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Diäten

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Heute Mittag war ich beim Zahnarzt.

Ich kam rein, die Sprechstundenhilfe begrüßte mich mit den Worten: »Sie sind doch die Frau mit der Muffinjeans aus dem Fernsehen! Das war ja so toll. Ich habe mich köstlich amüsiert. Danke. Danke, dass Sie das im Fernsehen gesagt haben: dass wir uns mehr lieb haben sollen, so wie wir sind, und uns nicht so fertig machen sollen! Wie recht Sie haben. Wissen Sie, ich bin jetzt 53. Ich bin seit vierzig Jahren auf Diät. Und ich hab einfach keinen Bock mehr. Warum kann man nicht ganz normal aussehen? Wer hat uns so versaut? Und die ganzen jungen Dinger, mit Essstörungen oder Fitnesswahn? Da könnt ich an die Decke gehen …«

Sie erzählte und erzählte, und ich bemerkte, dass ich mit meinen Themen im Moment wohl irgendwie den Nagel auf den Kopf treffe. Bodyshaming ist in aller Munde, und Frauen haben sich durch den »neuen Feminismus« längst von Äußerlichkeiten freier machen können als noch vor zwanzig Jahren. Wenn ich auch Bodyshaming nur am Rande in meinem Comedyprogramm bearbeite, ist es doch bei mir eher »Selbstbescheißing and having fun dabei«.

Die Sprechstundenhilfe und ich quatschten, wir lachten und scherzten noch eine ganze Weile, bis sie sagte: »Frau Regensburg, schön, dass Sie heute hier sind, aber ihr Termin ist eigentlich erst morgen!«

Auf dem Heimweg dachte ich noch lange über das nach, was sie gesagt hatte. Seit vierzig Jahren auf Diät. Ja, so ungefähr trifft das auf mich auch zu. Ich rechnete nach: Bei mir sind es 27 Jahre.

Als ich geboren wurde, war ich ein sogenanntes normales Kind und später auch erstmal nicht dick, bewegte ich mich doch ständig an der frischen Luft und war auf Achse. Ein Bauernhofkind wie aus dem Bilderbuch. Als Teenager hatte ich Beine bis zum Hals und einen super Körper. Mit 16 fing ich an, die Pille zu nehmen, eher aus medizinischen Gründen, wie man das eben so machte Anfang der neunziger Jahre, und das hat mir sicherlich ein bisschen die Figur ruiniert. Zumindest nahm ich daraufhin bestimmt zehn Kilo zu. Trotzdem war ich in meinen Zwanzigern noch immer so in shape und hübsch, dass ich heute, zwanzig Jahre später, denke: Schade, dass ich damals nicht wusste, wie toll ich eigentlich aussah.

Denn: Damals fühlte ich mich genauso dick wie heute! Dazwischen liegen aber nicht nur zwanzig Jahre, sondern auch zwanzig Kilo.

Ich glaube, ich habe fast alle Diäten dieser Welt gemacht. Mit 16 ging es los. Da hatte ich zwar keine Gewichtsprobleme, aber sicherlich Probleme mit meinem Selbstbewusstsein. Der Einfluss, dass abgenommen werden müsse, kam von einer Freundin! Dabei waren wir definitiv beide schlank!

Den Anfang des ganzen Diätwahnsinns machte der berühmte Slim-Fast-Drink. Mit dem Pulver zum Anrühren wurde ich angefixt, es schmeckte wie Pappe und erinnerte mich an das Pulver, das ich als Kind für unsere Kälbchen zubereiten musste. Kälbchen haben ja eine unfassbar raue Zunge. Nach Konsum der Slim-Fast-Drinks hatte ich zwar nicht abgenommen, doch meine Zunge fühlte sich an wie die eines Kälbchens.

Munter ging es weiter mit der Kohlsuppendiät. Wer erinnert sich nicht an diese erfolgsversprechende, gesunde Diät aus den Neunzigern? Der Kochtopf ging durchs ganze Dorf. Und der Mief! Den haste ja gar nicht mehr aus den Sachen rausgekriegt. Und wohin mit einem? Raus konnte man nicht, wegen der Blähungen, aber drin auch nicht bleiben. Explosionsgefahr. Als wir in Hümme alle Kohlsuppendiät machten, konnte man durch die Kasseler Berge nur noch mit Nebelschlussleuchte fahren.

Der erste Tag mit der Kohlsuppe ging noch echt ganz gut. Am zweiten Tag hab ich sie mir ein bisschen verfeinert. Käse drüber gestreut, Sahne, Hack, Ei. An ungeraden Tagen hab ich mir noch ein Ferrero Rocher reingebröselt.

Meine Mutter war mittlerweile parallel auch auf Diät, mein Vater hatte also zwei schlecht gelaunte Frauen im Haus. Schon damals sagte sie:

»Weißt du, Mirja, als Frau wird man entweder als Kuh oder als Ziege geboren. Wir sind Kühe. Muh!«

Ich mochte schon immer ihre humorvolle Art, mit diesen Dingen umzugehen.

Dass meine Mutter ständig mit ihren überflüssigen Pfunden zu kämpfen hatte, beeinflusste mich. Natürlich. Ohne dass sie mir Vorwürfe machte oder sagte, ich sei zu dick. Das tat sie gar nicht. Sie sagte eben nur oft: »Mirja, wir müssen aufpassen! Wir sind zur Mast geeignet!«

Es reichte vielleicht, dass ich es vorgelebt bekam. Denn durch die Medien wurde ich damals noch nicht versaut. Es gab ja weder Heidi Klum noch Instagram. Mein Umfeld war mein YouTube. Und die Mutter ist mit Sicherheit die wichtigste Person, wenn es um die Beziehung zum eigenen Körper geht. Ob du eine Essstörung bekommst oder alles immer mit einem Augenzwinkern siehst, hat sicher den Ursprung in frühester Jugend. Ich nahm und nehme die Sache mit dem Gewicht noch immer gern mit Humor, aber dennoch war es immer Thema!

Später, als ich in die weite Welt zog, nämlich nach Hamburg, um dort mit 21 meine Musicalausbildung anzufangen, fing das Dilemma dann so richtig an. Ja, ich war etwas kräftiger vom Körperbau, hatte keinen Ballettkörper. Aber ich war definitiv schlank. Aus heutiger Sicht könnte ich heulen, denn ich war wirklich auf der Höhe meiner Optik. Ich hatte noch ein bisschen Babyspeck, aber es war alles in Ordnung. Doch die Ballettlehrerin der Musicalschule suggerierte mir und allen anderen, dass wir unbedingt abnehmen müssten. Wir seien alle viel zu dick fürs Geschäft.

Ich antwortete: »Ich werde mal dick im Geschäft sein!«

Ich fand mich lustig, aber sie konnte so gar nicht darüber lachen!

Da entstand mein Widerwille. Während sich die anderen Mädchen vor der Ballettstunde den Finger in den Hals steckten, war es bei mir ein ganzes Stück Mohnkuchen. Ich mochte die Blicke der Lehrerin und die der Mitschüler. Ich wollte die Revoluzzerin sein, auffallen, gegen den Strom schwimmen. Mit meinen 1,78 Meter stach ich sowieso aus der Menge raus, und die Ballettlehrerin hatte mit ihren 1,40 Meter große Mühe, meine Baumstämme auf die Ballettstange zu wuchten. Wir hatten sowieso Verständigungsprobleme, denn standen wir einander gegenüber, führte SIE ja eine Unterhaltung mit meinem Bauch. Ich war ihr wohl ganz generell zu frech, und so unterstützte sie mich irgendwann im Unterricht gar nicht mehr, schüttelte nur noch jeden Tag vorwurfsvoll den Kopf und gab auf. Sie attestierte mir keinerlei Talent im Ballett.

Jedes Jahr bin ich aufs Neue durch die Ballettprüfung gefallen. Die Abschlussprüfung habe ich aufgrund der hohen Punktzahlen in den anderen Fächern mit Bravour bestanden. Meine Ballettschläppchen habe ich noch am selben Tag auf dem Schulhof verbrannt.

Heute denke ich: Wie traurig!

Hätte die Lehrerin mich unterstützt, meinen Körper so akzeptiert, wie er nun mal ist, hätte ich Spaß haben und aus mir vielleicht wirklich eine gute Tänzerin werden können.

Im letzten Schuljahr gab es einen neuen Lehrer an der Schule, der uns in Modern Dance unterrichtete. Ich mochte ihn auf Anhieb. Er gab mir dieses gute Gefühl. Denn auch er war ein bisschen zu groß und kräftig geraten und hatte es trotzdem geschafft, professioneller Tänzer zu werden. Ich weiß noch genau, wie wir eine Choreografie zu Madonnas Frozen einstudierten. Da machte es bei mir klick. Nicht weil ich am Boden festgefroren war, sondern weil er mir sagte: »Mirja. Du kannst tanzen. Jeder kann tanzen. Hab Spaß, genieß die Musik und liebe deinen Körper. Akzeptiere ihn so wie er ist!«

Goldene Worte.

Die Geschichte mit dem Mohnkuchen steht mir noch immer so vor Augen, als wäre es gestern gewesen: weil ich mich nicht hab kleinkriegen lassen und gegengehalten habe. Trotzdem fühlte ich mich immer falsch, zu dick, nicht richtig.

Meine Figur hatte sich zwar irgendwann gut eingependelt, aber ab dreißig ging es rapide abwärts und ich musste sehr kämpfen. Ich aß und esse nun mal extrem gern! Ich bin eben nicht der Typ, der aufhört zu essen, wenn er satt ist. Ich höre auf zu essen, wenn mir schlecht ist.

Es folgte die Blutgruppendiät, also das Buch hab ich mir zumindest gekauft, umgesetzt hab ich nix davon, denn alles, was ich hätte essen dürfen, war überhaupt nicht mein Ding. Rohkost und so. Heute sagt man raw food und ist dann automatisch ein Hipster.

Dann kam die Brigitte-Diät. Der Klassiker. Halbe À-la-Carte-Rezepte! Da mussteste dir Urlaub für nehmen und nen Kredit! Wer um Himmels Willen hat so viel Zeit und Geld? 16,8g Hähnchenfleisch mager! Ich weiß noch ganz genau, wie ich damals zum Metzger gegangen bin und gesagt habe:

»Guten Tag. Ich hätte gern 16,8 Gramm Hähnchenfleisch mager.«

Der Metzger raunzte mich an: »Geschnitten oder am Stück?«

»Och, wenn Sie es mir schnetzeln könnten, wäre schon schön!«

Er zog ne Hackfresse und ich hatte wirklich große Angst, dass er mich gleich mitschnetzeln würde. Also kaufte ich das ganze Huhn. Zu Hause habe ich mir dann einfach mit einem kleinen scharfen Messer 16,8 Gramm Hähnchenfleisch mager abgeschnitten. Und mir lecker Hühnerfrikassee gemacht. Einen Esslöffel. Aber wohin mit dem Rest? Konnte ich ja nicht einfach wegschmeißen!

Ich habe mir dann direkt Nachtisch gemacht. Hähnchen brûlé.

Mein Selbstbeschiss ging munter weiter.

Eine Weile habe ich Trennkost gemacht, das fand ich noch am besten: einfach alles auf unterschiedliche Teller tun. Schön war auch wirklich die Zeit mit der Sauerkraut-Diät. Ich bin da sehr dankbar. Seitdem kann ich bei Stau auf Autobahnen in Fantaflaschen pinkeln. Ich musste nämlich in der Zeit NON-STOP auf Toilette.

Dann kam der Trend mit dem Glykämischen Index. Es wurde wie ein Geheimtipp gehandelt, dass der Blutzuckerspiegel ja immer viel zu schnell steigt, dass das ungesund sei und was man da machen kann. Eine Kollegin schickte mir das Ganze damals noch per Fax. Wie ein spannender Kettenbrief kam die geheime Botschaft über die lange Rolle Thermopapier zu mir nach Hause.

Trotzdem habe ich auch das nur ein paar Tage durchgehalten. Denn, wenn ich was weiß seitdem: Ich LIEBE den rapiden Anstieg meines Blutzuckerspiegels. Kohlenhydrate-Koks für Arme. Ja, Nudeln und Brot machen glücklich. Wer das Gegenteil behauptet, lügt. Nicht umsonst spielt in Elisabeth Gilberts Buch Eat Pray Love der Teil, in dem es ums Essen geht, in Italien!

Um die Jahrtausendwende unternahm ich eine kurze Exkursion ins Land der Ananas, was zu völliger Übersäuerung und diversen Magenschleimhautreizungen führte, die ich mit so viel Brot und Nudeln wieder ausgleichen musste, wie nur ging. Dann folgte eine kurze Schlank-im-Schlaf-Phase. Diese Phase war eigentlich die Beste. Heute nennt man das, glaube ich, Intermittierendes Fasten. 16 Stunden nix essen, acht Stunden was essen. Ich habe das aus Versehen gemacht, weil ich mich nach einem harten Partywochenende einfach nur mal ausgeschlafen habe. Ich bin tatsächlich am nächsten Morgen wach geworden und dachte: Krass. 16 Stunden nix gegessen. Ganz flacher Bauch. Habe dann aber in den folgenden acht Stunden für 16 Leute gegessen. War doch richtig so, oder? Warum heißt das nicht Intermettierendes Fasten? Schön mit METT!

Aber die 2000er wären nicht die 2000er gewesen, wenn nicht auch der größte Abnehmtrend aus den USA zu uns rübergeschwappt wäre. The one and only: Weight Watchers.

Seit 2002 bin ich dort passives Mitglied! Und ich komm einfach nicht mit den Punkten hin. Ich hab mir schon so oft Punkte aus anderen Monaten geliehen, dass selbst wenn ich das System jetzt bis zu meinem Lebensende durchziehen würde, es gar nicht mehr klappen könnte.

Dabei funktioniert das Prinzip ja grundsätzlich super. Wenn man sich dran hält! Halt schwierig für Selbstbescheißerinnen! Eine Handvoll Chips. Was ist denn eine Handvoll? Das ist Auslegungssache. Da kann ich schon mal sehr großzügig sein und schaffe es, aus meiner normal großen Hand eine King-Kong-Pranke zu machen. Ein Teelöffel Öl. Tja, selbst wenn es an der Seite minutenlang runterläuft, bleibt es doch im Grunde ein Teelöffel!

Du musst sehr korrekt sein in diesem System. Das war ich selten. Trotzdem ging es einige Male gut, und ich bekam sogar die Gold-Member-Card und den Gold-Schlüssel. Da wirst du in der Gruppe geehrt, darfst eine Rede halten und sagen, wie toll dein Leben jetzt ist und wie gut du dich fühlst.

Sechs Monate später stand ich wieder vor der Gruppe, weinte und erzählte, wie schlecht ich mich fühle. Denn die Gold-Mitgliedschaft war mir wieder entzogen worden. Tja, so kann’s gehen.

Obwohl die Treffen, die ich mit einer guten Freundin zusammen besuchte, schon sehr lustig waren. Allein das Wiegen am Anfang. Ich kam immer im Bikini, selbst im Winter, in der leisen Hoffnung, weniger zu wiegen, was aber durch meine Wassereinlagerungen und dem demzufolge stattfindenden Gefrierbrand wieder aufgehoben wurde.

In all den Jahren war übrigens nur ein einziger Mann bei den Treffen der Weight Watchers. Er sagte nie irgendwas. Vielleicht schlief er auch und machte parallel Schlank im Schlaf.

Einmal hat eine Frau in der Gruppe gefragt: »Wie viele Punkte hat eigentlich Sperma?«

Die Leiterin errötete und antwortete: »Drei Punkte.«

Da sagte die Frau allen Ernstes: »Och, dann ess ich lieber einen Kinderriegel.«

Das war der Moment, wo dann auch unser einziger Mann aufgewacht war! Wir lachten alle aus vollem Hals. Es war offensichtlich, dass die Treffen sehr motivierend für uns waren. Denn: Sie waren verbindend. Wenn Frauen etwas können, dann ist es, sich über dieses Thema verbünden.

Diäten gehören einfach zu den absoluten Nummer-Eins-Themen unter Frauen. Aber warum eigentlich? Weil das evolutionstechnisch bedingt ist? Weil wir in der Höhle standen und zu viel Zeit hatten, dummes Zeug zu reden? Wir haben Beeren gesammelt, gekocht, und dann, wenn die Männer immer noch nicht zurück von der Jagd waren, uns eben über diese Themen ausgetauscht. Einerseits steckt da viel Gutes drin. Andererseits ist da aber vielleicht auch der VERGLEICH entstanden. Das, was uns Neid und Missgunst bringt.

Schauen wir mal genauer hin: Verbünden wir Frauen uns denn wirklich über das Thema Abnehmen? Auf den ersten Blick schon. Aber machen wir uns nicht auch wieder dabei klein?

Wenn sich Jungs zum Fußballgucken treffen, reden die doch auch nicht übers Abnehmen. Die reden auch nicht BEIM Essen gehen darüber, dass sie unbedingt abnehmen müssen. Das schaffen auch nur Frauen! Das ist wie beim Liebesspiel zu sagen:

»Boah, nie wieder Sex!«

Ich habe nur eine einzige Freundin, die wirklich mit sich zufrieden ist. Also mit ihrer Figur. Die kifft aber auch den ganzen Tag. Die ist eh komisch in dem Punkt. Ganz anders als die anderen.

Die hat Clips für Chipstüten. Als ich mal bei ihr zu Besuch war, habe ich sie gefragt: »Was sind denn Clips für Chipstüten?«

Sagt sie: »Na, für Chipsreste.«

Ich sag: »Was sind denn Chipsreste??«

Chipsreste! Völlig unverständlich. Wenn ich so nen Chipsrest unterm Sofa finde, dann puste ich die Flusen ab und dann geht der wieder.

Die kriegt auch, obwohl sie so viel kifft, keine schlimmen Fressflashes. Ich sag zu ihr: »Ich ess immer alles auf. Die Tüte Chips, die Schokolade, das Eis, die Haribos … Bis die Tüte eben leer ist. Wie schaffst du das nur, dass das nicht so ist bei dir?«

Sagt sie: »Ich mache mir so einen kleinen Teller. Und da ist von allem nur ein bisschen drauf. Dann hab ich von allem etwas.«

Das fand ich so einleuchtend, dass ich das zu Hause auch direkt ausprobiert habe. Hab ich mir so ein kleines Tellerchen gemacht. Mich ins Wohnzimmer gesetzt. Netflix angestellt. Und dann hab ich mir noch ein kleines Tellerchen gemacht und noch eins und noch eins und noch eins. Bis alle Tüten leer waren!

Bei mir funktionieren solche Sachen einfach nicht. Selbst in guter Absicht nicht. Auch wenn ich es versuche und fettarme Salzbrezeln für den Fernsehabend kaufe, esse ich die Tüte komplett auf. Natürlich mit einer schönen Portion Käsewürfel dazu, ist ja auch sonst viel zu trocken. Oder ich gehe in der Werbepause runter zum Kiosk und hole gleich die fettigen Kettle-Chips.

Oder neulich beim Einkaufen: im Supermarkt. Ich hatte es mir wirklich vorgenommen. Ich kaufe heute nur was Gesundes. Keine Süßigkeiten. Keine Chips. Dann hab ich mir einen Salat gekauft. Ich war ganz stolz. Und an der Kasse bei den Kühltheken habe ich dann doch wie ferngesteuert ne Riesenpackung Vanilleeis in den Wagen getan. Und mir selbst gegenüber habe ich so getan, als wenn ich das gar nicht gewesen wäre. Sondern der Bofrost-Mann.

Ich bin Miss Inkonsequenzia!

Eine Freundin hab ich, die joggt ständig. Ist mega-dünn und selbst DIE sagt noch: Jetzt bin ich nur noch eine Magen-Darm-Grippe von meinem Idealgewicht entfernt.

Alle anderen meiner Freundinnen sind eher so wie ich. Und es ist immer sofort Thema! Treffen wir uns zum Essen, lautet der Anfangsdialog immer gleich: »Boah, ich muss unbedingt abnehmen!«

Und dann sagt immer die andere: »Aber nicht heute!«

Natürlich habe ich auch die eine Freundin, die sagt: »Oh, heute besser nur einen Salat!« und mir dann den halben Nachtisch wegfuttert. Ich weiß, dass Männer solche Frauen hassen. Zu Recht. Nachtisch teilen müssen ist das sichere Ende fast jeder Beziehung.

Unsere Unperfektion ist unter meinen Freundinnen allerdings ein großes Thema und birgt unfassbares Humorpotenzial. Wir lachen immer drüber und beömmeln uns. Erst neulich hat mir die eine erzählt, dass das Fitnessstudio sie tatsächlich angerufen hat, warum sie so lange nicht da gewesen sei. Das ist doch der Knaller, oder? Normalerweise leben die doch von uns passiven Mitgliedern.

Wisst ihr was? 75 Prozent aller Männer in Deutschland sind übergewichtig! Trotzdem war kein Mann, mit dem ich es in meinem Leben zu tun hatte, bei dem Thema Abnehmen so wie wir Frauen.

Der erste Mann, den ich in Bezug auf Diäten beobachten durfte, war mein Vater. Er trank gerne mal Bier und Wein und aß nicht gerade wenig. Er hatte keine wirklichen Gewichtsprobleme, mal ein bisschen mehr oder weniger Bauch. Aber wie bei jedem anderen Mann auch war das Maximale, was er zu dem Thema sagte: Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. Das war alles. Kein Rumgeheule, kein Nachtisch teilen. Ganz im Gegenteil: Mein Vater konnte locker nach getaner Bauernhofarbeit eine ganze Ein-Liter-Packung Eis vertilgen, ohne mit der Wimper zu zucken. Das hat mich immer sehr beeindruckt.

Und schon damals dachte ich: Ach, wär ich doch nur ein Mann! Denn: Ein Mann hat nun mal einen viel höheren Energieumsatz! Doppelt so hoch! Hätte ich den, sähe ich aus wie Germany’s Next Topmodel! Ich aber sehe aus wie Germany’s Next Topmoppel! Oder was ist mit Zeitschriften? Machen Männer eigentlich Diäten, die nach Männerzeitschriften benannt sind? Die neue GQ-Diät? Oder Playboy leichte Küche? Never ever. Kein Bier mehr? Das hieße ja auch kein Fußballgucken. Keine Kumpels mehr. Nee, nee, das machen die nicht. Es sitzt doch kein Mann mit nem Grüntee vor ner Yoga-DVD. Andersherum wird eher ein Schuh draus: Erfolgreiche Männermagazine tragen das Essen sogar im Namen: Die heißen Beef. Oder Praline.

Wenn ein Mann abnimmt, dann doch eher den Spiegel, oder? Die Männer, die ich kenne, ließen, wenn sie meinten, sie müssten ein bisschen abspecken, dann einfach mal eine Woche den Alkohol weg, gingen drei Mal joggen und schon war wieder alles gut. Machte ICH Weight Watchers und ER aß nur das Abendessen des Diät-Tagesplans mit, nahm er schneller ab als ich, die den ganzen Tag Punkte zählte. Aus Spaß habe ich mal seine tägliche Punktzahl ausgerechnet. Die war doppelt so hoch wie meine. Wie ungerecht. Deswegen möchte ich ja im nächsten Leben Mann sein! Punkteparty!

Klar, geradlinig, rational und ohne großes Gerede stellen Männer fest: Es muss sich eben mehr bewegt werden. Schon sind die Joggingschuhe an und der Mann aus dem Haus.

Oder mein schwuler Freund Thore. Ich nenne ihn immer liebevoll Theraband-Thore, denn er macht ALLES mit dem Theraband. Ja, sogar die Zahnzwischenräume. Er ist fast sechzig, sieht aus wie vierzig, hat einen megastraffen, superdefinierten schlanken Körper. Sein Geheimnis: Er macht ständig Therabandübungen. Er hat sein Theraband immer dabei. Wirklich. Überall. Hat er Sex, ist es quasi ein Dreier. Wegen des Therabands um die Hüften.

Und er isst so wahnsinnig vernünftig, dass es schon fast unheimlich ist. Ich hab ihn gefragt: »Wie genau machst du das?« Da sagte er: »Mirja, das ist ganz einfach. Morgens viel Eiweiß.«

Ich musste direkt lachen: »Viel Eiweiß? Nee, ist klar …« Ich hab halt immer schnell Bilder im Kopf. Er fuhr fort: »Obst, Joghurt, sowas. Dann später mittags, wenn überhaupt Kohlenhydrate, dann nur sowas wie richtiges Vollkornbrot. Kein Weißmehl. Abends Gemüse, Salat, leichter Fisch. Mehr isses eigentlich nicht.«

»Ja, ist ja gut, ich hab’s verstanden.« Ich werde dann ja immer sehr schnell müde.

Trotzdem verfahren doch die meisten Männer getreu des Mottos: Willst du was ändern? Dann TU es. JETZT! Männer sind in diesen Dingen einfach viel unkomplizierter. Die MACHEN einfach. Gehen den geraden Weg. Und wenn es offenkundig ist, oder sie selbst nur meinen, sie wären zu dick, dann heulen sie nicht dauernd rum. Sie gehen mit sich und vor allem untereinander völlig anders damit um. Ich hab so oft miterlebt, dass Frauen sich so was nie direkt ins Gesicht sagen. Machen sie einfach nicht. Dafür lästern sie leider viel mehr.

Eine klassische Situation, die wahrscheinlich jede von uns schon mal mitbekommen hat. Treffen sich zwei Frauen, beispielsweise im Büro, sagt die eine zur anderen: »Oh hi, Süße, du siehst aber toll aus.«

Sobald die aus dem Raum ist, sagt sie zur dritten Frau:

»Oh, haste gesehen, die ist fett geworden!«

Tut mir leid, aber so eine Situation hab ich bei Männern noch nie mitbekommen. Die sehen sich, sagen: »Alter. Bist du fett geworden. Aber steht dir!«

Sie sind ehrlich, machen dann aber meist was Positives draus. Positive Verstärkung. Oder eben nen lustigen Spruch. Ich mag das. Ich finde das viel schöner.

Neulich habe ich im Quatsch Comedy Club in Berlin gespielt, war backstage nur mit männlichen Kollegen. Und da fragte mich einer von ihnen: »Sag mal, Mirja, bist du schwanger?«

Und dann hab ich kurz überlegt, wie ich reagiere. Und es einfach mal als Mann versucht. Ich hab gesagt:

»Ja. Ich bin schwanger. Ich werde es Krustenbraten nennen! Oh, es hat sich gerade bewegt. Das muss die Schwarte gewesen sein.«

Ich mag immer lieber nen dummen Spruch bringen, als mich selber klein zu machen. Seit dem Mohnkuchen beim Ballett ist das eben so!

Einer der Kollegen hatte wahnsinnig abgenommen und ich hab ihn natürlich gefragt, wie er das geschafft hat. Er sagte: »Du, ich hab einfach meine Ernährung umgestellt und ein bisschen mit Sport angefangen!«

Ich antwortete nur: »Hast du auch ein Theraband?«

Das ist für mich alles zu ungreifbar. Ein bisschen mit Sport anfangen? Wie geht das? Ich bin ja auch nicht ein bisschen schwanger. Und obwohl ich weiß, dass das, was er sagte, die Lösung ist, hätte ich es natürlich – dann doch auch typisch Frau – gern wesentlich komplizierter. Ich möchte mich an einem komplizierten Punktesystem, an einer ausgeklügelten Systematik abarbeiten. Damit ich merke, dass ich auch was tue! Dabei könnte es so einfach sein. Würde ich den direkten Mann-Weg wählen. Mich einfach ein bisschen gesünder ernähren und mehr bewegen. Und nicht Hunderte von Euro für irgendwelche Ernährungssysteme ausgeben.

Warum gelingt das Männern besser? Der Kollege hat da nie drüber geredet. Er hat auch nach der Show nie groß kommentiert, dass er halt gerade keinen Alkohol trinkt. Er hat es einfach nicht gemacht. Trinke ich als Frau keinen Alkohol, werde ich sofort gefragt, ob ich schwanger sei! Monatelang hat der Kollege Stück für Stück abgenommen, sah jetzt echt sehr gesund und froh und munter aus, aber hat eben kein großes Aufsehen darum gemacht. Ich bewundere das. Ehrlich. Es ist so schön einfach und direkt.

Ich dagegen habe mit meinen Freundinnen zeitweise ne WhatsApp-Gruppe zum Thema Abnehmen gehabt. Wir haben einander sogar Fotos von der Waage geschickt – oh, hoffentlich haben die die gelöscht, nicht, dass die mal gegen mich verwendet werden können: »Komm, Mirja, nun sag schon. Nur die ersten zwei Zahlen.«

Aber warum ist das so? Warum ist dieses ganze Diät-Thema so groß für uns Frauen? Warum fällt es uns (vermeintlich) schwerer abzunehmen? Anscheinend doch wieder, weil wir nicht gern den geraden Weg gehen. Einfach fällt uns einfach schwer. Brauchen wir es extra kompliziert? Zeitaufwendiges Kochen, Treffen, WhatsApp-Gruppen und mehr?

Ich meine, drehen wir es doch mal um: Können wir uns eine rein männlich besetzte Slim-Fast-Runde überhaupt vorstellen?

»Komm schon, Florian, so fies schmeckt der Drink doch gar nicht. Denk daran, wie Lena sich freuen wird, wenn du wieder in die Jeans passt, die sie dir zu Weihnachten geschenkt hat. Wir trinken das doch auch. Es wirkt bestimmt! Nur noch zwei Wochen! Komm, Süßer, du schaffst das!«

Oder sehen wir Jürgen vor uns, wie er sich unter Tränen vor Stefan und Martin in der Weight-Watchers-Gruppe selbst bezichtigt, es wieder mal mit den Punkten nicht geschafft zu haben? Sehen wir ihn vor Scham zittern, wenn er erzählt, dass er seit dem letzten Treffen enorm zu- statt abgenommen hat? Und das, obwohl er im Tanga-String auf die Waage gegangen ist? Nö. Eben. Wir sehen die Jungs da nicht. Denn die hätten zu recht gar keinen Bock auf so einen Quatsch, der einen nur niedermacht.

Muss es bei uns Mädels mit System sein, müssen wir so viel drüber reden, weil wir erst dann das Gefühl haben, wir MACHEN auch wirklich was? Suchen wir am Ende doch wieder nach Unterstützung und reden deshalb so viel darüber mit unseren Freundinnen, die es hören wollen und unseren Männern, die es nicht mehr hören können?

Warum nur fällt es uns Frauen so schwer, einfach zu vertrauen? Und zwar uns selbst. Das wär’s doch: mal nach innen zu hören. Nach innen zu fühlen. Was wir brauchen, was wir wollen und letztlich, wer wir sind. Und: wer wir sein wollen!

Auch bei diesem Thema ist für mich klar: Im nächsten Leben werd ich Mann. Ich will Krustenbraten. Ich will Nachtisch. Ohne schlechtes Gefühl. Und ohne schlechtes Gewissen. Und taucht das schlechte Gewissen auf, dann rülpse ich einfach ganz, ganz laut.

Oder ich ziehe mir die Joggingschuhe an und laufe los. Sind ja noch wie neu.

Geradlinig.

Dem Speck davon und dem positiven Körpergefühl entgegen. Schließlich wartet an der nächsten Ecke schon ne Bäckerei. Mit Mohnkuchen!

Mirjas Diättipps

•Mach keine Diät. Es bringt nichts. Und du weißt es. Denk an deinen besten Freund. Jo-Jo-Effekt.

•Die Leute, die dir Diät-Systeme verkaufen wollen, wollen vor allem eins: verkaufen.

•Die Diätindustrie verdient Geld an dir. Willst du das?

•Du bist okay. So, wie du bist.

•Wenn du schlanker wärst, wärst du genauso okay. Du wärst immer noch du. Nur halt schlanker.

•Spür in dich rein: Wie geht es dir? Fühlst du dich wohl, so, wie du bist? Super, dann iss, was dir schmeckt. Team Krustenbraten.

•Fühlst du dich unwohl? Dann beweg dich ein bisschen. Das geht. Einmal die Woche laufen. Oder spazieren. Oder schwimmen. Oder tanzen. Oder Yoga. Hauptsache, es macht dir Spaß. Das ist ganz einfach. Geht ohne System.

•Es muss nicht kompliziert sein. Denk an Thore. Obst, Joghurt, Vollkorn, Fisch. Theraband. Mehr isses nicht.

•Du bist okay.

•Deine rundliche Kollegin ist okay.

•Der Diätwahn ist es nicht.

Im nächsten Leben werd ich Mann!

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