punkrock, die er Jahre später bei „Territorial Pissings“ auf Nevermincl wiederverwendete. Sie nahmen sieben Nummern auf mit Titeln wie „Sound of Dentage“, „Bambi Slaughter“ oder „Laminated Effect“ (klanglich ein Mittelding zwischen Neverminds „Stay Away“ und dem MTV-Thema), aber auch eine verlangsamte Instrumentalversion von „Downer“, einer Nummer, die sich später auf dem Album Bleach fand. Das Fecal-Matter-Band enthielt einige der Zutaten, die Kurts spätere Musik auszeichneten – vor allem die ultraharten Gitarrenriffs, aber auch die atemberaubenden Tempi und die eigenartig knorrige und griesgrämige Art, einen Song aufzubauen – mit Anleihen sowohl bei den Melvins als auch bei Metallica. Man konnte noch nicht gerade von starken Melodien sprechen, und Kurts Gesang wechselte zwischen einem rauen Bellen und einem Gekreische, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Später probte Kurt das Fecal-Matter-Material mit Buzz Osborne am Bass und dem früheren Melvins-Schlagzeuger Mike Dillard, doch dann verlor Dillard das Interesse, und das endgültige Aus für das Projekt kam, als, so Osborne, „Kurt nicht mehr wollte, weil ich mich weigerte, eine Bassverstärkeranlage zu kaufen, und er mir daraufhin vorwarf, dass es mir nicht wichtig genug wäre.“
Kurt hatte in der Aberdeen Highschool einen Hardcore-Partygänger namens Steve Shillinger kennengelernt, dessen Vater dort Englischlehrer war. Shillinger war Kurt erstmals aufgefallen, weil er „Motorhead“ auf seine Mappe geschrieben hatte. Shillinger erinnerte sich an die Aufnahmen von Kurt mit Titeln wie „Suicide Samurai“ als „wirklich miese Heavy-Metal-Songs“. Bei ihrer ersten gemeinsamen Unternehmung – einem Metal-Church-Konzert – ließ ihn Shillinger sitzen, weil „es nicht genug zu saufen gab und ich ihn nicht so gut kannte.“
Steve Shillingers Freunde hatten die Gastfreundschaft seiner Eltern bereits überstrapaziert, also machte sich Kurt an seinen Bruder Eric heran. Die Shillingers hatten fünf Söhne und eine Tochter, und so war es keine Schwierigkeit, noch jemanden durchzufüttern. Im Endeffekt blieb Kurt ab dem Spätwinter 1985 acht Monate dort und verrichtete wie alle anderen seinen Teil der Hausarbeit.
Eric spielte auch Gitarre, und Steve Shillinger schwor, dass Eric und Kurt mit ihren Gitarren gemeinsam eine besonders markante Stelle von Iron Maidens „Rhyme of the Ancient Mariner“ über die Stereoanlage gespielt hätten. Sowohl Eric als auch Kurt bestritten das entschieden, aber Shillinger meinte: „Leute verleugnen oft ihre Vergangenheit.“
Die Shillingers hatten schon öfters „Herumstreuner“ aufgenommen, und normalerweise tauchte einen oder zwei Tage später ein besorgter Elternteil auf und fragte nach, ob ihr Kind da wäre. Diesmal nicht. Lamont Shillinger sagt: „Wir hörten nicht ein Wort von Kurts Mutter, solange er hier war.“
Im darauffolgenden Sommer intensivierte Kurt seine Laufbahn als Graffiti-Macher. Er war ein Vandale, seit er im siebten Jahrgang zu saufen begonnen hatte, aber das Werk dieses Sommers war, wie Kurt sagt, „das ultimative Statement“. Er zog sich tagsüber das Rock for Light-Album von den Bad Brains hinein, und am Abend betrank er sich und warf Acid-Trips – so ging das den ganzen Sommer lang. Er, Osborne, Steve Shillinger und andere begannen, mit Markerstiften bewaffnet, die Seitenstraßen von Aberdeen zu durchstreifen. Dabei schrieben sie Provokationen wie ABORT CHRIST oder GOD IS GAY auf die Wände oder besprühten Allrad-Jeeps (vor allem die mit Gewehrhalterungen) mit dem Wort QUEER (Schwuler), um die Rednecks zur Weißglut zu bringen. Oder sie schmierten, einfach um die Leute zum Narren zu halten, absichtlichen Nonsens irgendwohin.
Eines Abends entdeckten sie ein riesiges, reich verziertes Pink-Floyd-Graffito, das jemand mit großer Hingabe verfertigt haben musste. Dessen Minuten waren gezählt. „Wir waren überzeugte Punks“, erklärte Shillinger, „und wir hatten Spraydosen.“
Kurt hatte eine in Silber und Shillinger eine in Schwarz. Shillinger sprayte „Black“ über „Pink“, und Kurt sprayte „Flag“ über „Floyd“. „Die Hippies waren den ganzen restlichen Sommer hinter uns her“, sagte Shillinger voller Schadenfreude. „Wir waren wie gejagte Untergrund-Helden.“
Einmal war Kurt mit Osborne und Chris, der gerade HOMO SEX RULES auf die Wand einer Bank geschrieben hatte, auf einer Spraytour, als plötzlich aus dem Nichts heraus ein Polizeiauto auftauchte und Kurt im Scheinwerferkegel hatte. Chris und Osborne liefen weg und versteckten sich in einer Mülltonne, aber Kurt wurde erwischt und auf der Polizeistation verhört. Das Protokoll zählte den Inhalt seiner Taschen auf: ein Gitarrenplektrum, ein Schlüssel, eine Dose Bier, ein Ring und eine Kassette der militanten Punk-Band Millions of Dead Cops. Er bekam eine Geldstrafe von 180 Dollar und dreißig Tage auf Bewährung.
Vandalismus war nichts Neues für Kurt. Schon in der Highschool waren Kurt und seine Freunde hinter leerstehenden oder halbbewohnten Häusern her, brachen dort ein und zerstörten alles, was sie finden konnten. Kurt hatte schon lange ein bestimmtes Haus mieten wollen, das ihm als idealer Probenraum erschienen war, weil es abgeschieden mitten in einem Feld stand, aber der Besitzer hatte sich stets geweigert und an jemand anders vermietet. Eines Abends ging Kurt mit einem Freund von einer Party nach Hause, und sie bemerkten, dass das Haus wieder einmal leerstand. Sie brachen ein und wurden zu Berserkern, rissen alles heraus, zerbrachen jedes einzelne Fenster und zertrümmerten alles, was es sonst noch gab, mit herumliegenden Hantelscheiben. „Ich habe meine Revanche bekommen“, sagte Kurt.
Schließlich nahm Kurt eine Stelle als Hausarbeiter beim YMCA an, nur etwa einen Block entfernt von Shillingers Haus – vor allem, weil er sich einiges an Musikausrüstung kaufen wollte, falls er doch eine Band finden würde. Morgens spazierte er zur Arbeit, meldete sich bei seinem Boss und ging dann wieder nach Hause, um den ganzen Tag herumzusitzen, fernzusehen und zu trinken, bis die Arbeitszeit vorbei war. Manchmal musste er die Graffiti entfernen, die er selbst in der vorhergehenden Nacht angebracht hatte. Kurze Zeit später bekam Kurt den einzigen Job, den er wirklich geliebt hat: als Schwimmlehrer für Kinder im Alter zwischen drei und sieben.
Kurts erster Live-Auftritt fand zusammen mit Dale Crover am Schlagzeug und Buzz Osborne am Bass in der GESCCO Hall statt, einer schuppenartigen Auftrittsmöglichkeit in Olympia, die auf dem Gelände des Evergreen State College steht. Der Auftritt bestand im Grund darin, dass Kurt seine Texte zu improvisiertem Heavy Rock brüllte. Das Trio nannte sich eigentlich Brown Towel, aber ein Druckfehler machte daraus auf dem Plakat Brown Cow. Kurt war extrem nervös. „Ich musste mich betrinken. Ich schüttete mich mit Wein voll.“
Es gab nur wenige Zuschauer, und die Reaktionen waren matt, aber zwei Leute im Publikum waren hingerissen: Slim Moon – ein Szenemacher im Olympia – und sein Kumpel Dylan Carlson, ein selbsternannter Intellektueller und Gitarrist in den verschiedensten Bands der Gegend. Die beiden kannten Kurt als Begleiter des Melvins-Trosses, aber jetzt war er plötzlich mehr. „Unser Eindruck von Kurt änderte sich damals völlig – vom New Waver aus dem Melvins-Clan zu einem, der wirkliches Talent hatte“, meinte Slim Moon. Carlson, der jetzt die eine Hälfte des Ultra-Heavy-Gitarrenlärm-Duos Earth ist, ging nachher zu Kurt und sagte ihm, die Show wäre eine der besten gewesen, die er jemals gesehen hätte. Sie trafen einander daraufhin immer wieder bei Shows in Olympia und wurden bald enge Freunde.
In der Zwischenzeit hatte Kurt begonnen, mit einem Dealer namens Grunt herumzuhängen. „Er war so etwas wie Drogenteufel und -gott zugleich.“ Grunt war ein widerlicher Typ, aber die Leute suchten seine Gesellschaft, weil er fähig war, praktisch jede Art von Drogen zu besorgen. Damals wusste es niemand, aber er organisierte einen Großteil seiner Ware durch Apothekeneinbrüche mit seinem Liebhaber, einem homosexuellen Strichjungen. Grunt versorgte Kurt mit Percodan, einem Stück für Stück in Folie verpackten Schmerzmittel auf Opiatbasis, und verlangte von ihm nur einen Dollar pro Tag. Kurt mochte Percodan, weil es ihn „entspannte“. „Es war der schönste euphorische Zustand, in dem ich jemals war. Es war wie schlafen. Ich war so nahe am Schlaf, wie ich nur sein konnte, ohne tatsächlich schlafen zu müssen.“
Kurt war so naiv, dass er nicht wusste, dass Percodan süchtig machte, und wurde abhängig, ohne es zu bemerken. Am Ende nahm er bis zu zehn Percodan am Tag und wurde „richtig gierig“. Nach etwa zwei Monaten versiegte Grunts Quelle, und Kurt hatte einen Entzug. „Es war nicht so schlimm“, sagte er. „Ich hatte Durchfall und lag ein paar Tage schwitzend in Erics Bett.“
Eines Abends nahmen Grunt und Kurt zusammen Heroin. Grunt gab ihm die Spritze. „Es machte mir Angst“, sagte Kurt. „Aber ich hatte es immer schon tun wollen, ich wusste, dass ich es einmal tun würde.“ Er war sich nicht sicher, warum er davon so überzeugt war. „Ich weiß nicht. Ich wusste es einfach.“
Außerdem hatte er bis dahin schon so ziemlich jede Droge mit Ausnahme von PCP genommen („Ich hatte von Leuten gehört, die darauf völlig durchdrehten und von Häusern heruntersprangen“). Heroin war die endgültige Sache. Ein weiterer Grund für seine Anziehungskraft lag im dekadenten Glanz, den die Droge durch ihre Verbindung mit Rockstars wie Keith Richards und Iggy Pop erhalten hatte. „Iggy Pop war mein absolutes Idol“, sagte Kurt. „Ich wollte es einfach probieren, weil ich wusste, dass ich Opiate mochte. Und Heroin war in Aberdeen so selten am Markt, dass ich die Gelegenheit sofort ergriff.“ Kurt wusste, dass er kaum abhängig werden würde, da es in Aberdeen keine ständige Quelle gab.
Die mit Heroin verbundene Illusion von Euphorie war vielleicht auch ein Punkt, jede Euphorie war in Kurts Leben eine Seltenheit. Schon in der Highschool hatte ihn seine Umwelt so aus der Fassung gebracht, dass er mit nervösen Ticks reagierte – mit den Knöcheln knacken, im Gesicht herumkratzen, die Haare wild schütteln. Seine Augen zuckten. Er hatte schon gefürchtet, schizophren zu werden.
„Es war eine Mischung aus Hass, weil die Leute meinen Erwartungen nicht gerecht wurden, und dem Überdruss, es immer mit den selben Idioten zu tun zu haben“, sagte er. „Meine Feindseligkeit gegenüber allen stand mir buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Ich hatte diese Rachegefühle, weil sie alle so machomäßig und dumm waren. Es begann mir langsam selbst aufzufallen, dass die Leute diese Ausstrahlung bemerkten.“.
Kurt war überzeugt, dass jeder von seiner Einstellung wusste, und das machte ihn nur noch mehr neurotisch. Er wurde immer paranoider, weil er überzeugt war, dass jeder wusste, dass er jeden Moment durchdrehen konnte. „Sie dachten, dass ich wohl der Einzige wäre, der es wirklich fertigbrächte, ein AK-47-Gewehr in die Schule zu bringen und alle wegzupusten“, sagte Kurt. „Ich hatte die Aura, dass ich eines Tages explodieren könnte, also blieben mir die Leute vom Leib.“
Opiate wie Percodan verschafften Kurt Linderung; wenn er Opiate nahm, hasste er die Menschheit nicht mehr so sehr. „Ich bekam ein bisschen Gefühl für sie und konnte zumindest ein Stück hinter ihre Fassaden blicken und sie als wirkliche Menschen betrachten“, sagte er. „Vielleicht hatten sie eine verpfuschte Kindheit, oder ihre Umwelt hatte sie so gemacht. Die Opiate nahmen einen Teil der Feindseligkeit weg. Das war nötig, weil ich davon müde war, andauernd nur zu hassen. Sie erlaubten mir einige Tage Seelenfrieden.“
In der Zwischenzeit hatte Kurts und Erics Freundschaft zu bröckeln begonnen, vermutlich wegen ihrer musikalischen Rivalität. Die Gegensätze bauten sich immer mehr auf, bis Kurt, Eric und Steve Shillinger eines Abends – acht Monate, nachdem Kurt eingezogen war – von drei verschiedenen Partys heimkamen – alle waren ziemlich betrunken. Steve meinte, es wäre um ein Stück Pizza gegangen, Kurt glaubte, es wäre passiert, weil er schlafen und Eric fernsehen hatte wollen – egal, aus irgendeinem Grund brach ein Kampf zwischen Kurt und Eric aus. Kurt rief zwar mittendrin eine Zigarettenpause aus, aber die Schlägerei wurde dann im Hinterhof fortgesetzt. „Es war sogar Blut an den Wänden“, sagte Steve. „Ich möchte mich nicht festlegen, wer gewonnen hat – ich weiß nur, dass es sehr blutig und schlimm war.“
Als es vorbei war, zog Kurt überstürzt aus. Schon am nächsten Tag zahlte er Steve Shillinger zehn Dollar dafür, dass er seine Sachen in Müllsäcke stopfte und sie zu Dale Crovers Haus brachte. Kurt blieb einige Tage bei Buzz Osborne und zog dann für kurze Zeit wieder zu Wendy.
Mr. Shillinger bot Kurt an zurückzu kommen, aber Kurt lehnte ab und ging wieder unter die Brücke, wo er von Zeit zu Zeit Fische fing und sie verzehrte, bis ihm eines Tages jemand erklärte, dass sie giftig wären. Manchmal schliefer auch in einer Wohnung über dem Schönheitssalon von Chris’ Mutter. Er musste dort allerdings um sieben Uhr aufstehen und verschwinden, ehe sie zur Arbeit kam.
Im Herbst 1986 brachte Kurt Wendy dazu, Geld für eine klapprige Hütte auszulegen, die nur einige hundert Meter von ihrem Haus entfernt stand. Sie war für nur hundert Dollar im Monat zu mieten, wahrscheinlich, weil vorne schon die Veranda abbröckelte. „Es war so ziemlich die unterste Kategorie von Haus“, erinnerte sich Kurt, aber es war zumindest seines. Es hatte zwei kleine Schlafzimmer und zwei kleine Wohnzimmer. Sein Mitbewohner wurde der Bassist der Melvins, Matt Lukin, ein gelernter Tischler. Lukin musste eine Menge tischlern, damit der Schuppen überhaupt bewohnbar wurde.
Wie üblich spielte Hygiene keine große Rolle. Wer ein Bier trank, warf die Dose einfach auf den Boden. Und nachdem ziemlich viel gefeiert wurde, war der Boden bald mit Party-Abfällen bedeckt. Sie hatten keinen Kühlschrank, also verstauten sie das ganze Essen in einer ausgesteckten alten Gefriertruhe auf der hinteren Veranda. Sie kochten mit einem Toaster. Manchmal kam Wendy vorbei und brachte Essenspakete.
Eines Tages kaufte Kurt sechs Schildkröten und brachte sie in einer Badewanne mitten im Wohnzimmer unter. Ein Terrarium, das mit der Wanne verbunden war, nahm fast den gesamten Rest des Raums ein. Lukin sorgte für die nötige Entwässerung, indem er ein Loch in den Boden bohrte, durch den das gesamte Hamburger-Fett-faulige-Schildkröten-Scheiße-Abwasser einfach abfließen konnte. Aber das Fundament war schon so verrottet, dass das Wasser sich bald wieder in den Fußboden sog. „Man muss wohl nicht eigens erwähnen, dass es ziemlich stank“, sagte Kurt.
Kurt hatte eine besondere Vorliebe für Schildkröten. „Sie haben eine Anziehungskraft, die ich nur schwer beschreiben kann“, sagte er. „Schildkröten haben diese ,Scheiß-drauf-Einstellung – ,Ich bin eingesperrt, mir geht’s dreckig, ich hasse euch, und ich werde euch nicht unterhalten.‘“
Außerdem gibt es noch den schützenden Panzer. „In Wahrheit hilft dieser Panzer nicht viel“, betonte Kurt. „Er ist Teil des Rückgrats und sehr empfindlich – wenn man auf den Panzer schlägt, tut es ihnen weh, er ist nicht die schützende Hülle, die jedermann darin sieht. Wenn sie auf den Rücken fallen, zerbricht er, und sie sterben. Es ist, als würde man sein Rückgrat außen am Körper tragen.“
Kurt bekam einen Job als Hausmeister und Hilfskraft im Polynesian Hotel in Ocean Shores, einem knapp zwanzig Meilen von Aberdeen entfernten Erholungsgebiet. Wiederum bemühte er sich nicht gerade, seine Arbeit gut zu machen. Anstatt zu reinigen oder Reparaturen durchzuführen, ging er einfach in ein freies Zimmer, drehte den Fernseher an und machte ein Nickerchen.
Kurt war immerauf der Suche nach einem billigen neuen High. „Damals hatte keiner von uns genug Geld für Kokain oder ähnliches Zeug“, erinnerte sich Lukin. „Viele waren auf Hustensirup und holten sich so ihren Rausch. Und ich erinnere mich an einen, der Aspirin in rauen Mengen aß und davon high wurde.“
Viele der Kids in Aberdeen nahmen damals Acid, ganz zu schweigen vom ziemlich starken selbst angebauten Marijuana – es hatte den unerklärlichen Spitznamen „Affy Bud“. Lukin, Jesse Reed, Kurt und ein paar andere Kiffer saßen eines Abends herum und beklagten sich, wie öde die üblichen Highs langsam wurden. Plötzlich fielen Reed die Rasierschaumdosen ein, die Kurt begleiteten, seit die beiden zusammengewohnt hatten. Am Boden jeder Dose war ein kleines Ventil mit Treibgas. Wenn man das einatmete, hatte es eine ganz gute Wirkung. Die Hersteller änderten diese Konstruktion übrigens später, um den Missbrauch zu stoppen.
Das Problem war, dass meistens der größte Teil des Gases verlorenging, also zeigte ihnen Reed eine Konstruktion mit einer leeren Toilettenpapierrolle, bei der man mit einem Schraubenzieher die Dichtung aufbrach und so das ganze Zeug wie mit einer Pfeife inhalieren konnte. Sie stürmten sofort den 7-Eleven-Supermarkt und kauften so viel Rasierschaum, wie sie nur bekommen konnten. Es gab kurz Panik, als alle davon plötzlich tiefere Stirnmen bekamen, aber das verflog bald wieder, und das High war sehr anständig. „Wir schimpften Kurt, dass er so viel Rasierschaum für seine Puppendekoration im Sommer verbraucht hatte – wir wären ordentlich high davon geworden!“, sagte Lukin.
Und dann kam Kurt eines frühen Wintermorgens zu Wendys Haus. „Mom“, sagte er mit ängstlicher Stimme, „Ich habe meine Hand verloren. Ich habe mich verbrannt, sie ist einfach weg.“ Er brach in Tränen aus. Er hatte Pommes frites – sein Standardessen – gemacht und sich dabei mit dem heißen Fett schwer verbrannt. „Es war furchtbar“, sagte sie. „Die Hand war komplett verbrannt – es machte mich völlig krank, und ich musste zwei Mal täglich die Bandagen wechseln, und die verbrannte Haut – es war schrecklich.“
Kurt war schon im Krankenhaus bei einem Arzt gewesen. Der hatte die Hand verbunden und ihm gesagt, dass er nie wieder Gitarre spielen würde. Aber Wendy brachte ihn zu einem Spezialisten, den sie von der Arbeit im Grays-Harbor-College-Betreuungsprogramm kannte. Ein paar Jahre später war nicht einmal mehr eine Narbe zu sehen.
Während der Genesung blieb Kurt daheim und versuchte vergeblich, Gitarre zu spielen. Weil er keinerlei Arbeitseinkünfte hatte, musste er monatelang großteils von Reis leben. Manchmal leistete er sich ein gefrorenes Salisbury-Steak als Luxus. „Ich verhungerte fast in diesem Schweinestall“, sagte Kurt, „ich konnte nicht Gitarre spielen, und die Vermieterin kam jeden Tag und verlangte ihr Geld. Es war eine wirklich komische Szene.“ Bald wusste Kurt nicht mehr, wo er wohnen sollte.
Er wollte unbedingt zusammen mit Chris eine Band aufmachen, aber Chris schien nicht sehr interessiert. „Ich sagte immer ganz deutlich, dass ich jemanden suchte, mit dem ich in einer Band spielen konnte“, sagte Kurt, „aber Chris antwortete nie etwas darauf.“ Kurt borgte Chris sogar eine Woche lang seinen Verstärker. Aber Chris reagierte nicht darauf und bat Kurt bald, den Verstärker wieder abzuholen. „Er klang wirklich gut“, sagte Chris, „aber ich gab ihn ihm trotzdem zurück.“
Als Nächstes gab Kurt als deutlichen Wink mit dem Zaunpfahl Chris eine Kopie des Fecal-Matter-Demobandes, aber auch darauf reagierte Chris nicht. Erst ein ganzes Jahr, nachdem die Aufnahme entstanden war, und drei Jahre nach ihrer ersten Begegnung sagte Chris zu Kurt: „Ich habe mir gerade deine Kassette angehört. Sie ist ziemlich gut. Wir sollten eine Band machen.“
Kurt besaß eine Gitarre und einen Peavey-Verstärker. Chris hatte früher selbst einen Verstärker gehabt, aber er hatte ihn Matt Lukin dafür geben müssen, dass er ihn nach einer Rauferei mit ein paar Rednecks auf dem Parkplatz des 7-Eleven von Aberdeen aus dem Gefängnis geholt hatte. Als P.A. verwendeten sie ebenfalls einen Gitarren-Verstärker und ein billiges Mikrophon mit aufgeklebter Membran. Es war ein ziemliches Wrack, aber es funktionierte. Über Mrs. Novoselics Schönheitssalon stand eine Wohnung leer. Dort spielten sie stundenlang – Chris am Bass, Kurt an der Gitarre und ein Junge namens Bob McFadden, der ein Schlagzeug besaß. Unglücklicherweise wurde der Ort, ähnlich wie die Proben der Melvins, bald zu einem Treffpunkt für alle Herumstreuner, bis Chris endlich ein Schild anbrachte: „Das ist kein Schlafsaal. Also raus – wir wollen proben!“
Die Underground-Szene in Aberdeen war so klein, dass sogar Cure-Fans mit ihren Modeklamotten und ins Gesicht hängenden Haaren dabei waren. Chris und Shelli nannten sie den Haircut 100 Club. „Wir hatten kein sehr enges Verhältnis zu ihnen, denn sie waren mehr am modischen Aspekt der Sache interessiert“, sagte Shelli. „Uns interessierte nur das Herumgammeln.“
Aus irgendeinem Grund zerfiel das Projekt nach knapp einem Monat, und die drei gingen getrennte Wege. Chris und Shelli zogen nach Arizona, um dort Arbeit zu suchen.
Kurt mochte die Leute nicht, die bei ihm zu Hause herumhingen. Es waren vor allem minderjährige Trinker, die sich nur vollaufen lassen wollten. Lukins Arbeit als Tischler war alles andere als regelmäßig, also kam es sehr häufig vor, dass er mit seinen Freunden bis in die frühen Morgenstunden feierte, während Kurt morgens aufstehen musste, um zur Arbeit zu gehen. Nach fünf Monaten war Lukin klar, dass er ausziehen musste.
Dylan Carlson erwähnte Kurt gegenüber, dass er arbeitslos war, und Kurt erzählte ihm, dass sie als Teppichleger in einem Hotel in Ocean Shores eine Menge Geld verdienen könnten. Carlson zog in Lukins Zimmer ein, aber er blieb nur zwei Wochen, weil der Teppichlegerjob nie wirklich zustande kam. Am ersten Morgen, an dem sie zeitig nach Ocean Shores aufgebrochen waren, fanden sie den Boss so betrunken, dass er ihnen nicht einmal die Tür öffnen konnte. Beim zweiten Mal war die Tür offen, aber der Boss lag ohnmächtig vor dem Eingang. Carlson gab auf, doch Kurt versuchte es ein drittes Mal. Diesmal kam er zwar hinein, aber der Boss war in einer Bar umgekippt. Aus dem großartigen Job wurde nichts.
Kurt fuhr immer öfter mit den Melvins nach Olympia – ungefähr 50 Meilen östlich von Aberdeen. Als Hauptstadt des Staates war Olympia Standort des Evergreen State College, Auffangbecken für Bohemiens und Außenseiter aller Art und eine Brutstätte abenteuerlicher Independent-Musik. Kurt war fast jedes Wochenende dort, um sich Bands anzusehen. Olympia war zwar nur eine kleine Stadt, aber es gab über die College-Radiostation KAOS, das Op-Magazin (das mittlerweile Option heißt), den Fanzine-Macher Bruce Pavitt und Calvin Johnsons K Records gute Verbindungen zur landesweiten Independent-Szene.
Die Jugendkultur dort konnte nicht viel mit Hardrock anfangen, sie bevorzugte statt dessen eine ziemlich naive Art Musik, die als „Love Rock“ abgestempelt wurde. Sie kam von Jad Fair und Calvin Johnsons Gruppe Beat Happening. Johnson bestimmte die Szene und inspirierte eine wahre Legion an Clones – Kurt nannte sie „die Calvinisten“ –, die sich genauso anzogen und gaben wie er und einen Zustand kindlicher Unschuld anstrebten.
Sie waren eine Gemeinschaft von Außenseitern und wurden sogar von den Punks abgelehnt. Die Calvinisten nahmen keine Drogen – zumindest behaupteten sie das – und trugen das Haar kurz geschoren. Jeder spielte in der Band des anderen, und jeder schlief mit jedem. Sie hatten ihr eigenes Café, ihr eigenes Plattengeschäft, und in Wirklichkeit war KA OS ihre eigene Radiostation. „Sie hatten ihren eigenen kleinen Planeten“, sagte Kurt.
Sie hatten auch ihr eigenes Plattenlabel. Johnson betrieb zusammen mit Candace Peterson K Records, ein kleines Indie-Label, das aber gute Verbindungen hatte und auch fremde Bands mit ähnlicher Gesinnung vertrieb, etwa die Young Marble Giants, Kleenex und die Vaselines.
Kurt war nicht überzeugt vom K-Ethos. Er wollte seine Haare lang tragen und er nahm gerne Drogen. Aber er mochte die Musik und ihre Botschaft. „Sie öffnete neue musikalische Türen für mich, es war Musik, die ich noch nie gehört hatte“, sagte Kurt. „Sie machte mir klar, dass ich jahrelang den Bezug zu meiner Kindheit verloren hatte. Ich hatte versucht, sie zu vergessen. Ich hatte sie vergessen. Die Musik brachte mich dazu, in meine Kindheit zurückzusehen und Erinnerungen daran wiederzuentdecken. Es war eine schöne Erinnerung an unschuldige Tage.“ Kurt ließ sich „als Versuch, mich daran zu erinnern, ein Kind zu bleiben“ das K-Logo, ein K auf einem einfachen Schild, auf seinen linken Unterarm tätowieren.
Kurt blieb noch zwei Monate nach Lukins Auszug in der Hütte und die Miete schuldig.
Zwischenzeitlich traf sich Kurt öfters mit einer jungen Frau namens Tracy Marander. Sie war anders als alle anderen Mädchen, die er kannte. Sie trug einen Mantel mit Zebrastreifen, ihre Haare waren feuerrot gefärbt, und sie lebte in Olympia. Tracy hatte nichts gegen Feten einzuwenden und war auch sonst nicht allzu normal, aber sie war auch sanft und hatte eine mütterliche Natur. Nach einigen Wochen wurde sie Kurts erste ernsthafte Freundin.
Tracy und Kurt waren einander ein Jahr zuvor vor dem Gorilla Gardens, einem mittlerweile aufgelassenen Punkschuppen in der Chinatown von Seattle, erstmals begegnet. Sie hatten einander durch ihren gemeinsamen Freund Buzz Osborne kennengelernt. Sie und ihr Freund waren im Auto gesessen, hatten Bier getrunken und sich mit Buzz und Kurt, die ebenfalls Bier tranken, unterhalten. Das Treffen fand ein abruptes Ende, als Tracy ein paar auf sie zukommende Polizisten bemerkte und sie mit dem Auto verschwanden. Kurt und Buzz blieben übrig und wurden festgenommen.
Tracy hielt Kurt für nett, wenn er auch etwas jung aussah. Er war abgemagert und hatte kurze Haare. „Ich war hingerissen von seinen blauen Augen“, erinnerte sie sich. „Ich hatte noch nie derartig blaue Augen gesehen.“
Nachdem sie sich auch mit Chris und Shelli angefreundet hatte, wurde sie ein Cling-On und traf Kurt ein Jahr später im Haus von Buzz Osbornes Eltern wieder, wo sie dabei waren, als Buzz und Chris Mad Dog tranken. Nachdem Kurt gegangen war, erzählte ihr Buzz, dass es Kurt gewesen sei, der das tolle Kiss-Graffiti mit Magic Markers auf die Seitenfläche des Tourbusses der Melvins – genannt Mel-Van – gemalt hatte. Und immer, wenn ihm ein Stift ausgegangen war, hätte er im Shop-Rite von Montesano einen neuen gestohlen. „Ich fand das ziemlich cool“, sagte Tracy.