Читать книгу Country Roads - Mila Brenner - Страница 4

Ein furchtbarer Wochenstart

Оглавление

„Morgen, Heather.“

„Morgen“, ich nickte Ghita zu und setzte mich an den Tisch. Das Müsli stand schon bereit.

Meine Mom sah von Ghita zu mir und wieder zu Ghita. An ihrem darauffolgenden Seufzen konnte ich erkennen, dass sie genervt war. Wie schön. Dann empfanden wir ja ähnlich. Wenigstens in einer Sache.

„Du musst deine schlechte Laune nicht an Ghita auslassen, weißt du.“

„Lass doch, Josie“, mischte sich Ghita ein, aber meine Mom ignorierte sie. Ghita wusste nicht, dass Josie sich niemals von etwas abbringen ließ. Aber woher auch? Sie war ja nicht ihre Tochter. Ich schon und daher rechnete ich auch gar nicht damit, dass sie einlenkte.

„Es ist nicht in Ordnung.“

„Und du duldest es nicht. Ich weiß“, beendete ich ihre Rede und sah sie finster an.

„Glaub nicht, dass ich Mitleid mit dir bekomme, weil du beschlossen hast, dich wie ein Kind aufzuführen.“

Ich hob eine Augenbraue. „Ich dachte das bin ich? Behandelst du mich nicht bei allem anderen so?“

„Nein, nur bei Angelegenheiten, in denen es mir nützlich ist.“ Sie lächelte mich an.

Aber diesmal erreichte ihr Humor nichts. Ich lächelte nicht und gab auch nicht nach. Es war meine Mom, die schließlich wegsah und sich Ghita zuwandte.

„Also was steht heute an?“

„Du hast nachher einen Termin mit dem Futterlieferanten. Um 12 kommen die Alcotts vorbei, um über den neuen Vertrag zu sprechen, und um zwei kommen die Evans.“

„Richtig. Bist du bis um zwei wieder hier?“, wollte Josie von Ghita wissen.

„Kann ich noch nicht sagen.“

„Wo bist du denn?“

Ich wollte mich nicht dafür interessieren, konnte aber nichts dagegen machen. Noch ehe ich so richtig darüber nachgedacht hatte, war mir die Frage auch schon herausgerutscht. Ghita lächelte mich an.

„Alec und ich fahren zu einer Pferdeauktion.“ Sie legte den Kopf schräg. „Hast du nicht Lust mitzukommen?“

„Nein.“

„Aber wieso nicht?“ Ghita sah mich an. „Ich bin sicher, du könntest uns helfen. Du hast immerhin ein gutes Auge für Pferde.“

„Das hat Alec auch. Ihr macht das schon“, wehrte ich entschlossen ab. Das Kapitel lag hinter mir.

„Außerdem habe ich schon was anderes vor.“

„Ach ja?“ Meine Mutter sah fragend zu mir. „Was denn?“

„Wenn ich den Stall ausgemistet habe, fahre ich mit dem Bus nach Boulder.“

„Wann wirst du wieder zurück sein?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß ich noch nicht. Warum?“

„Weil ich dich nachher hier auf der Farm brauche.“

„Wann nachher?“

„Um zwölf.“

„Für das Gespräch mit den Alcotts?“ Ich sah sie verwundert an. „Das ist doch reine Verhandlung.“ Die Alcotts stellten seit Jahren ihre Pferde bei uns unter. Danger war ihr neuster Kauf und ich war mir sicher, weil sie schon Lightning und Quake hier stehen hatten, wollten sie nun einen Sonderpreis rausschlagen.

„Ich wüsste nicht, wie ich dir dabei helfen kann.“

„Es geht auch nicht um die Alcotts.“

„Dann ist ja gut.“ Ich versuchte es so klingen zu lassen, als wäre das Gespräch beendet.

„Ich brauche dich wegen einer anderen Sache. Jetzt da Ghita nicht da ist und ich den ganzen Mittag über Termine habe.“

„Bist du sicher? Denn, wenn ich mich richtig erinnere, warst du es, die behauptet hat, sie käme ohne mich zurecht und ich solle nicht bis zum Semesterbeginn damit warten, mich rar zu machen. Du wolltest eine schonungslose und sofortige Abnabelung.“

„Heather“, entgegnete meine Mom, aber ich ließ sie nicht aussprechen.

„Wenn es nach dir gegangen wäre, hätte ich glatt ausziehen sollen. Das wäre so viel praktischer. Denn dann hättest du der neuen Aushilfe gleich den Dachboden vermieten können.“

„Das ist nicht fair.“

Überrascht sah ich zu Ghita, die sich sonst aus diesen Dingen heraushielt. „Du weißt, dass deine Mom dich gerne hier hat. Sie möchte nur nicht deiner Zukunft im Weg stehen.“

„Oh das tut sie nicht“, erwiderte ich frostig.

„Schon gut.“ Meine Mom nutzte ihren nachsichtigen Ton, was mir bewies, dass sie ihre Worte an Ghita richtete, nicht an mich.

„Es ist eine Ausnahme, Heather. Christopher Channing kommt heute um zwölf. Ich hatte vergessen, dass ich die Gespräche mit den Alcotts und den Evans am Mittag habe, sonst hätte ich ihn gleich morgens herbestellt.“

Christopher Channing. Und da war er gefallen. Der Name, der das letzte bisschen meiner guten Laune in null Komma Nichts zerstörte.

„Ich hoffe, du erwartest nicht von mir, dass ich mich um ihn kümmere?“

„Ich würde, dich nicht fragen, wenn ich es nicht müsste“, konterte Josie. „Ich weiß, dass du keine Lust hast, mit ihm zu reden.“

„Und du verstehst nicht warum?“

„Ich verstehe warum.“

„Das glaube ich nicht. Wenn es so wäre, hättest du dich niemals auf diesen verrückten Deal eingelassen.“

„Dass er für vier Monate bei uns arbeiten wird, hilft mir mehr, als ein bisschen Geld es getan hätte. Der Wagen ist nicht mehr der Neuste und der Transporter hätte nicht viel Geld von der Versicherung eingebracht. Und …“

Bevor meine Mom, ihren Namen aussprechen konnte, hielt ich sie auf. „Sag es nicht!“, giftete ich. „Ich weiß das alles. Da sie keine nachweisbaren Einnahmen für die Ranch erbracht hat, gibt es von der Versicherung nur den durchschnittlichen Entschädigungssatz.“ Wir hatten Grace nicht in die Versicherung aufgenommen gehabt.

„Der hätte nicht viel mehr als die Kosten des Tierarztes abgedeckt.“ Meine Mom sah mich an. In ihrem Blick bat sie um Verständnis. „Da die Channings unbedingt eine Anzeige verhindern wollten, konnte ich bei diesem Deal viel besser verhandeln.“

Sie hatten die Tierarztkosten übernommen, die Rechnung des neuen Transporters bezahlt und sich bereit erklärt, dass ihr Sohn für vier Monate auf unserer Ranch arbeitete. Dafür hatte Mom auf die Anzeige verzichtet. Es sollte Wiedergutmachung und Strafe in einem sein.

„Ich hasse dieses Arrangement trotzdem. Und das hast du auch gewusst, als du es vorschlugst.“

„Ich wusste, es würde dir nicht gefallen. Aber nur so können wir die nächsten Monate etwas Geld sparen und dir ein neues …“

An dem Punkt sprang ich regelrecht von meinem Stuhl auf. Er kippte nach hinten und meine Mom hielt in ihrem Satz inne.

Ohne sie oder Ghita anzusehen, verließ ich die Küche. Ich warf die Tür ins Schloss und es war mir egal, dass ich mich aufführte, wie ein trotziges Kind. Nicht mal als Kind war ich so kindisch gewesen. Das war mir wohl bewusst. Aber ich konnte nicht verstehen, dass niemand begriff, wie es mir ging. Wie es sich anfühlte, dass der Typ, der Schuld an Gracies Tod hatte, hier arbeiten würde. Dass ich ihn für vier Monate jeden Tag sehen musste. Es fühlte sich viel mehr wie eine Strafe für mich als für ihn an. Und ich hasste es.

„Morgen, Heather.“

Ich sah auf. Blind vor Wut hatte ich gar nicht gemerkt, dass Alec seinen Volvo auf dem Hof geparkt hatte. Er klopfte gerade seinen Hut ab, setzte ihn auf und kam dann zu mir. Obwohl ich stinksauer war, entfloh mir ein Lächeln, als er sich gegen die Säule des Verandadaches lehnte und mich prüfend ansah.

„Dicke Luft?“

„Wie kommst du denn darauf?“, wollte ich von ihm wissen und lehnte mich ihm gegenüber an die andere Säule.

„Nur so eine Ahnung.“

„Aha.“ Ich lächelte etwas breiter, als er mich weiterhin mit diesem durchdringenden Blick ansah, ohne etwas zu sagen. „Er kommt heute.“

Alec verstand ohne jede weitere Erklärung, von wem die Rede war.

„Wenn du willst, kannst du mit mir und Ghita mitkommen“, schlug er vor. „Hilft dir nicht für morgen und übermorgen. Aber ich hätte nichts dagegen.“

„Danke.“ Ich meinte es ehrlich und sah ihm an, dass er das auch herausgehört hatte.

„Du lehnst trotzdem ab?“

„Ich will mir keine anderen Pferde ansehen.“ Schon wieder hörte ich mich trotzig wie ein Kleinkind an.

„Wäre vielleicht gut für dich.“

„Sie sind nicht Gracie.“

Alec lächelte verständnisvoll. „Nein, sind sie nicht.“ Er belehrte mich keines besseren und er sagte auch sonst nichts. Er wusste, dass Worte meinen Schmerz nicht erträglicher machen konnten. Genau deswegen war er so ziemlich der einzige Mensch, mit dem ich seit dem Unfall über Grace gesprochen hatte. Der Einzige, der wusste, wie es in mir wirklich aussah.

„Ich hoffe, du bist nicht sauer deswegen.“ Vorsichtig sah ich ihn an.

„Ich bin nicht sauer, Heather.“ Er kam zu mir und strich mir übers Haar. „Ich mag Ghita. Sie hat nicht so ein gutes Auge für Pferde wie du, aber immerhin mag sie Countrymusik.“

Ich lachte über seinen Witz. Obwohl ich nicht wusste, ob das stimmte. Ghita war so umgänglich, dass ich mir nie sicher war, ob sie wirklich all das mochte, was sie vorgab zu mögen, oder ob sie nur gut darin war, sich anzupassen.

Ich war offensichtlich eine Niete darin. Ich konnte mich an keine Veränderungen anpassen. Alle anderen um mich herum waren stark genug, einfach weiterzumachen. Ich fühlte mich nicht dazu in der Lage, so zu tun, als ob ich an irgendetwas Interesse hatte. Geschweige denn, dass ich es empfunden hätte.

„Mach es ihm schwer, aber sei nett.“ Alec sah mich auffordernd an.

„Warum sagst du das?“, wollte ich wissen.

„Er hat es verdient.“

„Dass ich es ihm schwer mache, ganz sicher. Aber dass ich nett zu ihm bin?“

„Ja, das auch.“ Alec führte es nicht weiter aus. Doch sein Blick genügte, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen.

„Ich hatte mir vorgenommen, ihn zu hassen. Ich hasse ihn“, murmelte ich mit gesenktem Blick auf meine Reitstiefel.

„Das kannst du ruhig. Ich täte es an deiner Stelle sicher auch.“

„Aber er hat es nicht verdient, willst du damit sagen?“

„Er hat verdient, dass du nett zu ihm bist. Ich bin sicher, er kann es gebrauchen.“

„Ach ja?“ Ich begriff nicht, warum dieser Channing meine Nettigkeit brauchte.

Alec nickte und dann öffnete sich die Tür.

„Dachte mir doch, dass ich dich gehört habe.“ Meine Mom kam heraus und umarmte Alec freundschaftlich. Ghita folgte ihr und sah mich an.

„Hast du es dir anders überlegt, Heather?“

Ich schüttelte den Kopf. Immer noch beschäftigten mich Alecs Worte.

„Schade.“ Ghita seufzte und wandte sich Alec zu. Sie klinkte sich in das Gespräch zwischen ihm und Mom ein. Ich ließ ich die drei allein, um in den Stall zu gehen, die Pferde auf die Weide zu bringen und danach die Boxen auszumisten.

Im Augenblick waren im Stall bloß zehn der zwanzig Plätze belegt. Darunter befanden sich Penny und Rick. Penny war dabei die erste Wahl für die zögerlichen Anfänger. Sie war mittlerweile 15 Jahre alt. Auf ihr hatte ich reiten gelernt und daher war Penny für mich nach wie vor etwas Besonderes. Ich ließ mir immer besonders viel Zeit, wenn ich sie striegelte und verwöhnte sie mehr, als es Mom Recht war. Wobei ich annahm, dass sie nur so tat, als störe es sie. Rick war kein Shetland Pony, sondern ein American Shetland Pony und damit ein wenig schmaler und größer im Bau. Auf ihm konnten diejenigen sitzen, die für Penny zu groß waren.

Für die älteren Reitschüler oder erfahreneren Reiter hatten wir drei weitere Pferde: Esther, Lola und Terry. Alle drei gehörten der Rasse Missouri Foxtrotter an. Eine sehr beliebte und weit verbreitete Pferderasse in Amerika. Für uns waren sie wegen der weichen Gangart ideal, weil sie für ungeübte Reiter leicht zu reiten waren und über ausgesprochen gute Ausdauer verfügten. Bei Geländeausritten war das immer hilfreich.

Thunder, Moms Pferd war ein Quarter Horse. Genau wie Gracie es gewesen war. Nur ohne den tollen Stammbaum. Allerdings bedeutete das nicht, dass er nicht ein erstklassiges Rennpferd abgegeben hätte. Thunder war schnell und Feuer besaß er auch. Allerdings war er mit seinen fünf Jahren nicht mehr der Jüngste, wenn es darum ging, mit dem Rennsport anzufangen. Das war Alecs Meinung und ich hatte ihm zugestimmt, ohne mich laut dazu zu äußern. Nachdem Grace eingeschläfert worden war, hatte jede Erwähnung an Rennsport zu sehr wehgetan. Es tat immer noch sehr weh. Aber das bedeutete nicht, dass ich mich nicht mehr für den Sport und die Tiere interessierte.

Ich streichelte Penny. „Ich liebe euch ja, das weißt du, mein Mädchen, nicht wahr?“ Die treuen Augen des Ponys wirkten, als verstände sie jedes Wort. Und wenn es nach mir ging, war das auch so. Ich lächelte, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und nahm Lola und Esther, die beiden Schwestern, am Halfter. Rick und Penny folgten uns ohne dass ich mir Gedanken darum machen musste. Nachdem ich die vier auf die Weide gebracht hatte, brachte ich auch Thunder und Terry hinaus.

Das waren unsere sechs Pferde, die wir zusammen auf der Weide hielten. Dazu kam noch Ghitas Hengst Dash. Ein wunderschönes Curly Horse. Dash war vier Jahre alt und Ghita ritt mit ihm Turniere, wann immer sie dazu kam. Zuerst im Springen, aber in diesem Jahr hatte sie angefangen, sich fürs Westernreiten zu interessieren und dank der Lernwilligkeit, die Curly Horses eigen war, hatten sie sogar an einem Turnier in Aurora mitgemacht. Dabei hatten sie den fünften Platz belegt, was für einen Einsteiger nach einem Wochenendturnier im K.O. System wirklich gut war.

Dash durfte ebenfalls zu unseren Pferden auf die Weide. Die zwei Pferde der Alcotts kamen auf eine andere Koppel. Lightning und Quake waren beide Western Show Pferde und als solche sehr erfolgreich. Das letzte Pferd, was ich hinausführte, gehörte Marian Beckett. Ihre Stute Angel war nichts Besonderes, so wie die Pferde der Alcotts, aber ihre Besitzerin dafür umso mehr. Marian Becketts Eltern besaßen viel Geld. Was sie arrogant und versnobt jedem unter die Nase rieb, der es wissen oder nicht wissen wollte. Sie befürchtete andauernd, dass ihre Stute krank werden und wir uns nicht gut genug um sie kümmern könnten. Denn Marian kam nur noch an den Wochenenden zum Reiten hierher, seitdem sie letzten Sommer mit dem Studium an der Boulder University begonnen hatte. Um ganz sicher zu gehen, bestand sie darauf, Angel bei den Pferden der Alcotts zu wissen. Da die nichts dagegen hatten, taten wir Marian den Gefallen, obwohl ich strikt dagegen gewesen war, ihr eine Sonderbehandlung zu gestatten. Anderseits bezahlten ihre Eltern gutes Geld für Angels Unterbringung und meine Mom hatte Recht, wenn sie den Forderungen nachgab, statt unserem Stall eine weitere leere Box hinzuzufügen.

Auch diese Pferde waren sehr schnell auf die Weiden gebracht. Sie freuten sich darauf. Vor allem Quake und Lightning genossen die Freiheit. Sie hatten anstrengende Wochen hinter sich, in denen sie fast jedes Wochenende an Western Shows teilgenommen hatten. Es war schön anzusehen, wie sie nun herumtrabten, sich gegenseitig neckten und einfach ihr Dasein genossen.

Es lenkte mich soweit ab, dass meine Wut langsam aber sicher verrauchte. Als ich zurück in den Stall kam, fühlte ich mich nicht mehr ganz so sehr, als müsste ich etwas kaputtmachen. Ich trug die Pferdeäpfel und das feuchte Stroh sorgfältig ab, spülte die Futter und Wassertröge aus und anschließend füllte ich sauberes Stroh auf. Obwohl der Stall nur halb gefüllt war und ich somit nur zehn Boxen auszumisten hatte, war ich fast zwei Stunden beschäftigt, bis ich ganz fertig war. Mittlerweile war es um neun.

Alec und Ghita waren längst losgefahren und meine Mom saß in ihrem Büro, im Stall und telefonierte.

Ich schlich mich aus dem Stall, falls sie auf die Idee kam, mich zu sich zu rufen, um noch mal über die Sache mit Christopher Channing zu sprechen. Im Haus ging ich ins obere Stockwerk, zog meine Klamotten aus und sprang unter die Dusche. Erst als ich wieder sauber war und mein Haar von hängengebliebenen Strohhalmen befreit hatte, zog ich mir etwas Frisches an. Dabei machte ich nicht viel Aufheben, aber ich trug keine Reithose, sondern eine beigefarbene Leinenhose und darüber eine dunkelbraune Bluse mit weißen kleinen Blümchen.

Die Sachen waren schon zwei Jahre alt. Jedenfalls konnte ich mich daran erinnern, sie zu meinem siebzehnten Geburtstag getragen zu haben, als Mom mit mir in Boulder zur Feier des Tages etwas essen gegangen war. Keine Ahnung, ob sie für mich, jetzt da ich in zwei Monaten 19 wurde, zu mädchenhaft geworden waren. Über so etwas hatte ich mir nie Gedanken gemacht.

Ich war mir sicher, Hazel hätte eine Meinung dazu gehabt. Obwohl sie ein Dreivierteljahr jünger als ich war, kannte sie sich mit diesen Dingen viel besser aus. Allerdings hatte sie sich auch jahrelang mit Mode und Mädchenkram beschäftigt. Ich dagegen nie.

Der Gedanke an Hazel tat weh. Nicht so sehr wie der an Rennsport oder Gracie. Aber immer noch genug. Nachdem ich herausfand, dass ihr Bruder den Unfall verursacht hatte, hatte ich mich geweigert mit ihr zu reden. Wenn sie zum Reiten hergekommen war, richtete ich es ein, nicht daheim zu sein und wenn sie unangemeldet kam, floh ich auf den Dachboden und weigerte mich, herunterzukommen. Meine Mom war nicht bereit, am Telefon für mich zu lügen und sagte Hazel, dass ich keine Lust hatte mit ihr zu reden. Nach einigen erfolglosen Versuchen, sich mit mir zu treffen, hatte sie aufgegeben.

Ich wusste, dass der Unfall nicht ihre Schuld war. Natürlich nicht. Sie war nicht ihr Bruder. Wahrscheinlich hatte sie ein schlechtes Gewissen und es tat ihr furchtbar leid. Aber der Gedanke machte es nicht leichter. Ich hatte nie eine wirkliche Freundin gehabt und wusste daher nicht, ob so etwas dazu gehörte. Oder ob Hazel sich nur entschuldigen wollte, weil sie sich für ihren Bruder schämte. Jedenfalls war meine Unsicherheit ihr gegenüber viel mehr der Grund für meine Flucht, als dass ich sauer auf sie war. Ich war mir nicht sicher, ob sie das wusste.

Aber genau deswegen fuhr ich heute nach Boulder. Ich hatte mich daran erinnert, dass Hazel heute zu einer Einführungsveranstaltung der CU gehen wollte. Ich hatte nicht vorgehabt, dahin zu gehen. Aber da ich nicht einfach bei ihr zuhause anrufen oder auftauchen wollte, fand ich, war es eine gute Gelegenheit, Hazel dort zu treffen und ihr zu sagen, dass es mir leid tat, wie ich mich in den letzten sechs Wochen verhalten hatte. Ich wusste nicht, ob wir wirklich Freundinnen waren, es werden konnten oder ob wir im Grunde gar nichts gemeinsam hatten. Aber wenn ich sie mit meinem Verhalten verletzt hatte, tat es mir leid und das sollte sie wissen.

Unten in der Küche befestigte ich eine Notiz am Kühlschrank. Ich schrieb meiner Mom, dass ich mich bemühte, um zwölf wieder da zu sein, aber nichts versprechen könne, weil ich bei einer Einführungsveranstaltung der Universität sei. Das war selbst für sie ein Grund, den sie verstehen würde. Immerhin war sie es gewesen, die mich gedrängt hatte, mich so schnell wie möglich einzuschreiben.

Seitdem Gracie fort war, hatte ich nicht mehr viel zum Argumentieren gehabt. Sämtliche anderen Pläne waren mit ihr gestorben. Ebenso wie meine Wünsche. Jetzt wusste ich nicht mehr, was ich wollte. Ich war noch verwirrter als vorher. Denn nach wie vor fühlte es sich nicht gänzlich falsch an, wenn ich mit dem Landbus nach Boulder hinein fuhr und an der Apprahoestreet ausstieg, um zum Campusgelände zu gehen. Im Gegenteil, jetzt fühlte es sich sogar besser an. Ich entkam den schmerzhaften Erinnerungen, die mir auf der Farm ständig auflauerten. Aber ob ich glücklich war? Ob das hier das Richtige für mich war? Da war ich mir nach wie vor nicht sicher. Denn wenn ich die vielen anderen jungen Menschen zusammenstehen sah, die College T-Shirts trugen, mit Schildern für Vereinigungen und Clubs warben, die von Partys erzählten, von süßen Mädels und coolen Jungs, sich über die kommende Footballsaison statt über Pferdesport unterhielten, fühlte ich mich, als wäre ich von einem anderen Planeten. Ich gehörte einfach nicht dazu. Aber wollte ich das denn überhaupt?

Seufzend schlängelte ich mich durch die Gruppierungen, die mir herzlich wenig Aufmerksamkeit schenkten. Genauso wenig wie ich ihnen. Als ich das zentrale Gebäude der Universität erreichte, war es stiller geworden. Weniger Studenten liefen hier herum. Nur diejenigen, die heute tatsächlich an der Einführungsveranstaltung teilnahmen. Und zu meinem Glück gab es weniger Vernünftige, als Unvernünftige unter den Erstsemestern. Andernfalls wären meine Chancen, Hazel in der Menge ausfindig zu machen, in sich zusammen gefallen. So aber entdeckte ich sie nach einigen Minuten Suchens. Sie hatte mich nicht gesehen und ich machte sie auch nicht auf mich aufmerksam. Ich wusste ja nicht, ob sie mich überhaupt sehen wollte. Erst als ich sie fast erreicht hatte, sah sie doch in meine Richtung. Sie erkannte mich, weswegen ich schüchtern die Hand hob und ihr zuwinkte. Danach sah ich sie unsicher an. Ich war stehen geblieben und unglaublich erleichtert, als sie mich hier nicht vor all den Leuten stehenließ, die plötzlich zu mir sahen, als sei mein Winken eine offizielle Einladung gewesen, mich anzustarren.

„Heather.“ Sie klang genauso zögerlich, wie ich mich fühlte. „Ich wusste nicht, dass du heute hier sein würdest.“

Ich fragte mich, ob sie damit sagen wollte, dass sie unter den Voraussetzungen nicht gekommen wäre. Sie musste es mir im Gesicht abgelesen haben, denn plötzlich lächelte sie zurückhaltend.

„Aber ich freue mich darüber.“

Keine Ahnung, weshalb ich mich so erleichtert bei ihren Worten fühlte. Aber ich war es. Erleichtert.

„Ich bin gar nicht wegen der Veranstaltung hier“, gab ich zu. In ihren Augen glaubte ich zu lesen, dass sie sich das schon gedacht hatte. Vielleicht erinnerte sie sich auch nur gut genug daran, wie skeptisch ich dem ganzen Projekt Studium entgegen sah.

„Ich wollte mich bei dir entschuldigen, Hazel“, sprach ich weiter. Motiviert von ihrem Lächeln, das gleich noch eine Spur fröhlicher nach meinen Worten wurde.

„Ich hoffe, du weißt, dass ich nicht wirklich sauer auf dich war, wegen …“ Ich kam ins Strudeln und brach den Satz ab. Stattdessen sah ich sie ehrlich an. „Du weißt schon, was ich meine. Es lag nicht an dir. Ich war einfach nur ziemlich verwirrt und traurig und wollte allein sein.“

„Das verstehe ich sehr gut. Ich wollte dir auch gar nicht auf die Nerven fallen.“ Sie zupfte an ihrem T-Shirt herum, das knallgelb war und auf dem eine riesige Kirsche abgebildet war. Ich verstand nicht, was es für eine Bedeutung hatte. Aber ein Urteil erlaubte ich mir nicht. Immerhin trug ich eine fast zwei Jahre alte Mädchenbluse, eine langweilige Leinenhose und noch langweiligere Sandalen, die ich mir von meiner Mom geliehen hatte.

„Warum wolltest du mich dann sehen und mit mir reden?“, fragte ich sie geradeheraus und sie sah sich um.

„Wollen wir vielleicht wohin gehen, wo es etwas ruhiger ist?“

„Aber fängt die Veranstaltung nicht gleich an?“

Sie lächelte. „Ich schätze ich verpasse nichts Wichtiges, solange ich rechtzeitig wieder da bin, um mich einzutragen.“ Sie ging an mir vorbei und ich folgte ihr.

„Wo willst du dich denn eintragen?“, wollte ich von ihr wissen.

„Sie bieten für Neulinge diverse Orientierungskurse an. Um sich mit den Onlinetests und all dem Kram zurechtzufinden, den man erstmal machen muss, bevor man sich im November für das Frühlingssemester einschreiben kann.“

Ich wollte sie fragen, warum sie nicht ihre Mutter fragte. Die war immerhin Professorin an der Universität und musste sich demnach doch mit allem Wichtigen auskennen. Aber dann fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, das Hazel ihrer Mutter nicht auf die Nase binden wollte, weshalb sie erstmal nur eine Auswahl an Kursen belegen wollte, ohne schon so genau zu wissen, was sie damit machen wollte. Dabei wusste sie es sehr genau. Das war neben ihrem Interesse an Pferden der Grund gewesen, dass wir beide uns überhaupt näher kennengelernt hatten.

„Du willst das also immer noch wie geplant durchziehen?“

„Natürlich. Ich habe mir schon ausgedruckt, welche Vorkurse ich brauche. Ich hoffe bei den Orientierungsveranstaltungen wird mir klar, für welche Angebote ich mich am besten entscheiden sollte und wie ich die Credits möglichst schnell zusammen bekomme, um mich dann an der CVMBS einzuschreiben.“

CVMBS stand für College of Veterinary Medicine and Biological Science. Das College ermöglichte einem den PhD und andere Abschlüsse für Tiermedizin hier in Colorado. Es war Teil der Colorado State University in Fort Collins. Mit dem Zug fuhr man etwa 1,5 Stunden, mit dem Auto wohl nur eine Stunde. Behauptete Hazel. Ich wusste nicht, ob ich es wollte. Aber nach Gracies Tod dachte ich ernsthaft darüber nach, mich an der CU einzuschreiben und mich Hazel anzuschließen, wenn sie die Vorkurse belegte. Um die erforderlichen 60 Credits zu sammeln, würde ich eine Weile brauchen. Mindestens ein Jahr, eher zwei. Und bis dahin würde ich auch wissen, ob ich wirklich Tierärztin werden wollte, oder es nicht eine andere Möglichkeit gab, meine Mom auf der Ranch zu unterstützen und mit Pferden zu arbeiten.

Hazel setzte sich auf eine Bank in die Sonne und ich setzte mich neben sie. Sie zog aus ihrer Tasche einen grünen Schnellhefter und reichte ihn mir.

„Ich habe dir auch alle Unterlagen ausgedruckt.“

„Was für Unterlagen?“ Verwirrt erwiderte ich ihr Lächeln halbherzig.

„Die erforderlichen Vorkurse, die Möglichkeiten, wie sie sich hier umsetzen lassen und sämtliche wichtigen Emailadressen und Kontaktpersonen, wenn du Fragen hast.“ Sie sah mich an. „Das war es, was ich dir geben wollte.“

„Deswegen wolltest du mich sehen? Die Mappe hier war der Grund für deine Anrufe?“

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

„Ich dachte mir, dass du keinen Kopf dafür haben würdest. Aber das Zeitfenster für die Einschreibung ist nur begrenzt und ich wollte dir helfen.“

„Mir helfen?“

„Dir eine Möglichkeit zeigen, dass du sowohl deine Mom zufriedenstellen, als auch das tun kannst, was du gern machst.“

So wie sie. Nur ich war nicht wie sie.

„Das ist sehr nett, Hazel. Aber du weißt doch, dass du diejenige bist, die immer schon Tierärztin werden wollte. Ich dagegen …“ Ich senkte den Blick, „ich wollte eigentlich bloß mit Pferden arbeiten. Jockey werden, Trainerin oder Pferdewirtin, so wie meine Mom.“ Ich brauchte keinen medizinischen Titel und ich träumte auch nicht davon, eine eigene Tierarztpraxis zu eröffnen. Meine Träume waren vielleicht in den Wolken schwebend, aber ich blieb dabei bescheiden.

„Natürlich, ja.“ Unsicher nickte Hazel. Ich sah wie sie auf ihre Hände starrte.

„Es war trotzdem sehr nett von dir“, überwand ich mich. Sie hatte nur freundlich sein wollen. Ich nahm an, das Studium war leichter durchzuziehen, wenn man einen Verbündeten hatte und nicht alleine damit war.

„Ich danke dir, wirklich“, fügte ich ehrlich an und endlich lächelte sie wieder. „So viel Arbeit und alles.“

„Ach das war doch nichts.“

„Doch das war es. Ich habe den Dschungel doch gesehen und mich kaum darin zurechtgefunden.“

Sie kicherte. „Ich weiß, was du meinst. Es hat auch eine Weile gebraucht, bis ich‘s kapiert habe und alle Informationen zusammen hatte, die ich finden konnte.“

„Das hättest du nicht tun brauchen. Ich meine, wir sind nicht mal richtige Freundinnen.“

Ich erkannte sofort, dass ich etwas Falsches gesagt hatte. Wobei meine Worte nicht so sehr das Problem waren. Es hatte so geklungen, als wollte ich betonen, dass ich nicht ihre Freundin war. Aber das hatte ich gar nicht gewollt. So war es nicht gemeint gewesen.

Hazel stand bereits auf und mir war klar, dass es für jeden Versuch, mich zu erklären zu spät war. Ich konnte meine Worte nicht zurücknehmen.

„Ich muss dann jetzt los, sonst verpasse ich doch noch die ganze Veranstaltung.“

„Okay“, erwiderte ich lahm und suchte nach einem Ausweg. Irgendwas musste es doch geben? Es war nicht meine Absicht, sie vor den Kopf zu stoßen. Im Gegenteil. Es hätte der Versuch sein sollen, ihr zu erklären, dass noch nie jemand so etwas für mich gemacht hatte, weil ich eben noch nie eine Freundin gehabt hatte. Und dass es jetzt anders war, weil es sie gab.

Als ich Hazel hinterher sah, revidierte ich diese Meinung fürs Erste. Es sah nicht so aus, als wäre ich besonders gut darin, mich zu entschuldigen oder Freundschaften zu schließen.

Allein zu der Veranstaltung zu gehen, machte in etwa so wenig Sinn für mich, wie Hazel hinterherzurennen. Mein erster Versuch sich zu entschuldigen war ziemlich in die Hose gegangen. Ich ging nicht davon aus, dass ich mich beim zweiten Mal besser anstellte.

Ich hätte gar nicht erst herkommen sollen, dachte ich enttäuscht. Nicht von Hazel, aber von mir selbst. Es war schwierig für mich. Auf Mädchen meines Alters zuzugehen, ganz zu schweigen davon, mich mit ihnen anzufreunden. Den meisten Kontakt hatte ich zu Pferden und wenn ich den zu Menschen näher betrachtete, handelte es sich entweder um neunjährige Mädchen oder erwachsene Frauen wie Ghita oder meine Mom. Die einzigen beiden Mädchen in meinem Alter, die ich kannte, waren Hazel und Marian. Letztere konnte ich nicht ausstehen und mit Hazel machte ich offensichtlich alles falsch, was ich nur falsch machen konnte.

Meine Mom hätte jetzt sicher behauptet, dass im Leben alles wie beim Reiten war. Wenn man beim ersten Versuch aus dem Sattel fiel, musste man eben wieder aufsteigen und das am besten sofort. Ich glaubte leider nicht genug an diese Theorie, beziehungsweise an das Übertragen auf „Freundschaften knüpfen“, so dass sie mir genug Mut gab, Hazel nachzulaufen und einen neuen Versuch zu unternehmen.

Da ich nun aber einmal in Boulder war, entschied ich mich, zu bleiben und nicht mit dem nächsten Bus zurück zur Ranch zu fahren. Ich steckte den Schnellhefter in meinen Rucksack, was mir erneute Gewissensbisse machte. Danach schlenderte ich über das Campusgelände, wobei ich größere Menschengruppen geschickt umging. Ich fühlte mich wie eine stille Beobachterin und je mehr ich sah, umso weniger hatte ich das Gefühl, dazuzugehören. Ich fragte mich, ob ich das jemals würde. Vielleicht wollte ich es auch nicht?

So viele Fragen schossen mir durch den Kopf, so viele Möglichkeiten, so viele Entscheidungen und alles was ich dem entgegen zu setzen hatte, war Unsicherheit. Von so vielen Dingen hatte ich keine Ahnung und so wie es schien, am Wenigsten von mir selbst.

Ich wusste nicht mehr, was ich wirklich wollte und hatte mit Gracie die einzige Freundin verloren, die mich immer aufzuheitern verstanden hatte. Selbst wenn sie mir nie geantwortet hatte, hatte ich bei ihr immer das Gefühl gehabt, dass die Probleme kleiner wurden. Wenn ich mit ihr ausgeritten war, hatte ich mich danach immer besser gefühlt und das Vertrauen wiedergefunden, dass alles in Ordnung kommen würde. Als Gracie eingeschläfert worden war, hatte ich nicht nur ein Pferd oder eine Freundin verloren. Ich hatte meinen Weg verloren. Ohne sie schien ich nicht mehr so richtig zu wissen, wer ich war oder sein wollte.

Da mein Versuch mit Hazel zu reden so katastrophal geendet war, machte ich mich eine halbe Stunde später niedergeschlagen auf den Weg zur Bushaltestelle. Dort musste ich noch mal so lang warten, bis der Landbus kam und ich nach Hause fahren konnte.

Wenigstens freute meine Mom sich, als ich wieder da war. Sie nahm an, ich war so früh zurückgekommen, um ihr wegen der Sache mit Hazels Bruder zu helfen. Um jeder Nachfrage zu entgehen, ließ ich sie in dem Glauben. Was natürlich auch bedeutete, dass ich mich um ihn kümmern musste. Diese Tatsache schob ich beiseite, bis es zwölf war und ich mich nicht länger auf dem Dachboden verstecken konnte, wenn ich nicht den Zorn meiner Mom auf mich ziehen wollte. Und an einem Tag wie heute war ein Streit mit ihr wirklich das Letzte, wonach mir der Sinn stand.

Also zog ich mir meine Reitstiefel über. Die Leinenhose und die Bluse hatte ich gleich bei meiner Rückkehr gegen Reithose und Poloshirt getauscht. Darin fühlte ich mich ohnehin wohler und mehr wie ich selbst. Ein Gefühl, das ich nach dem Desaster mit Hazel gern willkommen hieß. Weniger gern würde ich ihren Bruder nun auf unsere Farm willkommen heißen, aber ich rechnete nicht damit, dass er das erwartete. Er war der verantwortungsloseste Idiot aller Zeiten, aber ich ging nicht davon aus, dass er dazu noch dumm war. Es war wahrscheinlicher, dass er genauso wenig Lust darauf hatte, hier zu sein, wie ich. Das machte uns immerhin zu Verbündeten.

Allerdings ließ mein Verbündeter mich hängen. Fast eine Stunde wartete ich auf ihn und als er endlich auftauchte, hatte ich schon gar nicht mehr mit ihm gerechnet. Ich stand in der Küche und bereitete Sandwichs zu, als er plötzlich einfach im Raum stand.

„Man!“, fuhr ich ihn an. „Du hast mich zu Tode erschreckt!“

„Entschuldigung.“ Er grinste breit und sah mich belustigt an. An Ego mangelte es ihm nicht. Das bestätigte sich, als er mir die Hand hinhielt und sich mit einem Zwinkern in den graublauen Augen vorstellte.

„Hi, ich bin Chris Channing.“

Er fragte mich nicht nach meinem Namen. Nicht direkt. Aber seine Augen taten es. Oder die erwartungsvolle Haltung, die ich darin lesen konnte. Na ganz toll. Er war von sich eingenommen, eingebildet und wahrscheinlich würde Marian sich gern an seinen Hals werfen, sobald sie ihn am Wochenende kennenlernte. Die beiden gaben bestimmt ein unausstehliches Paar ab. Mir schauderte es allein bei der Vorstellung.

„Hi“, erwiderte ich zurückhaltend und ohne seine Hand zu nehmen. Ich hoffte, er verstand das eindeutige Signal. Verbündete mochten wir sein, aber ich würde mich nicht mit dem Feind einlassen. Ich hatte keinesfalls vergessen, weswegen er hier war. Wer er war.

„Du bist Mrs. McCories Tochter?“

„Sie hat nur eine“, stellte ich klar. „Und ja die bin ich.“

Er setzte sich an den Küchentisch und sah so aus, als hätte er das schon tausend Mal gemacht. Ich fragte mich, wie er Hazels Bruder sein konnte. Sie war schüchtern, zurückhaltend und beinah so unsicher wie ich im Umgang mit Menschen. Er dagegen schien sich schon nach ein paar Sekunden wie zuhause zu fühlen. Ich hatte wohl vollkommen danebengelegen, als ich mir ausgemalt hatte, dass es ihm ebenso schwer fallen würde, hier zu sein wie mir. Jedenfalls konnte ich keinerlei schlechtes Gewissen aus seinem Benehmen lesen, obwohl ich danach suchte, weil ich es erwartet hatte. Und das regte mich innerlich noch mehr auf, als seine arrogante Art.

Statt Verbündeter, würden wir eher Todfeinde werden. Das war mir jetzt klar. Ich mochte nicht viel Kontakt zu Mädchen und Jungs in meinem Alter haben und von Hazel wusste ich, dass Chris 2 Jahre älter als ich war. Dennoch sagte mir mein gesunder Menschenverstand, dass er all die Eigenschaften an den Tag legte, die ich an Menschen nicht ausstehen konnte. All die Dinge, weswegen ich es vorzog mit Tieren zusammen zu sein. Und bisher hatte er nicht mehr als seinen Namen gesagt und festgestellt, dass ich Josies Tochter war.

Das waren ja glorreiche Aussichten für die nächsten Monate. Eins stand fest, es würden verdammt lange vier Monate werden.

„Kann ich auch ein Sandwich bekommen? Ich bin schon vor zwölf los, um den Bus zu bekommen. Man braucht ja eine halbe Ewigkeit bis man hier im Nirgendwo angekommen ist. Jedenfalls hatte ich kein Mittagessen und mit leerem Magen arbeite ich nicht besonders gut.“

„Arbeitest du überhaupt gut?“, konterte ich mit gehobener Augenbraue und reichte ihm ein Sandwich. Ich wollte nicht unfreundlich sein, nur weil er keine Manieren an den Tag legte. Ich war vielleicht ein Mädchen aus dem Nirgendwo, wie er es beschrieb, aber ich hatte mehr Anstand, als er je besitzen würde. Soviel war mal klar.

Er lachte, als hätte ich einen Scherz gemacht. Während er das Sandwich aß, zweifelte ich an meiner Theorie, er möge Verstand besitzen. Vielleicht hatte ich mich getäuscht.

Ich nahm den Teller mit den Sandwiches und sah ihn erwartungsvoll an. Aber das überging Chris einfach.

Seufzend rollte ich mit den Augen. „Komm mit“, forderte ich ihn auf. „Du bist doch nicht hier, um in unserer Küche Wurzeln zu schlagen.“

„Deine Mom sah beschäftigt aus, als ich kam.“

„Sie ist beschäftigt. Sie unterhält sich mit ein paar Besitzern, die ihre Pferde hier unterbringen wollen.“

„Na dann lass sie das mal machen. Ich habe es nicht eilig.“

Ungläubig starrte ich ihn an. Mein Blick musste etwas bewirkt haben. Er lachte zwar, aber wenigstens stand er endlich auf.

„Na schön, na schön. Bevor du mich noch mit den Sandwiches da erschlägst. Soll ich draußen auf deine Mom warten?“, erkundigte er sich, als wir aus der Küche gingen.

„Nein“, erklärte ich und bemühte mich ruhig zu bleiben. „Das wird länger dauern. Sie hat mich gebeten, dir alles zu zeigen.“

„Mir alles zu zeigen?“ Skeptisch folgte er mir aus dem Haus. „Was gibt es da zu sehen? Wiese, Hof, Stall, Scheune und ein Haus.“

„Du musst dich hier ein bisschen besser auskennen, wenn du ab morgen mitanpacken willst. Während der Arbeit hat niemand von uns Zeit, dir alles fünf Mal zu erklären. Deswegen hör lieber zu, wenn ich dir nachher sage, wie das hier bei uns abläuft.“

Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Jedenfalls war er für die nächsten Minuten still. Die nutzte ich, meiner Mom den Teller mit den Sandwiches in ihr Büro zu bringen. Sie lächelte mich dankbar an. Ich hatte sie schließlich nicht ihretwegen gebracht – jedenfalls nicht wirklich – sondern für die Alcotts. Mr. Alcott liebte meine Sandwiches und ich war der Meinung, etwas liebevolle Bestechung konnte meiner Mom in ihren Verhandlungen nur helfen.

Als ich wieder zu Chris zurückkam, stand er immer noch auf dem Hof. In der Hand hatte er ein Handy – vermutlich genau wie Marian das neuste und teuerste Model eines I-Phones- und spielte damit herum. Oder schrieb SMS, telefonierte. Was wusste ich. Mit Handys kannte ich mich nicht aus. Meine Mom hatte eines zum Koordinieren ihrer Termine und in der Kommode im Flur lag eines für Notfälle. Beide Handys waren billige Prepaid Handys, die ihren Zweck erfüllten.

Finster starrte ich Chris an, der sich hier gab, als sei er zum Ferien machen da. Es hatte natürlich nicht viel Effekt, aber wenigstens steckte er nach einer Weile das Handy weg und sah mich an.

„Und jetzt?“, wollte er wissen. „Ich habe nur noch eine Stunde.“

„Nur noch …?“ Fassungslos erwiderte ich seinen Blick. „Was soll das denn heißen?“

„Na, dass ich nachher noch was anderes vorhabe.“

„Dir ist bewusst, dass meine Mom dich hier arbeiten lässt, damit du ohne eine Anzeige davon kommst. Sollte dir das nicht wenigstens so viel wert sein, dass du deine Dankbarkeit vortäuschst?“

„Ich bin nicht besonders gut darin, irgendwas zu heucheln.“

„Na sicher.“

Wer’s glaubt.

Grollend drehte ich mich um. „Komm mit. Ich zeige dir als erstes den Stall. Da wirst du die meiste Arbeit haben und demnach die meiste Zeit drin verbringen.“

Ich wartete nicht ab, ob er mir folgte und achtete auch nicht darauf, ob er einen seiner ach so witzigen Sprüche anbringen wollte. Im Augenblick wollte ich nur schnell meine Pflicht hinter mich bringen und hoffen, dass die Stunde verging und er wieder von unserer Farm verschwand.

„Hier ist die Vorratskammer. Vorne findest du alles was du brauchst, um die Boxen und Tröge sauber zu machen und einen Wischer für die Stallgasse. Weiter hinten ist das Futter, aber das kannst du ignorieren. Das Füttern am Abend übernehme ich.“

Ich drehte mich zu ihm um. „Hast du Reitstiefel?“

Er sah mich an, als käme ich vom Mond.

„Na schön. Welche Schuhgröße hast du?“ An dem Punkt fiel es mir schwer vor ihm zu verbergen, wie genervt ich war.

„Lass mal“, wehrte er ab und sein Grinsen wirkte aufgesetzt. „Ich brauche keine Reitstiefel. Ich bin ja nicht hier, um Unterricht zu nehmen.“

„Nein, bestimmt nicht“, stimmte ich ihm zu. „Wenn du lieber Gummistiefel haben willst, kannst du auch die nehmen. Die müsstest du aber kaufen. Wir haben nur Reitstiefel zum Ausleihen hier.“

„Gummistiefel?“

Diesmal lachte er nicht. Ich dafür umso mehr. „Was hast du denn erwartet?“, fragte ich, als ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Du bist nicht zum Reiten lernen hier, natürlich nicht. Aber auch nicht zum Urlaub machen oder zugucken.“

„Schon klar.“ Er klang angefressen.

„Du kannst es meinetwegen in Turnschuhen probieren. Aber empfehlen würde ich dir das nicht.“

Er erwiderte nichts. Da er mir jedoch nicht seine Schuhgröße verriet, hatte er seine Entscheidung getroffen. Ich akzeptierte es und verließ die Vorratskammer.

Ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob er mir folgte, trat ich in die Stallgasse.

„Wir haben 20 Boxen, davon sind jedoch nur zehn belegt. Momentan. Heute erwarten wir einen Neuzugang. Es handelt sich um ein Privatpferd, was wir hier versorgen. Das heißt, du kannst von momentan elf Boxen ausgehen.“

Da ich nicht wusste, ob der Deal mit den Alcotts gelang und wenn ja, wann sie Danger zu uns brachten, beließ ich es erstmal dabei.

„Du erkennst die belegten Boxen daran, dass überall auf den Holzbrettern die Namen der Pferde stehen.“ Ich trat zu Pennys leerer Box, um es ihm zu zeigen.

„Alle Boxen, in denen Pferde untergebracht sind, müssen morgens gesäubert werden. Inklusive der Futter- und Wassertröge.“ Ich zeigte auf die saubere Box. „So muss eine saubere Box aussehen. Das ist sehr wichtig, weil die Tiere sonst krank werden.“

„Ihr entfernt jeden Morgen das komplette Stroh da?“

„Nein“, ich sah ihn belehrend an. „Du entfernst die oberste Schicht. Das feuchte Stroh und natürlich die Pferdeäpfel.“

„Na klasse.“ Sein Tonfall zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht. Es war gemein von mir, Schadenfreude zu empfinden. Aber ich konnte nichts dagegen machen.

„Mittwochs ist hier ‚Saubermach- Tag‘. Da ist das was anderes. Da wird auch die sogenannte Einlage, die unterste Schicht des Strohs ausgemistet und wir spritzen die Boxen und die Stallgasse mit Wasser aus. Das muss eine Weile trocknen und danach werden die Boxen komplett neu befüllt.“

Ich ging weiter durch den Stall. „Die Tiere sind während dieser Arbeiten natürlich draußen.“

„Muss ich das machen?“

„Was machen?“

„Sie raus bringen?“

„Nein, keine Sorge. Kontakt zu den Pferden wirst du erst später haben. Die Versorgung der Tiere übernimmt hier niemand, den wir nicht kennen oder der nicht weiß was er tut.“

Er verzog das Gesicht zu einem überheblichen Grinsen. „Ich weiß immer, was ich tue.“

„Das bezweifle ich.“

Ich deutete in die kleine Kammer am Ende des Stalls.

„Hier befindet sich die Sattelkammer und damit kommen wir zur täglichen Aufgabe Nr.2.“

„Dauert sie lang?“

„Was?“ Verwirrt sah ich an. „Dauert was lang? Die Aufgabe?“

„Die Erklärung. Wir sind schon eine halbe Stunde nur im Stall und falls du mir noch die Weide, die Scheune und so was zeigen willst, sollten wir uns beeilen. Ich muss den Bus um viertel nach zwei zurück in die Stadt nehmen.“

Ich schüttelte fassungslos den Kopf. „Weißt du, ich kapiere dich einfach nicht.“

„Du kapierst was nicht?“ Er lächelte gutmütig, was meinen Zorn noch mehr entfachte.

„Erst kommst du eine Stunde zu spät und dann verkündest du, dass du gleich wieder gehen musst. Als wären wir es, die dankbar sein dürften, dass du uns eine Stunde deiner kostbaren Zeit schenkst.“

„Ganz so würde ich es nicht ausdrücken“, argumentierte er, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Unterbrich mich nicht“, fuhr ich ihn stattdessen wütend an. „Du bist hier, damit du nicht vor Gericht stehst, weil du betrunken Auto gefahren bist und dabei dein eigenes Leben und das anderer in Gefahr gebracht hast. Vielleicht sind alle Menschen in deinem Leben bisher zu nett zu dir gewesen, weil du der Sohn des Bürgermeisters bist, aber mich interessiert ganz und gar nicht wer du bist, Chris Channing. Für mich zählt nur, dass du versuchst, dich durchzumogeln. Aber nicht mit mir. Das kannst du gleich vergessen.“

„Was ist denn hier los?“

Ich drehte mich um und erkannte, dass meine Mom auf uns zukam. Sie sah wütend aus. Und das bedeutete nichts Gutes. Man konnte Josie zwar schnell auf die Palme bringen. Sie war genauso explosiv wie ich. Aber das sie es so offensichtlich zeigte, noch dazu in Gesellschaft, war ungewöhnlich.

„Wie es aussieht, kommt die kleine Heather ganz nach ihrem Grandpa.“

Mr. Alcott trug ein Lächeln im Gesicht. Und nur damit ich nicht doch noch irgendwelche Verträge zerstörte und die Alcotts für immer vergraulte, ließ ich es zu, dass er mich vor Chris „kleine Heather“ nannte. Es war demütigend, aber was sonst blieb mir anderes übrig, außer zu lächeln?

Meine Mutter lachte, aber ich kannte sie gut genug, um ihrem Lachen anzuhören, dass das hier noch nicht ausgestanden war.

„Na dann werden wir uns mal verabschieden und Sie mit dieser Sache allein lassen, Josie.“

„Danke, Joseph.“ Meine Mom schüttelte seine Hand und drückte Mrs. Alcott höflich zwei Küsse rechts und links auf die Wange. Aber erst als die Alcotts außer Hörweite waren, stemmte sie die Hände in die Hüften und sah erst Chris und dann mich scharf an.

„Also! Was in Gottes Namen ist hier los? Ich führe in meinem Büro wichtige Gespräche und meine Tochter schreit im Stall herum, wie ein Bauarbeiter.“

„Ich habe nicht geschrien“, verteidigte ich mich.

„Chris?“

Er sah zu meiner Mom.

„Ja, Ma’am?“

„Hat meine Tochter geschrien?“

Er lächelte. „Sie haben sie ja gehört, Ma‘am.“

Und damit meinte er nicht, sie habe gehört, was ich gesagt hatte. Er meinte, sie habe mich schreien gehört. Wenn Blicke hätten töten können, hätte Chris jetzt umfallen müssen. Stattdessen grinste er nur.

„Worum ging es dabei, Heather?“

„Willst du das überhaupt wissen?“, konterte ich und funkelte meine Mom an.

„Nicht in diesem Ton!“, ermahnte sie mich streng. Sie hasste es, wenn ich patzig wurde. Aber es fiel mir schwer, mich zurückzuhalten. Heute mehr als sonst.

Ich seufzte schließlich einlenkend. „Chris kam eine Stunde zu spät …“

„Ich habe den Bus verpasst. Ich bin es nicht gewohnt, Bus zu fahren.“ Entschuldigend sah er meine Mom an. „Es wird nicht wieder vorkommen, Ma‘am.“

„Na ja. Heute ist ja noch nicht dein erster Arbeitstag.“

„Was?“ Bei Moms Worten vergaß ich ganz die Wut auf Chris, weil der mich schon wieder unterbrochen hatte und sich einem billigen Trick bediente, in dem er versuchte sich bei meiner Mom einzuschmeicheln. „Findest du das etwa richtig? Er kommt eine Stunde zu spät und jetzt muss er auch gleich wieder weg, dabei habe ich ihm gerade mal erzählt, wie das mit dem Stall ausmisten funktioniert.“

Meine Mutter lächelte, als sei das alles ganz wunderbar.

„Na prima. Dann weiß Chris ja schon mal, was morgen früh auf ihn zukommt.“ Sie sah ihn an. „Den Rest können wir dir auch morgen zeigen. Es ist viel einfacher, wenn du es siehst, als wenn wir dir alles erzählen. Du kannst mit den Worten nicht viel anfangen, oder?“

„Ich bin kein Pferdenarr und habe noch nie was darüber gelesen oder davon gehört.“

„Das musst du auch nicht, um zu kapieren, wie man eine Mistgabel benutzt, einen Sattel oder ein Halfter säubert.“ Giftig sah ich ihm in die Augen. „Das kann jedes Kind lernen, wenn es sich Mühe gibt.“

„Na dann hat deine Mom wohl Recht und es gibt keinen Grund, mir das alles jetzt zu erzählen. Wenn es so einfach ist, lerne ich das morgen im Handumdrehen.“

Josie besaß die Frechheit über ihn zu lachen, statt sich auf meine Seite zu stellen und Chris nutzte den positiven Moment gleich aus.

„Sind Sie einverstanden, wenn ich dann jetzt gehe?“

„Natürlich. Du bist morgen allerdings pünktlich um 6:30 da. Du kannst bei uns frühstücken und um sieben mit Heather zusammen den Stall ausmisten. Es ist immer einfacher, wenn man es beim ersten Mal nicht allein machen muss. Außerdem geht es schneller.“

Ich wollte mich wehren, aber Chris kam mir zuvor.

„Klasse. Danke Ma‘am.“ Er schüttelte ihre Hand. „Dann bis morgen.“

Chris drehte sich um, besaß die Unverschämtheit mir dabei ein Grinsen zuzuwerfen und verließ den Stall. Bevor ich vor Wut platzte, wandte ich mich an meine Mom.

„Wie konntest du das zulassen?“

„Was zulassen?“

„Das er zu spät kommt, dass er jetzt wieder verduftet? Ist das alles nur ein verdammter Witz hier?“

„Schatz, für Witze habe ich weder die Zeit noch das Geld. Seine Eltern hoffen, etwas Arbeit könne ihm im Augenblick den Kopf zurechtrücken.“

„Im Augenblick?“ Ich lachte. „Wahrscheinlich müsste er dafür jeden Tag von morgens bis abends hier sein, um zu begreifen, was Arbeit wirklich ist.“

„Heather“, meine Mom kam auf mich zu und sah mir in die Augen. „Ich weiß, du bist sehr wütend auf Chris. Und ich kann das durchaus verstehen, Schatz. Aber vergiss bitte nicht, dass er betrunken war.“

„Oh und das entschuldigt alles? Er hätte sich eben nicht betrinken sollen, oder wenn er betrunken war, kein Auto fahren dürfen. Ich kann nicht verstehen, wie du das in Schutz nehmen kannst? Tätest du das auch bei mir?“

„Es ist nicht zu entschuldigen. Aber im Gegensatz zu dir glaube ich daran, dass Chris seinen Fehler selbst kennt und ihn sehr bereut.“

„Davon habe ich aber gar nichts gemerkt.“

„Vielleicht weil du nicht hinhörst.“

„Wie bitte?“

Meine Mom seufzte. „Jede Geschichte hat einen Ursprung. Einen Anfang. Und jede Wahrheit zwei Seiten. Du hast so ein gutes Herz, Heather und du hörst damit besser, als andere Menschen. Zumindest wenn es um Tiere geht.“ Sie lächelte mich an. „Gib ihm doch einfach eine Chance und hör auf das, was er dir sagt, ohne es laut auszusprechen. Ich bin sicher, dann werdet ihr beide miteinander arbeiten können, ohne dass du ihn dauernd anschreist und am liebsten mit der Mistgabel aufspießen würdest.“

Das bezweifelte ich ganz gewaltig. „Ist das dein Wunsch oder ist es eine Bitte?“

Sie sah mir in die Augen und ich verstand. Es war eine Bitte.

Seufzend wandte ich mich ab. „Na dann.“

„Wo willst du hin?“

„Auf die Weide.“ Ich griff nach der Harke. „Ein bisschen sauber machen.“

„Wirst du mir mit Autumn Fire helfen, wenn die Evans hier sind?“

„Was soll ich denn machen?“

„Führ sie ein wenig herum, mach sie vertraut mit den anderen Pferden und schau mal, wie sie das alles aufnimmt. Dann kann ich in Ruhe die Details mit der Familie besprechen.“

Ich nickte und dann ließ ich meine Mom allein. Ich brauchte jetzt unbedingt ein paar Minuten für mich, um diesen furchtbaren Vormittag möglichst schnell zu vergessen. Selten hatte eine Woche so beschissen wie diese angefangen.

Country Roads

Подняться наверх