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Reisen

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Seit es die Menschheit gibt, reist sie. Manche Leute fahren gerne weg. Manche bleiben lieber zu Hause.

Der eine braucht die Sicherheit des Pauschaltourismus, die andere liebt es, alles auf eigene Faust zu entdecken. Auch beim Reisen gibt es durchaus Unterschiede zwischen Mann und Frau. Reisen ist ja zuallererst mal ein Luxus. Wenn ich zum Beispiel an meine Großeltern denke: Die waren, soweit ich weiß, nie so richtig im Urlaub. Die hatten Landwirtschaft. Mit all den Kühen, Schafen, Schweinen, Hühnern und Katzen konnten sie ja nicht, wie ich ganz gern, mal eben so nach New York City fliegen. Allerdings hätten sie alles zur Verfügung gehabt, um auf dem Times Square die Arche Noah nachzustellen. Die Generation meiner Großeltern ist generell nicht viel gereist, wenn, dann nur im Geiste oder mithilfe des Fernsehers.

Damals hatte der Begriff ›Fern-sehen‹ wenigstens einen Sinn! Ich weiß noch, wenn etwas aus Hamburg im Fernsehen kam, wie meine Oma immer aufgeregt rief: »Oh, Hamburg, da würde ich auch mal so gerne hin!« Es ist ihr verwehrt geblieben. Für uns heute eigentlich unvorstellbar, dass man nicht mal eben in einen dreihundert Kilometer entfernten Ort fährt.

Omis Reisen fanden im Kopf statt, das Radio lief oder eben der Fernseher. Und die Verwandtschaft nur vierzig Kilometer entfernt zu besuchen, war für sie eine halbe Weltreise. Da wurde der Sonntagsbesuch schon einen Monat vorher geplant und die Wegzehrung sorgfältig eingetuppert.

Während die Oma ihr langes Leben fast immer zu Hause war, hat der Opa weit mehr gesehen von der Welt. Allerdings unfreiwillig. Denn er war im Zweiten Weltkrieg sieben Jahre lang in Russland in Gefangenschaft. In dieser Zeit hat meine Oma alles alleine gerockt, wie man heute so schön sagt. Sie war eine der starken Frauen dieser Generation.

In der Generation meiner Eltern, der der sogenannten Babyboomer, sah das mit dem Reisen schon anders aus. Kurz nach dem Krieg geboren, haben sie lang darauf gespart, und Urlaubsreisen waren wirklich etwas ganz Besonderes!

Und so habe ich natürlich die ersten Reisen mit meinen Eltern erlebt. Pauschaltourismus auf Mallorca, Gran Canaria, was man eben so machte in den Neunzigern. Natürlich auch mal an die heimische Ostsee. Unvergessen mein gewonnener Karaokewettbewerb in Cala Rajada auf Mallorca. Ich war 16 Jahre alt. Ein Erlebnis, über das wir uns heute noch kaputtlachen. Es war der bis dato letzte gemeinsame Urlaub, denn dann wurde ich ja erwachsen. Also zumindest auf dem Papier.

Doch es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Denn im vorigen Jahr habe ich was ganz Verrücktes gemacht. Ich bin als Erwachsene mit meinen Eltern in Urlaub gefahren! Ich kann euch nur raten: Macht das auch! Das sind Trips of a Lifetime. DAS vergisst man nie!

Letztes Jahr ist mein Papa beim Bäumeschneiden vom Apfelbaum gefallen. Das war nicht so gut. Er lag in der Rehaklinik, hatte viele Schrauben im Rücken und war (für einen Mann) extrem tapfer und ein ›guter‹ Kranker. Bei meinem Besuch habe ich viel gelernt. Vorher hatte ich glücklicherweise doch noch nie eine Reha-Klinik von innen gesehen. Sein Zimmernachbar hat mir erstmal erzählt, dass man heutzutage nicht mehr Kurschatten sagt. Heute sagt man RÜPP. Rehaüberbrückungspartner. Beide beschwerten sich übers schlechte Essen und freuten sich über meine mitgebrachte hineingeschmuggelte Ware. Ahle Wurscht aus Nordhessen!

Es ergab sich im Gespräch, dass ich meinen Vater das fragte, was ich sonst nur meine Zuschauer in meinem Programm frage:

»Papa! Was würdest du unbedingt gerne mal machen, wo würdest du gern noch mal hin?« Er überlegte lange. Und sagte dann:

»Nach Lopud! Aber da werde ich wohl nicht mehr hinkommen!«

Ha, dachte ich. Abwarten. Wenn ich etwas liebe, sind es große Herausforderungen. Je schwieriger, umso besser.

Im Jahr 1990 war ich 15 Jahre alt. Es war unser vorletzter gemeinsamer Urlaub gewesen. Wir fuhren nach Lopud. Auf diese kleine Insel nahe Dubrovnik im damaligen Jugoslawien. Es war ein toller Urlaub. Es gab nur zwei Hotels auf der Insel, sie war wenig touristisch erschlossen, vielleicht drei Restaurants, einige Bars und Cafés. Deutschland wurde Weltmeister und ich steckte mitten in der Pubertät. Glück und Leid waren also immer nah beieinander. Stets lag eine gewisse Spannung in der Luft: Würde Deutschland am Abend ein Tor schießen oder ich einen meiner berühmten Tobsuchtsanfälle bekommen?

Wir lernten nette Leute kennen, ich freundete mich mit einer englischen Teenager-Reisegruppe an und wir machten Bekanntschaft mit einer Familie aus dem Ruhrgebiet. Und da bemerkte ich zum ersten Mal die unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen von Urlaubserlebnissen bei Mann und Frau. Hatte ich doch mit meinen Eltern zwei gute Beobachtungsexemplare vor mir.

Wir unternahmen kleine Wanderungen auf die andere Seite der Insel, wo sich ein Traumstrand befand. Meine Mutter stöhnte laut über den langen Weg dorthin. Das war ihr eindeutig zu weit und zu sehr bergauf und bergab. Sie ist mehr so der Typ zum aus dem Hotel direkt in den Sand fallen.

Mein Vater wiederum nahm die Strecke gerne auf sich und schwärmte ob des kristallklaren Wassers.

»Da kannste unter Wasser Zeitung lesen!«

Das sagte er jeden Tag. Als würde er das jeden Tag neu entdecken. Was aber kein Anzeichen von verfrühtem Alzheimer war, sondern Ausdruck seiner großen Begeisterungsfähigkeit. Und auch seine männliche Sichtweise auf das Zurücklegen des weiten Weges. Das war wie ein nochmaliges Aussprechen des Lohns, den es für den weiten Weg gab. Ich fand das interessant. Es hatte sowas von think positive. Und auf dem Rückweg sagte er immer:

»Zurück geht es sowieso immer schneller. Und wenn ich mich jetzt bewege, ist das Bier schon fast verbrannt, das ich gleich trinke!«

Irgendwie genial, sich in der Sommerhitze so zu motivieren.

Nach dem Gespräch mit meinem Vater in der Reha fuhr ich nach Hause. Als allererstes schaute ich nach, ob es die Insel überhaupt noch gibt. Google sagte, sie sei noch da. Na, Gott sei Dank! Das Hotel von damals existierte noch, war aber mittlerweile ein Superluxuskasten, der nicht nur unbezahlbar war, sondern mir auch nicht gefiel. Ich recherchierte weiter, fand eine wunderbare Ferienwohnung, in der wir viel Platz haben würden, und die zudem noch den wunderbaren Namen »Villa Mirjana« trug. Wie passend! Meine kroatische Namensschwester! Ich buchte Flüge und entschied einfach für meine Eltern mit. Wir würden diese Reise machen, ob sie nun wollten oder nicht. Ich liebe das heimliche Vorbereiten von Überraschungen. Die Vorfreude darauf ist das Schönste!

Es verging noch ein halbes Jahr, bis ich dann an Weihnachten mit meinem Geschenk vorbeikam. Ich verpackte das Wort L O P U D in fünf einzelne Buchstabenpäckchen und ließ meine Eltern scrabbeln. Sie scrabbelten und scrabbelten und nach einer Stunde hatten sie das Ergebnis D U P L O. Ich musste so lachen!

Mein Vater fragte: »Fahren wir nach Ferrero? Besichtigen wir die wahrscheinlich längste Praline der Welt?«

Mutti ganz cool: »Aber die hast doch du?«

Ich liebe meine Eltern für ihren einzigartigen Humor. Schließlich kam meine Mutter doch noch drauf: »Fahren wir etwa nach Lopud?«

Beide weinten und lachten. Stundenlang. Es war eines der verheultesten Weihnachten, an das ich mich erinnern kann. Doch, meine Eltern freuten sich sehr. Allerdings war die erste Reaktion meiner Mutter auf den geplanten Urlaub: »Oh, dafür hab ich ja gar nichts anzuziehen!«

Während mein Vater gleich wieder sagte: »Da kann man unter Wasser Zeitung lesen!«

Während meine Mutter wahrscheinlich insgeheim hoffte, dass das ja alles noch gar nicht sooo fix sei, schmiedete Papa, ganz der Entdecker, schon die ersten Pläne. Als ich meiner Mutter eröffnete, dass bereits alles geplant und gebucht sei, wurde ihr schwindlig. Denn sie ist nicht so der spontane Typ. Und Fliegen ist schon mal gar nicht ihr Ding, ganz abgesehen von der Fahrt mit der Fähre, die wir ja auch noch würden absolvieren müssen. Auf jeden Fall Google-mapsten wir uns durch die Weihnachtsfeiertage und waren trotz Mamas kleiner Angstschübe voller Vorfreude.

Ein halbes Jahr später war es dann endlich so weit. Und bald schon wurde mir klar, welche Herausforderungen und Tücken es so mit sich bringt, wenn man als Erwachsene mit seinen Eltern in den Urlaub fährt.

Wir saßen bereits im Flieger und fuhren einige Zeit über das Rollfeld des Köln-Bonner-Flughafens, also eigentlich durch die Wahner Heide, um auf den Abflug zu warten. Meine Eltern waren enorm erstaunt, wie lange dieses Hin- und Herrollen dauerte. Hatten sie doch eher Flugerfahrung mit dem Flughafen Kassel-Calden. Gut, da fliegt auch nur eine Maschine am Tag, wenn’s hoch kommt.

Schon in der Abflughalle hatte meine Mutter gemoppert: »Also bei uns in Calden geht das alles viel schneller. Check-In, Gepäckkontrolle, Kaffee und Boarding macht ein und dieselbe Person.«

Mein Vater ergänzte: »Und die fliegt auch noch.«

Ich kommentierte: »Und ist mit uns verwandt.«

Als wir also da so hin und her rollten, rief mein Vater in der Kabine ganz trocken und ohne Gefühl für Raum und Lautstärke:

»Ich dachte, wir fliegen nach Dubrovnik?!«

Ich machte mir währenddessen viel mehr Sorgen um den Wasserkonsum meiner Mutter. Sie ist mit ihren 70 Jahren definitiv in dem Alter, in dem sie zu wenig trinkt. An der Frage: »Trinkst du auch genug?«, merkt man, dass sich die Rollen zwischen Kind und Eltern umgekehrt haben. Ich war also ganz im Besorgnis-Modus und fragte: »Mama, hast du auch genug Wasser getrunken?«

Meine Mutter erwiderte: »Das geht bei mir immer alles in die Beine!«

Mein Vater daraufhin: »Dann schütt’s doch woanders hin!« Als dann die Stewardess mit den kleinen Broten vorbeikam, brach ich vor Lachen endgültig zusammen. Mein Vater sagte: »Wir brauchen nur das Brot, ahle Wurscht haben wir selber.«

»Papa, wie hast du den die ahle Wurscht hier reingeschmuggelt?«

»Zusammen mit dem Messer!«

Am Flughafen in Dubrovnik angekommen hieß es warten. Und Warten. Und warten.

Warten auf den Bus zum Hafen.

Warten auf die Fähre zur Insel.

Warten auf das Golfcart-Taxi zur Ferienwohnung. Und während dieser Warterei war sehr schön zu beobachten, wie unterschiedliche Frauen und Männer mit so einer Situation umgehen.

Dass ich keinen Pauschalurlaub, sondern alles einzeln gebucht hatte, fanden meine Eltern beide recht ungewöhnlich. Ich plane das alles eben immer lieber selbst, auch wenn ich bei der Anreise vielleicht nicht an alle Eventualitäten gedacht hatte. Sagen wir mal so: Es war jetzt nicht ganz so gut organisiert und eng durchgetaktet wie beim Pauschaltourismus. Auf jeden Fall gab es ordentlich Anlass zu Kommentaren. Argh!

Doch während mein Vater sich darauf einließ, abwartete, und eher chillig war, machte meine Mutter sich permanent Sorgen: Ob der Bus überhaupt komme. Ob wir an der richtigen Haltestelle stünden. Ob der Bus ganz bestimmt zum Fähranleger führe. Ob die Fähre auch sicher sei. Meine Mutter war sehr angespannt. Sie kommentierte einfach ALLES! Es klang so, als hätte ich bei Netflix die Audiobeschreibung eingeschaltet.

Womit sie, wie ich finde, ein sehr typisches Frauenverhalten auf Reisen an den Tag legte. In der Ferienwohnung ging es munter weiter: Das Bett sei zu hart, das Zimmer zu hellhörig, gegenüber liefe ein Betonmischer, das Bad sei zu klein, der Fernseher hänge zu hoch, die falschen Programme seien programmiert, nebenan schleudere viel zu laut eine Waschmaschine, die Brötchen schmeckten aber nicht so gut wie zu Hause, es sei zu heiß, zu schwül, zu dies, zu das. Ich will gar nicht sagen, dass ich da anders bin. Keinesfalls! Ich erkannte mich in meiner Mutter wieder!

Meine These ist aber: Männern fallen all diese Dinge auch auf, und sie stören sich vielleicht auch daran. Die sind ja weder doof noch blind. Ich glaube aber, dass sie nicht alles aussprechen, weil sie wissen: NÜTZT JA NIX! Ob ich im Zug bin, am Bahnhof, am Flughafen, am Strand, im Restaurant oder im Hotel. Wann immer ich auf Reisen bin, sehe ich eher Frauen, die extrem angespannt ihre Männer ankacken als umgekehrt. Der häufigste Satz von Frauen ever ist: »Ich hatte mir das alles anders vorgestellt!«

Und das trifft des Pudels Kern. Warum stellen Frauen sich denn Dinge ANDERS vor? Warum haben sie so große Erwartungen? Im Wort ERWARTEN steckt übrigens ER und WARTEN. Das finde ich sehr amüsant!

Wartet ER also erstmal ab, anstatt gleich die große Panik zu schieben?

Vielleicht.

Ich habe mal eine Begebenheit auf dem Münchner Flughafen mitbekommen, die das gut illustriert. Da war eine Clique aus drei Frauen und drei Männern unterwegs. Ich nehme mal an, es waren befreundete Ehepaare. Diese drei Pärchen hatten einander auf dem Weg zum Gate alle irgendwie verloren. Man kennt das ja. Jeder hat unterschiedliche Interessen nach der Gepäckkontrolle: Duty Free, Parfum- und Make-Up-Wahnsinn, Buchladen, Raucherbox oder Pipibox. Da kann schon mal was durcheinandergehen. Jedenfalls fanden sich erst alle ganz kurz vor Schließung ihres Gates glücklich wieder. Aber das Wiedersehen hatte zwei sehr unterschiedliche Gesichter: Als die Frauen sich endlich wiedertrafen, stritten sie 15 Minuten lang – ich habe die Zeit gestoppt – sie diskutierten, wo denn nun wer warum war und wieso sie sich verloren hatten. Sie machten einander nichts als Vorwürfe. Lautstark diskutierten sie und keine von ihnen gab Ruhe: »Ich versteh es nicht. Ich versteh es nicht!«

Das sagte eine von den dreien die ganze Zeit.

Als die Männer sich wiedertrafen, fiel lediglich ein einziger Satz: »Ach, da biste ja!«

Mehr nicht. Nur das. Das Gegenüber nickte stumm. Es war nur dieser eine Satz! Ach, da biste ja!

Ich saß am Gate, schüttelte den Kopf und dachte: Ja. Leider haben die Männer recht. Sie freuen sich. Ist ja auch nix passiert. Sind ja jetzt alle rechtzeitig da. Mehr nicht. NÜTZT JA NIX!

Wenn ich auf die vergangenen Urlaube zurückschaue, habe ich mich oft auch wie die typische Frau verhalten. Trotz reflektiertem Denken. Gehandelt habe ich anders. Ist das vielleicht genetisch vorprogrammiert? Eine Begebenheit zeigt das besonders gut: Es war auf einer meiner ersten großen Wanderungen in den österreichischen Alpen. Der Herzensmensch meinte, ich sei nun so weit und würde das schon schaffen. Eine wirklich herausfordernde Wanderung! Ich erinnere mich daran, dass der Berg so abartig steil war, dass ich die ganze Zeit nur rumgeheult habe. Was den Aufstieg natürlich zusätzlich erschwert hat. Wir kamen fast gar nicht voran. Ich machte während des Aufstiegs ein Riesendrama. Aber selbst am Gipfel angekommen – weil ich so verschwitzt war, weil ich mich nicht erkälten wollte, weil es mir zu zugig war, ich also nicht dableiben, auch keine Aussicht genießen wollte, weil also alles für den Popo war – mussten wir schnell wieder runter. Mecker, mecker, mecker, der Abstieg geht auf die Knie. Mir tut alles weh. Ich sterbe.

Ich meine, mich zu erinnern, dass wir sogar kurzzeitig Schluss gemacht haben. Die Situation eskalierte so sehr, dass wir nach der Bergwanderung 24 Stunden lang kein Wort miteinander geredet haben. Absolute Funkstille.

Nach einem halben Jahr konnten wir wieder beide darüber lachen, und die Sache war so gut wie vergessen. Kam im Freundeskreis die Sprache auf diese Wanderung, schwärmte ich von der Landschaft, der Natur und der Aussicht. Auch wenn ich die gar nicht genossen hatte. Es gab ein schnell geschossenes Selfie mit Gipfelkreuz, das ich mir seitdem hundertmal angeschaut habe, um festzustellen, wo ich nun eigentlich gewesen war. Denn ich war ja blind gewesen vor lauter Meckerei. Es kam mir in der Retrospektive auch alles gar nicht mehr so schlimm vor.

Ungefähr ein Jahr später war es mittlerweile so, dass ich allen erzählte, wie toll die Wanderung gewesen sei. Nein, noch besser: JETZT erzählte ich allen, dass es ja eigentlich MEINE Idee gewesen sei, den Gipfel zu besteigen!

Die Gretchenfrage: War meine Wahrnehmung IM MOMENT des Geschehens völlig verzerrt durch das Drama, das ich gemacht habe? War es wirklich gar nicht soooo schlimm? Oder war es nur jetzt nicht mehr so schlimm, weil so viel Zeit vergangen war?

Die meisten Frauen, die ich kenne oder auf meinen unzähligen, ganz verschiedenen Reisen beobachtet habe, waren oft sehr angespannt, ängstlich. Es könnte ja etwas Unvorhergesehenes passieren. Etwas, das wir eben nicht erwarten. Dabei wäre es doch mal ganz schön, einfach die Klappe zu halten. Abzuwarten und Buchstaben zu sparen, für Wichtigeres. Das Coolbleiben, das Entspanntbleiben, das geht uns doch oft ab.

Ich kann deshalb jeder Frau nur empfehlen, mal allein in den Urlaub zu fahren. Das ist die größte Herausforderung überhaupt. Als ich das gemacht habe, musste ich mich nämlich selbst anschnauzen, wenn etwas meiner hohen Erwartung so gar nicht entsprach.

Macht das mal. Dann seid ihr nämlich quasi doppelt sauer. Das ist eine irre Erfahrung.

Reist man als Frau allein, hat man natürlich völlig andere Begegnungen, als wenn man zu zweit reist. Man ist automatisch offener und wird auch viel öfter angesprochen. Je nachdem, wo man ist, wird man allerdings meiner Erfahrung nach entweder herzlich willkommen geheißen oder beinahe schon gemobbt. In Städten oder Regionen, wo öfter Menschen allein reisen, kommt man sofort ins Gespräch, hat tolle Begegnungen. Ich habe so interessante Menschen getroffen, Smalltalks oder intensive Gespräche geführt, wurde eingeladen und mir wurde auch oft geholfen, wenn nötig. Die Schattenseite sind die Orte, an denen es nicht so oft Alleinreisende gibt. Wie zum Beispiel in Fünf-Sterne-All-Inclusive-Anlagen. Dort wird man gern mal schief angeguckt.

Vor allem von anderen FRAUEN!

Der Familienmutter-Blick ist von der Sorte mitleidig, traurig: »Warum muss die Arme denn alleine reisen?«

So ein bisschen wie: »Ach, herrje, der arme Pinguin. So ganz allein hier. Mitten in der Fußgängerzone von Wanne-Eickel«

Der It-Girl-Blick ist von der Sorte: »Was stimmt denn mit der irren Alten nicht? Warum hat die keinen Mann?«

Ähnlich, aber doch sind es verschiedene Blicke. Dass man vielleicht alleine reisen WILL, scheinen beide nicht einmal erahnen zu können. Bei dem It-Girl hatte ich allerdings Gelegenheit, sie aufzuklären. Wir lagen nebeneinander am Pool. Sie, mega operiert, Typ Barbie, er total reich. Seit es die Serie Sherlock Holmes gibt, habe ich gelernt, bei meinen Beobachtungen auf das noch so kleinste Detail zu achten, weil es Aufschluss über die Person geben kann. Sie trug drei orangefarbene Seile, die so etwas wie einen Bikini darstellen sollten. Wenn sie auf dem Rücken lag, sah man zwei Rettungsbojen. Er war ein reicher, junger, aber sehr hässlicher Russe mit einer Badehose, auf der vorne stand »Stand by« und hinten »Me«. Kein Witz. Sowas kann man sich nicht ausdenken. Ich musste die ganze Zeit schmunzeln. Sie machte ihm permanent Vorwürfe. Ich verstehe zwar kein Russisch, aber der Tonfall ist international derselbe. Und international verständlich. Ich nenne es Vorwurfisch.

Sie schien absolut nicht glücklich zu sein mit diesem Mann. Die ganze Zeit beobachtete sie mich, so nach dem Motto: Was macht die hier alleine?

Schließlich fasste ich mir ein Herz, weil sie wirklich so oft zu mir rüberguckte. Ich hasse ja nix mehr, als blankes Unwissen zurückzulassen. Ich sagte also ganz cool auf Englisch zu ihr: »Ja. Bei mir ist alles echt. Die Hupen, der Arsch. Der Muffinbauch. Die Falten. Und die Bezahlung. Denn weißte was? Ich hab das hier alles selbst bezahlt. Ganz allein. Von meinem Geld. Meinem eigenen, selbstverdienten Geld. Das geht, Baby. Das kannst du auch. Denn wir sind im Jahr 2019.«

Und dann bin ich gegangen. Ihren Gesichtsausdruck werde ich nie vergessen. Denn darin lagen Unverständnis, Respekt und gleichzeitig der dringende Wunsch, mit mir abhauen zu können. Ihre Augen hatten auch etwas Trauriges. Und nein, ich denke nicht, dass ich irre, und SIE in Wirklichkeit die Oligarchin war und IHM alles bezahlt hat. So sah das leider nicht aus, wenn ER die Drinks zahlte, die SIE permanent orderte, während sie ihn herumkommandierte. Es war das gängige Klischee.

Dass es so etwas überhaupt heute noch gibt, ist eigentlich schade. Aber es ist ja letztlich noch nicht so lange her, dass Frauen ihre Männer fragen mussten, ob sie überhaupt arbeiten gehen durften! Und man darf natürlich auch nicht vergessen, dass es weltweit unendlich viele Frauen gibt, die sich ganz bewusst für dieses Schicksal entscheiden! Warum sonst wird man Fußballer-Frau? Dabei hatten wir das doch alles in den Sechzigern schon mit der Zahnarztgattin! Ich dachte eigentlich, der Feminismus wäre überall angekommen?!

Ich musste noch oft an die Russin denken. Sie hätte sich retten können. Die Rettungsbojen dafür hätte sie immerhin schon gehabt.

Bei all den Begegnungen auf Reisen war die allerschönste die Begegnung mit mir selbst. Denn wenn man alleine reist, begegnet man vor allem sich selbst. Natürlich hat alles Vor- und Nachteile: Einen romantischen Sonnenuntergang genießt man wohl grundsätzlich gern lieber zu zweit.

Doch wenn man alleine ist, kann man gehen, wenn einem kalt wird. Allerdings ist dann auch keiner da, den man anmotzen könnte, dass einem jetzt kalt ist. Wie oft musste ich über mich selbst lachen, wenn ich Entscheidungen treffen musste, was »wir«, also ich und ich jetzt unternehmen und zu diesen Entscheidungen dann auch noch stehen musste! Das ist oft eine irre Herausforderung. Es macht Spaß und ich kann es nur jeder Frau empfehlen. Natürlich auch jedem Mann.

Ich glaube allerdings, dass mehr Frauen diese Erfahrung machen sollten. Denn der Mann ist ja ganz gern allein, Höhle und so, ne? Also wirklich, liebe Frauen: Wir können viel von den Männern lernen. Auch beim Thema Reisen.

Nicht der Mann allein muss der Entdecker sein. Auch eine Frau kann das. Ich kenne viele Frauen, die so gestrickt sind, dass sie eine Reise bis ins kleinste Detail per Excel-Tabelle, Powerpointpräsentation und iPad perfekt vorbereiten. Über Google Maps alles vorplanen und auschecken.

Findet die Entdeckerin in euch und stärkt sie! Lasst die Meckerin mal links liegen! Sei die Entdeckerin und scheiß auf die Meckerin! Ha, das klingt wie ein Mallorca-Hit: »Sei die Entdeckerin und scheiß auf die Meckerin!«

Wenn wir es schaffen, uns stärker auf das zu konzentrieren, was wir gerade erleben, spüren, sehen oder riechen, wenn wir es schaffen, mehr im Hier und Jetzt zu sein und weniger im Hätte, Wäre, Wenn, dann haben wir selbst ja am meisten davon. Vermutlich hat man ja auch viel weniger Zeit zum Meckern, wenn man sich aufs Entdecken konzentrieren muss!

Statistisch gesehen, ist es übrigens heute immer noch so, dass es die Frauen sind, die für das Reisen das Gepäck packen und die Männer die, die es verladen. Es ist wohl auch immer noch so, dass die Männer meist das Auto fahren, wenn es in den Urlaub geht. Und den dann folgenden Streit haben wir alle im Ohr, weil wir ihn alle, in welcher Rollenverteilung auch immer, schon selbst erlebt haben! Streit über die Route, das zu schnelle oder zu langsame Fahren, das zu nahe Auffahren des Vordermanns, et cetera pp. Und ER will auf keinen Fall andere Leute nach dem Weg fragen! DAS gehört sich nun wirklich nicht für einen Entdecker. Das kriegt er alleine hin.

Aber es gibt Hoffnung. Es gibt ein Licht am Ende des Gotthardtunnels.

Denn: Es gibt EINE große Gemeinsamkeit: An erster Stelle steht nämlich die Entspannung im Urlaub. Das gilt für Mann und Frau. DAS ist beiden gleichermaßen wichtig. Also: Lasst uns Entspannen. Ent-spannen. Locker bleiben. NÜTZT JA NIX!

Wäre doch mal was: Wir drehen die Statistik einfach um! Stellt euch vor: Stefan übernimmt das Kofferpacken. Da braucht man gleich einen Koffer weniger. Weil er nur das einpackt, was alle sowieso im Urlaub immer anziehen. Stefan lässt die »Was-wäre-wenn-Klamotten« einfach weg. Denn Schnee im Sommer ist eigentlich ja nicht zu erwarten. Und das zu enge Abendkleid, das Dagmar auch zu Hause nicht trägt, packt er erst gar nicht ein. Dagmar sitzt am Steuer und fährt. Auch das entspannt alle, weil Dagmar weniger dicht auffährt als Stefan und – man muss es sagen – ein gutes Einheitstempo hält. Stefan darf nicht meckern, wie sie fährt. Dagmar aber auch nicht, dass er nur ein kleines Make-up-Köfferchen für sie eingepackt hat. Vielleicht gelingt die Entspannung dann, wenn er merkt, wie schön so ein Nickerchen auf dem Beifahrersitz sein kann und wenn sie feststellt, am wohlsten fühlt sie sich eh in dem verwaschenen Shirt und der gemütlichen Shorts, die sie jetzt notgedrungen drei Wochen lang tragen wird.

Dann haben sie es geschafft. Beide! Ach, übrigens: Auf Platz zwei als Urlaubsideal steht statistisch bei Frauen Sightseeing und bei Männern Sex … Tja. Das lass ich einfach mal so stehen. Im wahrsten Sinne des Wortes!

Mirjas Reisetipps

•Erwartet erstmal nichts.

•Freut euch auf das, was ihr erleben werdet!

•Es wird anders sein als zu Hause.

•Entspannt euch. Unvorhergesehenes kann auf Reisen passieren. Deshalb seid ihr ja unterwegs.

•Lernt ein paar Wörter der Landessprache. So müsst ihr kein Vorwurfisch sprechen.

•Schaltet die Kommentarfunktion in eurem Kopf aus.

•Und macht die Augen auf.

•Das meiste klappt. Früher oder später. Es geht selten schneller, wenn man meckert.

•Fahrt ruhig mal alleine los!

•Und wenn zu zweit, tauscht die Rollen vor der Reise – und lasst euch überraschen!

Im nächsten Leben werd ich Mann!

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