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Abschied

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Ein Morgen wie alle anderen auch. Dennoch erfüllte mich weder Langeweile noch Frust. Ich war voller Vorfreude und Tatendrang. Der Sonntag war mein absoluter Lieblingstag. Obwohl ich auch an diesem Tag der Woche schon um fünf Uhr aufstand. Gerade weil ich es nicht anders kannte, störte mich das jedoch kein bisschen. Im Gegenteil. Schon vor dem ersten Klingeln des Weckers war ich wach und schwang die Beine über mein Bett. Ich brauchte keine Rücksicht auf meine Mom zu nehmen, denn sie war der einzige Mensch, dem es gelang jeden Tag in der Woche noch vor mir aufzustehen. Egal wie oft ich schon meinen Wecker zehn oder zwanzig Minuten vorgestellt hatte, ich kam jedes Mal in die Küche und fand sie am gedeckten Frühstückstisch sitzen. Gelassen saß sie da, trank ihren schwarzen und viel zu starken Kaffee. Irgendwann hatte ich es aufgegeben und eingesehen, dass meine Mom über magische Antennen verfügte, was mich anging. Vermutlich hatte sie die entwickelt, um den Job meines Dads nach bestem Gewissen mit zu übernehmen. Egal wie oft ich ihr sagte, dass sie das nicht tun musste und dass ich mir keine bessere Mom vorstellen könne, prallten meine Worte an ihr ab. Ich wusste nicht, woher ihre Angst kam, mir könne was fehlen und ich könne sie dafür verantwortlich machen, aber ich wusste weshalb sie sich nicht von ihrer Meinung abbringen ließ. Es gab nur eine Sache in der sie mich genauso oft schlug, wie im Aufsteh-Wettbewerb. Und das war in der Sturheit. Ich kannte niemanden, der so stur war wie sie. Und ich hatte in meinem Leben schon jede Menge sture Menschen kennengelernt. An Konkurrenz mangelte es ihr also nicht.

Die Dielen des Bodens kündigten jeden meiner Schritte an, als ich mein kleines Zimmer durchquerte, um die Dachbodenluke zu öffnen. Meine Mutter hatte mir schon oft angeboten, zu tauschen. Ihr Schlafzimmer war größer und hatte den Luxus eines integrierten Bads. Aber darauf hatte ich mich nicht eingelassen. Ich mochte den Dachboden. Es war mein Reich. Da der Aufstieg über die schmale Leiter mühsam war, kam meine Mom nur hoch, wenn es wirklich unumgänglich war und so hatte ich schon früh die Vorteile meines Zimmers erkannt. Außerdem gab es nirgendwo im ganzen Haus einen solch wunderschönen Ausblick wie hier. Die Dachfenster boten freie Sicht auf den Sternenhimmel und ich hatte mein Bett genau in der Mitte des Raums stehen, unter den Fenstern. Unklug, weil dort besser ein Schreibtisch Platz gefunden hätte, aber das war mir egal. Ich liebte das Gefühl, als würde ich unter freiem Himmel einschlafen. Es gab nichts Großartigeres. Dafür nahm ich auch das Aufheizen hier oben in Kauf, obwohl ich es dann außer am Morgen kaum aushielt.

Tatsächlich stand ich ja schon um fünf auf und ging selten vor zwölf ins Bett. Und die Stunden des Tages, die ich nicht schlief, war ich entweder draußen bei unseren Pferden im Stall, oder ich saß mit meiner Mom zusammen im Wohnzimmer. Wir hatten immer etwas zu reden. Die Farm gab so viel her und da war ja immer noch mein Abschluss. In den letzten Wochen vor meiner Abschlussprüfung hatte ich so viel gelernt, dass ich das Gefühl gehabt hatte, kaum etwas anderes zu tun, als Bücher zu lesen, Aufgaben zu lösen und Testklausuren zu schreiben. Es war mir überaus lästig gewesen. Meine Mom wusste das, weshalb sie es sowieso lieber sah, wenn ich in der Küche lernte, wo sie ein Auge darauf haben konnte, dass ich mein Schulbuch nicht heimlich gegen eine Biografie von Julie Krone tauschte. Sie war der berühmteste weibliche Jockey im Pferdesport und mein größtes Vorbild. Ich kannte die meisten Biografien über sie auswendig, aber das verriet ich natürlich niemandem. Nicht mal meiner Mom, die das nur wieder zum Anlass genommen hätte, um zu streiten.

So wie wir es in letzter Zeit immer wieder taten, wenn es um meine Zukunft ging. Sie wollte das Beste für mich. So wie die meisten Eltern eben. Aber ich war mir – wie die meisten jungen Menschen wohl – nicht ganz sicher, dass sie auch wirklich wusste, was das Beste für mein Leben sein sollte. Wie sollte sie das auch entscheiden, wenn ich selbst nicht fähig war, eine Entscheidung zu treffen bei der sich keine Zweifel regten? Denn das war das Dilemma meiner Situation. Ich hätte gegen den Wunsch meiner Mom, zu studieren, rebellieren können. Wenn ich mir ganz sicher gewesen wäre, dass sie falsch lag. Aber das war ich nicht. Ich war jedoch auch nicht bereit meine Träume, die Ranch und sie einfach aufzugeben, nur um ein Leben mit all den Sicherheiten zu leben, auf die sie keinen Wert legte. Warum musste ich anders sein und durfte nicht genauso risikobereit sein, wie sie es war?

Das wollte mir nicht in den Kopf und ich glaubte, so wie ich sie nicht verstand, verstand sie mich nicht. Es war eine Tatsache, aber die Sturheit meiner Mom verantwortlich dafür, dass wir es nicht dabei beließen und auf später vertagten, sondern immer wieder von vorn damit begannen.

Außer an Sonntagen. Schon gar nicht an diesem heute.

Nachdem ich mich geduscht und meine Locken gekämmt hatte, was nur im nassen Zustand überhaupt den Versuch wert war, zog ich mich im Bad um. Es war zu umständlich, dafür wieder nach oben zu klettern. In weniger als fünf Minuten war ich in meine Reithose und ein salbeifarbenes T-Shirt geschlüpft und auf dem Weg in die Küche.

Natürlich behielt ich Recht. Meine Mom saß am Tisch, trank Kaffee und sah von ihrem Planer hoch, als ich mich auf meinen Stuhl fallen ließ und vergeblich versuchte, mein wüstes Haar in ein Haargummi zu pressen.

„Selbst in nassem Zustand ist das absolute Drecksarbeit.“

„Sei froh, dass du so wunderbare Naturlocken und so herrlich dickes Haar hast. Für dein Haar würde so manche Frau töten“, entgegnete meine Mom bevormundend.

Ich schnaubte. „Bezweifle ich. Und wenn doch, muss eine solche Frau ein ernsthaftes Problem haben. Haar wie meines toll zu finden, ist ein Hinweis darauf, dass demjenigen nicht klar ist, was es bedeutet Locken zu haben. Vielleicht wünscht sie sich diese Locken auch bloß, weil sie eigene Komplexe zu überdecken versucht. Was wiederum auf mangelndes Selbstvertrauen und zu wenig Selbstliebe hindeutet. Oder es liegt daran, dass wir uns oft einfach das wünschen, was wir nicht haben.“

Meine Mom lächelte. „Gesprochen wie eine kluge Psychologiestudentin.“

Ich verdrehte die Augen.

„Was denn? Ich sag ja nur, dass ich Recht hatte.“

„Hm. Hätte ich mir denken können, dass es dir gelingt, ein harmloses Gespräch über meine verteufelten Haare zu nutzen, um mir einzureden, ich solle endlich meine College Bewerbungen abschicken.“

„Du hast auch nicht mehr viel Zeit, Heather.“ Sie sah mich an und ich erkannte, dass es ihr ernst war. Der Spaß war verschwunden. „Die meisten Universitäten nehmen Bewerbungen nur bis November an. Du solltest dein Fenster nicht verpassen.“

„Ich habe noch nicht entschieden, ob ich wirklich aufs College will.“

„Was willst du sonst tun?“

Ich zuckte mit den Achseln.

„Ich frage mich nur, weil du ja weißt, dass ich dich für deine Arbeit auf der Ranch nicht bezahlen kann und kein Interesse daran habe, dass du für immer da oben auf meinem Dachboden lebst. Was für Alternativen bleiben dir also, frag ich mich, ohne Collegeabschluss. Willst du bei Lance einen Aushilfsjob annehmen?“

Ich warf ihr einen giftigen Blick über den Tisch zu und machte mich anschließend über das Frühstück her. Lance war einer unserer Nachbarn. Er hatte eine Rinderfarm und meine Mom wusste sehr genau, dass ich Pferde liebte, mit Rindern aber auf Kriegsfuß stand.

„Das Frühstück ist lecker“, lenkte ich sie vom Thema ab. Ein Sonntagsfrühstück bestand bei uns aus geröstetem Toast, Rührei aus Eiern von unseren eigenen Hühnern, frischer Petersilie aus dem Kräutergarten und Erdbeermarmelade. Die war allerdings gekauft, seitdem meine Grandma nicht mehr lebte. Mit dem Einkochen hatte meine Mom es nicht so. Selbst der Kräutergarten lebte nur noch, weil ich mich so liebevoll um ihn kümmerte. Ihren grünen Daumen hatte meine Grandma ebenfalls nicht an Josie weitergegeben.

„Für den Kräutergarten wäre es ein Todesurteil, wenn ich fortgehe“, griff ich meinen Gedanken auf und spielte auf die Collegegeschichte an.

Meine Mom hatte ihre Kaffee ausgetrunken, spülte gerade die Tasse durch und sah nun über die Schulter zu mir.

„Ohne mich würde der ganze Kräutergarten den Bach runter gehen. Du schaffst es, einen Kaktus vertrocknen zu lassen“, argumentierte ich ausführlicher.

„Na und.“ Sie sah mich unbekümmert an. „Dir ist schon klar, dass ich die Kräuter jederzeit für deine Ausbildung opfern würde, oder?“

Diesmal war ich es, die mit den Augen rollte. „Du treibst mich noch zur Weißglut, Josie.“

Für Außenstehende war es sicher befremdlich, das merkte ich immer wieder, wenn neue Reitschüler zu uns kamen. Aber schon seitdem ich 13 war, sprach ich Josie nicht mehr mit Mom an. Es klang freundschaftlicher und so sehr es meine Mom liebte, sich einzumischen, so viel mehr war sie doch eine Freundin für mich. Wer sonst hätte den Job auch übernehmen sollen? Ohne eine Schule hatte es mir immer an Kontakten gefehlt. Natürlich kamen jeden Sommer Mädchen zum Reiten her. Ab und an blieben sie länger als die Reitstunden, aber richtige Freundschaften hatten sich daraus nicht ergeben. Zumal die meisten Mädchen im Alter von 8 bis 14 waren. Danach schien sich das Interesse an Pferden bei den meisten zu verlieren. Ein Phänomen, das ich nicht verstand und ganz sicher nicht teilte.

„Hast du vor, dich heute mit Hazel zu treffen?“

„Übst du dich im Gedankenlesen?“, konterte ich. Es machte mich nervös, wenn sie das tat. Ich war mir keinesfalls sicher, ob sie einfach eine verdammt gute Intuition besaß, junge Menschen grundsätzlich leicht zu durchschauen waren, oder ob es einfach an mir lag.

„Bin ich ein offenes Buch?“

Meine Mom grinste. „Nicht schon wieder diese Frage, Heather. Für mich bist du kein offenes Buch. Ich kann nur ganz gut erkennen, worüber du nachdenkst.“

Skeptisch sah ich sie an. „Ist das nicht das Gleiche?“

„Ach was“, sie winkte ab und bedeutete mir damit deutlich, dass das Thema für sie erledigt war. „Triffst du dich nun mit Hazel oder nicht?“

„Nein, sie hat abgesagt. Irgendwas Familiäres.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“

„Sollte es dich nicht interessieren, wenn es deiner Freundin nicht gut geht? Vielleicht braucht sie gerade jetzt wen zum Reden.“

„Josie“, unterbrach ich sie und warf ihr einen Blick zu, von dem ich behaupten würde, er sagte bereits deutlich, was ich von ihrer Einmischung hielt.

„Abgesehen davon, dass wir nur halb so enge Freundinnen sind, wie du immer behauptest, hast du Null Erfahrung auf dem Gebiet. Ratschläge von jemandem, dessen bester Freund der Ehemann unserer Nachbarin ist, ein Typ mit dem du Jahre kaum geredet hast, sind echt keine große Hilfe.“

„Du vergisst Ghita“, wehrte meine Mom sich und klang dabei nicht, als rechtfertigte sie sich. Ihr Selbstbewusstsein war bewundernswert, aber in Momenten wie diesen hasste ich es. Es war unmöglich gegen sie zu gewinnen.

„Was auch immer“, murmelte ich und gab damit zu, geschlagen worden zu sein. Daraufhin kam sie zu mir, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und lächelte.

„Es wird dir gut tun, mal rauszukommen. Fahr nach Boulder, verbring den Tag mit Hazel und vergiss den ganzen Rest.“

„Du erhoffst dir bloß, dass Hazel mich überredet, mich ebenfalls in Boulder an der CU einzuschreiben.“

„Ich halte es für sinnvolle Unterstützung.“ Sie lächelte. „Aber mehr als das, finde ich es gut, dass du endlich eine Freundin in deinem Alter hast.“

Ich verzichtete darauf, anzubringen, dass ich mit Ghita enger befreundet war als sie. Ghita war zwar 24, aber das merkte ich kaum. Spielte nämlich so gar keine Rolle, wenn man den ganzen Tag nur über Pferde redete und was sonst noch dazugehörte.

Als ich sah, dass meine Mom sich die Schlüssel von der Fluranrichte nahm, hob ich fragend eine Augenbraue. „Was hast du vor?“ Es war erst viertel vor sechs. Wohin konnte sie schon um diese Uhrzeit wollen?

„Ich fahre mal eben zu Alec rüber.“

„Du fährst mal eben um diese Uhrzeit zu Alec rüber? Warum?“

Und plötzlich verstand ich. Es konnte nur um mein Pferd gehen.

Grace war ein Thoroughbred. Ich hatte das Pferd von einem alten Freund meines Grandpas bekommen. Sein Sohn war Pferdetrainer, aber als er bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, ging der ganze Rennstall den Bach runter. Am Ende waren sie hoch verschuldet und mussten schließlich verkaufen. Josie hatte davon gehört, war bei der Auktion dabei und hatte zwei Pferde mitgebracht. Thunder, ein fünfjährigen Wildfang mit Feuer im Hintern und ohne nennenswerte Abstammung und dann Tiger Lilly. Für Rennen zu alt, aber mit einem hervorragenden Stammbaum. Und das Beste an Tiger Lilly war, sie war gedeckt worden. Sie war zwar schon alt und der Tierarzt hatte bei der Untersuchung behauptet, er könne nicht garantieren, dass sie das Fohlen überhaupt gesund zur Welt brächte, doch für Mom war es nicht nur ein Risiko, sondern sie sah vielmehr die Chance dahinter. Eine, die sich ausgezahlt hatte, denn Grace kam gesund zur Welt. Da Tiger Lilly vier Monate nach Gracies Geburt starb, kümmerte ich mich sehr intensiv um sie. Was bedeutete, wir beide waren nicht voneinander zu trennen. Sie war mein ein und alles und seitdem sie alt genug war, versuchte ich Mom zu überzeugen, sie für Rennen trainieren zu lassen.

„Geht es um Grace?“, fragte ich, obwohl ich mir schon längst sicher war, die Antwort zu kennen.

So wie meine Mom das Gesicht verzog, wusste ich, dass ich richtig lag.

„Ich dachte, wir fahren zusammen rüber. Alec wollte sich Grace heute Vormittag ansehen und du hast versprochen, dass ich dabei sein darf. Niemand kennt sie so gut wie ich, Josie.“

„Das mag sein. Aber es geht hier nicht darum, wie gut du Grace kennst, oder darum, Alec von ihren Qualitäten zu überzeugen, indem du ihm mit deiner liebenswerten Art das Herz weich klopfst.“

Ich stöhnte laut, aber sie überging mein Protest.

„Er kennt sich mit Pferden aus, Heather. Du hast gesehen, wie gut er ist. Sein Vater war einer der erfolgreichsten Trainer und später Züchter. Er versteht was von Rennen. Ich bin bereit, deinem Wunsch nachzugeben. Alec soll sich eine Meinung bilden, ob es sich für uns lohnt, Grace im Frühjahr für die Kentucky Derby Prep Season anzumelden.“

Im Oktober würde Grace zwei Jahre alt sein. Wir hätten jede Menge Zeit, sie zu trainieren und fit zu machen, bevor im Februar die Anmeldungen starteten. Die Anmeldegebühr war nicht so hoch, dass hatte ich bereits recherchiert. Wenn es für die Kentucky Oaks nicht reichte, konnten wir auch im April einige Rennen im Arapahoe Park bestreiten. Der Race Track lag nahe Aurora und war nicht weit von Boulder entfernt. Ich hatte mir alles gut überlegt und das Leuchten in meinen Augen musste Mom verraten haben, was ich geplant hatte.

„Wenn, und ich betone wenn Alec der Meinung ist, sie hat eine Chance und er sich außerdem bereit erklärt, sie zu trainieren für einen Preis, den ich zahlen kann, werde ich darüber nachdenken.“

Ich sah sie ungläubig an. „Nachdenken? Was gäbe es da noch zu überlegen?“

„Schätzchen, wir müssen nicht nur Alec bezahlen, Grace würde anderes Futter brauchen, andere Check-Ups, eine andere Ausrüstung und selbst die freien Rennen zu Trainingszwecke haben eine Anmeldegebühr. Ganz zu schweigen von den Fahrtkosten und dem Gehalt für einen richtigen Jockey, ohne den wir Grace für gar kein Rennen anmelden brauchen.“

Und da waren wir beim Thema angekommen. Ich hielt der Herausforderung in ihrem Blick stand und wich nicht aus. Diesmal nicht. Sie war sturer, als jeder Mensch, den ich kannte. Aber ich war ihre Tochter und würde nicht kleinbeigeben.

„Du müsstest keinen Jockey bezahlen, wenn du mich reiten lässt.“

„Heather…“

Aber ich unterbrach sie direkt. „Ich bin kein Profijockey, das weiß ich. Aber Grace ist auch kein Profirennpferd. Wir sind beide Frischlinge. Ich kenne Grace seit dem ersten Tag, den sie auf der Welt ist. Zusammen können wir fliegen und ich weiß, dass wir Großes erreichen können. Warum lässt du es mich nicht versuchen?“

„Es gibt sehr wenige weibliche Jockeys, Heather, und noch weniger Frauen reiten in den ganz großen Rennen. Meinetwegen darfst du gerne so viel reiten wie du möchtest. Gerne kannst du Grace im Training helfen und warmmachen. Aber ich möchte, dass du dir für deine Zukunft etwas anderes überlegst, als Jockey zu sein. Damit wirst du weder ein sicheres Einkommen haben, noch ein Leben abseits der Rennstrecke führen können. Du wirst nicht mal Zeit für Freunde oder einen Mann haben, ganz zu schweigen davon, dass du bei einem Maximalgewicht von 58 Kilo nicht an Kinder denken brauchst.“

„Wirklich?“ Ich sah sie scharf an und meine Stimme bebte erregt. „Kinder? Ich soll studieren, damit ich als Mutter mein Dasein friste?“

„Das habe ich nicht gesagt“, wehrte sie sich. Ich sah in ihren Augen, dass meine Worte sie verletzt hatten. Dabei hatte ich es gar nicht so gemeint.

„Aber ich möchte, dass du Alternativen hast. Wenn du dich später für etwas anderes entscheiden möchtest, als Ungewissheit und monatlich wiederkommende Geldsorgen, will ich, dass du die Chance dazu hast.“ Ihr Blick war ernst. „Ich hatte sie nicht, Heather.“

Ich verschränkte die Arme. „Was soll das heißen? Bereust du es etwa? Wärst du jetzt lieber woanders? Irgendwo in Denver, in einem hübschen Büro mit einem weißen Reihenhaus oder einer kleinen Drei-Zimmer Wohnung?“

„Darum geht es mir nicht. Du bist zu jung, um zu verstehen, was es bedeutet die Verantwortung für so eine Ranch zu tragen. All das allein zu machen und nicht einfach jeden Morgen aufzuwachen und zu wissen, du fährst zur Arbeit, Ende des Monats bekommst du dein Gehalt und wenn du sparst, geht es dir damit sogar so gut, dass du eventuell mal in den Urlaub fahren kannst.“

Ich wusste, dass die letzten Monate alles andere als einfach waren. Sie hätte sich andernfalls niemals von Belle und Henry getrennt, die beide schon vier Jahre bei uns gewesen waren. Aber es kamen immer weniger Erwachsene zu uns, die Pferde für Ausflüge brauchten. Die Konkurrenz war groß und die Nachfrage nahm ab. Sie konnte mehr Geld damit verdienen, die frei gewordenen Boxen an Pferdebesitzer zu vermieten. Jedenfalls behauptete sie das.

„Du bist nur dagegen, weil es bedeuten würde, dass ich viel herumreise.“

Als Jockey arbeitete man saisonabhängig und war selten an einen Rennstall gebunden. Viel wahrscheinlicher trainierte man Pferde für verschiedene Arbeitgeber und unterschiedliche Rennen. Jedenfalls solange, bis man sich einen Namen gemacht hatte.

„Was ist verkehrt daran, Träume zu haben?“ Ich sah meine Mom hoffnungsvoll an.

„Gar nichts, Heather.“ Sie schüttelte den Kopf. „Träume zu haben, ist niemals verkehrt.“

„Und warum kannst du dann nicht akzeptieren, dass ich werden will, was du bist? Wieso ist es nicht okay für dich, dass ich mir nichts mehr wünsche, als hier zu sein, dir zu helfen, mit unseren Pferden zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass wir die Ranch behalten können?“

Sie seufzte und diesmal klang es beinah so, als gäbe sie nach.

„Nichts daran ist verkehrt. Ich bin sehr froh und unwahrscheinlich stolz darauf, wie sehr du mich unterstützt. Egal, was ich von dir verlange, du bist immer bereit zu helfen. Aber kannst du nicht auch verstehen, dass ich Angst habe? Irgendwann blickst du zurück und merkst, dass du hier festsitzt und keine Alternativen im Leben hast. Ist es falsch, wenn ich mir mehr für dich wünsche? Und bevor du antwortest, bedenke bitte, dass ich nicht nur deine Freundin, sondern auch deine Mom bin.“

Sie setzte diesen Blick auf, den sie nur dann anwendete, wenn sie unbedingt Recht behalten wollte und wusste, dass ich ihr mit jenem Blick niemals eine Bitte abschlagen würde.

„Nein“, gab ich ehrlich zu. „Das ist nicht falsch. Und ich verstehe dich.“ Ich sagte es nicht nur wegen ihres Blicks. „Ich habe auch nicht behauptet, dass ich über das College nicht nachdenke. Doch ich möchte Grace reiten, als ihr Jockey.“

Sie seufzte.

„Gib mir die Chance, dass Alec mich reiten sieht. Lass ihn entscheiden.“

Meine Mom sah nicht überzeugt aus und ich lenkte ein. „Hör dir wenigstens seine Meinung an. Ob ich eine Chance hätte. Und danach können wir uns in Ruhe über die Möglichkeiten unterhalten. Versprichst du mir das?“

Sie schwieg ein paar Sekunden länger als mir lieb war, aber dann nickte sie.

„Na schön. Aber nicht mehr heute. Du kannst dich um die Pferde kümmern. Thunder braucht auch mal wieder Auslauf und ich habe später noch Reitstunden und weiß nicht, ob ich heute dazu komme. Ich verspreche dir, ich rede mit Alec darüber und höre mir an, was seine Meinung dazu ist. Wenn er mich überzeugt, rufe ich dich an und du kannst vorbeikommen.“

„Und was ist mit Hazel?“, fragte ich. „Soll ich nicht nach Boulder fahren und mich ihr aufdrängen?“

„Nein“, sie lachte. „Sich aufzudrängen, ist niemals sinnvoll. Glaub mir. Selbst ohne viele Freundinnen, weiß ich darüber gut Bescheid. Ruf sie später einfach an, erkundige dich, wie es ihr geht. Lad sie ein, das nächste Mal nach dem Reiten bei dir zu bleiben. Dann könnt ihr gemeinsam was unternehmen.“

Ich nickte. Ganz so würde ich es nicht machen. Ich war keine sechs mehr, aber vielleicht konnten Hazel und ich das nächste Mal gemeinsam ausreiten. Sie nahm lang genug Unterricht, so dass ich ihr zutraute, eine Runde mit mir im offenen Gelände zu reiten.

Meine Mom kam herum, küsste mich auf die Stirn und dann verließ sie die Küche. Mit einem Seufzer sah ich auf den gedeckten Tisch und die volle Spüle, in der noch das Geschirr von gestern Abend lag.

Bevor ich ausreiten konnte, musste ich erstmal den Abwasch machen. Das erledigte ich in einer Viertelstunde Rekordzeit, was daran lag, dass ich Spüldienst gewohnt war. Ich hatte schon zu Grandmas Zeiten in der Küche meine kleinen Pflichten gehabt. In meiner Familie war Faulenzen eine Todsünde und das Wort Freizeit ein Fremdwort. Es sei denn, man verstand Reiten als Freizeit und hatte sonst keine Hobbys. Was nicht selbstverständlich war, aber auf mich zutraf. Es hatte seine Vorteile, wenn man nicht ganz so war, wie die meisten anderen Mädchen in meinem Alter.

Sobald ich in der Küche fertig war, ging ich in den Stall. Die Tiere begrüßten mich mit Wiehern. Sie erkannten mich an meinem Schritt und während ich mich der ersten Box widmete, summte ich leise vor mich hin. Ich wusste, dass sie das mochten.

Ich hatte erst zwei Boxen ausgemistet, als das Telefon klingelte. Wir hatten schon seit Jahren ein zweites Telefon im Stall. Sehr praktisch, wie sich auch jetzt wieder herausstellte, denn hier drin hätte ich Alecs Anruf sonst sicher verpasst.

Ich war mir sicher, dass es Alec war. Niemand sonst rief sonntags um sieben an. Und Mom wäre bestimmt zu stolz, um zuzugeben, dass sie sich getäuscht hatte.

Denn eines hatte sie in ihrer Argumentation nicht bedacht. Alec war ein richtig guter Pferdekenner und würde ein super Trainer sein. Was bedeutete, dass er Mom niemals einen Rat geben würde, ohne mich zuvor auf Grace reiten gesehen zu haben. Und nicht einfach so, sondern auf einer Rennbahn.

Ich war mir daher sehr sicher, dass Alec wollte, dass ich vorbeikam, bevor er sich ein Urteil bildete. Mit einem gutgelaunten Lächeln stellte ich die Mistgabel beiseite, eilte zum Telefon und nahm ab.

„McCorie Ranch“, meldete ich mich.

„Heather?“

Ich lächelte breit und überhörte dabei völlig, wie angespannt Alec klang.

„Alec, du bist es wirklich. Ich habe schon damit gerechnet, dass du anrufst.“

„Heather“, unterbrach er mich. „Du musst herkommen.“

„Zu euch?“

„Nein, ich bin an der Kreuzung Bluebell Road.“

Das war bei uns ganz in der Nähe. „Was machst du denn da?“

„Heather, ich erkläre dir alles, wenn du hier bist. Aber komm und beeil dich.“

Alecs Ton klang gar nicht so locker wie sonst. Es erinnerte mich daran, dass er früher mal Polizist gewesen war. Denn genau so stellte ich mir die Stimme eines Polizisten vor, wenn er einem mitteilte, dass etwas Furchtbares passiert war. Das hatte ich als Kind ständig geträumt, weil es leichter war, sich auszudenken, mein Vater hätte einen Unfall gehabt, statt mich einfach im Stich zu lassen.

Ein ungutes Gefühl krabbelte nun meinen Rücken hinauf, so wie eine Kolonne von Ameisen. Unaufhaltsam.

„Was ist passiert?“

„Das erzähle ich dir nachher.“

„Ist was mit Mom?“

„Deiner Mom geht es gut. Aber …“

„Grace“, flüsterte ich leise. Es gab nur einen Grund warum er anrief, obwohl ich nicht verstand, warum er deswegen an der Bluebell Road war und nicht bei sich auf der Ranch. Und wieso zum Teufel klang er so, als sei etwas sehr Schlimmes passiert?

„Geht es um Gracie?“

Alec sagte etwas, was ich durch Störgeräusche kaum verstand. Auf mein Nachfragen hin erhielt ich ebenfalls nur Undeutlichkeiten. Frustriert legte ich auf.

Ich verlor keine Zeit, als ich Thunder sattelte und aufzäumte. Er war das schnellste Pferd im Stall und da Mom das Auto hatte, blieb mir nur ein Pferd. Wobei ich das jederzeit einem Auto vorzog. Denn offiziell hatte ich nicht mal einen Führerschein.

Keine fünf Minuten später ritt ich aus dem Stall über den Hof. Ich trieb Thunder zu Höchstleistungen an und schon bevor ich etwas sah, hörte ich in der Ferne die Sirene eines Krankenwagens.

Das war der Moment, in dem mir das Herz in die Hose rutschte und ich ahnte, dass wirklich etwas Schlimmes passiert sein musste. Doch wie schlimm, erkannte ich erst, als ich die Szene vor mir sah und Thunder so abrupt stoppte, dass ich fast aus dem Sattel fiel.

Moms Autotür war verbeult, ein anderer Wagen stand quer und sah noch viel schlimmer aus. Aber all das nahm ich nicht wahr. Meine Augen waren auf den umgekippten Transporter geheftet. Trotz der vielen Menschen, erkannte ich etwas Braunes. Ich wusste dass es Gracie war. Alec richtete sich auf. Ich kam näher geritten, diesmal langsam. Als ich aus dem Sattel glitt, fühlte es sich an, als wäre ich leicht wie eine Feder. Ich merkte nicht mal, wie ich auf ihn zukam.

„Wir warten auf den Tierarzt für eine endgültige Diagnose.“ Alec hielt mich an den Schultern fest, aber ich hatte nur Blicke für Grace, wie sie da auf dem Boden lag.

„Es sieht nicht gut aus, Heather.“ Er entschuldigte sich oder sagte irgendwas Nettes. Was genau hörte ich nicht mehr, denn ich hatte mich losgerissen, und war, um Grace herumgegangen. Ich kniete mich vor sie. Ihre dunklen, warmen Augen sahen auf und unsere Blicke trafen sich.

„Gracie“, flüsterte ich und merkte nicht mal, dass ich weinte. Alles was ich sah, war die Treue in ihren Augen und den endgültigen Abschied. Bevor Dr. Lawson, unser Tierarzt, hier war, war mir bereits klar, dass das die letzten Minuten mit Grace waren. Ich wusste es, weil sie es mir mitgeteilt hatte und ich fühlte es tief in meinem Herzen. Ihre Schmerzen, die zu meinen wurden.

Mir war in jenem Moment nicht klar, wie lang dieser Tag mich verfolgen und wie sehr dieser Abschied mein Leben verändern würde.

Country Roads

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