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Sie sind nicht sehr helle, nicht wahr?
Das gefällt mir bei einem Mann. Eine heißkalte Frau
ОглавлениеNick Caruso sah aus, als hätte er gerade etwas besonders Ekelhaftes geschluckt wie zum Beispiel Erbsen aus der Dose, die sich in deinem Mund regelmäßig zu einem pappigen Brei verwandeln. Mia hasste Erbsen aus Dosen. Allein beim Gedanken daran zog sie eine Grimasse.
»Ich hab ja versucht, Ihnen klar zu machen, dass die Wohnung klein ist. Ich nehme an, jetzt glauben Sie mir, was? Sie können jederzeit Ihre Entscheidung ändern, und wir gehen stattdessen in ein Hotel.« Mia hoffte, dass er den Wink mit dem Zaunpfahl kapierte, aber er machte leider den Eindruck, als würde er sich auf einen längeren Aufenthalt einstellen.
Nick blickte sich nach einem freien Plätzchen um, wo er seine Sachen zwischenlagern konnte, und stellte seine Koffer schließlich vorsichtig auf die Sofalehne, den einzigen Platz, der nicht übersät war mit Mias Unterwäsche. Er vermied den Blick auf die Spitzen-BHs und winzigen Unterhöschen und versuchte, sich Mia nicht in dieser Unterwäsche vorzustellen … ohne sie.
Hitze kroch ihm den Nacken hoch, und er wischte sich die schweißnassen Hände an den Hosenbeinen ab. »Äh, nein, das ist ganz prima. Ich bin nur etwas überrascht von der …« Er suchte verzweifelt nach dem zutreffenden Wort, während seine Augen durch das Zimmer schweiften, und sagte schließlich naserümpfend: »Unordnung.« Nick hielt sehr auf Ordnung und achtete darauf, dass alles fein säuberlich an seinem Platz lag. Diese Haltung verdankte er dem Umstand, dass er seine prägenden Jahre in Chaos und Unordnung verbracht hatte.
»Na ja, ich lebe allein, bisher jedenfalls. Und ich habe keinen Besuch erwartet, deshalb habe ich meine Wäsche noch nicht weggeräumt. Ich schätze, Sie sind einer dieser Ordnungsfanatiker.«
»Schuldig im Sinne der Anklage, fürchte ich.«
Mia unterdrückte einen Seufzer. »Das Leben ist zu kurz, um sich wegen solcher Nebensächlichkeiten aufzuregen, Nick. Ich hoffe, ich darf Sie Nick nennen, weil Niccolò einfach zu umständlich ist.« Außerdem klang es ein bisschen unmännlich, aber sie wollte ihn nicht beleidigen. Auch wenn er sich nicht die Bohne darum geschert hatte, sie wegen ihrer »Unordnung« zu beleidigen, wie er es so ungalant genannt hatte.
Sie war nun einmal keine Martha Stewart. Die Frau war sowieso ein Freak. Es war unnatürlich für ein menschliches Wesen, so viel über Hausarbeit zu wissen – Wer wollte schon wissen, dass es vierunddreißig verschiedene Möglichkeiten gab, die Kloschüssel zu desinfizieren? – Kochen – Okay, ich habe keinen eigenen Kräutergarten. Verklagen Sie mich! – Nähen – Martha konnte wahrscheinlich Vorhänge aus Damenbinden nähen. Igitt!
Mia deutete auf das preiselbeerrote Ledersofa. »Sie schlafen hier«, wies sie Nick an und zeigte dann auf die geschlossene Tür von ihrem Schlafzimmer. »Das ist mein Zimmer, wenn Sie also ins Badezimmer wollen, müssen Sie rechtzeitig vorher klopfen. Sie müssen nämlich durch mein Schlafzimmer, wenn Sie ins Bad wollen«, erklärte sie. »Finde ich auch nicht gerade die angenehmste Lösung, aber –«
»Das versteht sich von selbst. Wo soll ich meinen Computer aufbauen? Ich habe meinen Laptop mitgebracht, der ist ja nicht sehr groß, aber ich brauche viel Platz für meine Recherchenotizen, die Bücher und derlei Dinge, verstehen Sie.«
Mia überflog das kleine Zimmer und hatte große Lust, Nick Caruso zu sagen, wohin er sich seinen Computer und seine kostbaren Bücher stopfen sollte. Aber dann dachte sie an den Dreitausend-Dollar-Scheck, der sich bald sehr wohl fühlen würde auf ihrem Bankkonto, und beschloss, ihren Kommentar für sich zu behalten. Dies war ein gemütlicher Job, und sie hatte nicht die Absicht, ihn zu vermasseln. »Ich habe einen Spieltisch, den Sie benutzen können. Er ist ziemlich stabil.«
»Ein Spieltisch?« Er versuchte, sein Entsetzen nicht zu deutlich zu zeigen. Zu spät. Mia funkelte ihn bereits wütend an. »Okay, fein. Ich gehe schnell nach unten und hol den Rest von meinem Sch … meinen Sachen aus dem Auto. Haben Sie schon zu Abend gegessen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab ein paar Tiefkühlgerichte im Gefrierfach. Ich wollte gerade eine Pizza in die Mikrowelle schieben. Möchten Sie auch eine?«
»Sie essen Tiefkühlkost?« Er wirkte richtig entsetzt und verzog angeekelt das Gesicht. »Wir wär’s, wenn wir nach unten in das Restaurant gingen, das Sie erwähnt haben? Ich lade Sie ein. Wie hieß es noch, Mama Sophia’s? Das ist ein italienisches Lokal, richtig?«
»Äh, ja.« Sie verdrehte zwar nicht die Augen, schaffte es aber nicht ganz, den sarkastischen Tonfall zu unterdrücken. Vielleicht hätte sie ihm lieber viertausend Dollar berechnen sollen. Er ging ihr bereits jetzt schon gewaltig auf die Nerven. »Little Italy. Italiener. Na, fällt der Groschen? In diesem Viertel mangelt es nicht gerade an italienischen Restaurants, Nick. Genau genommen gibt es wahrscheinlich drei oder vier pro Block. Deshalb nennt man es ja Little Italy. Capisce?«
»Ich hole nur eben meine Sachen.«
»Tun Sie das, und dann essen wir bei Mama Sophia’s, wenn Sie unbedingt wollen.«
Er schenkte ihr einen Blick voller Dankbarkeit. Sie bemerkte, wie hübsch seine grauen Augen hinter dieser grauenhaften schwarzen Buddy-Holly-Brille waren.
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel besser ich mich schon fühle, seit ich mich häuslich niedergelassen habe in Ihrer Wohnung, Miss DeNero.«
Häuslich niedergelassen. Redete man wirklich so? Sie hatte ihren Abschluss auf dem Boston College gemacht, aber sie benutzte keine Wörter wie »häuslich niedergelassen«. »Nennen Sie mich einfach Mia, und ich bin Ihnen gern behilflich. Ich glaube, dieses Arrangement ist ganz prima für uns beide.«
»Das glaube ich auch, Mia.« Sein Lächeln war so umwerfend und süß, dass sie für einen Moment etwas nervös wurde, bis sie sich wieder an seine Cordhosen erinnerte und daran, dass er ein Trottel war. Nun ja, es war schon lange her, dass sie –
»Soll ich Ihnen tragen helfen?«, fragte Mia schnell, entsetzt, in welche Richtung ihre Gedanken gewandert waren und zu wem. »Ich kann aufpassen, wenn Sie Bedenken oder Angst haben, allein nach draußen zu gehen.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ist schon okay. Auf den Gedanken, mich hier zu suchen, kommt bestimmt niemand; dessen bin ich mir sicher.«
Sie sah ihm hinterher und schüttelte den Kopf. Der arme Mann ängstigte sich zu Tode, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Mia hatte von klein auf eine Schwäche für streunende Tiere und junge Hunde, und genau daran erinnerte Nick Caruso sie jetzt – eine verlorene Seele, die Schutz brauchte.
Sie musste ein bisschen mehr Geduld mit ihm haben. Schließlich schien er nicht sehr weltgewandt zu sein, trotz der Tatsache, dass er Schriftsteller war. Und er zahlte für ihre Dienste. Womit sich die Frage aufdrängte: Warum?
Warum hatte Nick Caruso sich ausgerechnet sie als Bodyguard ausgesucht? Er schien reichlich Geld zu haben. Er hätte jemand mit mehr Erfahrung engagieren können, abgesehen von einer größeren Wohnung. Also warum hatte er sich ausgerechnet für eine Frau entschieden, die noch feucht hinter den Ohren war?
Frag lieber nicht, Mia! Du brauchst das Geld.
Der Mann hatte offenbar Probleme. Möglicherweise fühlte er sich wohler und weniger eingeschüchtert durch einen weiblichen Bodyguard. Schließlich lebte er mit seiner Tante zusammen. Wie normal konnte er da schon sein?
Mias Blick fiel auf die Kleidung, die er über die Couch gelegt hatte. Noch mehr Cord und Tweed. Da überkam einen ja das kalte Grausen. Es gab sogar ein Fischgrätjackett.
Du lieber Gott! Sie kam sich fast vor wie Sir Arthur Conan Doyle. Jetzt fehlte nur noch die Sherlock-Holmes-Mütze.
Ob alle Schriftsteller sich so scheußlich kleideten?
Eher nicht, glaubte sie.
John Grisham trug meistens Jeans und einen cool aussehenden sportlichen Mantel. Und sein Dreitagebart stand ihm ebenfalls ziemlich gut. War irgendwie sexy. Sie glaubte nicht, dass man Grisham oder sogar Tom Clancy, den man beim besten Willen nicht als attraktiv bezeichnen konnte, je mit einem Tweed- oder Fischgrätjackett erwischen würde. Sie war sich nicht ganz sicher bei Stephen King; der war irgendwie … anders.
Kleider machten definitiv Leute.
Armer Nick.
Im Moment kauerte der arme Nick tief in seinem Autositz und telefonierte übers Handy mit seinem Vorgesetzten Special Agent Higgins – ein Mann, den er für arrogant und inkompetent hielt, der aber eben sein Boss und deswegen eine Respektsperson war, und sei es auch nur aus diesem Grund.
»Ja, Sir, ich bin eingezogen. Ich beginne mit der Überwachung heute Abend. Wir essen im Mama Sophia’s. Laut meinem Informanten isst Graziano beinahe jeden Abend da.«
Nick hielt das Handy weit weg von seinem Ohr, murmelte hin und wieder zustimmend, während Higgins sich bis zum Gehtnichtmehr über die Kosten der Operation ausmärte und dass das Bureau sich keine Rechtsstreitigkeiten leisten könne wegen der einschneidenden Budgetkürzungen. Zum Schluss warnte er Nick, genau wie Burt vorausgesagt hatte, die Sache bloß nicht zu vermasseln.
Higgins sprach zwar nicht wortwörtlich aus, dass sein Job auf der Kippe stand, aber Nick war lange genug beim FBI, um zu wissen, dass seine Zukunft davon abhing, ob er Graziano, oder wer auch immer hier in Little Italy in die Geldwäsche verwickelt war, zu fassen kriegte.
Die letzte Operation war in die Hose gegangen, und er hatte die Schuld auf sich genommen, obgleich es nicht ausschließlich sein Fehler gewesen war. Gegen den Verbrecherboss Johnny Malcuso konnte keine Anklage erhoben werden, weil die beschlagnahmten Beweisstücke Resultat einer unkorrekt durchgeführten Hausdurchsuchung waren – eine Verletzung des Vierten Amendements. Die Agenten, die er mit der Hausdurchsuchung beauftragt hatte, hatten versäumt, sich einen gültigen Durchsuchungsbefehl zu beschaffen, und der Richter hatte den Fall abgewiesen.
Higgins war stinkwütend gewesen. Und da es Nicks Operation gewesen war und es auf seine Kappe ging, relativ unerfahrene Agenten losgeschickt zu haben, hatte er die Verantwortung dafür übernommen.
Nick schaltete das Handy aus, lehnte sich gegen die Kopfstütze und seufzte. Seine neue Rolle als Obertrottel begann ihn bereits zu nerven, und der erste Tag war noch nicht mal gelaufen.
Mia hielt ihn für einen kompletten Blödmann, der sich vor seinem eigenen Schatten fürchtete, eine wahre Schande der männlichen Gattung. Natürlich, wenn seine Scharade funktionieren sollte, musste sie genau das von ihm denken, egal, wie schmerzhaft es war, für einen echten Jammerlappen gehalten zu werden.
Wenn er nach dieser Operation überhaupt noch Reste seines Ego zusammenkratzen konnte, wäre das ein reines Wunder.
Nick war sich nicht ganz sicher, was er von Mia halten sollte. Abgesehen davon, dass sie süß aussah und sehr naiv war, hatte sie obendrein Courage, und das gefiel ihm. Sich mit der Mafia konfrontiert zu sehen, selbst wenn sie nur glaubte, es mit der Mafia zu tun zu bekommen, war nicht die angenehmste Aussicht, nicht einmal für einen erfahrenen Agenten wie ihn. Sie schien intelligent und verdammt ruhig und gelassen zu sein für eine Frau, die wahrscheinlich so gut wie nichts über Personenschutz wusste, jedenfalls bestimmt keinerlei Praxis hatte. Er fragte sich, ob sie je eine Pistole außerhalb der Trainingsstunden abgefeuert hatte. Er bezweifelte es.
Dennoch, trotz ihres Mangels an Erfahrung war sie mutig. Hatte Mumm, wie Burt sagen würde. Und sie war ziemlich lässig, weitaus mehr als er. Obgleich sie nicht zu den ordentlichsten Menschen gehörte, denen er über den Weg gelaufen war.
Nick hatte es gern ordentlich. Da er als verwaistes Kind in ständig wechselnden Pflegefamilien aufgewachsen war, hatte er nie viele persönliche Besitztümer gehabt. Er hatte stets irgendwelche alten Sachen auftragen müssen, seine Unterwäsche stammte oft von der Wohlfahrt, und seine Schuhe waren ihm häufig zu klein.
Einige der Familien, bei denen er lebte, waren ganz erträglich gewesen, aber es hatte auch welche gegeben, die wie Tiere lebten, in Häusern, die dreckig und ungepflegt waren, und die ihre Pflegekinder gezwungen hatten, genauso zu leben.
Nick hatte sich hoch und heilig geschworen, dass, sollte er je ein eigenes Haus besitzen und genug Geld haben, um sich anständige Kleidung und Möbel zu kaufen, er sie sorgsam behandeln und zu schätzen wissen würde.
Man lernt etwas erst richtig zu schätzen, wenn man vorher nichts hatte.
Und Nick hatte sehr lange Zeit nichts gehabt.
Er dachte an Mia, ihre hübsche Unterwäsche, wie sie roch, so frisch und sauber und natürlich, nicht so übertrieben parfümiert wie einige Frauen, die er kannte. Und er fluchte wie ein Bierkutscher, als dabei nicht nur die Fenster beschlugen, sondern er selbst in Wallung geriet.
Diese Farce würde kein Zuckerschlecken werden. Er musste bei der Sache bleiben, sich ausschließlich auf das Nächstliegende konzentrieren. Er hatte einen Job zu erledigen; Ablenkungen irgendwelcher Art konnte er sich nicht erlauben.
Und verflucht und zugenäht! Mia DeNero war weiß Gott reichlich Ablenkung.
»Wieso gucken Sie sich andauernd um, als ob Sie noch jemanden erwarten? Schmecken Ihnen die Manicotti nicht? Soll ich Mary rufen? Ihr gehört das Lokal, und ich bin sicher, dass Sie Ihnen gern etwas anderes bringt, wenn Sie das hier nicht mögen.«
Etwas zu spät bemerkte Nick an Mias neugierigem Blick und ihrem Bemühen, »entgegenkommend« zu sein, dass er sich viel zu auffällig verhalten hatte, wofür er sich innerlich verfluchte. »Nein, es schmeckt toll. Wirklich.«
Graziano hatte sie bisher nicht mit seiner Anwesenheit beehrt, und Nick hoffte, dass der angebliche Verdächtige noch auftauchte, bevor er und Mia zu Ende gegessen hatten und gehen mussten. Er hatte keinen Einzigen, der auch nur im Entferntesten verdächtig aussah, entdeckt. Seine letzte Hoffnung war jetzt Graziano und dass der ältere Mann Bekannte mitbringen würde – jemanden, den Nick vielleicht durch die Fotos aus den FBI-Akten wiedererkennen würde.
»Sie haben bestimmt schon mal gehört, dass wir Schriftsteller geradezu notorisch neugierig sind, Mia«, versuchte er seinen Fehler gutzumachen. »Ich interessiere mich sehr für meine Umgebung. Ich liebe es, Menschen zu beobachten. Es ist sehr nützlich für den Schreibprozess, für die Entwicklung glaubhafter Charaktere und Handlungen.«
Du liebe Güte! Er klang schon beinahe so, als wüsste er, worüber er redete. Das war ja richtig unheimlich.
»Schreiben muss echt harte Arbeit sein. Mir fällt es schon schwer, nur eine einzige Seite zu füllen, von Hunderten ganz zu schweigen. Es ist mir ein Rätsel, wie Sie das schaffen.«
»Sie sind doch eine intelligente Frau. Ich bin sicher, dass Sie keine Probleme hätten mit dem Schaffensprozess. Sie müssen einfach nur auf Ihrem A … Hintern sitzen bleiben und sich disziplinieren.«
Disziplinieren! Du lieber Himmel! Mia schüttelte den Kopf, weil sie genau wusste, dass das ebenfalls nicht zu ihren Stärken gehörte.
Sie nippte an ihrem Wein und sagte: »Meine Schwester ist die Intelligente in der Familie. Angela ist Rechtsanwältin. Sie hatte schon in der Schule regelmäßig die besten Noten und hat vor kurzem einen wirklich netten Mann geheiratet, der genauso klug ist wie sie. Angela ist rundherum erfolgreich.« Im Gegensatz zu mir, hätte sie hinzufügen können.
Mia hatte die meiste Zeit ihres Erwachsenenlebens nach der schnellen Patentlösung gesucht. Sie hatte es auf dem College bis zu ihrem Magisterabschluss ausgehalten, aber nicht den Wunsch gehabt, noch weiter zu studieren. In Wahrheit wusste sie einfach nicht, was sie werden wollte. Anders als Angela hatte Jura sie nie interessiert, ein Lehrerberuf kam ebenso nicht in Frage – Kinder waren nicht gerade ihre große Leidenschaft –, und ein normaler, langweiliger Achtstundenjob kam erst recht nicht in Frage.
Ihre Beziehungen zu Männern waren nicht gerade erfolgreicher. Mit zwanzig hatte sie sich bis über beide Ohren in einen ihrer Professoren verknallt, der sie angeblich auch liebte. Sie hatten von Heirat, Kindern und gemeinsamen Traumreisen gesprochen. Er hatte ihr ihre gemeinsame märchenhafte Zukunft in rosigen Farben ausgemalt. Und sie hatte ihm geglaubt. Hatte jedes einzelne Wort, das Greg Farris von sich gegeben hatte, geglaubt, bis eines Tages die Ehefrau des Professors bei ihr in der Wohnung aufgetaucht war.
Die junge, attraktive Frau hatte vorübergehend mit ihren beiden kleinen Kindern in Los Angeles gelebt, wo sie sich um ihre sterbende Mutter kümmerte, während Mrs. Farris’ Ehemann sich um Mia kümmerte.
Mia fühlte sich unglaublich gedemütigt, verletzt und total am Boden zerstört. Wie jede Frau, die das Gefühl hatte, sich so richtig lächerlich gemacht zu haben, war sie total am Boden zerstört, aber dann siegte die Wut. Und diese Wut hielt inzwischen seit elf Jahren an. Sie hatte sich geschworen, sich nie wieder so schamlos benutzen zu lassen von einem Mann.
»Ist es zu viel der Hoffnung, dass diese Ihre Schwester eine große Warze auf der Nase hat und dreihundert Pfund wiegt?«, fragte Nick und unterbrach damit ihre unangenehmen Gedanken.
Seine Augen funkelten fröhlich, und Mia zwang sich ein Lächeln ab. »Angela sieht toll aus. Einfach großartig. Natürlich würde es ihr, wo sie jetzt verheiratet und schwanger ist, wahrscheinlich nicht gefallen, dass ich das sage.«
»Klingt, als litten Sie darunter, das zweite Kind zu sein. Haben Sie noch mehr Brüder und Schwestern?«
»Nein, nur die eine Schwester. Und Sie haben Recht. Angela ist die Ältere und der Augapfel meines Vaters. Und wie ist es bei Ihnen? Haben Sie irgendwelche Geschwister?«
Er verbarg den Schmerz, den diese Frage bei ihm auslöste, und schüttelte den Kopf. »Nein, nur meine Tante. Ich war ein Einzelkind.« Ein einsames Kind. »Meine Eltern sind beide tot. Ich habe schon als sehr kleines Kind bei meiner Tante gelebt; sie hat mich aufgezogen.« Wenn er doch nur so viel Glück gehabt hätte, dachte er, während ihm diese Lügen leicht über die Lippen flossen.
»Das tut mir Leid. Das war bestimmt hart. Es ist schade, dass Sie keine Geschwister haben. Angela und ich stehen uns sehr nahe, und das war von meiner Geburt an so. Ein Leben ohne sie kann ich mir absolut nicht vorstellen. Meine Eltern sind etwas seltsam, so dass wir uns immer gegenseitig unterstützt haben. Nicht dass ich sie nicht liebe, das nicht. Sie sind nur einfach … na ja, Eltern.«
»Ich würde sie gern kennen lernen.« Sie machte ein entsetztes Gesicht, und Nick lächelte und fragte schnell: »Essen Sie oft hier? Hoffentlich, denn ich würde gern wieder hierher gehen. Ich fand das Essen echt Spitze.«
»Toll. Das muss ich unbedingt Mary sagen. Sie ist wirklich nett und hört so etwas sehr gern.«
»Oh, das ist nicht nöt –« Aber es war zu spät. Mia winkte bereits der dunkelhaarigen Frau, zu ihnen zu kommen. Da Nick, der sich alle Mühe gegeben hatte, keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wusste, dass Mia das vereitelt hatte, lächelte er pflichtschuldigst.
»Mary Gallagher, das ist mein Klient Nick Caruso. Nick wohnt vorübergehend bei mir, so dass wir bestimmt häufig zum Essen kommen. Nick ist begeistert vom Essen im Mama Sophia’s.«
»Das höre ich gern«, erwiderte Mary augenzwinkernd und lächelte Nick freundlich an, als sie ihm die Hand schüttelte.
»Ausgezeichnete Küche, Mrs. Gallagher«, beteuerte er der schwangeren Frau. »Ich komme oft hierher, ganz bestimmt.«
»Danke!« Mary rieb sich das Kreuz und ließ sich neben Mia auf einen Stuhl plumpsen. »Wir tun unser Bestes.«
»Mary ist mit einem früheren Restaurantkritiker verheiratet – derselbe, der dieses Lokal in der Zeitung in Grund und Boden gestampft hat, als es gerade eröffnet hatte. Ich habe damals nicht hier gelebt, aber jeder in Little Italy liebt diese Geschichte und kann sie gar nicht oft genug wiederholen.«
Nick machte große Augen. »Dann müssen Sie zu den weniger nachtragenden Menschen gehören, Mrs. Gallagher. Ich mag Kritiker nicht sonderlich, und ich bezweifle, dass ich so gnädig gewesen wäre.«
»Sie haben Dan noch nicht gesehen«, klärte Mia ihn auf. »Der Kerl ist umwerfend.«
Mary lachte. »Sie haben sicher schon bemerkt, dass Mia kein Blatt vor den Mund nimmt, Nick. Herzlich willkommen in der Nachbarschaft. Jetzt muss ich wieder in die Küche und mich vergewissern, dass Mario – das ist mein Koch – nicht wieder mit Messern wirft. Das Temperament dieses verdammten Italieners bringt mich noch um. Übrigens, die Nachspeise geht aufs Haus. Probiert mal mein Tiramisu. Es ist molto bene.«
Nick sah Mary Gallagher hinterher, die durch die Schwingtür in der Küche verschwand. »Ich mag Ihre Freundin. Sie ist sehr nett.«
»Ja, Mary ist schwer in Ordnung. Warten Sie nur, bis Sie ihre Mutter kennen lernen und den Rest der Russos. Alles klasse Leute. Schon irgendwie seltsam, wie meine Eltern, aber nett.«
»Ich freue mich darauf, alle kennen zu lernen. Die Russos klingen interessant. Sticht irgendjemand von ihnen besonders hervor?« Er hatte seine Angel ausgeworfen, hoffte aber, nicht übermäßig interessiert zu klingen.
»Sie meinen, außer Sophia?« Mia grinste. »Sie ist die Matriarchin der Familie – wenn Sie Oma Flora außer Acht lassen, meine ich – und ziemlich rechthaberisch. Ich glaube nicht, dass sie mich sonderlich mag.«
»Das kann ich mir nur schwer vorstellen.«
Mia zuckte die Achseln. »Sophia ist eine harte Nuss, wenn Sie wissen, was ich meine. Meine Schwester ist mit Sophias Neffen, John Franco, verheiratet. Ich bin mir nicht sicher, ob sie Angela tatsächlich schon als neues Familienmitglied akzeptiert hat, obgleich es so aussieht, als kämen sie miteinander aus. Aber Angela hat bisher jeden Streit vermieden.«
»Klingt nach einer starken Persönlichkeit, stimmt’s?«
Mia nickte. »Warten Sie nur, bis Sie Sophias Bruder Alfredo kennen gelernt haben. Der Typ glaubt, dass er Verbindungen zur Mafia hat. Natürlich glaubt ihm das keine Menschenseele, aber wir spielen alle mit, weil er und seine Fantasien völlig harmlos sind.«
Nick zwang sich zu einem Lachen. »Klingt, als wäre er genau die richtige Person, die ich für mein Buch befragen sollte.«
Sie tat diese Idee mit einer Handbewegung ab. »Nee. Onkel Alfredo ist nichts weiter als ein Haufen heißer Luft. Ein netter Mann und voller lustiger Geschichten, aber ich bezweifle, dass er viel über die Mafia weiß. Sie als Schriftsteller wissen bestimmt viel mehr.« Enttäuschung überflog Nicks Gesicht, und Mia fügte schnell hinzu: »Aber ich mache Sie bei passender Gelegenheit gern mit ihm bekannt.«
»Danke. Das wäre nett.«
»Mach ich gern. Ich hab Ihnen ja gesagt, dass ich sehr entgegenkommend sein kann.«
»Ja, das haben Sie, und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen dafür bin. Meine übliche Routine zu unterbrechen, fällt mir nicht ganz leicht. Ich bin ein Gewohnheitstier, und mein Leben verläuft ziemlich gegliedert, wie Sie sicher schon bemerkt haben.«
Du meinst, weil du so ein Dingsbums hast …?
»Nein, habe ich nicht«, log sie, und Nick unterdrückte ein Schmunzeln.
»Ich brauche ziemlich lange, um mit Leuten warm zu werden.«
Mia tätschelte seine Hand, und Nick spürte eine Hitzewelle über seinen Arm rollen. »Na gut, dann müssen wir etwas dagegen unternehmen. Nur weil Sie im Moment etwas beengt wohnen, heißt das noch lange nicht, dass Sie das Leben nicht genießen können. Ich halte viel davon, dass man sein Leben genießen sollte, und ich habe mir vorgenommen, Sie ein bisschen aufzulockern und Ihnen zu zeigen, wie das geht. Sie werden schon sehen, Sie haben im Handumdrehen jede Menge neue Freunde.«
Nicks Lächeln erstarrte. »Toll!«, presste er hervor und wünschte, er hätte seine große Klappe gehalten.
Die frittierten Calamari, so gut sie auch waren, hatten Mia durstig gemacht, und sie hätte sonst etwas für eine Cola gegeben. Okay, vielleicht war sie auch süchtig nach dem Zeugs, aber das hieß nicht, dass sie nicht durstig war. Geradezu ausgedörrt war sie.
Das Problem war Nick. Er befand sich zwischen ihr und der Küche – sie konnte hören, wie er auf der Tastatur seines Computers herumhackte –, und sie hatte bereits ihr kurzes Nachthemd an. Mia trug nur selten einen Bademantel, und sie hatte nicht vor, jetzt ihre Gewohnheiten zu ändern. Ganz besonders nicht jetzt. Sie musste zwar Nicks Eindringen in ihre Privatsphäre irgendwie verkraften, aber sie war fest entschlossen, sich davon nicht zu sehr aus dem Tritt bringen zu lassen.
Die Coladose, rot und wunderbar eisgekühlt, tauchte vor ihrem geistigen Auge auf, und ihr Durst nahm gigantische Ausmaße an. Das Schlucken fiel ihr zunehmend schwerer. Sie umklammerte ihre Kehle und war mittlerweile felsenfest davon überzeugt, an Austrocknung zu sterben, wenn sie nicht bald etwas zu trinken bekäme.
Warum spazierte sie eigentlich nicht einfach in die Küche und holte sich, was immer sie wollte? Dies war schließlich ihre Wohnung. Nick war nur Gast – ein zahlender Gast, schon richtig –, aber dennoch nur Gast. Und es war seine Idee gewesen, nicht ihre, dass sie hier zusammen wohnten.
Wie wär’s also, wenn sie ihm und seiner beknackten Empfindlichkeit einen kleinen Stoß versetzte? Was wäre, wenn er beim Anblick einer halbnackten Frau Hilfe schreiend nachts auf die Straße liefe?
Es wäre besser, wenn er sich beizeiten daran gewöhnte, sie halb angezogen zu sehen, wenn sie hier länger unter einem Dach leben müssten. Mia war nicht der übermäßig gesittete und zurückhaltende Typ. Ihre Mutter nannte sie gewöhnlich eine schamlose Exhibitionistin, und das nur, weil Mia sich nicht scheute, nackt vor ihren Verwandten herumzulaufen. Du lieber Himmel! Dabei war sie damals schließlich erst vier Jahre alt gewesen.
Mia warf einen Blick auf ihr Bett und überlegte, ob sie ihr Deckbett abziehen und sich darin einhüllen sollte, entschied sich aber dagegen. Von Anfang an musste man klare Verhältnisse schaffen, wenn dieses Bodyguard/Klienten-Ding funktionieren sollte.
Sie öffnete die Tür einen Spalt weit und spähte hinaus. Nick starrte auf seinen Bildschirm und war voll und ganz auf was auch immer er da las konzentriert, so dass sie bezweifelte, dass er ihre Gegenwart überhaupt bemerken würde.
Auf Zehenspitzen schlich sie leise in die Küche und vermied es, Licht anzumachen, während sie hinüber zum Kühlschrank ging. Sie öffnete die Tür, und der kleine Lichtstrahl der Innenbeleuchtung fiel in den Raum. So leise sie konnte, griff sie sich eine Coladose, die ihr prompt aus der Hand glitt und auf den rechten großen Onkel fiel.
»Verdammter Mist!«, kreischte sie und hüpfte auf und ab auf einem Fuß, während ihr lädierter Zeh anfing zu pochen. »Verdammter Mist, Mist, Mist!«
»Ist alles in Ordnung?«
»Nein! Es ist nicht alles in Ordnung!« War der Mann dämlich? Sie drehte sich um und sprang noch einen Schritt zurück, da Nick direkt hinter ihr stand.
Er schaltete das Licht an, und seine Augen weiteten sich bewundernd, als er ihre etwas unzureichende Bekleidung und die sehr hübschen Beine in sich aufnahm.
»Ich war durstig. Die Coladose ist mir auf den Fuß gefallen«, erklärte Mia, und ihre Augen begannen zu tränen.
»Soll ich mir Ihren Fuß mal ansehen, ob auch nichts gebrochen ist?«
»Nein. Danke.« Mia konnte ihren Blick nicht von Nick Carusos Brust abwenden. Sein Hemd war offen, und sie konnte sehr deutlich seine kräftigen Brustmuskeln sehen und ein hübsches Haargekräusel, so ungefähr wie bei Tom Selleck.
Mann! Wer hätte gedacht, was da unter dem Tweed versteckt war? Kein Autor, den sie je gesehen hatte, sah so aus.
Nick bemerkte Mias Gesichtsausdruck, zog schnell sein Hemd zusammen und knöpfte es zu. »Mir ist ein wenig warm geworden«, sagte er entschuldigend. »Ich schätze, Ihnen auch.«
Mias Gesicht nahm eine höchst unkleidsame rote Färbung an. »Ich trage selten einen Morgenmantel, und ich war durstig. Sie gewöhnen sich am besten gleich an solche Anblicke, weil ich nicht vorhabe, meine Gewohnheiten zu ändern, nur weil Sie jetzt hier wohnen.«
Im Moment war Nick gefesselt von dem Anblick ihrer beiden vorwitzigen Brustwarzen, die sich deutlich unter dem dünnen Stoff ihres Nachthemds abzeichneten. Er zwang sich dazu, seine Augen nicht weiter nach unten spazieren zu lassen. Wer weiß, was er da noch alles zu sehen kriegte. »Ich … Das ist okay. Ich möchte keinesfalls, dass Sie sich durch meine Nähe irgendwie gestört fühlen.«
Sie lächelte zuckersüß. »Das ist gut, sonst müsste ich Ihnen die Schuld an meinem pochenden Zeh geben.«
Ach ja? Und wem sollte er die Schuld geben für seinen pochenden –
»Äh, darf ich das Badezimmer benutzen, bevor Sie ins Bett gehen? Ich würde gern duschen.« Und zwar eiskalt.
»Nur zu. Ich setze mich solange auf die Couch. Lassen Sie sich Zeit. Im Schrank unter dem Waschbecken finden Sie frische Handtücher.«
Nick verschwand im Schlafzimmer, und Mia konnte sich ihr Grinsen nicht länger verkneifen. Sie hatte die Wölbung in seiner Hose durchaus bemerkt – wie auch nicht? Schließlich handelte es sich nicht gerade um eine Kleinigkeit – und zu wissen, dass sie die Macht hatte, jemanden, der so reserviert war wie Nick, zu erregen, war ein höchst angenehmes Gefühl.
Armer Nick. Wahrscheinlich hatte er nicht sehr häufig eine Erektion, es sei denn, er sah sich Pornofilme an oder las irgendwelche schmutzigen Zeitschriften. Selbst wenn er eine hatte, bezweifelte sie, dass er etwas damit anzufangen wusste.
Der Mann schien unerfahren zu sein, wenn es um Frauen ging. Man merkte es deutlich, wenn jemand ein Unschuldslamm war; die waren schüchtern und irgendwie zurückgeblieben, was ihre Beziehung zum anderen Geschlecht betraf. Nick war möglicherweise sogar noch Jungfrau. Hmmm. Wäre das nicht mal was? Eine männliche Jungfrau. Man konnte das glatt ein Oxymoron nennen, natürlich nur, wenn man Wörter wie Oxymoron benutzte.
Das Zusammenleben mit Nick würde vielleicht doch noch ganz interessant werden, möglicherweise sogar eine Herausforderung. An diesem Mann gab es einiges zu verbessern, besonders weil er so verklemmt und konservativ war.
Es könnte eventuell recht lustig sein, ihn ein bisschen aufzulockern, ihm zu zeigen, wie die andere Hälfte der Menschheit lebte. Womöglich könnte sie ihn sogar verkuppeln mit der einen oder anderen Frau. Donna Wiseman war zum Beispiel Single, obgleich Mia sie stark im Verdacht hatte, immer noch scharf auf Lou Santini zu sein, den Schlachter mit den Muskelpaketen an den Armen und dem Knackarsch.
Tja, es war trotzdem einen Versuch wert. Und Nick wäre ihr zweifellos außerordentlich dankbar für ihre Hilfe.
Schließlich konnte ein Mann ja nicht mit einem Dauerständer herumlaufen, oder?