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Die Arapaho
Die Hinonoeina
ОглавлениеIn einem Buch über alte Indianergeschichten, welches vom Smithsonian Institute herausgegeben wurde, gibt es eine Geschichte mit dem Titel „Der Sonnentanz der Arapaho – Die Zeremonie der Opferhütte – Die Geschichte vom Gelübde einer Frau“. Sie handelt von einem Arapahokrieger und seiner Frau, die beim Beerensammeln von Uteindianern angegriffen wurden. Es wird berichtet, dass es dem Mann gelang zu entkommen und merkwürdigerweise wird er danach nicht mehr erwähnt. Die Frau indessen, ihr Name war Sour Mouth, geriet in Gefangenschaft und wurde die zweite Frau eines der Utekrieger. Dies geschah offensichtlich sehr zum Verdruss der ersten Ehefrau, die die gefangene Arapahofrau misshandelte. Nach einer Weile bemerkte die Mutter der ersten Ehefrau die missliche Lage der Arapahofrau, hatte Mitleid mit ihr und beschloss, ihr zur Flucht zu verhelfen. Die alte Frau sorgte dafür, dass die Arapahofrau genug Nahrungsmittel und ein Pferd hatte, damit sie fliehen konnte. Bei einer günstigen Gelegenheit machte sich Sour Mouth also auf den Weg. Auf der Flucht wurde ihr bewusst, in welch gefährlicher Lage sie sich befand. Sie gelobte dem Schöpfer, dass ihr Bruder die Opferhütte beim nächsten Sonnentanz, dem alljährlichen Ritual der Erneuerung und der Danksagung vieler Plainsstämme, leiten würde, wenn es ihr gelingen sollte, zu ihrem Volk zurückzukehren. Diese Zeremonie zu leiten war nicht gerade eine Kleinigkeit. Der gesamte Stamm nahm daran teil und bevor die Zeremonie stattfinden konnte, musste ein Verantwortlicher gefunden werden, der sich als Organisator verpflichtete. Meist war dies mit großzügigen Geschenken verbunden und der Organisator spendete ebenfalls das Essen.
Kurz nach dem die Frau das Gelübde abgelegt hatte, traf sie auf ihrer Flucht einen Mann, den das Smithsonian Institute als Henry North, einen französischstämmigen Kanadier identifizierte. Nachdem sie ihm offensichtlich ihre Situation verständlich machen konnte, überzeugte er sie schließlich davon, dass es das Beste wäre, ihr Pferd freizulassen und bei ihm im Planwagen weiterzureisen. Vielleicht würden die Ute auf den Trick hereinfallen und glauben, dass sie noch auf dem Pferd säße und stattdessen das Tier weiterverfolgen. Was auch immer geschehen sein mag, es gelang Sour Mouth, zu ihren Leuten zurückzukehren und das Gelübde, welches sie dem Schöpfer gegeben hatte, wurde eingelöst.
Nach ihrer glücklichen Heimkehr wurde sie aus Dankbarkeit für die geglückte Flucht auf Vorschlag ihres Bruders hin die Ehefrau des französischen Kanadiers. An dieser Stelle sollte man sich fragen, was aus dem ersten Arapahoehemann der Frau geworden ist. Wie dem auch sei, es sind nur Kinder aus der Ehe zwischen dem französischen Kanadier und Sour Mouth hervorgegangen. Eines dieser Kinder war eine Tochter namens Mary Louise North, die mit Andrew Tasso auf traditionelle Weise verheiratet wurde. Sie war die Mutter meiner Großmutter, die 1892 geboren wurde.
Wenn man diese Geschichte mit einer anderen Version vergleicht, die von einer der Töchter und Enkelinnen von Henry North erzählt wird, tauchen ein paar Unstimmigkeiten auf. Stella North war eine Cousine ersten Grades meiner Großmutter. Sie war eines von 14 Kindern aus der Ehe von Henry North, dem Sohn des französischen Kanadiers und seiner Arapahofrau Sour Mouth. Stellas Tochter, Ida Mae Mehaffey, berichtet, dass ihr von der Mutter erzählt wurde, dass sein Name Robert North und nicht Henry North gewesen sei, wie man in der Geschichte vom Smithonian Institute angegeben hatte. So könnte Henry vielleicht sein zweiter Name gewesen sein oder aber auch sein erster und er hat einen von beiden bevorzugt.
Ein anderer Widerspruch betrifft die genaue Zahl der Kinder, die dem Paar geboren wurden. Das Smithonian Institute behauptet, es wären zwei Töchter, Marie Louise und Julia, und ein Sohn namens Henry gewesen. Stella sagt, es gäbe noch ein weiteres Kind, was in dem Bericht nicht erwähnt wurde. Sein Name war Theodore.
In den Büchern „The Sand Creek Massacre, a Documentary History, first published as a report of the Joint Committee on the conduct of war, Massacre of the Cheyenne Indians” und in Stan Hoigs Berichten über das „Sand Creek Massacre” wird jeweils ein gewisser Robert North erwähnt. Beide Veröffentlichungen berichten, dass er eine aktive Rolle bei der Vorbereitung des Massakers gespielt habe, weil der dem Militär Informationen über die Absichten der Cheyenne, Arapaho, Apachen, Kiowa, Comanchen und Lakota zukommen ließ.
Ein Zitat von Robert North besagt: „Nachdem ich einer von Ute gefangenen Arapaho bei der Flucht geholfen hatte, besaß ich das absolute Vertrauen der Indianer. Ich hatte schon als Junge mit ihnen Kontakt, und im Übrigen ist meine Frau eine Arapaho. Weil ich der Gefangenen geholfen hatte, veranstalteten die Indianer mir zu Ehren ‚einen großen Medizintanz’. Das war ungefähr 55 Meilen unterhalb von Ft. Lyon, am Arkansas River, an dem sich die führenden Männer und Häuptlinge der verschiedenen Präriestämme trafen. Die Stämme der Comanchen, Apachen, Kiowas, die nördliche Gruppe der Arapaho, sämtliche Cheyenne und die Sioux schworen einander, gegen die Weißen in den Krieg zu ziehen, sobald sie sich im Frühjahr mit Munition versorgt hätten. Ich hörte, wie sie oft über diese Angelegenheiten sprachen und die wenigen, die sich dagegen aussprachen, wurden gezwungen den Mund zu halten. Sie waren wirklich in Lebensgefahr. Ich sah, wie die wichtigsten Anführer sich die Hände reichten und gelobten, dass sie sich den Weißen gegenüber freundlich verhalten würden, bis sie sich genügend Munition und Gewehre verschafft hätten, um losschlagen zu können. Die Plünderungen, um sich diese Mittel zu verschaffen, haben bereits begonnen und es ist ihr Plan, den Krieg in den ersten Frühlingstagen zu beginnen und verschiedene kleinere Siedlungen zu überfallen.“
Wenn man die Aussage von Robert North mit der „Geschichte vom Gelübde einer Frau“ vergleicht, sind die Diskrepanzen mehr als offensichtlich. In der Tat rettete er eine Arapahofrau aus den Händen der Utes und brachte sie auch tatsächlich zu ihren Leuten zurück, aber er sagt nicht, dass er diese Frau geheiratet hat. Der ‚große Medizintanz’ war höchstwahrscheinlich der Sonnentanz mit der Opferhütte und somit die Erfüllung ihres Gelübdes, in dem sie gelobt hatte, dass ihr Bruder im Falle ihrer sicheren Heimkehr den Sonnentanz ausrichten würde. Es war mit höchster Wahrscheinlichkeit kein ‚großer Medizintanz’, den man extra für ihn abgehalten hatte, auch wenn es im Verlauf der Zeremonie vielleicht eine Geste der Dankbarkeit ihm zu Ehren gegeben haben könnte.
Stan Hoig führt in seinen Berichten ferner aus, dass Robert North im Jahre 1866 eine Gruppe feindlicher Arapaho in einem Massaker an achtzig Soldaten in der Nähe von Fort Phil Kearny angeführt haben soll. Er wurde zusammen mit seiner Arapahofrau vermutlich im Jahre 1869 von Gesetzlosen gehängt, als er sich auf dem Weg zu einem Lager der südlichen Arapaho befand.
Bezüglich der Behauptung von Stan Hoig, dass er und seine Frau gehängt worden seien, sagt Ida Mae Mehaffey aus, dass dies laut Berichten ihrer Mutter nicht der Fall gewesen wäre. Seine Frau starb tatsächlich irgendwann, aber wahrscheinlich an einer Grippe oder an einer Lungenentzündung. Es ist nicht sicher, an welchem Ort sie bestattet wurde. Robert North aber zog mit seinen vier Kindern nach Oklahoma und baute dort zwei Grassodenhäuser ungefähr eine halbe Meile westlich des heutigen Stammesbüros in Concho, wo er dann eine zeitlang mit seinen Kindern lebte. Es wird vermutet, dass er auf dem alten Indianerfriedhof in Concho, Oklahoma begraben liegt.
Andrew Tasso und Mary North/Tasso bauten für sich und ihre Familie ein Haus auf dem ihnen zugeteilten Land außerhalb von Kingfisher, Oklahoma. Dort lebten sie bis zu ihrer großen Reise in die Geisterwelt. Andrew starb am 17. Dezember 1927 nach siebenjährigem Leiden an Tuberkulose, welche sich durch eine Lungenentzündung verschlechterte.
Mary Louise North/Tasso starb am 7. August 1951 an einem Hitzschlag im Kingfisher Community Hospital. Ihr Alter wurde mit 96 angegeben. An einem der heißesten Tage des Jahres hatte sie versucht in die Stadt zu gehen, was ihr zum Verhängnis wurde. Sie wurden beide Seite an Seite auf dem Indianerfriedhof, ungefähr 15 Meilen von Calumet, Oklahoma beigesetzt, dort wo auch meine Großmutter begraben liegt.
Irgendwann lernte meine Großmutter Byron P. Adams, einen vollblütigen Hopi aus Palacca, Arizona kennen. Er arbeitete damals für das Büro für Indianische Angelegenheiten (BIA) in Darlington, Oklahoma. Sie waren nie verheiratet, aber offensichtlich dauerte ihre Beziehung lange genug, sodass meine Mutter daraus hervorging. Schließlich wurde Byron ein Baptistenprediger und hatte seine eigene Kirche auf dem Gipfel der ersten Mesa in Palacca, Arizona. Diese habe ich 1992 besucht. Ich hatte nie die Gelegenheit ihn persönlich zu treffen, aber ich konnte mir die Hütte auf der Mesa ansehen, in der er geboren wurde und das Haus, in dem er lebte, und den Ort, an dem er begraben liegt. Auch konnte ich in Erfahrung bringen, dass er irgendwann in seinem Leben auch mal Dirigent eines Orchesters war. Meine Hopiverwandten erzählten mir, dass er 107 Jahre alt wurde. Er wurde hinter dem Haus, in dem er lebte, am Fuße der Mesa begraben.
Meine Großmutter arbeitete als Krankenschwester im Indian Hospital von Winnebago, Nebraska. Am 28. September 1919 brachte sie meine Mutter in Walt Hill, Nebraska, zur Welt. Sie gab ihr den Familiennamen ihres Vaters (Andrew Tasso). Später, als Mama eigene Kinder hatte, wurde dieser Familienname auch an uns weitergegeben.
Großmutter hatte einen Bruder namens Elliot, der mit einer Hochunkfrau (Anmerk. des Übersetzers: Eigenname der Winnebago) verheiratet war und in Winnebago, Nebraska, lebte. Als Oma schwanger war, zog sie dorthin, wahrscheinlich um der damaligen Schande zu entgegen, ein uneheliches Kind in sich zu tragen. Aber das sind lediglich meine eigenen Spekulationen. Nach der Geburt meiner Mutter zog meine Großmutter wieder nach Oklahoma, wo meine Mutter dann aufwuchs.
Wir waren vier Kinder. Marie Louise war die älteste und wurde 1943 geboren. Dann folgte Rosie Marie im Jahre 1947, dann kam ich und der jüngste war Lonnie, der 1952 geboren wurde. Wenn Mama nicht da war, passte die Oma auf uns auf, wenn wir nicht gerade bei einer unserer Tanten zu Besuch, oder in der Boarding School (Internat) waren. Die Erinnerungen an meine Großmutter sind insofern etwas Besonderes, weil sie, obwohl sie gezwungen war, sich der weißen Welt anzupassen, dennoch viele der alten Wege beibehalten hatte und auch praktizierte. Sie sprach noch fließend Cheyenne, aber bis auf einige Worte hat sie uns Kindern diese Sprache niemals beigebracht und ich glaube, Mama hatte zu viele Beeinträchtigungen, als dass sie die Sprache an uns hätte weitergeben können.
Großmutter stellte die Mokassins noch auf die alte Weise her und benutzte eine Ahle um Löcher in die Rohhautsohlen der Mokassins zu bohren und verwendete richtige Sehnen zum Nähen. Sie benutzte auch echte Sehnen um die Perlenmuster daraufzusticken. Sie war überall bekannt dafür, dass sie Mokassins noch auf die alte traditionelle Weise herstellte und ich war oft dabei, als die Leute zu ihr kamen, um ihre Fußabdrücke zeichnen und ihre Füße messen zu lassen für ein paar individuell gestaltete Mokassins.
Bereits in den frühen Morgenstunden saß sie da und arbeitete an ihren Mokassins und ich erinnere mich noch, wie sie auf ihrem Bett saß mit einer selbstgedrehten Bull Durham Zigarette seitlich im Mund, welche sie ständig wieder anzünden musste und vor sich hin stickte. Später wechselte sie dann die Marke und rauchte Filterzigaretten.
Ich glaube, sie war es leid, dass diese selbstgedrehten Dinger ständig ausgingen. Als ich erwachsen war, bemerkte ich eines Tages, dass sie mit dem Rauchen ganz aufgehört hatte.
Großmutter konnte wahrhaftig gute Geschichten erzählen. Immer wenn ich zu Bett ging, hörte ich ihren Geschichten zu oder unterhielt mich mit ihr. Manchmal schlief ich ein, aber sie erzählte trotzdem weiter. Ich wachte dann zwischendurch wieder auf, hörte, wie sie mich fragte, ob ich noch wach sei, und nachdem ich ihr geantwortet hatte, schlief ich doch wieder ein.
Sie erzählte uns immer von der Zeit, wie sie als kleines Mädchen aufwuchs und mit ihren Eltern in einem Planwagen, der von ein paar Pferden gezogen wurde, überall herumfuhr. Sie erzählte uns richtige Gespenstergeschichten und von Dingen, die sich im Indianerland zugetragen hatten. Einmal erzählte sie uns, wie ihr Vater einen Mann aufgelesen hatte, der ganz in perlenbesticktes Wildleder gekleidet war. Er bot ihm an, ihn mitzunehmen, egal wohin er wolle. Sie sagte, ihr Vater hätte dem Mann die Hand geschüttelt und sich mit ihm den ganzen Weg lang unterhalten, bis er aussteigen musste. Als sie weiterfuhren und sich noch einmal umdrehten war niemand mehr da. Großmutter berichtete, ihr Vater war wirklich erschrocken, als er zu Hause von dem Erlebnis erzählte.
Ein anderes Mal erzählte sie, dass sie alle eine kranke Frau besuchen wollten, die eine Freundin ihrer Mutter war. Als sie dort ankamen, wurde ihnen von jemandem, der gerade vorbeikam, um nach dem Haus zu sehen, berichtet, dass die Frau bereits vor einem Monat gestorben sei. Es wurde schon spät und so kehrten sie um, um noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause zu sein. Als sie schon ein kleines Stück gefahren waren, hörte sie plötzlich jemanden rufen, dass sie zurückkommen sollten. Großmutters Vater hielt den Wagen an und alle schauten zurück und sahen die Frau in der Dämmerung stehen, die ihnen zuwinkte. Natürlich kehrten sie nicht um, doch das Ungewöhnliche an dieser Geschichte ist, dass sie alle, und nicht nur einer, die Frau gesehen und gehört hatten. Das ist etwas ganz anderes, als die üblichen Gespenstergeschichten, die man sonst so zu hören bekommt.
Meine Großmutter starb im Januar 1981 im Alter von 88 Jahren an einer der zahlreichen Grippeepidemien, die über das Land hereinbrachen. Ich vermute, dass sie auch Krebs hatte. Ich erinnere mich, wie ich bis zur Taille in ihrem Grab stand, denn ich war einer von denen, die mithalfen, die Grube auszuheben. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn jemand, den man schon seit seiner Kindheit bis hin zum Erwachsenenalter kannte, plötzlich stirbt und einem bewusst wird, dass man ihn nie wieder sehen wird oder mit ihm sprechen kann.
Wenn man dann noch zu denjenigen gehört, die die letzte Ruhestätte vorzubereiten haben, ist das schon unheimlich, aber es hat auch etwas Heilendes. Ich kann mir vorstellen, dass die meisten Leute nicht in der Lage wären, das zu tun, aber für mich gab es kein Zögern. Unsere Großmütter sind wichtige Menschen, besonders wenn es sich um alte indianische Großmütter handelt, mit all ihrem wunderschönen Wissen aus den alten Tagen. Jeder Mensch braucht so eine Großmutter, und ich hatte eine gute.
Großmutter hatte eine ältere Schwester namens Bessie, die im Jahre 1889 geboren wurde. Bessie heiratete einen Mann namens John Crotzer. Er war 1/8 Wyondotte und 7/8 Weißer. Das Paar hatte vier Kinder, die gemäß der indianischen Tradition meine Tanten und Onkel waren. Als ich heranwuchs waren sie immer gut zu mir. Bessie war erst 41 Jahre alt, als sie schwer krank wurde. Sie starb am 24. September 1930. Am 15. Januar 1935 heirateten John und meine Großmutter und zogen kurze Zeit später nach Wyandotte, Oklahoma, zu dem Ort woher er stammte. Für uns Kinder war der Umzug nach Wyondotte eine kulturelle Katastrophe, weil es uns aus unserem traditionellen Stammesgebiet herausriss. Die beiden hatten keine weiteren Kinder. Als sie heirateten brachte Großmutter bereits unsere Mutter mit in die Ehe und nach indianischer Tradition fühlte sie sich verpflichtet, sich um die Kinder ihrer Schwestern zu kümmern. Obwohl John Crotzer nicht unser biologischer Großvater war, haben wir ihn nur so gekannt und nennen ihn heute noch so, auch wenn er schon vor 50 Jahren verstorben ist. Sie sind inzwischen alle von uns gegangen.
Unsere Mutter hatte kein leichtes Leben. Ich weiß nur nicht, ob sie sich dessen bewusst ist, oder nicht. Sie hatte einen gravierenden Sprachfehler und eine stark eingeschränkte Hörfähigkeit, die sich mit den Jahren immer weiter verschlechterte. Sie hatte auch Körperbehinderungen, die durch eine mysteriöse Krankheit ausgelöst wurden. Sie hatte sich das bereits als kleines Mädchen zugezogen und ist damit aufgewachsen. Und als ob dies alles noch nicht genug wäre, wurden bei ihr, noch bevor ich geboren wurde, psychische Probleme diagnostiziert, auf Grund derer sie einmal sogar klinisch behandelt werden musste. Vielleicht waren es die Auswirkungen dieser Krankheit, ich weiß es nicht. Trotz alledem brachte sie vier normale und gesunde Kinder zur Welt. Wir hatten alle einen anderen Vater, was uns zu Halbgeschwistern machte, aber weil keiner von uns seinen Vater kannte und wir auch gemeinsam ohne Vater aufwuchsen, fühlten wir uns als richtige Brüder und Schwestern. Obwohl ich all die Fakten kenne, fühle ich noch heute so und liebe meine Geschwister sehr, auch wenn mein Bruder Lonnie seit über 30 Jahren tot ist.
Unsere Mutter starb am 11. Dezember 2010 um 12.10 Uhr in ihrem Haus in Miami, Oklahoma an Tuberkulose. Die Ärzte stellten fest, dass ihr Schluckmechanismus nicht mehr richtig funktionierte und immer, wenn sie schluckte, Teile der Nahrung und Flüssigkeit in die Lunge gerieten. Dadurch gelangten Bakterien in die Lunge, die zur Lungenentzündung führten. Sie sagten einfach, dass es sich bei diesem Teil ihrer physischen Anatomie um altersbedingte Verschleißerscheinungen handelte.
Meine Schwestern und ich entschieden damals, sie aus dem Krankenhaus zu holen und nach Hause zu bringen. Rosie und ich, meine Töchter Iktomi Waste Winyan, Inyan Cannunpa Winyan, Tasunke Ota Winyan und Cante Hopi Winyan waren bei ihr, als sie sich auf die Reise in die Geisterwelt begab. Mein Sohn Oitanca Mani schaffte es, zu ihrer Beerdigung von Süd-Dakota zu uns herunterzukommen. Den ganzen Weg von seinem Haus in der Yankton Sioux Reservation musste er sich durch einen tobenden Blizzard (für diese Zeit typischen Schneesturm) hindurchkämpfen. Meine Mutter war die letzte ihrer Generation, und als sie starb, starb auch das Ende einer Epoche. Es war ein sehr schwieriges und trauriges Erlebnis für uns alle. Jeder, der jemals am Sterbebett eines geliebten Menschen gesessen hat, würde das so empfinden. Bevor die Herren vom Bestattungsintitut sie abholten, füllte ich die Heilige Pfeife und betete für ihren Geist. Ich hatte gehört, dass man es nicht für selbstverständlich halten sollte, dass die Geister unserer Lieben dorthin gehen, wohin sie gehören, nur weil sie „hinübergegangen“ sind. So nahm ich die Verantwortung in meine Hände und sorgte dafür, dass sie „nach Hause“ gehen konnte. Wir bestatteten sie am 15. Dezember neben ihrer Mutter auf dem Indianerfriedhof, fünfzehn Meilen von Calumet in Oklahoma. Sie wurde 91 Jahre alt.
Ich hatte eigentlich immer gewusst, dass meine Mutter das sein würde, wenn ich wieder nach Hause kam. Egal wo auch immer ich mich gerade in der Welt befand, sie würde da sein oder zumindest irgendwo in der Stadt. Ich wusste stets, dass es nie lange dauern würde, bis sie heimkehrte. Doch das wird jetzt nie wieder der Fall sein. Nach Hause gehen wird nie wieder dasselbe sein, nachdem Mama gegangen ist. Das Geschenk des Lebens ist wahrhaftig ein Segen und der Tod ist definitiv ein seltsamer Zeitgenosse.