Читать книгу Die Zone - Mireille Zindel - Страница 8
ОглавлениеDas Hallenbad, diese gekachelte Stätte.
Fast jeden Tag verbringt er ein paar Stunden dort.
Sein Blut fließt blau unter seiner weißen Haut.
Mit vier ist er in einen Pool gefallen. Mutter, die ihn keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte, ist zum Becken gerannt und mitsamt den Kleidern hineingesprungen. Es können nur wenige Sekunden gewesen sein, die er dort unten verbracht hat, doch die Angst vor dem Wasser hat ihn lange nicht verlassen.
Mit der Zeit veränderte sich sein Körper. Er bekam eine breite Brust, einen starken Rücken. Ich sehe dich von Weitem atmen, hört er Vater sagen.
Badehose, Flossen, Taucherbrille, Halsblei
um dem Auftrieb der Lungen entgegenzuwirken.
Er will nur die Bewegung trainieren, das Schwimmen wie ein Fisch.
Eine wellenförmige Bewegung, die durch den Körper geht.
Ein feines Gleichgewicht zwischen Hüften, Beinen, Fußgelenken.
Du musst mit deinem Körper dem Wasser möglichst wenig Widerstand bieten.
Rechteckiges Fünfzig-Meter-Becken.
Weiße Kacheln, schwarze Kacheln, die das Becken in Bahnen unterteilen Filter.
Unterwasserscheinwerfer.
Von unten beschienenes Blau.
Das ganze Becken ist blau
wie der Aufbahrungsraum in den Katakomben des Krankenhauses.
Meerwasser ist dichter als Poolwasser.
Und doch: die Oberfläche, die auf seinen Kopf drückt, auch wenn er nur zwei Meter darunter seine Bahnen zieht.
Im Bad packt ihn manchmal ein Engegefühl. Die Trennleinen über ihm. Kugel an Kugel, rot, weiß, rot, weiß, tanzender Kunststoff, aufgefädelt am Seil, wie Algenketten.
Verkehr und Gerangel auf den Schwimmbahnen.
Darunter: er.
Schwimmende mit Wechselschlag, Schwimmende mit Gleichschlag.
Temposchwimmer, Anfänger, bunte Badekappen alle Bahnen belegt.
Die Schwimmer stören sich nicht an ihm.
Er taucht nur selten zwischen ihnen auf
aber oft genug, damit sie nicht skeptisch werden und nach ihm schauen.
Nie neben einem Brustschwimmer auftauchen
seine Bewegungen sind zu breit.
Besser zwischen zwei schnellen Kraulern
sie schwimmen Wenden. Jede Wende kostet Konzentration und Sauerstoff. Das hält sie auf.
Schwarze Linien entlang der Bahnen, um Zusammenstöße zu vermeiden.
Der Linie folgen, um sicherzugehen, dass man geradeaus schwimmt. Darauf braucht Cyril nicht zu schauen.
Du weißt wie?
Aus dem Becken steigen.
Die Raumakustik wahrnehmen
die hohe Halle.
Ein anderes Schwimmbecken mit Rutschbahn und Sprungbereich.
Duschraum.
Umkleidekabinen.
In der Ecke plätschert ein Brunnen.
Sein Duschgel riecht nach Eukalyptus
er mag es nicht einmal.
Er riecht es oft.
Er hat sich an den Duft gewöhnt.
Er bleibt nach dem Duschen an ihm hängen.
Manchmal träumt er nachts von Fliesen
von weißen Hallendecken.
Vieles von dem, was er übt und lernt, zeigt sich nicht direkt beim Schwimmen. Eines Tages aber schon.
Alice.
Sie war in den See gegangen und nicht zurückgekehrt.
Hotelpools.
Jeden benutzt.
Die schönsten sind die mit Meerwasser.
Muschelförmige Becken.
Er muss lachen.
Er freut sich wie ein Delphin.
Überlaufrinnen voller Blätter und Blütenstaub.
Chlor in jedem Becken, sonst würden sich Algen entwickeln, die das Wasser grün färben.
Das Wellenbecken seiner Kindheit. Der künstliche Wellenbetrieb. Er war ganz vorne beim Gitter gewesen, wo das Wasser einströmte. Hatte sich an den Eisenstangen festgehalten, bis der Druck nicht mehr anzusteigen schien. Bei der größten Woge hatte er losgelassen, sich mitreißen lassen, über die ganze Länge des Beckens hin. War am anderen Ende gestrandet.
Freibäder.
Sommerferien.
Wunde Fußsohlen vom Abstoßen am Boden.
Nase über Wasser.
Einfamilienhausgegend.
Am meisten interessiert haben ihn immer die Pools am meisten deprimiert die Schwimmabdeckungen.
Flache, begehbare Konstruktionen aus Paneelen, die auf dem Wasser schwimmen.
Grillutensilien
Gartenmöbel
geschlossene Sonnenschirme.
Rosafarbene Gartenschläuche zu Schlangen zusammengerollt.
Nachts spähte er in die Gärten. Im Herbst und Winter auch. Auf der Suche nach abgedeckten Pools, als gälte es, etwas zu retten.
Vögel, Füchse, Äste
Drachen.
Alles schon in Pools gesehen.
Elektrische Pumpen, Bedienelemente
Stromschläge.
Feuchte Umgebungen sind gefährlich für den Menschen.
Planschbecken.
Gefährlich.
Nichtschwimmerbecken.
Gefährlich.
Egal, welche Tiefe
ob fünfzig Zentimeter oder hundertfünfunddreißig
das Wasser hat die Eigenschaft, dich hinabzuziehen.
Regen auf Meer.
Hinterhofpools.
Die schönsten Erinnerungsbilder aus dem Urlaub waren immer die unter Wasser.
Der Senkboden im Schwimmbad der Schule.
Schmetterlingsschwimmen auf dem Trockenen.
Schmetterlingsschwimmen im Wasser.
Herr Ervin Andric
früherer Handballprofi.
Eines Abends, als er nach Hause kam, hatte seine Frau die beiden Kinder und sich selbst umgebracht.
Bestattung in Jugoslawien.
Eine Woche später nahm Herr Andric den Unterricht wieder auf.
Er hat Cyril die Macht des Sports verständlich gemacht, ohne etwas zu erklären.
Alice.
»Es vergeht kein Treffen mit dir, ohne dass du ihren Namen erwähnst.«
Aurel ist sein Trainingspartner. Er stottert ein wenig.
Eigentlich sehnte Alice sich nach einer zarten Künstlerseele, und dann hatte sie einen Baumstamm wie ihn. Niemand hätte sie vor sich selbst schützen können. Sie ging in den See und kehrte nicht wieder.
Er geht durch Mailand, kommt an Fischständen vorbei.
Rot-weiß kariertes Plastik, klebrig vom Meer.
Ein schimmernder Schwertfisch
ein Brauner Zackenbarsch
ein Haufen Sardinen.
Er zieht die Luft tief durch die Nase ein und blickt weg – es könnte sich etwas bewegen.
Kommt an Kleider- und Schmuckläden vorbei.
Sein Ziel: Genua am selben Abend.
Eines Tages muss er seine Karriere freiwillig beenden.
Hast du immer noch das Gleiche an wie eben?
Zeig es mir noch mal.
Mit Gewalt kannst du im Wasser nichts erzwingen.
Es ist sinnlos.
Du tauchst in lebensgefährliche Bereiche vor und weißt, dort ist nichts zu erzwingen. Es ist wichtig, dass du das weißt.
Helikopter kreisen über dem Meer.
Filmteams.
Sicherheitsteams.
Er schließt die Augen und driftet auf eine andere Ebene ab. Ab jetzt kann ihn nichts mehr von außen erreichen. Er ist ganz bei sich. Oder an einem Ort tief in sich.
Aurel taucht auf.
Lächelt. Nickt ihm zu.
Die Kleine erscheint.
Lächelt.
Verschwindet.
Renaud, sein Rivale, blinzelt.
Cyril atmet durch das eine Nasenloch tief ein, während er das andere zuhält.
Dann durch das andere.
Ein Luftstrom, der ihn nähren wird
wie eine Meeresschildkröte
oder einen Pinguin.