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Eine liberale Familie Ostrów Mazowiecka (Polen), 1939
ОглавлениеVier Fotos habe ich gefunden, auf denen mein Vater vor dem Krieg zu sehen ist. Auf meinem Lieblingsbild spaziert er mit seinen Eltern und seiner Schwester die Brokowska ulica entlang, eine Straße ihrer Heimatstadt, die ein Stück vom Brauereibetrieb und Haus der Familie entfernt verläuft. Hannan geht aufrecht, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Er trägt die Schuluniform von Tarbut, einem Verbund hebräischsprachiger, aber säkularer Schulen, die in der Zwischenkriegszeit in Osteuropa aktiv waren: eine grauschwarze Jacke mit abgestimmter, knielanger Hose und der dazugehörigen Mütze. Zu seiner Linken geht seine Schwester Regina, die ein langärmliges, ebenfalls knielanges Kleid anhat, dazu eine Kappe auf dem Kopf. Gleich hinter den beiden gehen die Eltern: Ruchela trägt einen eng anliegenden Rock, Handschuhe und Hut; Zindel trägt Anzug mit Krawatte und dazu ebenfalls einen Hut, hat eine Brille auf der Nase und (wie auf jedem Foto, das ich von ihm besitze) eine Zigarette zwischen den Fingern. Ein groß gewachsener, kräftiger Mann ohne Hut folgt dicht hinter ihnen, fast wie ein Leibwächter. Ihn kenne ich nicht und habe auch nicht herausfinden können, wer er ist. Ein weiterer Mann ist hinter meinem Vater zu erkennen, aber er hat sich von der Kamera weggedreht, als wollte er nachsehen, wo der Rest der Gruppe bleibt. Das Foto ist nicht datiert, aber dem Alter der Kinder nach zu urteilen kann es kaum früher als 1937 aufgenommen sein. Zufrieden sehen sie aus, gut angezogen und ungezwungen, ihre Augen lächeln. Natürlich können Fotos täuschen, aber in gewissen Hinsichten geben sie doch verlässliches Zeugnis. Das hier ist keine gestellte Aufnahme aus dem Fotoatelier; es ist ein Schnappschuss aus dem Leben einer Familie – meiner Familie. Breit und sauber liegt der Gehweg vor ihnen; ihre Kleidung sieht aus wie frisch gebügelt. Mein Vater wirkt als Zehn- oder Elfjähriger größer als auf dem Foto, das Jahre später im Iran von ihm gemacht wurde. Er erscheint fast so groß wie sein Vater, und das täuscht nicht: Auf allen anderen Gruppenfotos der Familie liegt Zindels Arm auf seiner Schulter auf.
Abbildung 3: Hannan, Regina, Ruchela und Zindel Teitel in Ostrów Mazowiecka.
Ich kenne ihn nicht, den stolzen, vollkommen unbeschwerten Jungen auf dem Foto, und ich erkenne in ihm auch nicht den Mann, der später mein Vater wurde.
Der Junge auf dem Foto ist mein Vater vor dem Holocaust, bevor das Wort „Holocaust“ überhaupt geläufig war. Er spricht Polnisch und Jiddisch, dieser Junge, Sprachen, die ich nicht beherrsche. Ihm scheint das Land seiner Geburt kein bisschen von dem Grauen einzuflößen, das man mir später irgendwie vermittelt hatte, ohne dass ich über dieses Land etwas gewusst hätte. Aber damit war ich nicht allein: Alle heutigen Historikerinnen und Historiker, die sich mit der Geschichte der polnischen Juden befassen, müssen die jüdische Vorkriegszeit in Polen gewissermaßen über die Hürde des Holocaust hinweg lesen, vorbei an den Klippen, die Jahrzehnte der historischen Amnesie und des Revisionismus in Kommunismus und Postkommunismus hinterlassen haben. Alles, was ich auf dem Foto sah – den Stoff, aus dem das alltägliche Leben des jungen Hannan gemacht war –, hatten die Nazis ausgelöscht, und die Erinnerung daran war durch ein gutes halbes Jahrhundert Kommunismus und dessen Nachwirkungen ebenfalls ausgelöscht worden. In der zionistischen Geschichtsschreibung, mit der ich aufgewachsen bin, galt „die Diaspora“ grundsätzlich als dem Untergang geweiht. Als ich diese Sichtweise irgendwann beiseiteschob und mich mit den Arbeiten nicht-zionistischer (zumeist deutscher) Osteuropahistoriker vertraut machte, las ich wiederum durch die Brille von deren Vorurteilen und verinnerlichte das Bild, das sie zeichneten: das Bild einer traditionalistischen, rückwärtsgewandten polnisch-jüdischen Gemeinde, „die nur darauf wartete, von den Vertretern der westlichen Aufklärung und Moderne aus ihrem erbärmlichen Urzustand befreit zu werden“.1 Als Bewohnerin der westlichen Welt bin auch ich mit solchen Vorurteilen über Polen aufgewachsen, ohne jemals dort gewesen zu sein.
Hannans Flüchtlingsjahre haben ihn zweifellos geprägt, aber ich besitze nur wenige fotografische Belege dafür, wie dies im Einzelnen abgelaufen ist: Zwischen Polen und Palästina, zwischen den Familienfotos aus Ostrów und denen aus Haifa, klafft eine gewaltige Lücke. Tatsächlich habe ich außer dem Gruppenfoto aus Teheran, auf dem mein Vater zu sehen ist, überhaupt keine Fotos von ihm, von Regina oder irgendeinem anderen Mitglied der Familie Teitel aus deren Fluchtjahren. Auch öffentliche, allgemein bekannte Bildquellen, die ich hätte heranziehen können, gab es keine – Bilder, die in das kollektive Gedächtnis eingegangen sind wie etwa das ikonische „Foto des Jungen aus dem Warschauer Ghetto“, der mit zur Kapitulation erhobenen Händen auf die Kamera zutritt, oder jenes Foto einer Gruppe befreiter Buchenwald-Häftlinge, das Art Spiegelman in seiner Graphic Novel Maus als Bild in einem Familienalbum aufgreift.
Von den über eine Million Flüchtlingen jener Zeit gab es keine ikonischen Bilder.
Den Jungen, der mein Vater war, bevor er weder Flüchtling noch Israeli geworden war, konnte ich wohl nur anhand des Ortes kennenlernen, aus dem er stammte: einer Kleinstadt von etwa zehntausend Einwohnern im Osten Polens. Noch im Jahr 1857 verzeichneten die polnischen Statistiken für Ostrów eine Einwohnerzahl von 3972, von denen 2412 Juden waren – 62 Prozent aller Einwohner. Für das Jahr 1897 wurden dann schon 7914 Einwohner gezählt, darunter 5910 – oder 75 Prozent – Juden. Eine solche Wachstumsrate war in den Ortschaften im polnischen Nordosten keineswegs außergewöhnlich.2 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war beinahe die Hälfte der städtischen Bevölkerung Polens jüdisch. Die Essenz des städtischen Lebens – die Läden und Geschäfte und Wirtshäuser, vor allem in kleineren Städten wie Ostrów – war jüdisch. Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts war Ostrów eine jener Gemeinden gewesen, von denen der Historiker Gershon Hundert geschrieben hat, dass sie „groß genug waren, um die Alltäglichkeit des Alltagslebens in einem jüdischen Kosmos gestalten zu können“.3 Es ist ein wenig irreführend, wenn man die jüdische Bevölkerung von Ostrów im 19. Jahrhundert (oder auch die von vielen anderen polnischen Städten) eine „Minderheit“ nennt. Aber genau so erinnert man sich heute in Polen, in Israel und in den Vereinigten Staaten an jene Gemeinden.
An Büchern und Fotos zu Ostrów vor dem Zweiten Weltkrieg herrscht kein Mangel, sogar die Brauerei Teitel und andere Mitglieder der Familie sind dort zu sehen. Es gibt Bevölkerungsstatistiken, Geburts- und Todesurkunden, Schulabschlusszeugnisse und Memor- oder Seelengedächtnisbücher (auf Hebräisch auch jiskor genannt). Der Band zu Ostrów Mazowiecka in der Reihe Kehilot Jisrael („Gemeinden Israels“) nennt meinen Urgroßvater Michel Teitel als eine der „Personen aus Ober-Ostrów“: „wohlhabend und aus wohlhabendem Hause“; „ein feiner, edler Mann“; „eine echte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens“; „ein gebildeter Mann, der viele Sprachen beherrschte, aber dennoch der Tora und den Geboten treu blieb“; „ein vollkommener Familienmensch“; „ein Demokrat“; „ein Mann, der sich durch seine Großzügigkeit hervortat, Einzelnen wie auch der Gemeinschaft gegenüber“.4
Freilich, in einem Memorbuch kommt jeder gut weg – aber die Art, auf die das Lob der Toten angestimmt wird, unterscheidet sich dann doch. Das jiskor-Buch von Ostrów Mazowiecka erinnert an Michel als „eine Person von sanftmütigem Charakter“: „Einerseits ein vollkommener Familienmensch, der zu seiner … Familie eine tiefe Bindung empfand, andererseits ein Mann, der sich unermüdlich für die Gemeinschaft einsetzte, der all seine Zeit und Energie für die Bedürfnisse der anderen einzusetzen bereit war, ob im Privatleben oder in der Öffentlichkeit.“ Gelobt werden auch seine umfassende Bildung („bewandert in moderner Literatur und dem Zeitgeschehen“) und das „überaus angenehme Zusammenspiel seiner Vorzüge“ sowie – noch einmal – seine Neigung zum Dienst an der Öffentlichkeit („wenn er an irgendeiner öffentlichen Aktivität beteiligt war, war der Erfolg schon sicher“).5
Auf einem Foto, das meinen Urgroßvater Michel Teitel mit seiner Frau Fejge zeigt, schaut er von der Kamera weg. Er trägt einen langen, geknöpften Gehrock und hat seine Hosenbeine in die Stiefel gestopft. Auf dem Kopf hat er eine militärisch wirkende „Russenmütze“, wie sie von orthodoxen Juden gern getragen wurde, weil sie nicht unter das 1850 erlassene Verbot traditionell-jüdischer Kleidung fiel.6 Eine Kippa oder Jarmulke trägt er anscheinend nicht, auch wenn eine kleine solche Scheitelkappe sich unter seiner Mütze verbergen könnte.
Hannans Großmutter Fejge trägt eine Perücke (was gesetzlich verboten war) und blickt direkt in die Kamera. Mit ihrem blassen, aber vollen Gesicht, den großen, aufgeweckten blauen Augen, wirkt sie unerschrocken und nicht gerade zurückhaltend, ganz anders als die orthodoxen Frauen, die man heute in New York oder Tel Aviv auf der Straße sieht. Ihre Kinder Pesja, Icok, Zindel und Sura wurden fromm erzogen, aber auf ihren Fotos sieht man sie nach „deutscher Art“ gekleidet, mehr oder weniger nach den Maßstäben der westlichen Mode also, glatt rasiert die Söhne und in kürzeren, modischeren Mänteln als der Vater, die Töchter in aufreizenderen Kleidern als die Mutter.
Ein Mann, der sich für den „deutschen Stil“ entschieden hatte – und damit gegen den russischen –, durfte sich von Rechts wegen keinen Bart stehen lassen. Ein solcher Mann signalisierte seiner Umgebung, dass er zu jenen zunehmend assimilierten Juden aus der oberen Mittelschicht gehörte, die von ihren polnischen Standesgenossen kaum noch zu unterscheiden waren. Sieht man sich die Fotos von Icok und Zindel jedoch genauer an, dann erscheint ihre Kleidung dennoch ein wenig zu altmodisch, ein kleines bisschen schlechter geschnitten, als man es sich von einem perfekt sitzenden Anzug wünschen würde. Wie Angehörige einer Provinzaristokratie wirken sie, weder fromm und abgesondert noch wahrhaft assimilierte „Polen mosaischen Glaubens“, wie sich die großstädtisch-jüdische Elite von Warschau und Krakau gern nennen ließ. Ihre Schwester Sura, die Ostrów im Alter von zwanzig Jahren in Richtung Warschau verlassen sollte – anders als ihre Brüder war sie nicht für die Arbeit in einer Brauerei gemacht –, sieht auf ihren Fotos schon eleganter aus. In Warschau heiratete sie dann einen Buchhalter namens Adam (Abram) Perelgric, mit dem sie zwei Kinder hatte: Danek (Daniel) und Emma. Auf den Fotos, die Emma mir bei unserem Treffen in Tel Aviv überließ, lässt ihre Mutter keine Spur ihrer frommen Erziehung erkennen: Prächtig hat sie sich in Schale geworfen mit ihrem kräftigen, dunklen Haar, ihren dunkelbraunen Augen, mit knallrotem Lippenstift und Stöckelschuhen. Sie wohnte in der richtigen Gegend – Ulica Sienna 72 –, besaß die richtigen Möbel und die richtigen Kleider und kam nur selten noch nach Ostrów zurück, sondern schickte ihre junge Tochter allein in die Provinz, um dort den Sommer bei ihrer Verwandtschaft aus dem Teitel-Clan zu verbringen.
Einige Jahre später sagte mir Magda Gawin, eine polnische Historikerin, die selbst aus Ostrów stammt, dass die Familie Teitel bekanntermaßen sehr tief in Ostrów verwurzelt war. Tatsächlich zählten die Teitels, wie ich feststellte, zu den drei wohlhabendsten und angesehensten Familien der Stadt, zusammen mit den Nutkiewiczs und den Frejmowiczs. Mein Vorkriegsvater war viel reicher gewesen, als ich es jemals wurde.
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Fast dreieinhalb Millionen Juden lebten vor dem Zweiten Weltkrieg in Polen, es war die größte und die sowohl politisch als auch gesellschaftlich am stärksten selbstbestimmte jüdische Gemeinde in ganz Europa: 9,5 Prozent der polnischen Bevölkerung waren jüdisch. Zum Vergleich: Im Deutschen Reich betrug der jüdische Bevölkerungsanteil vor dem Krieg 0,75 Prozent; in Frankreich waren es 0,6 Prozent. Aber eines hatte ich dennoch nicht gewusst, bis mir ein Stammbaum der Familie Teitel in die Hände kam, der von dem Ahnenforschungsverein „Ostrów Mazowiecka Research Family“ erstellt worden war: dass mein Vater Hannan in einen regelrechten Clan hineingeboren worden war – acht Generationen mit jeweils bis zu sieben Kindern in einer Kleinstadt, die noch viel kleiner war als Haifa, der auch nicht gerade großen Stadt in Israel, in der ich selbst zur Welt gekommen bin. Ein gewisser Michel Teitel – geboren 1771, gestorben 1845 in „Ostrów Maz.“ – war der Erste aus der Familie, der in den städtischen Verwaltungsunterlagen auftauchte. Michel, Mikhal. Mein männlicher Namenspatron.
Das Polen, in das Michel Teitel der Erste im späten 18. Jahrhundert aus irgendeinem Winkel des österreichisch-ungarischen Reiches einwanderte, war ein Konglomerat weitgehend autonomer Regionen, über die ortsansässige Adlige und der Klerus herrschten. Dieser lose Zusammenschluss wuchs oder schrumpfte, wurde erobert und annektiert, und irgendwann hörte er dann ganz auf zu existieren – das unabhängige Königreich Polen war Geschichte. Doch über 150 Jahre hinweg, in Kriegen und Hungersnöten, unter antijüdischen Gesetzen und deren Aussetzung, während die Grenzen wanderten und die Machthaber wechselten, blieben die Teitels in Ostrów.
Ihre Firma, Browar Braci Teitel („Brauerei Gebrüder Teitel“), war ein Familienunternehmen unter der Leitung von Hannans Großvater Michel Teitel. Später übernahmen sein Onkel Icok, der an der Münchner Brauerakademie seinen Abschluss gemacht hatte, und sein Vater Zindel als Icoks Stellvertreter, die Geschäfte. Andere Mitglieder des Teitel-Clans waren als Buchhalter oder Abteilungsleiter in der Brauerei beschäftigt; manche Familienmitglieder – wie auch die Familie meines Vaters – wohnten auf dem Gelände der Brauerei. Bei einem unserer Gespräche skizzierte mir meine Tante Regina, die ihr Arbeitsleben als technische Zeichnerin in einem Jerusalemer Architekturbüro verbracht hatte, einen Lageplan des Firmengeländes. In der Mitte war das Hauptgebäude der Brauerei, in dem sich auch die Büros und – im Kellergeschoss – die Mälzerei befanden. Darum gruppierten sich ein Trockenturm mit Blitzableiter sowie Lagerräume für die Gerste, die Flaschen und Korken. Zur Linken stand das eingeschossige Haus, in dem Zindel, Ruchela, Hannan und Regina lebten; zur Rechten ein roter Backsteinbau mit zwei Stockwerken – dort wohnten Hannans Onkel Icok mit seiner Frau und den vier Kindern sowie – im Obergeschoss – die Großeltern Fejge und Michel. Zur Straße hin gab es noch ein paar kleinere Gebäude für verschiedene Zwecke, dazu einen Park- und Ladeplatz für die Kutschen und Lastwagen, die das Bier holten oder Getreide, Holz und Eis brachten. Die Kinder, erzählte mir meine Tante, spielten auf dem Hof Verstecken, zwischen den Holzstapeln und großen Kisten, oder auch im Garten, auf dem rückwärtigen Teil des Areals. (Gut konnte sie sich noch an die rankenden Stangenbohnen und die Apfelbäume erinnern, die dort wuchsen.) Die Teitels waren keine richtigen Landwirte, aber sie besaßen doch ein paar Pferde, Schafe und Kühe, dazu noch weitläufige Gerstenfelder für die Brauerei. Sommergerste war es, die eine gemäßigte Witterung liebt und dann rasch und vollkommen sauber geerntet, gelagert, gemälzt, getrocknet, gemahlen und extrahiert werden musste.
Es schien vollkommen undenkbar, sich Hannan außerhalb dieses Clans aus bestens ausgebildeten Vollzeitbrauern und Teilzeitbauern vorzustellen; nicht etwa, weil dort alles ideal oder ein Familienidyll ohne jeden Konflikt gewesen wäre – Regina hatte mir auch erzählt, dass die Familie 1939 noch nicht einmal zusammen Pessach gefeiert hatte –, sondern vielmehr, weil die Familie und der Familienbetrieb eine feste Grundlage für ihrer aller Zukunft bildete, und damit auch für Hannans Zukunft. Schon im zarten Alter von zwölf Jahren hatte er die Maische gerührt, beim Entladen der Gerstensäcke geholfen sowie, ab und an, die Fahrer auf ihren Runden begleitet. Wäre der Krieg nicht gewesen, so hätte mein Vater wahrscheinlich irgendwann in der Brauerei gearbeitet, Seite an Seite mit seinem Vetter Ze’ev (Wolf) Teitel, dem ältesten Sohn seines Onkels Icok. „Hannan liebte es einfach, in der Fabrik umherzustreifen und mit den Arbeitern und Fahrern zu plaudern. Und alle in der Brauerei liebten ihn; er war so ein fröhliches, freundliches Kind“, wusste Regina mir zu berichten. Sie selbst war wohl ein nicht ganz so freundliches Kind mit einem stürmischen Temperament („unser Kindermädchen Nanja Aslanowa hasste mich, aber deinen Vater hat sie geliebt“). Ihre Launen und Wutausbrüche sorgten dafür, dass sie als ein „kleines Monster“ gefürchtet war, nicht zuletzt vom Kindermädchen der Familie. Sie gab sich nur wenig mit den Brauereiarbeitern oder anderen Personen außerhalb der Familie ab. Sie verließ auch selten das Firmengelände und hatte Ostrów tatsächlich noch nie verlassen, als sie am 6. September 1939 mit einem Mal in die große weite Welt hinausgestoßen wurde.
In den ersten Monaten der deutschen Besatzung verließen, polnischen Quellen zufolge, rund 1,2 Millionen polnische Staatsbürger ihr Land und überquerten die Grenze zur Sowjetunion: Juden waren darunter, andere Polen der Mittel- und Oberschicht, die polnische Intelligenz, Ukrainer, Weißrussen und Litauer, von denen einige während des Ersten Weltkriegs in genau entgegengesetzter Richtung aus Russland nach Polen geflüchtet waren. Die Entscheidung für die Sowjetunion, deren Politik in den dreißig Jahren zuvor mindestens genauso viel Leid über die Region gebracht hatte wie die Deutschen (wenn nicht sogar mehr), lag keineswegs auf der Hand. Bracha Mandel, ein einstiges „Kind von Teheran“ und jetzt eine gute Freundin meiner Tante Regina, versteckte sich mit ihren Eltern in einem Wald nahe ihrem Haus. Über einen Monat blieben sie dort und schlichen sich Abend für Abend im Schutz der Dunkelheit nach Hause, um dort Proviant zu holen. Sie wollten erst einmal abwarten und sehen, wie die Dinge sich entwickeln würden.
Am 6. September 1939 – die Nazis waren noch nicht in Ostrów einmarschiert –, floh die Familie Teitel aus der Stadt. Sie luden, was sie greifen konnten, auf zwei Lastwagen der Marke Chevrolet und ließen zurück, was über acht Generationen aufgebaut worden war. Am 6. September 1939 endete die Kindheit von Hannan und Regina, endete ihre Existenz als Kinder. Stattdessen wurden sie zu kleinen Erwachsenen – zu den Personen, die ich schließlich als meinen Vater und meine Tante kennen sollte: ruhig, verantwortungsbewusst, intelligent, immer darauf bedacht, möglichst wenig Raum einzunehmen, als wenn sie noch immer in einen überladenen Lastwagen gezwängt wären.
Vom Moment ihres überstürzten Abschieds an waren sie Migranten, Wandernde, winzige Tröpfchen in jener Flüchtlingsflut, die zu Fuß, in Kutschen und auf Karren, mit Autos und Lastwagen über die Landstraßen Polens strömte und immer weiter anschwoll. Der 6. September 1939 war der erste von 1277 Tagen, die Hannan und Regina als Flüchtlinge verleben sollten; für ihre Eltern wurden es schließlich fast 5000.
Polen war eine Wunde für meinen Vater, meine Tante und auch für mich, eine ererbte Wunde. Dass „die Polen genauso schlimm wie die Deutschen“ waren, hatte ich verinnerlicht, ohne dass man es mir jemals hätte ausdrücklich sagen müssen. Aber nicht alle, mit denen ich darüber sprach, teilten meine Beklemmung, wenn sie an Polen dachten. Stanley Diamond etwa, ein kanadischer Rechtsanwalt und Gründer von „Ostrów Mazowiecka Research Family“, dem Verein, dem ich die Bevölkerungsstatistik von Ostrów und den Stammbaum meines Vaters verdanke, sagte mir, seine Erfahrungen bei der Recherche im Gemeindearchiv von Ostrów sei „wunderbar“ gewesen. Und Ilana Karniel, das einstige Flüchtlingsmädchen, die mir das Tagebuch ihres Bruders Emil überlassen hatte, meinte, dass für sie kein Tag vergehe, an dem sie nicht ihre polnische Kindheit vermisse. Miryam Sharon, ebenfalls ein früherer Flüchtling mit polnischen Wurzeln, sagte mir, dass sie bei einem kürzlichen Besuch in Polen „eine seltsame Vertrautheit“ empfunden habe: „Ich meinte, [die Polen] zu kennen, und fand, dass ich ihnen vergeben konnte, weil auch sie ja gelitten hatten, und dass ich die ganze Zeit dort geblieben war, dass ich die Straßen, in denen ich aufgewachsen war, eigentlich nie ganz hinter mir gelassen hatte, dass ich da einfach hingehörte. Ich fühlte mich überhaupt nicht fremd; vielmehr kam es mir vor, als wäre ich nach sechzig Jahren endlich nach Hause gekommen.“7
Meine Tante, eine im Allgemeinen sanftmütige, vernünftige Person, ließ sich davon nicht beeindrucken. „Die polnischen Brauereiarbeiter haben gejubelt, als wir Ostrów verlassen haben“, sagte sie. „‚Jetzt gehört der browar uns!‘, haben sie gerufen.“ 1992, ein Jahr nachdem die sozialistische Volksrepublik Polen ihren Übergang zur demokratischen Dritten Republik vollzogen hatte, reisten sie und Hannan mit ihren jeweiligen Ehepartnern nach Polen. In Ostrów beschafften sie sich Kopien ihrer Geburtsurkunden, versuchten – allerdings ohne Erfolg – etwas über mögliche Entschädigungen für den verlorenen Familienbesitz herauszufinden und reisten schließlich deprimiert wieder ab. Im Jahr darauf starb mein Vater, der auf dem Sterbebett noch Polnisch gesprochen hatte.
Im Jahr 2011 reiste ich zum ersten – und damals dachte ich noch: auch zum letzten – Mal in meinem Leben nach Polen. Ich hatte vor, nach Siemiatycze zu fahren, wo die Familie meines Vaters auf ihrer Flucht kurzzeitig Schutz gesucht hatte. Und auf dem Weg dorthin wollte ich auf einen Sprung in Ostrów Mazowiecka vorbeischauen. In meiner Vorstellung gehörte Polen zur Vorkriegsvergangenheit meines Vaters – und war damit, was mich betraf, größtenteils irrelevant, denn ich wollte ja die Geschichte seiner Flucht erzählen. Sobald ich jedoch in Warschau eingetroffen war, wurde mir bewusst, dass die Geschichte meines Vaters – einschließlich der Geschichte seiner Flucht durch Zentralasien und in den Iran – ein noch immer lebendiger Teil der polnischen Gegenwart war. Mein Hotel in Warschau, ein Haus der Kette Ibis, lag an einem breiten Boulevard, der nach dem General Władysław Anders benannt war – just dem Oberkommandierenden der polnischen Exilarmee, mit dem Hannan und Regina bis in den fernen Iran gezogen waren. Gleich vor dem Ibis-Hotel, dort, wo sich einmal das jüdische Ghetto der Stadt befunden hatte, stieß ich auf das „Denkmal für die Gefallenen und Ermordeten im Osten“, das der Bildhauer Maksymilian Biskupski geschaffen hat: Ein überdimensionierter Eisenbahnwaggon aus Bronze trägt Hunderte von Kreuzen, die für all jene Polinnen und Polen stehen, die im Zweiten Weltkrieg nach ihrer Flucht in die Sowjetunion zu Tode gekommen sind. Und inmitten der vielen großen Kreuze gibt es auch einen winzigen Grabstein mit Davidstern, der jene polnischen Juden repräsentieren soll, die doch in Wirklichkeit mindestens die Hälfte der damaligen Flüchtlinge ausmachten. Mein Vater war einer von ihnen.
Dass Polen von einem spannungsreichen Netz aus Museen und Gedenkstätten überzogen war, die jeweils einen jüdisch-polnischen Doppelsinn besaßen, war schon deutlich gewesen, bevor 2015 der Regierungsantritt der rechtskonservativen und revisionistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) die damit verbundenen Konflikte ans Tageslicht brachte. Ja, es gab sogar einen gedruckten Reiseführer, Festung Warschau von Elzbieta Janicka, in dem Schauplätze der jüdischen Geschichte Warschaus vorgestellt wurden, die von den zahlreichen Gedenkstätten des polnischen Opferkultes überlagert worden waren. In manchen Fällen – wie etwa bei dem „Denkmal für die Gefallenen und Ermordeten im Osten“ – stimmten ganz einfach die Proportionen nicht. In Ostrów Mazowiecka dagegen herrschte, wie ich bald selbst herausfinden sollte, finsterste Vergessenheit.
Und doch erwies sich Polen, jenes mythische „Land vor unserer Zeit“, aus dem mein Vater einst gekommen war, als überraschend schön und freundlich. Salar, der sich um dieselbe Zeit auf der Rückreise von Teheran nach New York befand, schlug vor, in Warschau Halt zu machen und sich mit mir zu treffen. Anschließend sollte ein polnischer Fremdenführer namens Krzysztof Malczewski mit uns zusammen nach Ostrów Mazowiecka fahren. In meiner Vorstellung war Ostrów düster-schwarz, braun oder grau, jedenfalls trostlos und öde, eine heruntergekommene Stadt ohne Eigenschaften mitten im postkommunistischen Nirgendwo. Als wir dann jedoch an einem heiter-frischen Juninachmittag entlang des Flusses Bug von Warschau kommend nach Ostrów hineinfuhren, entpuppte sich die Stadt als grün und üppig und wie gemacht für das süße Nichtstun. Inmitten eines nicht allzu dichten Stroms von Autos aus den Siebzigerjahren glitten wir an vereinzelten Verkaufsbuden, Ladengeschäften und sattem grünen Gras vorbei, das ungezügelt über die Leitplanken der Schnellstraße wucherte.
Unterwegs erzählte uns der freundliche Krzysztof („nennt mich einfach Kris“), dass er sein Geld unter anderem mit dem Import von Bewässerungssystemen aus Israel verdiente: „Die Bauern sind Antisemiten und wollen eigentlich keine Maschinen aus Israel, aber alle anderen Systeme geben schnell den Geist auf, und da haben sie keine Wahl.“ Während des Krieges hatte seine katholische Mutter seinen jüdischen Vater versteckt gehalten, wie er uns bei einer Rast erzählte. Er hatte darauf bestanden, anzuhalten, um an einer kleinen Tankstelle Piroggen und gołąbki (Kohlrouladen) zu essen. Sie waren wirklich köstlich.
Im Jahr 1900 sorgte ein ganz alltäglicher Badeausflug zum Fluss Grzybowka dafür, dass Pesja, die älteste Schwester meines Großvaters Zindel, sich eine schwere Krankheit zuzog und rasch daran starb. Zwei Jahre darauf schlug ein Blitz in die Brauerei Teitel ein, die daraufhin vollkommen niederbrannte. Aber irgendwie konnten die Teitels sich trotzdem durchschlagen und hatten bisweilen sogar einigen Erfolg. Pesja wurde im Grab der Familie auf dem jüdischen Friedhof von Ostrów zur letzten Ruhe gebettet, in nächster Nähe ihrer zahlreichen Vorfahren, die ebenfalls dort ruhten. Die Brauerei wurde erheblich größer wieder aufgebaut, und der neue Trockenturm bekam den bereits erwähnten Blitzableiter. Im Ersten Weltkrieg wurde Ostrów – eine Stadt im Herzen der „Bloodlands“, wie der Historiker Timothy Snyder jene Gegend zwischen Zentralpolen und dem westlichen Russland genannt hat, wo der russisch-deutsche Kampf um die Vorherrschaft am blutigsten ausgefochten wurde – zuerst von den Russen, dann von den Deutschen besetzt. Die Deutschen beschlagnahmten sämtliche Nahrungsmittel, aber auch Türknäufe aus Messing und Kupferbratpfannen, Petroleum, Gerste aus der Teitel’schen Brauerei – und schließlich auch die Brauerei selbst. Also zog die Familie innerhalb der Stadt in ein anderes Haus um, das der Familie von Hannans Großmutter gehörte.
Als Ostrów schließlich von einem endlosen Strom ausgehungerter Flüchtlinge geradezu überschwemmt wurde – Tausende von Russen, die aus den Städten entlang der Grenze vertrieben worden und in Richtung Westen geflüchtet waren –, riefen Fejge Teitel und andere Mitglieder der jüdischen Gemeinde den Hilfsverein Hachnasas Orchim („Gastfreundschaft“, wörtlich „Hineinführen der Gäste“) ins Leben, um die Flüchtlinge zu speisen. Und als eine Fleckfieberepidemie ausbrach, richteten sie kurzerhand ein Hospital mit dem Namen Linas Hatzedek ein, das heißt „Herberge der Gerechtigkeit“. Dort wurden die Kranken von einem Arzt und einem Apotheker betreut, die man beide aus Warschau herbeigeholt hatte. Anschließend wurde noch ein Fonds gestiftet, aus dessen Topf Ladenbesitzer und Handwerker, deren Lebensgrundlage durch den Krieg zerstört worden war, Darlehen erhalten sollten.
In gleich mehreren jiskor-Einträgen wird Michel Teitel als stellvertretender Bürgermeister von Ostrów während der Kriegsjahre erwähnt, der in dieser Funktion „viel getan [habe], um das Leiden der Einwohner zu lindern“. An anderer Stelle heißt es, Hersz Teitel habe „unter der deutschen Besatzung als stellvertretender Bürgermeister amtiert“. Ganz gleich, wie es sich nun genau verhalten haben mag, so waren die beiden doch bei der Versorgung der Flüchtlinge in der Stadt engagiert, unterstützten Gäste wie Fremde aus den Mitteln der bestehenden Wohlfahrtsvereine oder gründeten neue, wo sie gebraucht wurden. Die tzedaka – die Wohltätigkeit – „gilt so viel wie alle anderen Gebote zusammen“, heißt es im Talmud, und diese Überzeugung scheint den Teitels als Teil ihres Glaubens wie auch ihres praktischen Lebensvollzuges von jeher eingepflanzt gewesen zu sein. Aber erst während der Kriegsjahre begannen die jüdischen Gemeinden Polens – und auch die Gemeinde von Ostrów –, ihre wohltätigen Werke im großen Maßstab zu organisieren.
Vier Monate nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde in New York das Joint Distribution Committee als politisch nicht gebundene Hilfsorganisation der amerikanischen Juden gegründet. Sein ausdrücklicher Zweck sollte es sein, jüdischen Kriegsflüchtlingen finanzielle und medizinische Unterstützung zu gewähren. Schon bald darauf wurden amerikanische Ärzte und Arzneimittel nach Polen geschickt, wo sie mit lokalen Hilfsvereinen und hilfsbereiten Familien wie den Teitels zusammenarbeiteten, die überall im jüdischen Polen auf sie warteten.
Als der Erste Weltkrieg dann endlich vorbei war, forderten die Teitels erfolgreich ihre Brauerei zurück. Hannans Onkel Icok kehrte von seinem Studienaufenthalt in Deutschland zurück und übernahm die Leitung des Familienbetriebs. Die Habsburgermonarchie brach zusammen, und in Polen riss ein Revolutionär namens Józef Piłsudski die Macht an sich. Piłsudski wollte ein unabhängiges Polen und er bekam es: Am 11. November 1918 wurde in Warschau die Zweite Polnische Republik ausgerufen. Zum ersten Mal, seitdem der erste bekannte Michel Teitel gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der Stadt angekommen war, gehörte Ostrów zu einem selbstständigen polnischen Nationalstaat. Die Teitels waren leicht nervöse, aber nicht völlig unzufriedene Bürger der neuen Republik. Piłsudski galt als ein toleranter Pragmatiker, und für Geschäftsleute wie die Teitels war eine unabhängige polnische Republik einer bolschewistischen Sowjetrepublik Polen allemal vorzuziehen. Drei Monate später wurde jedoch eine neue Front eröffnet, und die Familie verschlug es weit auf die „Bloodlands“ hinaus, als Polen mit Sowjetrussland aneinandergeriet.
Erneut wurde Ostrów besetzt, diesmal von sowjetischen Truppen, die fast zwei Jahre lang in der Stadt blieben, Bier aus den Fässern der Brauerei Teitel soffen und daran arbeiteten, die Revolution Lenins und Trotzkis auch nach Polen zu tragen. Unter ihrem Einfluss gründeten idealistische junge Mitglieder des „Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes“ die ersten Gewerkschaftsgruppen in der Stadt, in denen sich die Zimmerleute und Tischler, Schneider, Träger, Bäcker von Ostrów, aber auch die Angestellten des Sägewerks Teitel, das einem anderen Familienzweig gehörte, organisieren konnten. Die Bundisten gründeten ein Theater, boten Vorträge an und veranstalteten Teach-ins zu den Schriften von Karl Kautsky. Sobald die Sowjets geschlagen waren und die Rote Armee sich aus Ostrów abgesetzt hatte, wurden sie von den Polen liquidiert. An einem Baum an der Ulica Malkińska hängte man sie auf, und die Oberrabbiner der Stadt mussten bei der Hinrichtung zusehen, während der Rest der jüdischen Bevölkerung zu Hause bleiben sollte.
Innerhalb der Grenzen des neuen polnischen Staates lebten fünf Millionen Ukrainer, eine Million Weißrussen und mehr als drei Millionen Juden – Minderheiten, die an der Regierung der polnischen Republik repräsentativ beteiligt wurden. Die Stadt Ostrów war nun größer, moderner und anziehender als jemals zuvor, sie bekam neue Schulen, eine neue Bibliothek und ein neues Elektrizitätswerk. Die Pferde und Karren, mit denen über Jahrzehnte das Bier der Brauerei Teitel ausgeliefert worden war, wurden durch moderne Chevrolet-Vierzylinder und tschechoslowakische Motorlastwagen der Marke Škoda ersetzt. Die jüngeren Kinder aus dem Teitel-Clan – Hannan, seine Cousins und Cousinen – besuchten schon bald eine Tarbut-Schule. Die Filiale einer jüdischen, zionistisch ausgerichteten Kette von Grundschulen, an denen Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet wurden, war 1922 auf dem Gelände des Teitel’schen Sägewerks eingerichtet worden. Die Lehrerinnen und Lehrer, Neuankömmlinge aus Galizien, die ihre Heimat wegen des polnisch-russischen Krieges hatten verlassen müssen, waren kultivierte, anspruchsvolle Leute, die den jüdischen Schulkindern von Ostrów die hohen Standards jener russischen Schulbildung mitbrachten, die sie selbst genossen hatten.
Im Jahr 1926 heiratete der dreißigjährige Zindel die sechs Jahre jüngere Ruchela Averbuch, eine Absolventin der Universität von Jekaterinoslaw (später Dnepropetrowsk, heute Dnipro in der Ukraine). Auf den erhaltenen Fotos sieht Zindel attraktiv und sanftmütig aus: ein klein wenig vollschlank vielleicht und etwas schrullig mit seinem ständigen Grinsen, die Hand stets auf der Schulter eines seiner Kinder abgelegt. Ruchela dagegen wirkt knochig, hat ein scharf geschnittenes Kinn und ist stets sorgfältig gekleidet. Älter, eleganter und auch strenger als ihr Mann erscheint sie, dabei war sie jünger und kam aus ärmeren Verhältnissen. In ihrer Heimatstadt Siemiatycze, die vor dem Krieg zu Russland gehört hatte und nun polnisch geworden war, verdiente ihre verwitwete Mutter den Lebensunterhalt mit dem Import von Tuchwaren aus Krakau. Noch im ersten Jahr ihrer Ehe kam Hannan zur Welt, Regina folgte vier Jahre später.
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Heute findet sich von dem einstigen jüdischen Leben in Ostrów Mazowiecka keine Spur. Das sagte uns Krzysztof, unser Guide, und ich glaubte ihm aufs Wort, als er uns zügig durch die unsichtbare Stadt von vor dem Krieg kutschierte: Diese Autowerkstatt hier war einst eine Synagoge gewesen, jener Kindergarten eine Talmudschule. So gut wie alle öffentlichen Gebäude und privaten Wohnhäuser, die vor dem Krieg jüdische Besitzer gehabt hatten – am Plac Ksienznej Anny Mazowieckiej, auf der alten Marktstraße, auf der Brokowska-Chaussee sowie den Straßen Miodowa, Pułtuska, Rożanska, Koza Jagiellońska, Nurski, Solna, Ostrołęcka, Jatkowa, Batorego und Warszawska –, waren nicht mehr da, waren abgebrannt, wie ich erfuhr, in Brand gesteckt am 9. November 1939. Nichts war mehr geblieben von Ostróws jüdischer Vergangenheit. Also konnte es auch keinen Widerstreit zwischen der jüdischen und der katholischen Vergangenheit der Stadt geben, wie es in Warschau der Fall war. Hier in Ostrów gab es noch nicht einmal Gespenster – sondern nur tiefes, fragloses Vergessen.
Auch Wohnhäuser auf einst „gemischten“ Straßen wie der Ulica 3go Maja („Straße des 3. Mai“), der Malkińska und der Pocztowa, der Kosciuszki-Allee, der Ugniewska, Cmentarza, Lubiejewska und Piaskes waren abgerissen worden. Der jüdische Friedhof von Ostrów, wo die Teitels über acht Generationen ihre Toten begraben hatten – „länger als die meisten Polen“, hatte meine Tante Regina mir am Vorabend meiner Abreise noch am Telefon gesagt –, war eingeebnet worden, um Platz für einen Viehmarkt zu schaffen.
Die Brauerei Teitel gab es ebenfalls nicht mehr. An ihrer Stelle fand ich die frisch gestrichene Grundschule Nr. 1 „Tadeusz Kościuszko“ vor, deren Schüler jedoch gerade Sommerferien hatten. Wir gingen ein wenig auf dem Schulgelände umher und hielten Ausschau nach Spuren, die es nicht gab. Aus einem steinernen Häuschen gleich neben der Schule kam eine rothaarige Frau heraus. „Der Vorbesitzer des Hauses hat ihr erzählt“, übersetzte Krzystztof für uns, „dass Teitel seinen polnischen Nachbarn zu jedem Osterfest Bier in Flaschen geschenkt hat.“
Am Eingang zum Schulhof fanden wir einen kleinen Gedenkstein, in den die folgende Inschrift eingraviert war:
TO MIEJSCE ZOSTAŁO UŚWIĘCONE PRZEZ MĘCZEŃSKĄ KREW POLAKÓW WALCZĄCYCH O WOLNOŚĆ PODCZAS OKUPACJI HITLEROWSKIEJ W LATACH 1939–1944.
(Dieser Ort wurde geheiligt durch das Märtyrerblut von Polen, die während der Hitler-Besatzung von 1939–1944 für die Freiheit kämpften.)
Von der Brauerei oder ihren Besitzern war nirgends die Rede. „Nachdem deine Familie fortgegangen war“, erklärte mir Krzysztof, „hat die Gestapo das Gelände beschlagnahmt und die Brauerei zu ihrem Hauptquartier gemacht. Als die Nazis dann 1944 abzogen, haben sie alles mit Dynamit in die Luft gejagt.“ Der Name der Straße, an der drei Generationen lang der browar der Familie Teitel gestanden hatte, war inzwischen von „Brokowska“ in „Partyzantów“ geändert worden – sie war nun die „Straße der Partisanen“. Diese Umbenennung ging wohl, wie ich vermute, auf die polnischen Widerstandskämpfer zurück, die von der Gestapo in den Räumen der vormaligen Brauerei verhört und gefoltert und getötet worden waren. Ostrów hatte sich eine neue Vergangenheit verpasst, hatte seine Geschichte umgeschrieben, und irgendjemand – vermutlich ich selbst – würde dagegen Einspruch erheben müssen, würde für eine weitere Plakette kämpfen müssen, die neben dem Polnisches-Märtyrerblut-fürdie-Freiheit-Gedenkstein angebracht werden sollte:
HIER STAND VON 1856 BIS 1939 DIE BRAUEREI DER FAMILIE TEITEL.
Ze’ev (Wolf) Teitel, jener hochgewachsene, blonde und offenbar hochintelligente ältere Vetter, den der junge Hannan geradezu abgöttisch verehrte, hatte die ersten zwanzig Jahre seines Lebens in der Brauerei verbracht und wäre als Erbe seines Vaters wohl ihr nächster Geschäftsführer geworden. Noch auf seinem Sterbebett in Haifa hat er eine detaillierte Darstellung des Teitel’schen Brauprozesses niedergeschrieben – bis hin zu der Temperatur, bei der die Gerste gemälzt wurde (exakt 67 °C); dem Namen des polnischen Vorarbeiters (Schwintowsky); der Frage, wer dort umrührte und wie (mit der Hand); dem deutschen Zählvers, den die Umrührer bei ihrer Arbeit sangen; dem süß-klebrigen, goldenen Brottrunk (Kwas), der dort ebenfalls produziert und als alkoholfreie Alternative zum Teitel- Bier verkauft wurde; und vielen, vielen weiteren Details, die ich damals ohne besonderes Interesse las – auch, weil es mir rätselhaft war, weshalb der alte Mann so viel Mühe darauf verwandte, uns eine Handwerkskunst zu vermitteln, die keinem von uns Kindern (für die sein Memoire ja geschrieben war) nützlich oder auch nur interessant sein würde. Erst jetzt, in Ostrów, angesichts all dessen, was einmal ihres gewesen war, wurde mir schlagartig klar, dass Hannan und er vermutlich die beiden einzigen Menschen auf der ganzen Welt gewesen waren, in denen die Erinnerung an das brauerische Know-how der Teitels weitergelebt hatte – eine Handwerkstradition, die in der Familie über Generationen gepflegt und vervollkommnet worden war. „Traumatischer Realismus“, so nennt der Holocaust- und Gedächtnisforscher Michael Rothberg die Verwendung scheinbar willkürlicher Details, wie Wolf sie in seinem Bericht erwähnt: geisterhafte, frei schwebende, aber doch hochkonkrete Einzelheiten einer verlorenen Vergangenheit, die dieser zwar neues Leben einhauchen, ihren Verlust aber dabei umso stärker hervortreten lassen. Bis in die kleinsten Feinheiten konnte mein Onkel beschreiben, wie bei Teitels einst gebraut wurde – aber Brauer, Bier und Brottrunk gab es in Ostrów schon lange nicht mehr.
Die Jugend nicht nur der jungen Teitels, sondern auch die von Dutzenden anderer Burschen und junger Männer war eng mit dem Leben der Brauerei verwoben: Hilfsarbeiter und Handwerker, Mechaniker und Fahrer, Schweißer und Putzleute – über Generationen hatten sie, teils als ganze Familien, „beim browar“ gearbeitet. Der Handwerker, der die hölzernen Bierstopfen mit der Hand schnitzte, war bei seinem Vater in die Lehre gegangen und hatte schließlich dessen Posten in der Brauerei geerbt; für Hannan und Wolf schnitzte er ganze Sätze winziger Schachfiguren, die von den Jungen heiß geliebt wurden.
Noch in Ostrów erhaschte ich einen flüchtigen Blick auf das Vorkriegs-Ich meines Vaters: auf das Schlittschuhlaufen, wenn der große Teich neben der Brauerei zugefroren war; auf das Pilzesammeln in den Nadelwäldern um Ostrów am Schabbesnachmittag; auf die jüdischen Feiertage und das hohe Ansehen, das die Familie in der Stadt genoss; auf Hannans schon vorbestimmte Zukunft in der Brauerei; auf seine Schule, Tarbut, und auf die Nikolaus-Kopernikus-Oberschule, die bereits auf ihn wartete, das Liceum Ogólnokształące im. Mikołaja Kopernika w Ostrowi Mazowieckiej.
Wie sich herausstellte, war das neoklassizistische Schulgebäude des Liceum Ogólnokształące („Allgemeine Oberschule“) die einzige – wenn auch indirekte – Spur, die von der Familie Teitel in Ostrów geblieben war.8 „Neben den zahlreichen negativen Aspekten, die sich aus dem Nebeneinander der beiden Bevölkerungsteile ergaben, gab es auch einige positive“, schreibt Andrzej Pęziński, ein älterer Bürger von Ostrów in einem unveröffentlichten Manuskript zur Geschichte seiner Heimatstadt – eine Einschätzung, die er mir im persönlichen Gespräch bestätigt hat. „Einige der wohlhabenden Juden – Teitel und andere – unterstützten den Bau des Gymnasiums in Ostrów, wo ihre Kinder zur Schule gingen, finanziell.“
Abbildung 4: Icok und Zindel mit Hannan und Regina vor der Brauerei Teitel.
Also gingen Salar, Krzysztof und ich hinüber zu dem neoklassizistischen Bau, der heute größtenteils intakt erhalten ist. An der Fassade zur Straße hin findet sich die Inschrift „Erbaut im Jahre 1928“, und im Eingangsbereich erinnert ein Gedenkstein aus Granit an „all jene Lehrer, die während des Zweiten Weltkriegs heimlich Unterricht abhielten“.
Am Abend desselben Tages besuchten wir noch einen weiteren betagten Einwohner von Ostrów, den 87-jährigen Riczard Ejchelkraut, in seiner Wohnung in einem schon leicht verfallenen Plattenbau aus der kommunistischen Epoche Polens. Aus einem Stauraum in der Zwischendecke holte der alte Herr stapelweise Jahrbücher des Gymnasiums hervor, in deren Namenslisten sich gleich mehrere Teitels fanden: Sura Teitel, Berek Teitel und Wolf Teitel, dazu noch andere Namen, die mir nicht bekannt vorkamen. Unter der durchhängenden Decke, zwischen den abblätternden Wänden seines Wohnzimmers saß der spitzbübische Riczard, ein Charmeur alter Schule, und blätterte mit mir die alten Jahrbücher durch, während Salar uns dabei filmte, wie wir durch Gesten und Gebärden miteinander zu kommunizieren versuchten. An einer Wand im Flur hing ein großformatiger Stadtplan des Ostrów von einst, und in den Regalen standen ganze Bände einer lokalen Zeitschrift, die Riczard einmal herausgegeben hatte. „Es ist schon unheimlich“, sagte ich zu Salar, als wir in die beinahe totenstille Ostrówer Nacht davongingen, „wie riesige Backsteinpaläste zu Staub zerfallen, während bloßes Papier – Geburtsurkunden, Abschlusszeugnisse, Jahrbücher – manchmal unvergänglich scheint.“
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Die Teitels gingen auch in den 1920ern nicht aus Ostrów weg, obwohl der polnische Nationalismus sich in jenen Jahren von seiner hässlichsten Seite zeigte und es sporadisch auch zu Angriffen auf jüdisches Eigentum kam (pogromchiks hatte Tante Regina das genannt, „Pogrömchen“). Selbst eine staatliche Auswanderungspolitik, die starke Anreize für die Emigration der polnischen Juden und anderer Minderheiten setzte, konnte die Familie nicht dazu bewegen, ihre Heimatstadt zu verlassen. Zahlreiche andere jüdische Bewohner von Ostrów, darunter auch einige Mitglieder der weiteren Teitel-Verwandtschaft, waren jedoch bereits emigriert, was auf eine potente Mischung aus antijüdischen Gewalttaten und der Emigrationspolitik des polnischen Staates zurückzuführen war. Dazu kam noch eine neuartige und ausgefeilte „Visums-Industrie“, die alle Auswanderungswilligen auf ihrem Weg in die Vereinigten Staaten oder nach Australien unterstützte. Zum ersten Mal seit fast einem ganzen Jahrhundert verschob sich das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden in Ostrów erheblich, bis die Katholiken schließlich die Mehrheit in der Stadt stellten.
Spätestens Anfang der 1930er-Jahre hatte Roman Dmowski, der Mitbegründer und Chefideologe der nationalkonservativen, offen antisemitischen Bewegung „Nationale Demokratie“ (Endecja) sowie hauptsächlicher Rivale des liberalen Józef Piłsudski, seine Unterstützer auch in Ostrów, wo sie begannen, gelegentliche Boykotte jüdischer Geschäfte zu organisieren und ganz allgemein die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen zu verschärfen. Währenddessen waren die Geschäfte der Brauerei und des Sägewerks Teitel erfolgreich weitergelaufen, ja bis zur Mitte der 1930er-Jahre hatten sie sogar größere und ambitioniertere Geschäftsfelder erschlossen als jemals zuvor. Nach dem Ende der Prohibition in den Vereinigten Staaten im Dezember 1933 schmiedeten Icok und Zindel den Plan, ihr Bier künftig auch nach Übersee zu exportieren, wo ihnen inzwischen ein großer Kreis von Verwandten und ehemaligen Mitbürgern behilflich sein konnte. Sollten sie tatsächlich schon um diese Zeit mit dem Gedanken gespielt oder sogar versucht haben, Polen zu verlassen, dann habe ich niemals davon erfahren.
Als wir am Abend bei Schnitzel und Bier in unserem Hotel saßen, um uns herum Fernfahrer und umherziehende Landarbeiter, fragten Krzysztof und ich Salar nach seinem Vater, Ali Abdoh, der nach dem Ausbruch der Islamischen Revolution aus dem Iran hatte fliehen müssen und seinen ganzen, beträchtlichen Besitz dabei zurückließ. Anderen Angehörigen des Abdoh-Clans, die insgesamt weniger Erfolg gehabt hatten als er, war es gelungen, ihr Vermögen schon lange vor dem Januar 1979 außer Landes zu schaffen, und so konnten sie in Amerika reüssieren, während Ali, zornig und verbittert, nur sechs Monate nach seiner Flucht aus dem Iran in Los Angeles an einem Herzinfarkt starb. „Er hielt sich für unbesiegbar“, sagte Salar. „Er war überzeugt davon, dass er mit der Regierung schon irgendwie würde verhandeln können.“ Zwar zweifelte ich daran, dass die Teitels sich ebenfalls für unbesiegbar gehalten hatten – aber zweifellos hatten sie selbst gegen Ende der 1930er-Jahre nicht mit dem Schlimmsten gerechnet.
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler durch Paul von Hindenburg, den Reichspräsidenten der Weimarer Republik, einer parlamentarischen Demokratie, zum deutschen Reichskanzler ernannt.
Im Dezember 1933, Hannan besuchte seit drei Monaten die erste Klasse der Tarbut-Schule, wurde die Prohibition in den Vereinigten Staaten aufgehoben, und die Brauerei Teitel bereitete sich darauf vor, ihre Produktion für den Export um ein Vielfaches zu steigern.
Mitte 1934 wurde in Polen die rechtsextreme Partei Obóz Narodowo-Radykalny (ONR, „Nationalradikales Lager“) gegründet, und im Oktober desselben Jahres zerstörten Anhänger der neuen Partei die Laubhütten, die von den jüdischen Einwohnern von Ostrów für das Erntedankfest Sukkot errichtet worden waren.
Am 12. Mai 1935 starb Józef Piłsudski, und mit ihm fiel das letzte Bollwerk eines pragmatischen, liberalen Polen. Die Trauer in den jüdischen Gemeinden überall im Land war groß. Inzwischen besaß das ONR auch in Ostrów eine eigene Ortsgruppe, die von einem Mann namens Radwansky angeführt wurde. Er war es, der die „Übernahme“ der bislang vollkommen in jüdischer Hand befindlichen Textilindustrie in der Stadt plante und leitete. „Mit der Unterstützung des ONR begannen drei polnische Bürger von Ostrów, Stoffe von einem jüdischen Einzelhändler in Warschau einzukaufen, um sie in ihrem eigenen Laden anzubieten“, schrieb Wolf Teitel in seinen Erinnerungen, „aber sie machten schon bald Bankerott und sahen sich gezwungen, ihre Tuchwaren wieder bei den jüdischen Händlern [von Ostrów] zu erwerben, wo selbst Radwansky einkaufte, der sich am Sonntag durch die Hintertür in den Laden schlich.“
Nachdem 1936 Wolfs Bewerbung am Warschauer Polytechnikum abgelehnt worden war, obwohl seine Noten eigentlich gut genug waren, beschloss die Familie, dass er seine Hochschulbildung in Belgien fortsetzen sollte. Aber Wolf weigerte sich und bestand darauf, dass, wenn er schon von zu Hause fortgehen sollte, er mit dem Schiff zu den Juden in Palästina fahren werde, um am Technikum in Haifa Bauingenieurwesen zu studieren. Am Tag seiner Abreise versammelten sich die Teitels auf dem Hof der Brauerei zu einem Gruppenfoto: Wolf, schlank und hochgewachsen, schon im beigen Reiseanzug, steht eingezwängt zwischen seinen Eltern Icok und Leja, die zwar angespannt, aber keineswegs verzweifelt aussehen. Zindel, Ruchela, Regina sowie der pausbäckige, neun Jahre alte Hannan sind ebenfalls mit dabei. Es ist das einzige Gruppenfoto der ganzen Familie, das ich besitze.