Читать книгу Die Zone - Mireille Zindel - Страница 9

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Tauchen auf Mauritius.

Alice hat es natürlich gern gemacht.

Sie hat es relativ gut gekonnt.

Er nicht.

Alice hat schon immer diesen Sog ins Unendliche gehabt diese Todessehnsucht.

Sie hat viel Freude im Wasser verspürt.

Heute weiß er: Das hatte vielleicht schlicht eine physiologische Erklärung. Aufrecht und an der Luft hat sie immer Mühe gehabt. Sie liebte es, im Wasser zu sein. An der freien Luft hat sie immerzu denken müssen, so viel nachgedacht. Im Wasser denkt man nicht mehr, selbst das größte Reflexionsmonster hört auf zu denken.

Lange haben sie in Évian-les-Bains gewohnt, im letzten Haus am See. Immer ist sie rausgeschwommen, weiter und weiter hinaus. Es hat Boote gegeben, Linienschiffe, aber das hat sie nicht gestört.

»Alice! Alice!«, hat er geschrien.

Manchmal ist er ihr hinterhergeschwommen, aber jedes Mal umgekehrt. Sie schwamm einfach zu weit hinaus. Irgendwann hat er ihr vom Garten aus nachgeblickt und gedacht: Nun ja, vielleicht kommt sie ja bald zurück.

Jacqueline.

Auch als er sie wiedersah, trug sie den Paradiesfisch-Anzug. Er sprach sie an.

Er sprach sie so oft an, bis sie im Schwimmbadcafé zusammen ein Glas Wasser tranken.

Danach ging er ins Netz.

Es gab Bilder von ihr.

Die waren atemberaubend.

Videos.

Sagenhafte Bewegungen.

Wie sie unter Wasser in eine Wolke taucht.

Jacqueline, die Meerjungfrau, Undine, Little Mermaid.

Bilder voller Assoziationen.

Aber er weiß: Man macht es für sich. Egal, wie sehr man alle andern verwirrt. Man tut es für das große Bedürfnis, sich selbst und sein Eigenes zu spüren. Es geht nicht um Tiefe, es geht darum, dass man nicht dieses Leben will.

Alice hat die Stabilität eines Spinnennetzes gehabt.

Auf Ithaka in Griechenland gibt es diese riesigen Spinnennetze.

Sie bewegen sich im Wind.

Sein innerer Sadismus zwingt ihn manchmal dazu, mit der Faust mitten hineinzuschlagen.

Im Ferienhaus auf Ithaka gibt es einen Pool.

Fünf Meter mal zwölf, mit Blick aufs Meer.

Vom Pool aus sieht er diesen hinreißenden Strand: Das Wasser ist glitzernd, blau, durchsichtig. Alle seine Gäste zieht es dorthin.

Ohne Luft zu tauchen, ist die Rückkehr in den Mutterbauch. Im Fruchtwasser warst du NUR in der Apnoe, in der Phase des Urglücks. Mama geht es gut, sie hört Musik, sie hat einen Herzschlag.

Du warst aufgehoben im Dunkeln des Wassers.

Nun suchst du diese völlige Ausgeglichenheit

dieses Gleichgewicht.

Das Leben ist eine dauernde Provokation.

Hinab treibt ihn das Unbehagen.

Begleiter von Sterbenden.

Er, der ehemalige Arzt, der nie eine Patientin an den Tod verloren hat.

Die Sehnsucht nach dem Urpunkt.

Physiologisch gesehen: Der erhöhte Wasserdruck komprimiert deine Lunge und drückt deinen Körper zusammen. Du wirst zusammengedrückt. Gequetscht. Umschlossen.

Aber der Wunsch nach der Rückkehr in den Mutterleib ist auch tödlich.

Im Hier und Jetzt der Fluten bist du vielleicht völlig entspannt, aber du befindest dich auf der Grenze zwischen Leben und Tod.

Er weiß, was ihn treibt.

Deshalb mag er den Wettbewerb nicht.

Tauchen hängt zutiefst mit ihm zusammen. Der Wettkampf hat etwas Entfremdendes.

Es hatte Schülermeisterschaften gegeben.

Zu seiner Überraschung – er war fünfzehn – war er der Beste im Tauchen gewesen.

Dann hat er angefangen, sich dafür zu interessieren.

Dort, wo du gut bist, entwickelt sich ein Sog.

Eigentlich ist es ein Witz, derjenige zu sein, der am längsten die Luft anhalten kann. Es ist absurd.

Weltmeister im Luftanhalten.

Nicht gerade Weltmeister, aber trotzdem.

Er zeigt eine große Leistung.

Er stellt fest, er hat eine Begabung.

Ausgerechnet er, der Angst hat vor dem Wasser.

Wasser hat nichts Verlockendes für ihn.

Die Begabung, am Bett von Sterbenden zu stehen.

Er ist fasziniert von einem Tod, der kein Tod ist, sondern der Übergang in eine andere Welt.

Tochter, Vater, Mutter, Bruder. Und Alice.

Apnoe ist die Suche nach Glück.

Nach ganz starken Gefühlen.

Du darfst kein Adrenalin ausschütten.

Es könnte dich dein Leben kosten.

Take it easy.

Ganz starke Gefühle, aber take it easy.

Du befindest dich in einem fremden Element.

Als Mensch brauchst du Luft.

Du musst auf zwei Beinen stehen.

Und versinke minutenlang in deiner Möse.

Als Taucher überwindest du die Schwerkraft, die Abhängigkeit von Luft.

Es ist eine ekstatische Erfahrung, aber du musst dich im Griff haben.

Du darfst dich nicht gehen lassen.

Die tödlichen Unfälle von Prostituierten in Hotelzimmern mit Gürteln um den Hals.

Ein anderes Gleichgewicht

vom Vogel

vom Fisch

das nicht dein Gleichgewicht ist.

Die Zone

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