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Kapitel 4
Liebeserklärungen statt Belehrungen

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Als mein Freund Gott mich nach zweieinhalb Jahren „Rebellion“ immer noch liebte und nicht belehrte, konnte ich es kaum fassen. Und das kam so.

Nachdem ich Jesus an Fasching 1976 im Kloster mein Leben anvertraut hatte, durchlebte ich eine, wie man so sagt, steile geistliche Karriere. Schnell wurde ich aufgrund meiner strahlenden Begeisterung für meinen Freund Gott Bibelkreisleiter, Frontmann einer evangelistischen Band und baute eine erfolgreiche Teestubenarbeit auf.

Zwar liebte mein Freund Gott es, in all diesen Settings meine Stimme zu hören und mit mir zusammen zu sein, doch hatte all das auch eine dunkle Seite. Bis zu den Ratschlägen in den neutestamentlichen Briefen, dass man Neubekehrte nicht so schnell in irgendwelche Dienste heben soll, war ich nämlich noch nicht vorgedrungen. Und so wuchs mit dem Erfolg der Erfolgsdruck, und das Genießen der Liebe meines Freundes Gott und das Vertrauen auf seine Güte nahmen im gleichen Maße ab.

Während meine Gottesgaben von den Menschen gefördert wurden, blieben meine Seele und meine Freundschaftsbeziehung zu ihm in den Kinderschuhen stecken. Da aber auch ein christlich aufgeblasener Körper auf kleinen Standbeinen, unter den Bedingungen einer gefallenen Welt, nicht dagegen versichert ist, umzukippen, musste ich über kurz oder lang zu Fall kommen. Ich hätte auf meinen Physiklehrer hören sollen, als er mich lehrte, dass die aufgewendete Kraft für die Standfestigkeit umso größer sein muss, je schwerer der Körper ist, je tiefer sein Schwerpunkt liegt und je weiter die Umkippkante vom Schwerpunktlot entfernt ist. Aber wer denkt schon an Physik, wenn er mit den hohen Kräften der Metaphysik jonglieren kann.

Zweieinhalb Jahre lang hatte ich gegen alle Regeln des christlichen Establishments verstoßen, was man mir auch äußerlich ansah. Wo früher kleinkarierte Hemden den Achselschweiß aufhielten und ein Vollbart unter kurzen Haaren mein Vollmondgesicht verhüllte, waren auf einmal lange, gefärbte Haare, Federohrring und Schminke im Gesicht zum Ausdruck meiner endlich wiedergefundenen Freiheit in Gott geworden. Damit eventuell zu provozieren störte mich aber eigentlich weniger als der große Makel, dass ich inzwischen geschieden war. Und auch das hatte ich eigentlich für mich schon mit meinem Freund Gott abgeklärt. Aber ich vertraute seinen anderen Freunden, den Christen, nicht so richtig, und als ich kurz davor stand, meinen „älteren Geschwistern“ wieder zu begegnen, war es wieder voll da, dieses Gefühl, versagt zu haben. Ja, ich hatte es nicht geschafft, trug meinen Schuldanteil daran.

Mein Freund Gott hatte mir vergeben, aber würden es auch die anderen Freunde tun, oder würden sie mir nur in das alte Bild „zurückhelfen“ wollen? Immerhin hatten viele zu mir aufgeschaut und sich in schwachen Stunden an mich angelehnt, bevor ich zusammengebrochen und „umgekippt“ war und in Drogen, Sex, okkulten Praktiken und Psychotherapie nach der „wahren“ Liebe suchte. Dabei hätte ich sehr wohl auch abstürzen und mich verlieren können. Aber dann hatte die Liebe mich gefunden, nicht durch eine Predigt oder eine Kirche, sondern durch die Beziehung zu einer Frau, die Hilfe noch mehr nötig hatte als ich. Stück für Stück tastete sich mein Freund Gott an unseren Wunden entlang zu unseren Herzen vor, um es dann doch in einem Gottesdienst im Sturm zu erobern.

Und dann stand ausgerechnet der von Gottes anderen Freunden direkt vor mir, der mir immer ein Vorbild für Geradlinigkeit und Gerechtigkeit gewesen war. Das Herz sackte mir richtig in die Hose. Wie würde er reagieren auf den neuen, unsicheren, aber freien Mickey? Was würden nach zweieinhalb Jahren seine ersten Worte sein? Ich wäre schon zufrieden gewesen, wenn er nicht die alte Elternfloskel „Na, hab ich’s dir nicht immer gesagt?“ benutzen würde. Ich riss mich innerlich zusammen und forderte meinen Freund Gott heraus: „Jetzt wird sich ja erweisen, was an deiner Liebe dran ist und ob sie wirklich so bedingungslos annimmt, wie du sagst.“


Aber was dann kam, hätte ich mir nie träumen lassen, als dieser geistliche Leiter mich einfach nur in den Arm nahm und sagte: „Schön, dass du wieder da bist, Mickey. Ich habe nie daran gezweifelt, dass wir uns wiedersehen würden.“ Ich schmolz richtiggehend in seinen Armen dahin, fühlte mich wie in einer kitschigen Liebesschnulze ... Aber es passierte wirklich! Keine mitleidigen Blicke, keine gut gemeinten Belehrungen – nach zweieinhalb Jahren einfach nur das und aufrichtige Freude. Das zog meinen Ängsten und Vorurteilen gründlich den Boden unter den Füßen weg. Aber anstatt ins Bodenlose zu fallen, stand ich plötzlich mit einer nie gekannten Standfestigkeit auf dem Boden.

Als wir dann ein wenig miteinander spazieren gingen, erzählte er mir noch, dass er und einige andere alte Freunde von mir die ganze Zeit über gewusst hatten, wo ich war und was ich tat, aber sich all die Jahre immer nur zusammengesetzt hatten, um für mich zu beten. Sie wollten nicht einfach mit dem großen Zeigefinger in meinem Leben auftauchen, sondern wendeten ihre Kraft auf, um unserem Freund Gott selbst zuzutrauen, dass er mich ins Leben zurückbringen würde.

Seit diesem Tag habe ich nie wieder an der Realität der radikalen, bedingungslosen Liebe meines Freundes Gott und der Möglichkeit, sie zu erfahren, gezweifelt. Seit diesem Tag beschäftige ich mich auch wieder stärker mit der Physik des Alltags als mit der Metaphysik des Sonntags. Ich habe begriffen, dass, wie Martin Luther sagt, mein Freund Gott in mir nicht sucht, was er lieben kann, sondern erschafft, was er lieben will. Die radikale Liebe meines Freundes Gott setzt an meinen schwachen Wurzeln an und wendet alle Kraft auf, um meine Standfestigkeit zu vergrößern (vgl. Psalm 40,3 / Psalm 62,3).

Erlebnistipps

1. Halte immer wieder mal inne, so ein Mal im Monat vielleicht, und schau dir an, was du alles gemacht hast. Dann suche nach der Balance zwischen deinen Gaben, dem, was du damit gearbeitet hast, und deiner Seele und wie sie sich in der Freundschaftsbeziehung zu Gott aufgehoben fühlt.

2. Verzichte mal auf Belehrungen bei abgedrifteten Freunden, überwinde deine eigene Angst, sie könnten zur Hölle fahren, und dann bete für sie mit anderen Freunden zusammen.

3. Schau dir bei YouTube an, wie ich diese Geschichte auf der Bühne des Lebens von Gottkennen.de erzähle: www.youtu.be/T-MLyrUViOE

Mein Freund Gott und ich

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