Читать книгу Spionin wider Willen - Mila Roth - Страница 8
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Bonn, Kaiserstraße
Sonntag, 17. Juli, 14:20 Uhr
Der nachtschwarze Z3 verringerte sein Tempo, als er sich dem dreistöckigen, gelb und weiß gestrichenen und sehr gepflegten Gebäude näherte, das – wie viele Häuser in diesem Viertel – im Stil der Gründerzeit erbaut worden war. Vor dem doppelflügligen Eingang stand eine weiße, metallgerahmte Tafel mit der Aufschrift Institut für Europäische Meinungsforschung. Der Sportwagen bog in die unauffällige Zufahrt zur Tiefgarage des Gebäudes ein.
Markus Neumann parkte auf seinem angestammten Platz und quälte sich aus dem Wagen. Seine Rippen schmerzten höllisch – er konnte von Glück sagen, dass nichts gebrochen war. Seine drei fremdländischen Freunde waren nicht gerade mit Samthandschuhen ausgestattet gewesen. Missmutig blickte er an seiner schmutzigen, an einigen Stellen zerrissenen Putzmannmontur hinab und fuhr sich mit gespreizten Fingern ordnend durch die Haare. Dann ging er zu der Tür, die ins Treppenhaus des Instituts führte. Dort tippte er den Sicherheitscode auf dem Touchscreen eines kleinen Computers ein und legte danach seine rechte Handfläche auf den Scanner. Augenblicke später öffnete sich die Tür und er trat ein.
»Wow, schickes Outfit«, begrüßte ihn Melanie Teubner, eine schlanke, schwarzhaarige Kollegin aus seiner Abteilung. In ihren strahlend blauen Augen funkelte es amüsiert. »Lass mich raten – das ist der letzte Schrei auf Alcatraz.«
»Ha, ha.« Markus warf ihr einen verdrießlichen Blick zu. »Wo ist Walter?«
»Na wo schon? Wo er immer ist – in seinem Büro.«
Markus murmelte etwas Unverständliches und machte sich auf den Weg zu seinem Vorgesetzten. Die schwarzhaarige Schönheit folgte ihm. »Mir scheint, als hättest du eine Tracht Prügel kassiert.«
Markus blickte kurz über seine Schulter. »Nicht mehr als die drei Typen, die Bernd auf dem Gewissen haben.«
»Bernd ist tot?« Im Gesicht seiner Kollegin zeichnete sich ehrliches Bedauern ab. »Hast du ihnen eine ordentliche Abreibung verpasst?«
»Worauf du dich verlassen kannst, Melanie.« Ohne anzuklopfen, öffnete er die Glastür zum Büro des Abteilungsleiters Walter Bernstein. »Hallo Walter.« Als er den zweiten Mann im Zimmer bemerkte, zuckte er unmerklich zusammen, nickte dem Leiter des Büros für interne Angelegenheiten jedoch einigermaßen freundlich zu. »Herr Dr. Schwartz.«
Der dunkelhaarige Mann, der am Schreibtisch lehnte, musterte Markus stirnrunzelnd und strich sich dabei über den akkurat gestutzten Kinnbart. »Herr Neumann. Wie nett, dass Sie sich entschlossen haben, sich uns heute doch noch anzuschließen. Wir warten seit Stunden auf Ihren Bericht.«
Markus verdrehte die Augen. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie von Ihrem Sonntagskaffee abgehalten habe, Herr Dr. Schwartz, aber dummerweise musste ich erst drei ungebetene Schmeißfliegen vom Arsch kriegen.«
»Markus!« Walter Bernstein schüttelte warnend den Kopf. Er war ein mittelgroßer Mann Mitte fünfzig, von kräftiger Statur. Sein braunes Haar wies an den Schläfen erste graue Strähnen auf. Er faltete die Hände auf seinem Schreibtisch. »Was ist vorgefallen? Sie sehen aus, als habe jemand versucht, Sie durch den Fleischwolf zu drehen.«
»Oder durch das Triebwerk eines Flugzeugs«, murmelte Markus.
»Wie wir dem neuesten Polizeibericht entnehmen durften, ist Ihr Kollege Bernd Meuser heute früh einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen«, sagte Dr. Schwartz emotionslos. »Ihre Erklärung?«
Markus seufzte. »Wir hatten als Treffpunkt einen Hinterhof in der Reuterstraße ausgemacht. Bernd gab mir die DVD, wollte gerade wieder verschwinden, da haben sie ihn erwischt.«
»Mitten auf der Straße.«
»Ich hatte keine Zeit ihn wegzuschaffen.«
»Sie waren ohne Verstärkung und ohne Mikrofon unterwegs.«
»Ich habe mich an Bernds Anweisungen gehalten. Er wollte keinen Verdacht auf uns lenken.«
»Das scheint ja gut funktioniert zu haben.«
Markus ballte die Hände, beherrschte sich jedoch. »Wenn er andere Agenten in der Umgebung bemerkt hätte, wäre er gar nicht erst zum Treffpunkt gekommen. Er war über ein halbes Jahr verdeckt tätig und wusste, was er tat.«
Dr. Schwartz ging auf seinen ätzenden Ton nicht ein. »Wenigstens ist Meuser nicht umsonst gestorben. Ich gehe davon aus, dass Wolhagen die DVD bereits analysiert hat? Wann dürfen wir mit den ersten Ergebnissen rechnen?«
Markus räusperte sich unbehaglich. »Da gibt es ein kleines Problem.«
***
Außenbezirk von Rheinbach
Gut Tomberg
Sonntag, 17. Juli, 14:30 Uhr
Der in die Jahre gekommene Opel Kadett verringerte sein Tempo auf Höhe des alten Gutshofes. Alim ließ ihn noch ein Stückchen weiterrollen und bog dann in einen schmalen Feldweg ab, hielt an. »Bist du sicher, dass sie nur eine Putzfrau ist?«, fragte er seine Schwester Abida mit einem Stirnrunzeln. »Denn dafür wohnt sie hier reichlich luxuriös, finde ich.«
Abida zuckte mit den Achseln. »Meinst du, sie gehört zu ihnen?«
»Schon möglich. Ein Kurier vielleicht. Sie sieht nicht aus wie ein Profi. Aber der Schein kann trügen.« Alim strich sich nachdenklich über den Bart. »Vielleicht ist es besser, wir behalten sie im Auge. Mit etwas Glück führt sie uns zu der DVD.«
Abida kräuselte die Lippen. »Meinst du? Burayd wird wütend werden, wenn wir hier unsere Zeit verplempern.«
»Er wird noch wütender, wenn er erfährt, dass wir die DVD noch immer nicht zurückhaben. Wir bleiben erst mal hier. Geh unauffällig zum Briefkasten da am Tor und schau, ob ein Name dransteht. Vielleicht können unsere Leute etwas mehr über diese angebliche Putzfrau herausfinden.«
»Wie du meinst.« Abida löste ihren Sicherheitsgurt und stieg aus dem Wagen. Sie blickte sich gründlich um und ging dann wie eine zufällige Spaziergängerin auf den großen Torbogen des Hofes zu.
***
Bonn, Kaiserstraße
Institut für Europäische Meinungsforschung
Sonntag, 17. Juli, 14:35 Uhr
»Sie haben was bitte?« Dr. Schwartz‘ Stimme überschlug sich fast. »Derartig wichtige und GEHEIME Informationen an eine Zivilistin weitergegeben? Sind Sie verrückt geworden, Neumann?«
»Mir blieb keine andere Wahl«, verteidigte Markus sich mit gequälter Miene. »Wenn ich ihr den Umschlag mit der DVD nicht gegeben hätte, wäre er jetzt vermutlich wieder in der Hand der Terroristen.«
»Vermutlich?«
»Ziemlich sicher.« Markus bemühte sich weiter um eine aufrechte Haltung, obwohl die Schmerzen in seinen Rippen mittlerweile fast unerträglich geworden waren. »Diese Typen sind nicht zimperlich. Ich hatte großes Glück, ihnen zu entkommen.«
»Warum haben Sie am Flughafen keine Verstärkung angefordert?«, knurrte Schwartz verärgert.
Markus verzog verdrießlich die Lippen. »Bei meiner Flucht aus der Reuterstraße habe ich mein Handy verloren. Es blieb keine Zeit, ein anderes Telefon zu benutzen. Und am Flughafen wollte ich Aufsehen vermeiden. Wer weiß, was die Männer sonst angestellt hätten.«
»Na wunderbar.« Dr. Schwartz verschränkte die Arme vor der Brust. »Deshalb gibt es Mikrofone, Herr Neumann. Standardausstattung eines Agenten. Ist Ihnen klar, in welch prekäre Situation Ihr Alleingang uns gebracht hat? Wieder einmal, wie ich anfügen möchte. Aber warum gebe ich überhaupt vor, überrascht zu sein? Der Begriff Teamplay ist Ihnen ja vollkommen fremd.«
Walter Bernstein griff nach dem Telefonhörer. »Melanie? Gib der Technikabteilung bitte durch, dass sie sofort Neumanns SIM-Karte deaktivieren müssen.« Er warf Markus einen kurzen Blick zu und setzte hinzu: »Und sie sollen ihm ein neues Handy heraufbringen lassen. Wie? Natürlich mit der gleichen Nummer.«
»Ein ordentliches Smartphone!«, rief Markus, kurz bevor Walter die Verbindung zu Melanie unterbrach. Auf Walters Blick hin erklärte er schulterzuckend: »Die neuen Modelle sind einfach praktischer. Mein alter Knochen hatte nicht mal Internetzugang, und das GPS hat auch nicht richtig funktioniert.«
»Könnten wir wohl wieder auf das ursprüngliche Thema zurückkommen?«, warf Dr. Schwartz gereizt ein. »Was ist nun mit dieser Frau, der Sie den Umschlag gegeben haben?«
»Ich habe sie zu Axels Wohnung geschickt, damit sie ihm die DVD aushändigt.«
»Und Sie glauben, sie hat das getan?«
Markus rief sich kurz das Gesicht der rothaarigen Frau ins Gedächtnis. »Ich schätze schon.«
»Sie schätzen?« Dr. Schwartz‘ Stimme wurde wieder eine Spur lauter.
»Sie erschien mir passend. Eine unauffällige Frau, Ende zwanzig, vielleicht Anfang dreißig. Wirkte wie eine Hausfrau oder so was. Schien auf jemanden zu warten.«
»Ja, hoffentlich nicht auf ihre Komplizen.«
Markus schüttelte den Kopf. »Sie sah nicht aus wie eine Terroristin.«
»Ach, Sie wissen also neuerdings, woran man Terroristen erkennen kann?« Höhnisch blickte Dr. Schwartz ihn an. »Das ist ja wunderbar. Dürfte wohl all unsere Probleme auf einen Schlag lösen.«
»Sie trug ein Kleid mit einer Strickjacke darüber, die ihr viel zu groß war.«
»Und das disqualifiziert sie als Terroristin?« Dr. Schwartz‘ Stimme troff vor Sarkasmus.
»Sie ist eine ganz normale Frau. Der Aussprache nach hier aus der Gegend. Kein direkter Dialekt, aber definitiv die Intonation der Bonner Gegend. Vermutlich hat sie gerade auf ihren Mann gewartet oder so. Wie gesagt: Hausfrau, wahrscheinlich Mutter. Ungefährlich.«
»Das hoffe ich für Sie, Neumann. Haben Sie Wolhagen schon kontaktiert?«
»Das hatte ich jetzt vor.«
»Worauf warten Sie dann noch?«
Bevor Markus etwas erwidern konnte, öffnete sich die Glastür und eine kleine brünette Frau mit schicker Kurzhaarfrisur trat ein. Gerlinde Bernstein war nicht nur seit 22 Jahren mit Walter Bernstein verheiratet, sondern ebenso lange auch seine Assistentin und inzwischen Chefsekretärin. Ihre klaren blauen Augen wirkten höchst besorgt, als sie ihrem Mann eine Mappe mit Akten überreichte. »Das kam gerade von der Polizei. Wie es aussieht, gab es in Axel Wolhagens Wohnung ein Feuer. Nachbarn haben es bemerkt und die Feuerwehr gerufen. Der Brand konnte schnell gelöscht werden. Leider fand man auch Wolhagens Leiche in der Wohnung. Er wurde erschossen.«
Für einen Moment war es so still in dem Büroraum, dass man das Ticken der kleinen Uhr auf dem Schreibtisch überdeutlich hören konnte.
Markus stöhnte unterdrückt und fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar. »Verdammt.«
»Ganz meine Meinung«, sagte Walter mit finsterer Miene. An seine Frau gewandt fragte er: »Irgendwelche Spuren? Wurde die DVD gefunden?«
»Keine Spuren bisher. Auch keine DVD.«
Dr. Schwartz drehte sich langsam in Markus Richtung und fixierte ihn. »Und nun? Irgendwelche schlauen Einfälle?«
Markus zog die Augenbrauen zusammen. »Sie glauben doch nicht etwa, dass diese Frau Axel umgebracht hat?«
»Wissen wir es?«
»Das ist lächerlich!«
»Und wo steckt sie? Wie ist ihr Name? Wo wohnt sie?«
Markus fuhr sich erneut unbehaglich durch die Haare. »Das müsste herauszufinden sein.«
»Müsste herauszufinden sein?«, echote Schwartz und verdrehte die Augen.
Walter Bernstein räusperte sich. »Was meinen Sie mit herausfinden?«
Markus hob die Schultern. »Sie hat sich eine ganze Weile am Terminal zwei aufgehalten. Die Überwachungskameras müssten sie eingefangen haben. Wenn ich mir die Aufzeichnungen hole und mit unserem neuen Gesichtserkennungsprogramm abgleiche …«
»Und wer soll das bezahlen?«, wetterte Schwartz aufgebracht. »Das Programm läuft noch in der Beta-Phase und kostet täglich Tausende von Euros. Wegen Ihrer Kopflosigkeit dürfen die Steuerzahler jetzt eine weitere unnötige Ausgabe des Staates finanzieren, Neumann. Ganz zu schweigen von dem Papierkrieg, den ein solches Vorgehen produzieren wird. Aber den dürfen Sie dann schön selbst erledigen. Falls wir überhaupt dafür grünes Licht bekommen. Die Bundesanwaltschaft wird Sie aber eher zum Sonntagsbrunch verspeisen, fürchte ich.«
»Herr Dr. Schwartz«, unterbrach Walter ihn mit ruhiger Stimme. »Es geht hier um ein Dokument von enormer Wichtigkeit für die nationale – vielleicht sogar für die internationale Sicherheit. Ganz sicher werden wir die Zustimmung erhalten, die Überwachungsvideos anzusehen und mit dem Programm abzugleichen. Mit Ihren Verbindungen zum Generalbundesanwalt …«
»… darf ich jetzt wieder mal den Bockmist auskehren, den unser Held hier verzapft hat.« Dr. Schwartz‘ Miene sagte deutlich aus, was er von der ganzen Sache hielt.
Gerlinde Bernstein räusperte sich leise. »Herr Neumann ist ein ausgezeichneter Agent.« Sie hielt kurz inne. »Seine Methoden sind nur manchmal etwas ungewöhnlich, aber bisher hat er noch immer gute Ergebnisse erzielt. Ist das nicht das Wichtigste?«
»Hmpf.« Finster blickte Dr. Schwartz von ihr zu Markus. »Aber zu welchem Preis? Meiner Ansicht nach wird es Zeit, dass Ihnen jemand ein bisschen mehr auf die Finger schaut, Neumann.« Er ging zur Tür. »Eines verspreche ich Ihnen jedenfalls: Den Papierkrieg haben Sie morgen auf dem Schreibtisch. Ich werde in dieser Hinsicht keinen Finger rühren. Und nun sehen Sie zu, dass Sie diese Frau ausfindig machen!«
Die Tür fiel mit einem deutlichen Klappen hinter ihm ins Schloss. Markus und Walter sahen einander einen langen Moment schweigend an; schließlich hob Walter die Schultern. »An die Arbeit, Markus. Sie haben einen anstrengenden Rest-Sonntag vor sich.«