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K.o. in der zweiten Runde

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Zweimal waren die Evans auf unserem Hof gewesen. Das erste Mal für einen gemeinsamen Ausritt. Da hatten sie bei uns Pferde geliehen. Beim zweiten Mal kamen sie, um sich die Ranch genauer anzusehen und um über Autumn Fire zu sprechen.

Autumn Fire war die zweijährige Stute ihrer Tochter Milly. Milly war siebzehn und hatte sich scheinbar immer für Pferde interessiert. Als ihr Vater von Denver nach Boulder versetzt wurde und die Familie hierher ziehen musste, brach für Milly die Welt zusammen. Um seine Tochter aus dem tiefen Loch zu holen, in dem sie die ersten Wochen verlebt hatte, hatte Greg Evans Milly eine Stute gekauft. Er glaubte ihr damit einen großen Wunsch zu erfüllen.

Nachdem sie sich an Moms Ranch erinnert hatten und daran, dass sie ihnen so gut gefallen hatte, waren sie wegen einer Unterbringung auf Mom zugekommen.

Als die Evans heute zu uns kamen, kamen sie nicht als komplette Familie. Mr. und Mrs. Evans wurden von ihren drei Söhnen begleitet. An ihre Namen erinnerte ich mich nicht, aber sie waren im Alter von sechs bis vierzehn Jahren, schätzte ich. Milly war nicht dabei. Ich schüttelte den Evans die Hand und überließ meiner Mom dann Mrs. Evans und den Jungs. Die schienen kein Interesse daran zu haben, den Stall zu sehen, aber Muffins in der Küche unserer Ranch stießen dafür auf umso mehr Begeisterung.

Mr. Evans sah mich dankbar an. „Sehr nett von deiner Mom, extra Muffins zu backen.“ Sein Lächeln wirkte verlegen. „Die Jungs interessieren sich nicht für Pferde, aber wir wollten sie nicht allein im neuen Haus lassen.“

So wild wie sie noch vor meiner Mom unser Haus stürmten, wusste ich ziemlich genau, was Mr. Evans meinte, ohne es auszusprechen. Ich lächelte ihn freundlich an.

„Meine Mom macht das gerne. Machen Sie sich bloß keine Gedanken deswegen.“ Mein Blick glitt zum Transporter. „Wir sollten Autumn Fire nun raus lassen.“

Er nickte und ich wartete darauf, dass er voraus ging. Als Mr. Evans schwieg, sprach ich das Offensichtliche noch einmal von mir aus an.

„Meine Mutter sagte mir, dass die Stute Ihrer Tochter gehört?“

„Ja, sie war ein Geschenk für Milly.“

„Sie liebt Pferde?“

„Das hat sie jedenfalls.“ Er seufzte. „Seitdem Autumn Fire bei uns ist, hat sie nicht viel Interesse an ihr gezeigt“, gab er zu und ich konnte sehen, dass es ihm schwer fiel, sich das einzugestehen.

„Vielleicht ändert sich das noch“, versuchte ich ihm Hoffnung zu machen und dabei optimistisch zu klingen. Als er nichts dazu sagte, lenkte ich schnell ab.

„Erzählen Sie mir von Autumn Fire.“

„Sie ist ein Quarter Horse mit tollen Anlagen. Wir waren über zwei Monate mit den Besitzern in engem Kontakt. Wir wollten Autumn Fire kennenlernen und ich nehme mal an, sie wollten wissen, ob sie bei uns gut aufgehoben wäre.“

„Hat Milly sich während der Zeit mit ihr angefreundet?“

Ich fragte das nicht, um es Mr. Evans noch schwerer zu machen. Ich sah, wie sehr er darunter litt, dass seine Tochter kein Interesse an dem Pferd zeigte. Aber ich musste wissen, ob Autumn Fire eine enge Verbindung zu Milly hatte, um einschätzen zu können, wie sie damit klar kam, das Milly sich nun scheinbar nicht um sie kümmern wollte.

„Sie war nur beim allerersten Mal dabei. Sie hatte viel zu tun mit der neuen Schule und allem.“

Verständnisvoll nickte ich und wartete bis Mr. Evans den Transporter geöffnet hatte.

„Soll ich …“

Ich unterbrach ihn. „Lassen Sie ruhig. Ich mache das.“

Bevor ich in den Transporter kam, blieb ich erstmal draußen stehen und redete leise mit der Stute. Sie sollte sich nicht vor mir fürchten oder beim Klang meiner Stimme erschrecken. Für sie war ich eine Fremde. Während ich mit ihr redete, beobachtete ich genau wie sie ihre Ohren hielt. Sie war still, beinah so als hörte sie mir aufmerksam zu. Sie schnaubte schließlich und es klang neugierig.

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. „Na dann komm, meine Gute. Dann will ich dich mal hinausführen, damit ich dich richtig sehen kann. Was hältst du davon?“ Ich trat in den Transporter und war froh, dass Autumn Fire das ganz ruhig über sich ergehen ließ. Ich konnte sie ohne Schwierigkeiten hinausführen.

„Das hast du brav gemacht, meine Gute.“ Ich strich ihr über den Hals, was sie zu mögen schien. „Das magst du, nicht wahr?“

Sie schnaubte wieder und ihre braunen Augen sahen so sanft zu mir, dass ich unvermittelt einen Stich im Herzen spürte.

Natürlich sah Autumn Fire ganz anders aus als Grace. Sie war ein Fuchs, aber ihr Fell hatte die typische Färbung eines Red Roan. In der Sonne sah ich hervorragend die weißen Haare in ihrem Fell. Ihre Fesseln an den Hinterläufen waren weiß. Ja, sie sah anders aus. Und sicher war sie auch anders, das merkte ich schon jetzt. Gracie hatte viel mehr Temperament besessen. Sie hätte sich nie so leicht aus dem Transporter führen lassen, sondern ziemlich viel Theater darum gemacht, dass ihr das alles nicht gefiel.

Aber selbst wenn das vor mir nicht Grace war, fühlte ich eine Verbindung zu Autumn Fire, die mich schmerzlich an die erinnerte, die ich verloren hatte. Es tat furchtbar weh.

„Sie ist ein hübsches Mädchen, oder?“

Mr. Evans holte mich mit seinen Worten zurück in die Wirklichkeit.

„Ja“, ich räusperte mich. „Sie ist wirklich eine Schönheit.“

„Das dachte ich auch, als ich sie das erste Mal sah.“

„Ist es Ihnen recht, wenn ich Autumn Fire ein wenig herumführe? Die anderen Pferde sind draußen auf der Koppel. Ich möchte die Chance nutzen und ihr den Stall und ihre Box in Ruhe zeigen.“

„In Ordnung. Das überlasse ich ganz dir. Ich bin sicher, du kennst dich damit besser aus.“

Ich lachte, sagte aber nichts. Es wäre unhöflich gewesen, denn die Wahrheit lag ja auf der Hand. Ich war mit Pferden aufgewachsen. Ich wusste sehr genau, was ich machte und so führte ich Autumn Fire einmal über den Hof, bevor ich sie mit in den Stall nahm. Ich ließ ihr Zeit, die verschiedenen Gerüche aufzunehmen. Sie durfte etwas am Stroh knabbern und ihre Box inspizieren, bevor ich sie zurück nach draußen brachte. Ich führte sie zur Koppel, wo ich sie an einem der Pfosten festmachte. Ich hatte eine Bürste mitgebracht.

Mr. Evans kam zu mir und ich war überrascht, dass er nicht zu seiner Frau ins Haus gegangen war.

„Was machst du jetzt?“, fragte er neugierig.

„Ich massiere sie ein bisschen. Sie kann sich so leichter entspannen und wir lernen uns noch ein bisschen besser kennen. Außerdem können die anderen Pferde sie nun ebenso wittern, wie sie sie. Wenn die Neugier siegt, werden sie kommen und sie begrüßen.“

Aber erst, wenn sie dazu bereit waren und das war der Sinn der Sache.

Mr. Evans deutete auf die Koppel. „Das scheint nicht lange zu dauern.“

Ich lachte, als Penny und Rick herüber getrottet kamen.

„Die beiden sind die Neugierigsten der Bande.“ Außerdem hatten sie keine Angst und Gemüter wie aus Stein. Sie in Unruhe zu versetzen, war nahezu unmöglich.

Das bewies sich zehn Minuten später, als die Jungs von Mr. Evans laut rufend über den Hof zu uns gelaufen kamen. Rick zuckte einmal mit den Ohren, was eher ein Ausdruck von Erzürnung war, als von Angst und Penny reagierte überhaupt nicht darauf.

Autumn Fire schlug aufgeregt mit dem Schweif und warf den Kopf hoch. Aber sobald ich sanft ihren Namen sagte und sie am Hals streichelte, beruhigte sie sich wieder.

„Mama ist gleich fertig, sollen wir dir sagen.“

Mr. Evans drückte seinen jüngsten Sohn an sich und lächelte mich an. „Dann ist es jetzt wohl Zeit.“

Ich erwiderte das Lächeln. „Sie wissen ja, dass Sie Autumn Fire nur hier unterbringen und versorgen lassen. Sie können sie jederzeit besuchen und reiten.“

„Ich glaube das lasse ich lieber.“ Er lachte und der traurige Blick in seinen Augen wich. „Ich bin ein schrecklicher Reiter.“

Er kam zu Autumn Fire, streichelte ihren Hals, während sie ihn aufmerksam ansah und dann trat er zurück, nahm seinen Sohn an der Hand, während die älteren beiden voraus zum Auto liefen.

Ich sah zu, wie die Evans wegfuhren. Danach kam meine Mom zu mir.

„Hast du alles geklärt?“, fragte ich sie.

Sie nickte und streichelte Autumn Fire. „Wie lief es bei dir? Wie macht das Mädchen sich?“

„Sehr gut“, lobte ich sie ehrlich.

Meine Mom sah mich an und lächelte. „Du magst sie.“ Es lagen kein Vorwurf in ihren Worten und auch kein Triumpf. Sie freute sich einfach nur.

„Das ist schön, Heather. Ich bin froh, dass sie bei dir in guten Händen sein wird.“

„Es ist schade, dass Milly sich nicht um sie kümmert. Vielleicht ändert sie ihre Meinung noch.“

Meine Mom zuckte mit den Schultern. „Wir werden sehen. Aber verlass dich nicht darauf. Nicht alle Mädchen behalten sich die Pferdeliebe. Die meisten wachsen irgendwann einfach daraus.“

Vor allen, wenn sie Stadtkinder waren. Ich wusste, was meine Mom damit meinte. Trotzdem behielt ich mir die Hoffnung. Autumn Fire hätte eine Besitzerin verdient, die sie aufrichtig liebte und sie förderte.

Ein Schnauben ließ uns beide den Blick zur Koppel richten und ich musste breit grinsen, als Thunder neugierig seine Nase über den Zaun streckte, um die Neue zu begrüßen.

Meine Mom ging zu ihrem Hengst und streichelte ihn sanft. „Wenn der Große sie akzeptiert, werden die anderen keine Probleme machen.“

„Nein, ich denke auch nicht. Vielleicht verzichtet Lola sogar auf ihr übliches Diva Gehabe.“

Mom lachte. „Thunder wird sie schon im Zaum halten. Das macht er doch immer.“

Ich stimmte ihr mit einem Nicken zu. Thunder hatte hier das Sagen. Selbst Dash und Terry ordneten sich ihm problemlos unter.

„Andrea und Stephanie kommen gleich für ihre Reitstunde.“ Damit klopfte sie Thunder liebevoll auf den Hals und ging zum Gatter. Als wüssten Rick und Penny, dass es um sie ging, kamen die beiden Ponys bereits näher. Josie brauchte sie danach nur bei ihrem Namen rufen und schon kamen sie angetrottet.

Ich sah Josie nach, wie sie die Ponys zum Stall brachte und beendete dann meine Massage von Autumn Fire. Als ich die Stute in Richtung Stall führte, damit ich sie in ihre Box bringen konnte, waren Andrea und Stephanie schon da. Sie striegelten gerade unter dem wachsamen Auge meiner Mom die beiden Ponys und hatten dabei große Freude. Ich begrüßte die Mädchen mit einem herzlichen Lächeln.

Eine Weile blieb ich noch in Autumn Fires Nähe, um zu sehen, dass sie ruhig blieb, danach verließ ich den Stall. Am Nachmittag um fünf kamen Emilia, Jane und Cora für ihren Reitunterricht. Sie würden sich um Lola, Esther und Terry kümmern.

So blieb es an mir hängen, Thunder zu versorgen. Außerdem kümmerte ich mich noch um Dash, weil Ghita nicht da war. Meine Mom übernahm die beiden Pferde der Alcotts, zwischen dem einen und dem nächsten Unterricht, so dass ich am späten Nachmittag mit Dash einen kleinen Ausritt machen konnte.

Ich sagte mir zwar, dass ich das für Dash tat, der täglich gefördert werden musste und dem das Traben auf der Koppel nicht reichte. Doch in Wahrheit genoss ich es, mit ihm durch die Natur zu reiten. Der Wind wehte mir ins Gesicht, als wir über ein freies Stück Wiese entlang galoppierten. Es pustete mir den Kopf frei und ich fühlte mich viel besser, als ich danach zurück zur Ranch ritt. Selbst meine Wut auf Chris Channing war verraucht.

Ich stieg ab und brachte Dash zum Stall. Dort organisierte ich die Abschwitzdecke, denn es war frischer geworden und ich wollte nicht, dass er krank wurde. Immerhin hatte ich ihn am Ende des Ritts ganz schön gefordert. Während er sich etwas abkühlte, kontrollierte ich seine Hufe. Als ich ihn in seine Box brachte, verließen Emilia, Jane und Cora den Stall. Sie trugen alle frisch geputzte Reitstiefel unterm Arm und winkten mir zum Abschied zu. Ich hatte schon gesehen, dass Lola, Esther und Terry in ihren Boxen standen.

Meine Mom kam soeben mit den Pferden der Alcotts von der Weide. Ich lief ihr entgegen und holte Penny und Rick ebenfalls rein.

„Was ist mit Thunder?“, fragend sah ich sie an.

„Wenn du das Füttern und das Säubern der Ausrüstung übernehmen könntest, würde ich noch mal mit ihm ausreiten. Er scheint mir heute besonders begierig darauf zu sein.“

Ich lächelte. „Sicher, mach nur. Ist Ghita schon wieder zurück?“

Sie schüttelte den Kopf. „Alec sagte ja, es könnte spät werden.“

„Kein Problem. Ich schaff das hier allein.“

Nachdem meine Mom mit dem Sattel den Stall verlassen hatte, kümmerte ich mich ums Füttern und setzte mich danach mit dem Putzzeug auf einen Schemel in die Ecke. Ich blieb bewusst in der Nähe von Autumn Fires Box, damit sie bemerkte, dass ich da war und sie sich nicht so allein an ihrem ersten Abend bei uns fühlte. Für die meisten klang das verrückt. Für mich war es selbstverständlich. Mein Grandpa hätte es nicht anders gemacht. Und von ihm hatte ich alles über Pferde gelernt, was ich wusste.

Es war schon fast sieben als ich mit der kompletten Arbeit fertig war und sämtliches Zaumzeug und die Sättel ordentlich gesäubert und gepflegt waren. Ich kontrollierte nochmal die Boxen der Pferde und schloss dann den Stall. Anfang September wurde es in den Nächten noch nicht so kalt, dass wir die Pferde mit Stalldecken schützen mussten. Das verkürzte mein abendliches Stallprogramm um eine halbe Stunde.

Meine Mom war noch nicht wieder von ihrem Ausritt zurück. Ich ging daher ins Haus und machte mich ans Werk, aus dem Inhalt unseres Kühlschranks ein deftiges Abendessen zu zaubern. Denn nach der körperlichen Arbeit des heutigen Tages hatte ich wahnsinnigen Hunger. Das Sandwich zum Mittag war nett gewesen, aber im Augenblick knurrte mein Magen so laut, dass man ihn sicher noch in Denver hören konnte. Während ich Kartoffeln schälte, klingelte das Telefon. Ich wischte die feuchten Hände trocken und nahm ab.

„Ich bin’s Ghita.“

„Hey, alles klar bei dir und Alec?“

„Ja, ich wollte nur Bescheid sagen, dass wir fast zurück sind. Ich helfe Alec noch und komm dann morgen wie immer.“

„Gut.“ Ich wollte nachfragen, wobei sie ihm half. Ich hörte Ghita an, dass sie darauf wartete. Es gab da diese erwartungsvolle Pause in der sie schwieg und ich es nicht über mich brachte.

„Okay, dann bis morgen, Ghita. Und Grüße an Alec und den Rest.“

Ich bildete mir ein, Ghita seufzen zu hören, aber ich dachte nicht weiter darüber nach. Stattdessen widmete ich mich noch entschlossener meinen Kartoffeln. Sobald ich die aufgesetzt hatte, schälte ich Möhren und schnitt sie in dünne Scheiben, damit sie schneller garten. Ich würzte gerade das Hackfleisch, als meine Mom zur Küche herein kam.

„Tut mir leid. Ich habe ganz die Zeit vergessen, Heather.“

„Macht doch nichts.“

„Danke, dass du schon angefangen hast. Mir knurrt der Magen so laut, das können sie noch drüben in Denver hören.“

Ich sah meine Mom an und fing an zu lachen, woraufhin sie mit einstimmte.

„Das gleiche habe ich auch eben gedacht.“

„Kein Wunder. Wenn man den ganzen Tag an der frischen Luft ist und arbeitet, muss man hungrig wie ein Bär sein.“

„Das hat Grandpa auch immer gesagt.“

Sie lächelte mich an. „Dein Grandpa war eben ein schlauer Mann.“ Sie kam zu mir. „Willst du duschen gehen? Dann mach ich den Rest hier und danach essen wir zusammen. Sie bringen heute die Wiederholung dieses Films, den du unbedingt sehen wolltest.“

„Wirklich?“

„Hm.“ Meine Mom deutete nach oben. „Nun geh schon. Wir essen nachher zusammen auf dem Sofa.“

Ihr Plan war nicht ganz uneigennützig. Sie wollte sich erstens mit mir versöhnen, wegen der Sache mit Chris Channing und zweitens brauchte unser Wasserboiler immer eine Weile, bis wieder warmes Wasser zur Verfügung stand, wenn einer geduscht hatte und danach noch abgewaschen wurde. Also war es praktischer, wenn wir nicht direkt hintereinander duschen gingen.

Ich ließ mich kein drittes Mal bitten und verschwand nach oben. Es dauerte keine zwanzig Minuten bis ich wieder unten war. Meine Haare kringelten sich feucht und wild auf meinem Kopf und versuchten schon jetzt, nach wenigen Minuten, meinem Haarknoten zu entfliehen. Obwohl sie so aufwendig zu pflegen waren, hatte ich nie in Erwägung gezogen, sie abzuschneiden. Ich mochte mein widerspenstiges, rotes Haar. Es war im Sommer rötlicher und nur in den Wintermonaten, wenn es dunkler wurde, sah es rotbraun aus. Aber dank des Braunstichs sah ich nicht aus wie eine Karotte, obwohl in meinem Pass stand, dass ich rote Haare hatte. Das Foto hatte ich auch im Hochsommer machen lassen und da hatte es keinen Zweifel an meiner Haarfarbe gegeben.

Ich sah meiner Mom sehr ähnlich. Ihre Gesichtszüge waren etwas schärfer und ihre Augen schmaler. Doch sie hatte die gleiche blasse Haut wie ich, Sommersprossen an derselben Stelle, um die Nase herum und auf den Wangen und wir hatten beide grüne Augen. Nur ihr Haar war das ganze Jahr über braun rot mit einem höheren Braunanteil. Sie hatte mir erzählt, dass mein Vater feuerrotes Haar hatte. Mehr wusste ich nicht von ihm. Es gab nur zwei Fotos, auf denen er nicht gut zu sehen war. Er war als Teenager mit seinen Eltern während eines dreiwöchigen Sommerurlaubs regelmäßig zum Reiten auf den Hof meiner Großeltern gekommen. Als meine Mom herausfand, dass sie schwanger war, hatte sie ihm geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten. Meinen Großeltern war das egal. Sie unterstützten sie und liebten mich als ihre Enkelin, wie es nur Großeltern konnten. Dass ich ohne Vater aufgewachsen war, störte mich nicht. Als Teenager hatte ich mir ausgemalt, er würde aus purer Neugier hier auftauchen und beschließen, für mich da zu sein. Aber das war nie passiert. Meinerseits nach ihm zu suchen, konnte nur auf eine Enttäuschung hinauslaufen und deswegen hatte ich es auch nie versucht.

Ich zuckte zusammen und sah meine Mom an. Sie stand an der Anrichte und hatte die Hände aneinandergelegt, mit denen sie eben geklatscht hatte.

„Du bist so tief am Träumen, dass ich für den Moment befürchtet habe, du bist im Stehen eingeschlafen.“

Ich verzog mein Gesicht zu einem Grinsen und kam zu ihr. „Ich war nicht am Träumen. Nur in Gedanken. War aber nicht so wichtig. Ist das Essen fertig?“, lenkte ich gleich wieder ab und Josie nickte.

„Ja, hilfst du mir mit den Getränken?“ Sie deutete auf die Gläser und das Soda, während sie die beiden Teller nahm. Das Chilli con Carne roch köstlich und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Mit knurrendem Magen folgte ich ihr ins Wohnzimmer, wo wir es uns auf dem Sofa gemütlich machten.

„Hast du eigentlich etwas von Ghita gehört?“ Meine Mom suchte die Fernbedingung zwischen den Kissen.

„Sie hat vorhin angerufen, als ich die Kartoffeln geschält habe. Sie und Alec sind gut angekommen. Sie kommt morgen wie immer.“

„Hat sie erzählt, ob sie ein Pferd gefunden haben, was Alec zusagt?“

Ich zuckte mit den Achseln.

Meine Mom setzte sich und schaltete den Fernseher ein. „Das ist aber keine richtige Antwort. Hat er nun ein Pferd gekauft oder nicht?“

„Kann ich dir nicht sagen“, rechtfertigte ich mich. „Sie sagte zwar, sie wolle Alec noch bei was helfen, aber sie hat mir nicht erzählt, bei was.“

„Und du hast sie nicht gefragt?“

„Warum soll ich Ghita fragen, wobei sie Alec hilft? Das geht mich nichts an und wenn du unbedingt wissen willst, ob Alec ein Pferd gekauft hat, dann ruf ihn doch an. Er wird es dir bestimmt sagen können.“

Ich deutete auf den Film, der schon seit zwei Minuten lief. „Ich will jetzt den Film da gucken.“

Meine Mom murmelte etwas, was ich nicht verstand und ich fragte auch nicht nach. Aber sie stand nicht auf, um zu telefonieren. Nicht mal in einer der Werbepausen und das hatte ich fast erwartet.

Als um halb Elf der Film zu Ende war, war ich so müde, dass ich auf dem Weg in mein Zimmer beinah einschlief. Die Leiter zum Dachboden verlangte mir noch mal alles an Konzentration ab, was ich aufbringen konnte. Erschöpft fiel ich in mein Bett und ohne einen Gedanken an etwas Konkretes schlief ich ein und wachte erst wieder auf, als der Wecker am nächsten Morgen um halb sechs ansprang.

Einmal drückte ich das hässliche Schrillen weg, aber als er zehn Minuten später wieder damit anfing, rappelte ich mich auf und wischte mir den Schlaf aus den Augen. Ich wollte nur schlafen. So ging es mir meistens. Erst nach einer Dusche begann ich mich wirklich wach und bereit für den Tag zu fühlen.

Heute wurde meine Vorfreude davon überschattet, dass Chris Channing wieder käme. Das vermieste mir sogar die Lust aufs Frühstück und darauf freute ich mich sonst immer schon unter der Dusche.

Nachdem ich mein Haar gekämmt und zu einem Zopf geflochten hatte, kam ich hinunter in die Küche. Heute war es frisch und ich trug ein Langarmshirt über meiner Reithose. Für T-Shirts war es einfach nicht mehr warm genug. Jedenfalls nicht so früh am Tag. Mom saß wie immer schon am Küchentisch, trank Kaffee und las die Zeitung. Ich hatte mir gerade eine Schüssel aus dem Schrank genommen und damit angefangen, mein Müsli zusammenzustellen, als es an der Tür klopfte.

„Ja, herein?“, rief meine Mom selbstverständlich und ich musste zugeben, dass ich sehr erstaunt war, als Chris in die Küche kam. Ich hätte darauf gewettet, dass er zu spät kam, so wie gestern. Entweder war das gestern wirklich ein Versehen gewesen, oder er hatte eingesehen, dass sein Verhalten daneben war und wollte es heute wieder gut machen.

Ich war mir nicht sicher und bevor ich zu einer Entscheidung kam, begrüßte meine Mom Chris mit einem freundlichen Händedruck.

„Wie ich sehe pünktlich zum Frühstück“, schnappte ich auf und empfing gleich darauf ihren Blick. „Machst du Chris auch eine Schale, Heather?“

„Isst du Müsli?“, fragte ich, statt zu argumentieren, dass er sich sein Frühstück genauso gut auch selber machen konnte.

Er nickte. „Klar, solange es ohne Beeren ist. Ich bin kein großer Fan von Früchten.“

„Das lässt sich bestimmt einrichten“, erklärte Josie. „Einen Kaffee?“

„Da sag ich nicht nein, Mrs. McCorie.“

„Du kannst mich Josie nennen. Wir haben es hier draußen nicht so sehr mit höflichem Firlefanz.“

Höflichem was? Ich sah meine Mom überrascht an. Nicht, weil sie Chris anbot, sie Josie zu nennen. Das stimmte schon. Auf ein Mrs. McCorie legte sie keinen Wert. Aber so wie sie das sagte, klang es ja fast, als wäre Höflichkeit ein Fremdwort für sie. Und ich war mir nicht sicher, ob Chris das mit Anstand oder Zuverlässigkeit gleichsetzte.

„Das ist cool. Danke, Josie.“

Ich verzog immer noch mein Gesicht, während Chris seinen Kaffee entgegen nahm und sich wie selbstverständlich an den Tisch setzte.

Am liebsten hätte ich seine Müslischale auf der Anrichte stehen lassen, damit er sie sich selbst holen musste, aber das kam mir kindisch vor. Also brachte ich sie ihm und setzte mich ebenfalls. Allerdings beteiligte ich mich nicht an dem Gespräch, in das meine Mom ihn verwickelte. Dabei ging es allgemein um das Studentenleben und konkreter um die Kurse, die er ab nächste Woche belegen würde.

„Wieso hast du überhaupt noch frei“, wunderte ich mich laut. „Ich dachte, das Herbstsemester geht bereits Ende August wieder los?“

„Ja, stimmt.“ Er grinste mich an. „Aber wir haben die ersten vier Wochen im Semester Zeit für unser Praktikum.“

„Hast du deins denn schon absolviert?“

Er nickte.

Ich wollte mich gar nicht dafür interessieren, tat es aber doch. Zumindest war ich neugierig. „Aber wie hast du das gemacht? Ich dachte du hattest dir den Arm gebrochen?“

„Ich darf ihn noch diese Woche nicht allzu sehr belasten und soll langsam machen, aber der Gips ist endlich weg. Und während des Praktikums habe ich eben wenig geschrieben und dafür umso mehr geredet. Meine zuständige Lehrkraft, die die Beurteilung übernommen hat, war sehr zufrieden.“

„Das ist doch toll“, meinte meine Mom und ich beließ es dabei. Ich traute seinen aalglatten Worten kein bisschen. Er wirkte freundlich, offen und beinah sympathisch. Dagegen konnte nicht mal ich mich wehren. Aber ich wurde das Gefühl nicht los, Chris versuchte uns um den Finger zu wickeln und erzählte uns nur die halbe Wahrheit.

„Oh schon fast sieben.“ Meine Mom stand auf. „Seid ihr damit fertig?“

Chris nickte und ich ebenfalls.

„Wenn ihr den Stall übernehmt, mach ich den Abwasch.“

„Was machst du sonst heute?“, wollte ich wissen. Denn normalerweise besprachen wir den Tagesablauf gemeinsam.

„Ich dachte mir, du könntest Chris heute an seinem ersten Tag erklären, was es so alles zu tun gibt. Ihm alles Schritt für Schritt zeigen und dann einen Plan ausarbeiten, wie die nächste Zeit aussehen soll.“

„Wie die nächste Zeit aussehen soll?“ Ich verstand nicht, was sie meinte.

„Wenn Chris‘ Kurse anfangen, müsst ihr euch einen Plan zurechtlegen, der für euch beide funktioniert. Ich habe mit deinen Eltern besprochen, dass du jeden Tag mindestens für zwei Stunden herkommst und samstags und sonntags für sechs. Wie ihr das aufteilt und ausschmückt, überlasse ich euch. Ich werde mich heute Vormittag um den Papierkram kümmern, den Garten und die Heulieferung. Außerdem kommen die Alcotts zum Trainieren und am Nachmittag habe ich einen gebuchten Ausritt im Gelände.“

„Was ist mit Ghita?“

„Sie wird sich am Vormittag um Dash kümmern, schätze ich und mir bei der Heulieferung helfen. Am Nachmittag ist der Springunterricht.“

„Kann ich mit Autumn Fire arbeiten?“

„Natürlich, wenn du die Zeit findest.“

„Dafür ist er ja da“, erwiderte ich und deutete auf Chris, der mich fragend ansah.

Meine Mom lachte. „Prächtig.“

Damit waren wir entlassen und ich ging in den Flur. Dort standen meine Reitstiefel, die ich mir mithilfe des Schuhanziehers anzog. Danach brachte ich Chris in den Stall. Er trug auch heute wieder Turnschuhe und weil er nicht nach Reitstiefeln fragte, hatte er seine Meinung wohl nicht geändert, sondern bestand weiterhin darauf, seine Schuhe zu ruinieren. Mir sollte das egal sein. Es waren ja seine und nicht meine Schuhe.

„Wer ist Autumn Fire?“

Ich warf ihm über die Schulter einen Blick zu. Überrascht, dass er dem Gespräch zwischen mir und meiner Mom wirklich so aufmerksam zugehört hatte.

„Ein neues Pferd.“

„Kann ich ihn sehen?“

„Es ist eine sie“, erwiderte ich lächelnd. „Und du wirst sie sehen. Sie alle. Immerhin arbeitest du jetzt hier oder?“

„Sieht so aus.“ Er deutete mit der linken Hand in den Stall. Erst jetzt fiel mir auf, dass er den rechten Arm tatsächlich schonte und mit seiner linken Hand abwesend darüber fuhr. Ich fragte mich, ob er noch Schmerzen hatte oder noch Schrauben im Arm trug. Nicht nur Grace war an dem Tag verletzt worden. Trotzdem hatte ich ihn nie danach gefragt, wie es ihm ging. Ich war zu sauer und wütend gewesen.

Dass er nun hier war und ich keine andere Wahl hatte, als mit ihm zu arbeiten, machte das nicht einfacher. Meine Wut war nicht plötzlich verschwunden. Aber ich konnte auch nicht mehr ausblenden, dass er ein Mensch war, der Fehler machte. Wie jeder andere auch. Und das er wie Alec gesagt hatte, seine Strafe bereits bekommen hatte. Vielleicht tat es ihm leid und er wusste nur nicht, wie er das besser zeigen konnte. Vielleicht schämte er sich?

„Heather?“

Ich zuckte zusammen. War ich so tief in Gedanken gewesen?

Natürlich war ich das. Ich war es nicht gewohnt, mit anderen zusammen zu arbeiten, sondern erledigte das Stallausmisten am Morgen für gewöhnlich allein.

„Sorry. Ich bin irgendwie noch nicht ganz wach“, redete ich mich verlegen heraus.

Chris lachte. „Geht mir auch so. Ist nicht meine Zeit.“

„Aber musst du für deine Kurse in der Uni nicht auch so früh aufstehen?“

„Bestimmt nicht.“ Er grinste breit. „Ich suche mir immer die am Vormittag oder Mittag aus.“

Ich wollte ihn schon daran erinnern, dass er später als Lehrer nicht nur mittags und nachmittags Unterricht haben würde, als ich mich daran erinnerte, dass das nicht meine Aufgabe war. Er sollte nicht denken, ich wollte ihn belehren. Außerdem hatten wir genug zu tun und keine Zeit hier herumzustehen und bloß zu reden.

Also lenkte ich ab. „Okay, fangen wir lieber mal an. Die Pferde sind im Gegensatz zu uns bereit für den Tag und wollen hinaus. Solange das Wetter noch gut ist und nicht so kalt oder verregnet, genießen sie es, draußen zu sein.“

Chris lehnte sich an die Stallwand. „Ich gucke dir mal aus der Ferne zu.“

„Wieso das?“

Er zuckte mit den Achseln. „Du hast doch gesagt, dass ich die Tiere nicht anfassen darf.“

Das hatte ich. „Ja klar, aber du kannst gern näher kommen. Sie beißen nicht. Jedenfalls wissen die meisten von ihnen, wie man sich höflich verhält.“

Er zog eine Augenbraue nach oben und blieb stehen. Ich rollte mit den Augen und öffnete die Box von Penny.

„Ziemlich kleines und hässliches Pferd, wenn du mich fragst.“

„Das ist kein Pferd, sondern ein Pony“, giftete ich Chris an. „Und Penny ist überhaupt nicht hässlich.

„Also das kann man jetzt so oder so sehen.“

Ich rief mir in Erinnerung, dass er keine Ahnung von Ponys oder Pferden hatte. Für ihn waren es bloß irgendwelche Tiere.

„Im Ernst.“ Er suchte meinen Blick. „Das ganze Haar, was ihr da übers Gesicht hängt. Kann sie damit überhaupt was sehen?“

Ich lachte. „Das ist von Natur aus so. Sie sehen so gut wie alle anderen Ponys auch, glaub mir.“ Ich winkte ihn zu mir. „Ihr Fell ist viel weicher als es aussieht. Komm her.“

Chris hob die Hände. „Ich bin nicht zum Kuscheln hier.“

Verlegen nickte ich. „Natürlich nicht.“ Er war hier, weil er es musste und nicht, weil er Pferde so sehr mochte wie ich.

Ich ließ Penny vor ihrer Box stehen und öffnete die von Rick. Auch ihn holte ich heraus und kontrollierte danach bei beiden, dass sie sich nicht in der Nacht verletzt hatten. Als ich zufrieden war, legte ich beiden ein Führhalfter an und hielt diese Chris hin.

„Geh mit ihnen schon mal in den Hof. Ich komme mit Dash und Thunder nach.“

Rick und Penny wären auch so mitgegangen, aber ich wollte dass Chris sich daran gewöhnte. Es konnte immer passieren, dass ein Gewitter aufzog. Im Herbst war auch ein Sturm nichts Ungewöhnliches. Ich wollte, dass er mithelfen konnte, wenn es darum ging, die Tiere schnell in den Stall zu bringen.

Zögerlich nahm er mir die beiden Führstricke ab. Ich wartete nicht, sondern öffnete schon Dashs Box, um ihn zu begrüßen. Sobald ich ihn soweit hatte, widmete ich mich Thunder und führte dann beide Pferde hinaus in den Hof, wo Chris auf mich wartete. Er gab ulkiges Bild ab. Rick, wie immer neugierig, versuchte an ihm zu riechen. Es konnte ja sein, dass er da was in seiner Jackentasche versteckte. Chris dagegen war das Verhalten von Rick unangenehm und so wich er ihm aus und versuchte ihn auf Abstand zu halten. Das wiederum brachte ihn näher an Penny heran, die das zwar stoisch auffasste, aber ich gewann den Eindruck, Chris hatte Angst, den Tieren zu nah zu kommen.

Von wegen kleines Pony.

Ich grinste still in mich hinein und ging an ihm vorbei, als hätte ich nichts bemerkt. Es wäre fies gewesen, ihn aufzuziehen. Ich wollte keinen Ärger riskieren, denn wir versuchten einen Weg zu finden, vernünftig miteinander zu arbeiten. An der Weide angekommen, band ich Thunder und Dash am Zaun fest, was die beiden nur unwillig akzeptierten. Das gehörte nicht zur morgendlichen Routine und gefiel ihnen ganz und gar nicht.

„Ihr kommt ja gleich auf die Weide, ihr beiden Wilden. Jetzt zeigen wir Chris hier erstmal, wie man die Führstricke wieder abnimmt und was es beim Öffnen und Schließen des Weidegitters zu beachten gilt.“

Ich winkte Chris mit dem Kinn zu mir und lächelte.

„Was mache ich jetzt mit denen?“ Er deutete auf die beiden Ponys.

„Du kannst die Führstricke loslassen. Die beiden laufen nicht weg.“

Er tat, was ich sagte und kam zu mir. „Ein Gatter, was gibt es da Besonderes zu sehen?“ Er sah mich an. „Nur weil ich nicht auf einer Ranch aufgewachsen bin, heißt das nicht, dass ich nicht weiß, wie man ein Gatter öffnet und schließt.“

Er schien verärgert.

„Warum bist du sauer?“

„Wieso stellst du mich als einen Idioten dar?“

„Mache ich gar nicht“, wehrte ich mich und zeigte auf das Gatter. „Es geht darum, dass du nicht einfach den Bolzen reinschieben kannst und das war es dann. Wichtig ist, dass du hier unten noch den Bolzen reinschiebst und auf der anderen Seite auch, da unten.“

„Wofür so viele Sicherungen?“

„Weil Shetland Ponys verdammt schlau sind. Vor ein paar Jahren sind uns die Pferde ausgebrochen. Mehrmals. Wir haben ein paar Tage gebraucht, bis wir Penny auf frischer Tat dabei ertappt hatten, wie sie den Bolzen aufschob. Den Rest macht ein Stubser mit der Nase oder der Wind. Seitdem haben wir noch die zusätzlichen Bolzen hier unten.“

Chris schwieg und ich lachte.

„Nicht ganz das, was du von der feinen Lady erwartet hättest, was?“

Ich ging zu Penny, Rick und Chris folgte mir. Ich zeigte ihm, wie der Führstrick befestigt war und wie er ihn abnahm. Danach zeigte ich ihm, wie er das Halfter richtig auszog.

„Penny und Rick brauchen es auf der Weide nicht. Die anderen haben ihres auch auf der Weide an“, erklärte ich ihm. Derweil machten sich Rick und Penny auf den Weg zur Weide, was wiederum zur Folge hatte, dass Dash und Thunder ihren Unmut preisgaben. Mit einem Lächeln löste ich erst den einen dann den anderen Führstrick und die beiden verloren keine Zeit, Penny und Rick zu folgen.

Ich ließ Chris das Gatter verschließen und dann machten wir die Prozedur noch mit den anderen Pferden durch, wobei er sich gegenüber den großen Pferden noch offensichtlicher zurückhielt. Ich wusste nicht, ob es direkt Furcht war, aber er war unsicher.

Nachdem wir die Pferde endlich auf die Weide gebracht hatten, gingen wir zu den Boxen. Ich drückte ihm eine Mistgabel in die Hand.

„Zuerst mal ausmisten. Die obere, nasse Schicht und die Pferdeäpfel. So wie ich es dir gestern gesagt habe.“

Ich stellte die Schubkarre in die Stallgasse zwischen uns. „Du kannst die eine Seite machen, ich die andere.“

Nach zehn Minuten behauptete er, fertig zu sein und ich zeigte ihm, welche Stellen er übersehen hatte und wo er genauer ausmisten musste. Etwa eine Dreiviertelstunde später war der Stall ausgemistet, der Mist weggefahren und Chris beklagte seine dreckig gewordenen Turnschuhe.

„Willst du jetzt doch ein paar Reitstiefel von uns?“

„Nein, danke“, grollte er. „War es das hier drin?“

Ich schüttelte den Kopf. „Komm mit, ich zeig dir, wie man das Heu wirft, und es dann zu den Boxen transportiert. Die müssen aufgefüllt werden.“

Die Tröge hatte ich sauber gemacht, während er den Mist weggefahren hatte. Vermutlich hatte er sich den Dreck an seinen Schuhen dort geholt. Da war es nämlich viel matschiger, als hier drin.

Die nächste Stunde verbrachten wir mit dem Auffüllen der Boxen und dem Ausfegen des Stalls.

„Das war es erstmal“, erklärte ich und Chris sah auf die Uhr. „Zwei Stunden“, er nickte. „Und erst neun Uhr. Das frühe Aufstehen hat auch seine Vorteile.“

Ich lächelte. „Sieht so aus. Also machen wir es doch einfach so, dass du in der Vorlesungszeit um halb sieben zu uns kommst und den Stall übernimmst. Das wären zwei Stunden, wie vereinbart und es ist auch nicht sonderlich schwierig. Deine Kurse fangen ja alle erst mittags an, nicht wahr?“

Er lächelte mich an und nickte dabei. „Nicht schlecht. Du hast mir zugehört.“

„Tja, nur weil ich auf einer Ranch aufgewachsen bin, heißt es nicht, dass ich nicht klug bin.“

Ich verließ den Stall und Chris folgte mir. „Dann kann ich jetzt gehen?“

„Was?“

„Zwei Stunden sind ja vorbei. Der Stall fertig. Es gibt nichts mehr zu tun.“ Er brach ab, als ich laut zu lachen begonnen hatte.

„Nichts zu tun? Auf einer Pferderanch?“ Ich schüttelte den Kopf. „Das denkst aber auch nur du. Mir fallen noch jede Menge Dinge ein, die erledigt werden müssen und bei denen gerade du besonders gut helfen kannst.“

„Ach echt?“

„Aber sicher.“

Als wir hinaus in den Hof kamen, fuhr gerade ein Wagen vor. Es war John Alcott. Der älteste Sohn der Alcotts. Er war Mitte zwanzig und ritt Quake bei den Westernshows. Seinem Bruder Andy gehörte Lightning.

„Hi, John“, begrüßte ich ihn im Näherkommen. „Wo hast du Andy gelassen?“

„Der liegt mit seiner Erkältung immer noch im Bett. Meinst du, Ghita könnte sich heute um Lightning kümmern?“

„Ich bin mir nicht sicher. Am besten fragst du sie selbst.“

„Ist sie schon da?“

„Nein, aber sie sollte jeden Moment kommen.“

Erst jetzt wurde mir klar, dass Chris die gesamte Zeit neben mir stand. Ertappt deutete ich auf ihn. „Das ist Chris Channing, er hilft uns für eine Weile auf der Farm. Heute ist sein erster Tag.“

„Toll, Hilfe kann man doch immer gebrauchen.“ John schüttelte Chris Hand. Danach ging er zu seinem Pferd auf der Weide.

Als Ghita wenig später kam, sagte ich ihr Bescheid, dass John sie sprechen wollte. Dabei fiel mir auf, dass Chris Ghita auf den Hintern starrte, als sie zu den Pferden ging.

Kopfschüttelnd wandte ich mich dem eingetroffenen Laster zu.

„Guten Morgen, Sam“, begrüßte ich unseren Heulieferanten.

„Hi, Schätzchen.“ Er klopfte mir auf die Schulter. „Wirst auch von Tag zu Tag hübscher.“

Ich tat sein Kompliment verlegen ab. Normalerweise fiel es mir leicht, Sam nicht so ernst zu nehmen. Aber in Chris Gegenwart war es irgendwie peinlicher.

„Schau mal, das ist Chris. Er kann dir heute zur Hand gehen.“

„Klasse.“ Sam freute sich sichtlich.

„Und du?“ Chris sah mich fragend an. „Wo gehst du hin?“

„Na ich arbeite mit den Pferden. Ob du es glaubst oder nicht, die stehen nicht einfach den ganzen Tag auf der Weide und fressen bloß.“

„Du willst mich mit ihm und dem ganzen Heu allein lassen?“

„Heute hast du noch keine Vorlesung und damit stehst du uns sechs Stunden zur Verfügung. Natürlich habe ich vor, das auszunutzen. Aber keine Sorge, Sam passt auf dich auf, er ist ein ganz Lieber.“

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht ließ ich ihn stehen und ging zur Weide, um zu sehen, ob ich Ghita helfen sollte. Wenn sie meine Hilfe nicht benötigte und für Dash und Lightning Zeit hatte, würde ich mit Autumn Fire arbeiten. Ich freute mich mehr darauf, als ich mir eingestehen wollte.

Sobald ich Ghita erreichte, drehte sie sich mit einem Lächeln zu mir. John dagegen verabschiedete sich mit einem Wink und ging zu seinem Hengst. Es machte fast den Eindruck, als hätte ich ihn in Verlegenheit gebracht. Auch wenn ich mir nicht erklärten konnte, wie ich das angestellt haben sollte.

„Brauchst du meine Hilfe?“

„Wobei?“

„Wegen Andys Pferd.“

„Ach so.“ Ghita lächelte. „Es könnte knapp werden. Andererseits ist Sam bereits da.“

„Du brauchst Mom und Sam nicht helfen. Ich habe Chris zu ihnen geschickt“, unterbrach ich sie.

Ghitas Lächeln wurde noch breiter. „Stimmt, wir haben ja jetzt eine Aushilfe. Der Gedanke gefällt mir gerade richtig gut.“

Ich erwiderte ihr Lächeln. „Also kommst du mit Lightning und Dash klar?“

„Das schaffe ich.“ Sie legte den Kopf schief. „Und was ist mit dir?“

„Ich kümmere mich um Rick und Penny und außerdem wollte ich ein bisschen mit Autumn Fire arbeiten.“

„Die neue Stute?“

Ich nickte.

„Sie ist eine Schönheit.“

„Ja“, erwiderte ich schlicht. Es war die Wahrheit und es hatte keinen Zweck, es abzustreiten.

„Du hast mich gar nicht nach dem Rennen gefragt“, stellte Ghita fest und klang ernst.

„Ich weiß“, gestand ich ein. „Ich kann dir gar nicht sagen, warum. Irgendwie … ging es nicht.“

„Verstehe. Und jetzt? Willst du mich jetzt danach fragen?“

Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „So wie du fragst, implizierst du mir bereits, dass ich gar keine andere Wahl habe, als ja zu sagen.“

„Das solltest du auch. Ja sagen, meine ich. Die ersten beiden Rennen waren okay, das dritte furchtbar. Ich wollte schon vorschlagen zu gehen, aber Alec wollte unbedingt noch die beiden letzten Rennen für den Tag abwarten. Und beim sechsten Rennen war tatsächlich ein Pferd dabei, dass ihn dazu bewogen hat, zu bieten.“

„Wirklich?“ Das überraschte mich. Natürlich hatte ich es mir denken können. Ghita hätte nicht so ein Geheimnis daraus gemacht, wenn Alec nicht ein Pferd mitgebracht hätte.

„Eine Stute. Beinah 2 Jahre alt, guter Stammbaum und laut Alec besitzt sie Potenzial.“

„Warum haben die Besitzer sie in einem Claiming Race reiten lassen?“

„Aus dem Grund, den die meisten Besitzer wählen, deren Tiere richtig gut sind. Geld. Zumindest tippe ich darauf. Genaues hat Alec mir nicht gesagt und ich habe nicht daran gedacht, danach zu fragen.“

Ich nickte. Ghitas Annahme war wahrscheinlich. Gutes Geld gewann sich außerhalb der Rennsaison am Leichtesten auf diese Weise. Ich mochte diese Art Rennen nicht, aber sie waren für Ställe, die auf der Suche nach guten Rennpferden waren, ein beliebter Anlaufpunkt.

„Auf jeden Fall ist Alec schwer verliebt. Er will sie die Woche über langsam an den Stall, die anderen Pferde und an sich gewöhnen.“

„Wann wird er sie testen?“

„Ich glaube, er hat gehofft, dass du vorher vorbei kommst, um ihm deine Meinung zu seiner neuen Liebe mitzuteilen und dass er dich danach überreden kann, sie für ihn zu reiten.“

„Warum sollte er?“

„Weil er keinen Jockey hat, der es für ihn machen kann.“

„Hast du ihm nicht angeboten, für ihn zu reiten?“

Ghita war eine ebenso gute Reiterin wie ich. Zum Einschätzen konnte Alec auch sie fragen.

„Du hast das ideale Gewicht, außerdem die richtige Größe.“ Ghita lächelte. „Im Gegensatz zu mir. Und du kennst doch Alec. Wenn er was macht, macht er es richtig. Er hat mich nicht gefragt und ich habe ihm meine Hilfe nicht angeboten. Wir wissen doch, dass er abgelehnt hätte und das nicht gern. Ich wollte ihn nicht in diese Situation bringen.“ Sie sah mir in die Augen. „Außerdem denke ich wirklich, dass du diejenige sein solltest, die ihm seine Hilfe anbietet.“

Als sie merkte, dass ich protestieren wollte, wurde ihr Blick schärfer. „Es ist mir Ernst, Heather. Das mit Grace war schrecklich. Niemand leidet so sehr darunter wie du, auch wenn es für uns alle schlimm war, sie zu verlieren. Aber du darfst deswegen nicht dein ganzes Talent und deine Träume wegwerfen.“

„Es waren doch nur Träume, Ghita.“ Mein Einwand klang nicht ganz so überzeugend, wie ich gehofft hatte. Ich konnte die Zweifel selbst hören und ein Blick in Ghitas Gesicht verriet mir, dass sie sie auch gehört hatte.

„Überleg es dir, Heather. Ich finde es toll, dass du vorhast im Frühling mit dem Studium zu beginnen. Aber nichts spricht dagegen, dass du trotzdem für Alec als Jockey in ein paar Rennen in der kommenden Saison antrittst. Du könntest viel von ihm lernen und dir Zeit lassen, in Ruhe zu entscheiden, ob du das Profireiten ernsthafter verfolgen willst. Es wäre auf jeden Fall eine Gelegenheit, die du dir nicht entgehen lassen solltest.“

Als ich nichts darauf sagte, drückte sie meine Schulter. „Tue Alec wenigstens den Gefallen, sie dir anzusehen. Er hatte sich darauf gefreut, sie dir zu präsentieren.“

Danach ließ sie mich los und ging zu Dash. Sie brauchte nicht mal pfeifen. Er kam von ganz allein auf sie zugelaufen und ich konnte sehen, dass sein Körper bereits in freudiger Erwartung angespannt war.

Ich selbst ging zu Autumn Fire. Ich hätte eigentlich mit den Ponys beginnen wollen, aber ich sehnte mich nach ihrer Gesellschaft. Verrückt! Wo ich sie doch gerade mal einen Tag kannte. Aber das Band, was ich gespürt hatte, war keine Einbildung gewesen. Sobald ich zu ihr kam, rieb sie ihre Nüstern vertrauensvoll an meiner Schulter und schnaubte mir warm ins Gesicht.

Schnell wischte ich mir ein paar Tränen von den Wangen und lachte leise.

„Na meine Hübsche. Wie fühlst du dich heute Morgen?“

Sie sah mich an und ich kraulte ihr den Hals, was sie sichtlich zu genießen schien.

„Was hältst du davon, wenn ich dich jetzt ordentlich striegele und danach lass ich dich mal ein bisschen an der Longe laufen und ich schau mir an, was du so kannst. Und wenn du lieb bist“, ich sah ihr mit einem Grinsen verschwörerisch in die Augen, „reiten wir danach noch mal ins Gelände. Na, was hältst du davon?“

Autumn Fire schnaubte und hob den Kopf, als hätte sie mich tatsächlich verstanden. Ich lachte zufrieden, nahm sie vorsichtig am Halfter, wobei ich leise mit ihr sprach und führte sie zum Gatter. Dort hatte Ghita einen zweiten Führstrick angebunden, den ich Autumn Fire anlegte, um sie danach in die Zweite der beiden Putzboxen zu führen.

In der anderen war Ghita dabei, Dash zu striegeln, wobei sie leise sang. Das machte sich nicht Dash zuliebe, sondern wenn sie glücklich war.

Zuerst band ich Autumn Fire mit einem Panikknoten fest. Den würde ich Chris noch zeigen müssen, sobald er mehr mit den Pferden machte, als sie vom Stall zur Weide zu führen. Der Panikknoten diente dazu, die Tiere so festzubinden, dass sie sich nicht den Hals brachen, sollte etwas sie erschrecken. Als erstes kratzte ich der Stute die Hufe aus. Damit fing ich immer an. Es war wichtig, täglich vor dem Arbeiten mit den Pferden oder einem Ausritt und danach die Hufe zu kontrollieren. Schnell traten sich kleine oder auch mal größere Steinchen und Dreck fest. Pferde konnten sich mit unsauberen Hufen verletzen, denn der Huf war sehr empfindlich. Außerdem konnte es durch den Dreck schnell zu Entzündungen kommen, wenn man ihn nicht vorsichtig entfernte.

Autumn Fire ließ das Hufe auskratzen an den Vorderbeinen über sich ergehen, an den Hinterbeinen sträubte sie sich zunächst, und ich streichelte sie immer wieder, sprach leise mit ihr, damit sie ihre Angst verlor. Es war wichtig, dass das Pferd während der Prozedur entspannt blieb. Man konnte sich sonst schnell einen Tritt einfangen.

Das Hufe Auskratzen gab mir außerdem die Möglichkeit, die Fesseln abzutasten. So stellte ich schnell und leicht fest, ob sie eine Schwellung hatte, die auf eine Überanstrengung, Verstauchung oder etwas anderes hindeuteten, was zum Lahmen führen konnte. Bei Autumn Fire gab es keine solchen Anzeichen.

Danach widmete ich mich dem Striegeln.

Die meisten glauben, dass man ein Pferd schnell gestriegelt hat, aber in Wahrheit war ich eine gute Stunde in der Putzbox. Zunächst löste ich den Dreck mit dem Gummistriegel, danach konnte ich ihn mit der Wurzelbürste aus dem Fell kämen. Anschließend kam die Behandlung mit der weichen Bürste. Sie entfernte die restlichen losen Haare, die noch da waren und meistens mochten die Pferde diesen dritten Schritt von allen am Liebsten. Autumn Fire bildete keine Ausnahme. Anschließend säuberte ich ihren Kopf und Bauch mit einer separaten, weichen Bürste, wobei ich die Augen und die Nasen noch mal extra mit einem in lauwarmes Wasser getunkten Schwamm säuberte. Einen zweiten Schwamm nutzte ich für den Bereich unterm Schweif, der ebenfalls täglich gesäubert werden musste, damit sich hier keine Entzündungen bildeten und das Tier krank wurde.

Danach führte ich Autumn Fire aus der Putzbox und band sie im Hof an. Denn noch waren wir nicht fertig, aber ich hatte gespürt, dass sie unruhig wurde und nahm an, ein Ortswechsel täte ihr ganz gut. Ich ließ mir Zeit, ihr den Schweif und die Mähne zu kämmen. Das ging wesentlich leichter als bei den Ponys, in deren Mähne sich all zu leicht Dreck verfing und dort regelrechte Knoten bildete.

Zeitgleich zu Ghita wurde ich fertig und konnte mit ihr besprechen, ob sie den Longenplatz nutzen wollte.

„Nein“, erklärte sie. „Nimm du ihn ruhig. Ich wollte mit Dash auf den Spring Parcours. Das hat er sich nach gestern verdient.“

Ich klopfte Dash auf den Hals. „Na hast du gehört? Ghita macht die Vernachlässigung von gestern wieder gut.“ Ich sah sie an und lächelte.

„Und du?“

„Ich werde mir Autumn Fire mal an der Longe angucken. Mr. Evans meinte, sie habe viel Potenzial.“ Ich lachte. „Das hat er von den Besitzern. Er selbst kennt sich mit Pferden nicht gut aus. Daher dachte ich mir, mache ich mir erstmal selbst ein Bild.“

„Das klingt vernünftig.“

Ich holte mir was ich brauchte und führte Autumn Fire zum Longenplatz. Dort verbrachte ich eine Dreiviertelstunde und sah sie mir genau an. Die Besitzer hatten nicht gelogen. Sie hatte einen leichtfüßigen, sehr guten Tempowechsel. Ihre Bewegungen waren rund und kräftig. Außerdem war ihre Ausdauer gut, sie hatte kaum geschwitzt. Im Gegenteil, sie schien mir erpicht darauf zu sein, weiter zu machen. Jedoch hatte ich auch das Gefühl, dass sie lieber mehr tun wollte, als im Kreis zu laufen.

„Na, unterfordere ich dich, meine Schöne?“ Ich klopfte ihren Hals. „Keine Sorge. Ich hab dir doch einen Ausritt versprochen. Und genau den werden wir jetzt gemeinsam unternehmen.“

Ich führte Autumn Fire in den Stall, band sie fest und ging in die Sattelkammer, um mir einen Sattel zu holen. Meine Mom kam mir entgegen. Die Wangen gerötet und die Stirn von Schweiß gezeichnet.

„Seid ihr fertig?“

Sie nickte. „Sam macht sich jetzt auf den Weg.“

Meine Mom hatte das kaum gesagt, als er ebenfalls kam, dabei nickte er uns verabschiedend zu. Chris folgte ihm. Auch er sah geschafft aus. Mir entging nicht, dass er den rechten Arm etwas steif hielt. Hoffentlich hatte ich ihn nicht überfordert, als ich ihm gesagt hatte, er könne sich beim Heu abladen nützlich machen.

„Hey“, begrüßte ich ihn. „Wie fühlst du dich?“

„Okay“, gab er zu. „Hungrig und durstig.“

Meine Mom lachte. „Na dann komm mit in die Küche. Ich schau mal, das ich uns ein Sandwich machen. Willst du mitkommen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin auf dem Weg in die Sattelkammer. Ich möchte mit Autumn Fire eine Runde ausreiten.“

„Ah, das ist sie also?“, fragte Chris neugierig und sah sie an. Dabei blieb er auf Abstand.

„Definitiv hübscher als die Ponys.“ Er grinste breit und ich verkniff mir ein Lächeln.

„Ich geh schon mal vor.“ Meine Mom verließ uns.

„Danke“, hörte ich mich sagen und wusste gar nicht, wofür.

„Wofür?“ Er offensichtlich auch nicht. „Weil ich dein Pferd hübsch finde?“

„Erstens ist Autumn Fire nicht mein Pferd, sondern nur zur Unterbringung und Versorgung hier und Zweitens meinte ich deine Hilfe. War echt super, dass du Ghita die Arbeit abgenommen hast.“

Er nickte. „Was mach ich nach der Pause? Du wirst ja nicht da sein, um mir weitere Schwerstarbeit aufzuerlegen.“

Ich überlegte. Josie würde sich bestimmt mit dem Papierkram beschäftigen und später dann hatte sie den Ausritt.

„Frag mal meine Mom. Bestimmt findet sie noch was zu tun. Oder du könntest Ghita beim Training mit Dash zugucken. Wenn dich Springreiten nicht interessiert, kannst du auch John zusehen. Westernreiten sieht spektakulär aus, wenn es ein Profi macht und John ist einer, der schon viele Preise gewonnen hat.“

Er sah nicht überzeugt aus. Oder sagen wir, ich hatte nicht den Eindruck, dass ihn das sonderlich interessierte.

„Wenn ich wieder komme, zeige ich dir, wie man dem Pferd nach dem Ausritt die Hufe auskratzt, es richtig anbindet und eine Schwitzdecke umlegt. Danach können wir die Tränken mit neuem Wasser auffüllen und die Weide abäpfeln.“

„Die Weide?“ Er sah mich an. „Ist nicht dein Ernst?“

Lachend ging ich in Richtung Sattelkammer. „Ich mache niemals Scherze, Chris Channing. Stärke dich und ruh dich aus. Wenn ich wieder zurück bin, folgt Runde zwei.“

Ich glaubte zu hören, wie er anschließend murmelte, ich bekäme ihn nicht kaputt. Aber da war ich mir nicht sicher. Er hatte schließlich keine Ahnung davon, wie viel Arbeit eine Ranch tatsächlich bedeutete. Ich dagegen sehr wohl.

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