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Vorwort

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22 Spieler, ein Ball, zwei Tore, mehr braucht es nicht: Fußball ist ein sehr einfaches Spiel. Um sich ihm hinzugeben, braucht es nicht mal Sportvereine. Auf staubigen Bolzplätzen rund um die Welt, auf schlammigen Wiesen, in den Straßen der armen Vorstädte, überall jagen Kinder dem runden Leder nach. In den tropischen Urwäldern fertigen Indianer aus dem Harz der Bäume Kautschuk-Bälle. Wo kein Fußball zu bekommen ist, werden Socken ausgestopft, Papierkugeln zusammengepresst und alles, was rollt und fliegt, ins Spiel gebracht. Das Ziel bleibt das Gleiche: Das Tor, es ist ein Tor zur Welt.

Fußball ist ein sehr bedeutendes Spiel. Zwischen 2007 und 2010 setzte allein der Weltfußballverband über vier Milliarden Dollar um. Das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2010 verfolgten über 750 Millionen Menschen an den Empfangsgeräten. Nicht nur ideell, auch materiell erwirtschaftet der Sport große Reichtümer. Er produziert Gewinner – und Verlierer. Er steht im Dienste der Mächtigen dieser Welt – oder stellt sich diesen in den Weg. Er schafft Abhängigkeiten – und kann befreien. Der Fußball schreibt Schicksale, er ist ein Weg zu den Menschen.

Die Jagd nach dem runden Leder fasziniert Menschen auf dem gesamten Erdball. „König Fußball“ trägt seinen Titel zu recht, sein Reich ist grenzenlos. Am 12. Juni 2014, einem Donnerstag, wird ein kurzer Pfiff das größte Sportereignis der Welt in Gang bringen. Das Auftaktspiel der 20. Fußballweltmeisterschaft beginnt in der brasilianischen Metropole São Paulo. Der fußballbegeisterte Teil der Welt schaut auf das größte südamerikanische Land.

Fußball ist nur ein Spiel – und unendlich mehr als das. In den Triumphen und Tragödien des Fußballs sieht sich das Lieblingskind der Götter beim Spielen zu – es ist ein Schicksalsspiel. Die Geschichten, die der Fußball schreibt, erzählen davon, was Menschsein bedeutet. Die Erzählungen handeln vom Streben nach Freiheit und Anerkennung, vom Rausch der Einheit und dem Ideal gesellschaftlichen Miteinanders, von Vorteilsnahme und Verrat, von politischer Unterdrückung und einer Revolution der Verhältnisse gleichermaßen. Das Hohe und das Hohle, das Lächerliche und Tragische liegen in der Geschichte des Fußballs – wie des Lebens – nahe beieinander. Wohl nirgends ist die Belichtung dieser Motive so grell, farbig und kontrastreich wie in Brasilien.

Kürzlich erinnerte Papst Franziskus, bekanntermaßen argentinischer Herkunft, an das Sprichwort: „Gott ist Brasilianer“. Wenn es jemand wissen muss, dann gewiss dessen Stellvertreter auf Erden. Und wenn es stimmt, dass Gott nicht würfelt, dann muss er einen Zweck verfolgen mit den Komödien und Tragödien, den Triumphen und Skandalen, die der Fußball Brasilien gebracht hat. Zwei Lederbälle unter dem Arm eines englischen Studenten im Hafen São Paulos, so gelangte der Virus einst nach Brasilien. Sein Fieber hält das größte südamerikanische Land seitdem gefangen.

Auf den Spuren der großen Stars und vergessenen Helden des brasilianischen Fußballs zu wandeln, bedeutet weit mehr, als legendäre Sportereignisse wieder auferstehen zu lassen. Aus den unzähligen Geschichten, die der Sport schreibt, ergibt sich zuletzt ein lebendiges Bild der einen Geschichte, die die Menschheit verbindet.

In Deutschland ist der Fußball als Angelegenheit von nationaler Wichtigkeit bekannt. Als Helmut Rahn 1954 aus dem Hintergrund schoss, gewann das junge Nachkriegsdeutschland nicht nur den Titel des Fußballweltmeisters. Das neu gewonnnene Selbstvertrauen leistete einen Beitrag zum Wiederaufbau. Vier Jahre zuvor, so sehen es nicht nur Sportreporter, erlebte sich Brasilien bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land erstmals als eine Nation. Eine Schicksalsgemeinschaft erwachte unter dem Trillern einer Pfeife.

Reispuder in den Haaren farbiger Spieler. Indianer, die unter Einsatz ihres Lebens dem Ball nachjagen. Rassistische Schokoriegel. Verwunschene Frösche und magische Mischlingshunde. Rituelle Tor-Verbrennungen. Dem Fußball geweihte heilige Jungfrauen. Radioreporter auf der Trainerbank. Tragische Helden, dem Fußball wie dem Alkohol verfallen. Armut und der Traum vom Aufstieg. Glamour und finstere Machenschaften in Hinterzimmern. Weltruhm und geschundene Körper. Die große Stille vor dem Sturm.

Dies Buch beantwortet die Frage, wie der Fußball eine Militärdiktatur in die Knie zwang, was Frank Sinatra, der Papst und ein gewisser Alcides Ghiggia gemeinsam haben und nicht zuletzt, was es heißen mag, Brasilianer zu sein. Erinnert sei an des ehemaligen Fußballstars Paul Breitners Rätselwort, beiläufig gesprochen als Kommentator eines Freundschaftsspiels von Borussia Dortmund: „Sie müssen nicht glauben, dass sie Brasilianer sind, nur weil sie aus Brasilien kommen“. Brasilianer zu sein, verpflichtet.

Unternehmen wir eine Rundreise durch die Geschichte des brasilianischen Fußballs. An unserer Seite so prominente Reisebegleiter wie Ronaldinho und Ronaldo, Skandalnudel und Sozialreformer Romário, Fußballphilosoph und Revolutionär Sócrates, Sportlegende und Geschäftemacher Pelé, der geniale Dribbelgott und Säufer Garrincha, sowie die weitgehend vergessen Legenden Leônidas und Arthur Friedenreich, deren Geschichten vom Kampf gegen rassistische Diskriminierung handeln.

Ein Buch für alle, die im Fußball mehr sehen, als nur einen Sport.

Mirco Drewes - Berlin, im August 2013

Samba tanzt der Fußballgott

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