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I.

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Als Piero zum ersten Mal von einem verschollenen Wissenschaftler mit Namen John Marr hörte, ging er noch zur Schule und verträumte gerade eine Physikstunde in einer der hinteren Bankreihen. Für einige Minuten gelang es dem Lehrer die Aufmerksamkeit des Jungen zu fesseln, die zuvor nur dem Stift gegolten hatte, mit dem er am Rand des vor ihm aufgeschlagen liegenden Heftes winzige Landschaften zeichnete, in denen sich seine Phantasie aber wie in endlosen Weiten bewegte. Das Gesicht des Physiklehrers, eines in Pieros Erinnerung bedrückten, freudlosen Menschen, war für Augenblicke von Begeisterung erhellt, als er über Heisenberg und dessen Begriff der Unschärferelation sprach. Er erzählte, dass es Vermutungen gebe, ein gewisser John Marr habe die von Heisenberg und so vielen anderen Physikern gesuchte so genannte Weltformel, eine Verbindung der großen, bisher unvereinbaren Theorien der modernen Physik, schon vor langer Zeit entdeckt. Marr, in Deutschland geboren, sei 1946 als Siebzehnjähriger (etwa in meinem Alter, dachte Piero) nach England und dann später in die USA gekommen, wo aus Johannes Maar John Marr geworden sei. Das von ihm gefundene einheitliche Modell der Natur habe Marr 1966 in einem Vortrag an der New Yorker Columbia Universität veröffentlichen wollen, doch kurz vor dem Termin sei er verschwunden und bis heute unauffindbar geblieben, obgleich es Beweise gebe, dass er noch lebe. Einige seiner damaligen Studenten beschworen später, dass Marr ihnen die Formel und ihre Herleitung erläutert habe. Sie hätten sich aber keine Notizen dabei machen dürfen und könnten sich daher nur noch bruchstückhaft erinnern. Sie zweifelten jedoch nicht daran, dass Marr eine herausragende Entdeckung gelungen war, möglicherweise sogar ein Vorstoß in eine Region vollkommener Klarheit. Nach diesem Exkurs fiel der Lehrer, der im Jahr darauf an einer zu spät entdeckten Krankheit starb, wieder in seinen gewohnten Trott zurück und Pieros Augen schweiften von ihm ab hinaus, wo die Dächer der Stadt in der Mittagssonne glänzten, während in gleichmäßigen Wellen eine matte Stimme, die kaum mehr jemand beachtete, über den trägen Köpfen der Schüler rollte.

Er begegnete Marie in einem Waschsalon in der Rue de la Santé. Dort verbrachte er manchmal die Abende und las in den Werken irgendeines antiken Philosophen, während die Maschine mit seiner Wäsche lief. Die Geräusche der Maschinen, das meist grelle Licht und die gleichmütige Geschäftigkeit beruhigten ihn. An diesem Frühsommerabend aber war Piero der einzige Kunde. Die Bedienstete des Salons, eine alte dunkelhäutige Frau, war an ihrem Pult neben der Kasse eingenickt. Eine Zeitschrift hing ihr lose in den Händen. Die Beleuchtung war, trotz der fortgeschrittenen Dämmerung, noch nicht eingeschaltet; statt der üblichen Lichtgrelle, strahlten nur die Lämpchen an den Armaturen der Waschanlagen; in dem Halbdunkel - von der Straße drang noch das Licht des nachglühenden Himmels herein - wirkten sie wie die Signale eines nächtlichen Flughafens. Nahe des Boulevard de Port–Royal war die Rue de la Santé nur auf einer Seite von einer Folge recht kleiner Häuser gesäumt. Gegenüber verlief eine mehr als zwei Meter hohe Mauer, die das dahinter liegende unbebaute Gelände zwar verbarg, aber sehr viel Aussicht auf den Himmel und die schier ewigen, stillen Veränderungen der Wolken ließ. Die offenbar brach liegende Fläche jenseits der Mauer erweckte den Eindruck eines noch für alles offenen, ungenutzten Raums, wie es ihn im Inneren der Stadt selten gab, doch vermutlich gehörte das Areal zu dem in einiger Distanz sichtbaren modernen Krankenhaus, und vielleicht würden dort schon bald weitere Gebäude entstehen. In der Nachbarschaft des Waschsalons befanden sich ein Bistro, mit dessen Wirt Piero gut bekannt war, ein Blumenladen, eine Wohnungsagentur, ein Lebensmittelgeschäft und ein Frisör, ein kleines Ensemble des Notwendigen also, wie es in Paris fast in jeder Straße anzutreffen ist, nur dass es in der hellen und zu allen Stunden ruhigen Rue de la Santé kaum möglich scheinen mochte, eine ausreichende Kundschaft zu finden. Piero saß oft vor dem Bistro an einem der drei Holz–Klapptische, die zu jeder Jahreszeit an der Hauswand lehnten und bei Bedarf auf dem schmalen Bürgersteig aufgestellt werden konnten. Die Fassade des Lokals zeigte nach Westen und war dank der fehlenden Bebauung der anderen Straßenseite dem freien Einfall des Sonnenlichts ausgesetzt, so dass man auch an schönen Wintertagen draußen sitzen konnte. Im Übrigen lagen an der Rue de la Santé ausschließlich Klinikgebäude, darunter auch ein Schwesternheim des Augustinerordens. Als Marie eintrat, sah Piero zuerst nur flüchtig von seinem Buch auf, um den Blick sogleich nochmals zu heben. Sie war von zierlicher, schlanker Statur und bewegte sich ein wenig wie ein Junge, und zwar wie ein Junge, der seine Unsicherheit hinter aufgesetzten Gesten der Stärke verbergen will, doch Piero entging auch nicht die wachsame, stolze Verlorenheit des kleinen Mädchens, das zum ersten Mal allein mit dem Zug verreist. Sie mochte kaum zwanzig Jahre alt sein. Sie trug Turnschuhe, weite Baumwoll-Hosen und darüber ein hellblaues Herrenhemd, ihr blondes Haar war kurz geschoren. Über ihren Schultern hing ein Wanderrucksack. Sie trat an das Pult und beugte sich über die schlafende Frau, "Excusez Madame!", sie wiederholte etwas lauter "Excusez Madame!" Hilfesuchend blickte sie hinüber zu Piero: "Kann ich vielleicht trotzdem meine Wäsche schon einlegen." Piero hielt sie dem Akzent nach für eine Amerikanerin. Er sagte: "Nein, Du musst bei Ihr eine Marke kaufen. - "Na gut, ich habe es nicht eilig. Sie wird wohl bald aufwachen." Sie setzte sich zu ihm an den roten Plastiktisch und zog aus einer Einkaufstüte eine Wassermelone hervor, die sie mit einem Taschenmesser anschnitt. Sie sagte, die Melone werde ihr jetzt gut tun, denn sie habe soeben allein zu Abend gegessen und dabei eine ganze Flasche Wein getrunken. Das kurze Haar stand ihr wundervoll, denn es lenkte den Blick auf ihren schönen, beflaumten Nacken und die zierlichen Ohren. Wie selbstverständlich, als seien sie längst miteinander vertraut, reichte sie ihm eine Scheibe Melone über den Tisch. Er dankte ihr und biss vorsichtig hinein. Sie schnitt eine weitere Scheibe ab und schaute ihn, an dem Fruchtfleisch nagend, über den Rand des grünen Halbmonds hinweg an. Mit vollem Mund zog sie eine kindliche Grimasse. Als er verlegen einige Kerne aus dem Mund in seine hohle Hand träufeln ließ, reichte sie ihm ein Papiertaschentuch. Während sie weiter aßen, erfuhr er, dass sie aus New York stammte und seit einigen Wochen in Europa umherreiste, um etwas über ihren Vater herauszufinden, der seit bald fünfunddreißig Jahren als verschollen galt. Der einzige Hinweis dafür, dass er noch leben könnte, seien sporadische Veröffentlichungen von wissenschaftlichen Aufsätzen in vorwiegend schweizerischen und britischen Fachzeitschriften, für die manche ihn als Urheber annähmen. Und außerdem sei sie selbst der Beweis, dass er zumindest vor gut zwanzig Jahren noch gelebt habe. Als sie den Namen ihres Vaters nannte, sagte Piero dieser zunächst nichts; erst am nächsten Morgen, als er gerade zu Hause eine Leinwand aufspannte, fiel ihm ein, dass im Schulunterricht irgendwann von einem John Marr die Rede gewesen war. Er setzte sich, starrte auf die weiße, sonnenbeschienene Leinwand, schüttelte den Kopf und wunderte sich doch ein wenig, eine solch prominente Bekanntschaft gemacht zu haben. Marie war erst seit vier Tagen in Paris und wohnte bisher in einem Studentenwohnheim am Boulevard Arago, hatte dort aber nur noch für kurze Zeit ein Zimmer. Piero schlug ihr vor, bei einer Freundin von ihm unterzukommen. Es sei eine Wohngemeinschaft, die gerade noch eine Mitbewohnerin suche. Das Mädchen willigte sogleich ein. Unterdessen war noch etwa ein Drittel der Melone übrig geblieben. Sie bot ihm eine weitere Scheibe an. Als er ablehnte, schob sie schmollend die Unterlippe vor, und einen Augenblick später rückte sie mit ihrem Stuhl um den Tisch herum neben ihn. Dann schnitt sie kleine Melonenstückchen zurecht, entkernte sie, hielt sie ihm zwischen zwei Fingern entgegen und redete ihm wie einem unwilligen Kind liebevoll zu. Als er in ihrer Stimme eine Verheißung wahrzunehmen glaubte, stand er abrupt auf und kramte seine längst fertige Wäsche aus der Maschine. Er packte rasch alles in eine Tasche, gab Marie noch die Adresse von Carla, seiner Freundin, die er telefonisch von allem unterrichten werde, und verließ überstürzt den Waschsalon. Im flüchtigen Umdrehen nach ihr, sah er noch, wie sie sich achselzuckend ein Melonenstückchen in den Mund schob. Die Schwarze an der Kasse war inzwischen aufgewacht und sandte Piero ein müdes, wissendes Lächeln nach. Kaum auf der Straße nannte er sich einen Idioten, doch er kehrte nicht um, sondern lief hastig weiter, warf dann und wann den Kopf in den Nacken und schaute nach den ersten Sternen. Er lief die Rue de la Santé hinab und hatte für eine Weile die halb eingerüstete, sandhelle Kuppel von Val de Grace vor Augen, die in der violettblauen Abendluft leuchtete. Er überquerte den Boulevard de Port–Royal und bog in die schmale Rue Saint Jacques ein, der er bis zum Platz vor dem Pantheon folgte. Fast atemlos betrat er schließlich ein Kino, und während auf der Leinwand ein junger und ein alter Mann über Jahre hin nach einem von Indianern entführten Mädchen suchten, bereute er seine Flucht und empfand doch in der Selbstverachtung zugleich eine lang entbehrte Gewissheit. Im Waschsalon wunderte sich unterdessen Marie über die Tollkühnheit, mit der sie sich Piero genähert hatte, und sie vermutete, dass es neben der Not des Alleinseins vor allem der Wein gewesen war, der sie zu diesem forschen Auftritt getrieben hatte. Piero war ihr bereits wieder gleichgültig, doch als sie gemeinsam die Melone gegessen hatten, war sie von einer spontanen Zuneigung bewegt worden, wie es ihr lange nicht bei einem Jungen widerfahren war. Es sollte nicht noch einmal geschehen, beschloss sie, und sie umgab sich wieder mit dem Schild aus Indifferenz und Traurigkeit, hinter dem sie schon all die vergangenen Wochen des Reisens Schutz gesucht hatte.

Marie zog zwei Tage später bei Carla ein; an Gepäck brachte sie nichts weiter mit, als eine etwas größere Ausgabe des Rucksacks, den sie im Waschsalon dabei gehabt hatte.

Eine Woche verging und Piero hatte über der drängenden Arbeit an zwei Gemälden für eine kleine Galerie im Marais die Begegnung und den in seinen Augen beschämenden Abgang fast vergessen, da rief Marie ihn noch sehr früh am Morgen an und bat ihn in hastigen Worten um ein Treffen innerhalb der nächsten Stunde. Weil er ohnehin dort fotografieren wollte, schlug er ihr die Grande Arche vor, jenen neuen, gewaltigen Triumphbogen im Westen von Paris.

Etwas später saß er schon auf den sonnenhellen Stufen der Freitreppe und beobachtete den weiten Platz von La Defense, der sich vor ihm öffnete wie eine Hochebene zwischen künstlichen Hügeln und Felstürmen, in deren Mitte sich ein leeres Kinderkarussell drehte. Plötzlich sah er auch Marie, die bereits am Fuß der Treppe stand und mit suchenden Augen die zahlreichen Lagernden streifte, bis sich ihre und Pieros Blicke endlich trafen. Das monumentale Bauwerk glich aus ihrer Perspektive der tiefen Laibung eines Fensters zum Himmel. Es war ein revidierter Turm zu Babel, der der Kommunikation der Nationen und der Humanität geweiht war. In der Antike hätte man diesen offenen Kubus wohl zu den Weltwundern gezählt. Piero erinnerte er wegen seiner zwar vollkommen anderen, aber ebenso klaren und schlichten geometrischen Form an die ägyptischen Pyramiden, so als habe sich hier ein moderner Pharao ein Denkmal setzen wollen. Marie war zu Piero hinauf gestiegen. Sie setzte sich lächelnd, aber grußlos neben ihn und nahm ihren Rucksack ab. "Hallo du Wanderin zwischen den Welten", sagte er, wobei seine Stimme nicht den lockeren Klang annahm, den er ihr geben wollte. Er versuchte ihrem Verhalten abzulesen, was sie denn nach seinem fluchtartigen Aufbruch im Waschsalon nun von ihm denken mochte. Sie schwieg zunächst und ihre Augen strichen unruhig über den Platz. Nach einer Weile lehnte sie sich gegen Pieros Schulter: "Siehst du den Mann dort am Karussell?" - Piero erkannte eine einsame Gestalt, die auf der Plattform des Karussells hockte und offenbar zu ihnen hinauf schaute. Er war einen Augenblick versucht, ihr sofort zuzuwinken. Marie schien seine übermütige Laune zu bemerken, denn sie legte eine Hand auf seinen Unterarm. - "Was ist mit ihm", fragte Piero, "ein schüchterner Verehrer?" - "Schüchtern nicht gerade", sagte Marie, "es ist ein Detektiv und er folgt mir vielleicht schon seit Wochen. Meine Mutter hat ihn engagiert. Vor einigen Tagen hat er sich mir vorgestellt. Meine Leibgarde. Ich habe ihm gesagt, dass er sich zurück nach New York scheren solle. Aber er ist nicht der Typ, der sich leicht abweisen lässt. Ich war heute Morgen in der Nationalbibliothek. Er saß zwei Tische hinter mir, über ein Buch gebeugt, aber ich spürte, dass er nicht las, sondern mich beobachtete. Drehte ich mich um nach ihm, so lächelte er mir freundlich zu. Nach einer Weile verließ er den Lesesaal. Ich atmete schon auf. Doch später, als ich mir in der Nähe der Oper ein Sandwich holte, sah ich ihn an der Ecke gegenüber aus einem Café kommen. Er blieb kurz stehen und wandte mir für einen Augenblick sein Gesicht zu, dann verschwand er rasch in einer Metrostation. Ich lief in ein Kaufhaus, wo ich mit der Rolltreppe ins oberste Stockwerk fuhr und gleich darauf mit dem Aufzug wieder hinab. Dann nahm ich die Metro, schaute mich unruhig im Abteil um, aber er war nicht unter den Fahrgästen. Doch als ich ausstieg, trat auch er zwei Wagen weiter aus der Bahn. Er blieb stehen, zog einen Plan aus einer Tasche seiner Jacke und studierte ihn. In einem Pulk von Menschen ging ich an ihm vorüber. Erst als ich hier unten an der Treppe stand, blickte ich zurück - und dort saß er dann, an dem Karussell." Piero schaute nachdenklich in die Ferne, wo der Tag der Weltstadt unter einem Meer von Dunst Sekunde für Sekunde sein einmaliges Geflecht webte. Er fühlte einen leichten Stoß in der Seite. "Hey! Hörst du mir denn auch zu?" -"Hast du etwas gefunden?" fragte Piero, "ich meine, über deinen Vater." - "Einige frühe Publikationen von ihm waren in der Kartei, aber nichts zu seiner Biographie." Sie kramte ein Notizbuch aus ihrem Rucksack und las in den Aufzeichnungen, die sie sich in der Bibliothek gemacht hatte.

Piero fasste den Mann am Karussell wieder ins Auge und hörte nur nebenbei Marie zu, die ihm mit leicht belustigtem Tonfall die Titel der von ihr entdeckten Aufsätze vorlas: "Einige beiläufige Aspekte der Steady-State-Theorie, Notwendige Anmerkungen zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, Das Bose-Einstein-Kondensat und seine potentielle Bedeutung, Die Natur der mathematischen Wahrheit, Das Gibbs-Phänomen und die Äquivalenz von Mikro- und Makrokosmos." Er scheint noch jung zu sein, dachte Piero, etwa in meinem Alter, Ende zwanzig vielleicht. Die Menschen, die sich unten auf dem Platz bewegten, glichen beweglichen Figuren in einem Modell einer Stadt der Zukunft, die in den wechselseitig sich spiegelnden Türmen der internationalen Unternehmen im Umkreis schon verwirklicht war. Der Fremde hatte sich unterdessen nicht bewegt; aber auf den hinter ihm kreisenden Karussellfiguren saßen nun einige Kinder. Tatsächlich war er sieben Tage zuvor in das Studentenheim am Boulevard Arago gekommen, wo Marie eines der karg eingerichteten Zimmer bezogen hatte, die vorübergehend auch an Reisende vermietet wurden. Sie kniete soeben an dem hohen, fast bis zum Fußboden reichenden Fenster ihres Zimmers, da fiel das schwere Eingangstor, durch das man von der Allee aus den kiesbestreuten Hof betrat, ins Schloss. Sie hielt den Ankömmling für einen Studenten. Er wirkte etwas erschöpft, denn er lehnte sich zuerst an einen der schweren mit tiefgrünen Sträuchern bepflanzten Terrakotta–Kübel, die seitlich des Einganges standen und zog seine Jacke aus – eine alte hellbraune Lederjacke mit Strickbünden. Er ließ sie an einem Finger über die Schulter hängen und überquerte langsam, sich umschauend, den kleinen, stillen Hof. Gerade rauschten die Kastanien des Boulevards in einer Böe mächtig auf. Marie spähte zwischen den weißen Unterkleidern hindurch, die sie an den Voluten des kunstvoll geschmiedeten Geländers zum Trocknen drapiert hatte. Auch zwischen den breiten Lamellen des alten Fensterladens hatte sie einige Slips und Hemdchen zum Trocknen ausgehängt und auf dem schmalen Fenstersims standen ihre geputzten, schwarzen Wanderstiefel. Der Blick des Besuchers verharrte unweigerlich an dem mit Wäsche sozusagen dekorierten Fenster inmitten der lehmgelben Fassade. Es war ein städtisches Palais von schlichter Schönheit, vermutlich erbaut im 18. Jahrhundert. Sie wusste plötzlich, dass er aus New York kam und nach ihr suchte. Er trug ein kleines Bärtchen auf Oberlippe und Kinn und während er näher kam, fuhr er sich mehrmals durch das dunkle Haar und strich es nach hinten, bis keine Strähne mehr in die Stirn fiel. Marie richtete sich auf und lehnte sich mit den Unterarmen auf das Eisengestänge. Er rief in fragendem Ton ihren Namen und als sie nickte, stellte er sich vor und bat sie um ein Gespräch.

Sie waren dann in den Garten auf der Rückseite des Hauses gegangen, wo unter Bäumen geschwungene Kieswege um Rasenstücke führten und anschließend hatte er sie noch in ein Café am Place Denfert–Rochereau eingeladen. Sie war kühl und abweisend geblieben. Sie fand das Vorgehen ihrer Mutter empörend und hatte es ihn spüren lassen. Ihn aber hatte ihr Zorn überhaupt nicht beeindruckt; er hatte vielmehr unentwegt so getan, als seien sie bereits ein großartiges Team und in manchen Augenblicken hatte seine jungenhafte Unverfrorenheit ihr wider Willen ein Lächeln abgenötigt. Sie traute ihm manche Tolpatschigkeit zu, doch zugleich spürte sie, dass er seine Arbeit ernst nahm und ihr professionell, wenn auch mit einem Hang zur Pose nachging. Nun wusste sie also um seine Gegenwart; die bisherige Freiheit des Reisens war ihr genommen und das lähmte sie. Sie war nicht mehr allein. Aber war ich nach all den Wochen des Fahrens, so dachte sie, nicht ohnehin an einem Punkt angekommen, an dem ich das Alleinsein nicht mehr auszuhalten begann? War ich nicht in Aix kurz davor gewesen, heimzukehren? Habe ich denn nicht deshalb auch die Bekanntschaft mit Piero auf diese becircende Weise angeknüpft und bin bereitwillig auf sein Angebot eingegangen, bei Carla zu wohnen? Also meinetwegen auch noch dieser Detektiv! Sie fühlte sich einige Tage lang hilflos; sie vermochte sich nicht zu wehren gegen die Sorge ihrer Mutter. Was hätte ein wütender Anruf genutzt? Doch sie war entschlossen, ihre Mutter zumindest für einige Wochen mit Stillschweigen zu strafen. Diese hatte ja nun jemanden vor Ort, von dem sie alles erfahren konnte über das Wohlergehen ihrer Tochter.

"Lass uns einmal nach oben fahren", rief Marie aufspringend zu Piero und schob das Notizbuch in eine Seitentasche des Rucksacks.

Sie starrte die schwindelnd hohen Wände rauen hellen Marmors hinauf; die schimmerten wie Meeresfelsen. Die abgeschrägten Seiten des Würfels, die auf einen Fluchtpunkt im Unendlichen verwiesen, erinnerten sie an die Portalgewände der gotischen Kirchen, die sie in den Wochen zuvor besichtigt hatte. Sie rannte die Stufen empor. Piero folgte ihr zur Plattform im Hohlraum des Kubus, der so groß war, dass in ihm die Kathedrale von Notre-Dame Platz gefunden hätte. Unter der so genannten Wolke, einem mit Stahlseilen zwischen den Innenfassaden ausgespannten Zeltdach, hatten sich vor den an einem freien Gerüst in die Höhe führenden Aufzügen zwei Warteschlangen gebildet. Während Marie sich schon einreihte, lief Piero zu einem Pavillon unter dem Sonnensegel aus weißem Kunststoffgewebe, das von fern - vor allem sobald es in der Dämmerung von Lampen beleuchtet wurde - auch einer Welle oder einem Gebirge gleichen konnte. Die den Raum umschließende und zugleich öffnende Bogenarchitektur ließ die Weite der Erde erahnen und Piero empfand eine unbestimmte Sehnsucht und Erwartung, die erst die Federwolken aus Eiskristallen in großer Himmelshöhe aufnahmen und weiter trugen. Er betrat den gläsernen Pavillon, in dem die Tickets für den Aufzug verkauft wurden und Schautafeln über die Entstehung des Bauwerks und seine technischen Fakten informierten. Eine Reihe großer, bepflanzter Terrakotta-Kübel trennte den Bereich eines Cafés ab, wo Piero für sich und Marie noch zwei Waffeln mit Eis holte. Als sie dann in dem gläsernen Kasten nach oben schwebten, sahen sie auch die Gebiete jenseits des Bogens im Westen. Ihnen fiel ein Friedhof auf, der sich inmitten eines zersiedelten Niemandslandes erstreckte. Dort waren zwar Häuser, Lagerhallen, Schuppen und Werkstätten, ja auch verwahrloste Gärten und Felder zu erkennen, aber dennoch schien diese flache, ausgedehnte Zone am Rand der Stadt ein unbewohntes Brachland zu sein, ein disharmonischer, befremdlicher Bezirk, wie ihn die großen Städte mit der Zeit an ihren Rändern bilden. Im Osten ragten die Bürotürme auftrumpfend empor, so als riefen sie: Hier ist das wahre Zentrum von Paris - doch frei und grandios war die Sicht auf den alten Triumphbogen in der Ferne. Der Aufzug fuhr in das Dach hinein und kam zum Stillstand. Sie betraten einen überraschend großen, hallenartigen Raum, der in mehrere Ebenen unterteilt war, die durch Rampen und Rolltreppen verbunden waren. Es handelte sich um das sogenannte "Forum der Erde", einen Ort der internationalen Kommunikation. Alle Länder hatten hier die Möglichkeit, sich in ihrer Eigenart zu präsentieren. In der Mitte des Raums drehte sich, als größte Attraktion, ein Globus mit dreidimensionaler Oberfläche, der von der tiefsten Ebene bis fast zur Decke reichte. Auf einer Spiralrampe konnten die Besucher der Ausstellung rund um die Erdkugel vom Süd- bis zum Nordpol spazieren und dabei alle Regionen des Planeten in Augenschein nehmen. Die Struktur der Erdoberfläche war plastisch wiedergegeben: die Gebirge mit ihren Gletschern, die glänzenden Meere, die Wüsten und Tiefebenen, die Wälder und Städte, alles war mit einem jeweils anderen Material gestaltet worden, um eine möglichst naturalistische und dennoch naive Wiedergabe des Originals zu schaffen. Marie und Piero liefen die Spirale hinauf, bis sie etwa in Höhe des vierzigsten Grads nördlicher Breite waren. Das Mittelmeer zog gerade an ihnen vorüber, eine leuchtende, transparente Fläche, über deren mal blauem mal türkisfarbenem Grund elektronisch simulierte Wellen strömten, entlang den Küsten weiß schimmernde Bänder.

- "Irgendwo auf dieser Kugel lebt er", sagte Marie.

- "Wie alt warst Du, als er deine Mutter verließ?" fragte Piero.

- "Oh, sie trennten sich noch vor meiner Geburt wieder. Ich bin wohl das Kind einer sehr kurzen Affäre."

- "Wo bist du geboren?" fragte Piero.

- "In New York."

- "Wo auch dein Vater verschwand?"

- "Ja. Er war von der amerikanischen Regierung in eine Forschungsstation in den Rocky Mountains eingeladen worden. Von dort kam er nicht zurück. Meine Mutter erhielt irgendwann einen Anruf. Zunächst hieß es, er sei verhaftet worden, er werde der Spionage verdächtigt. Später sagte man ihr, er sei bei einer Wanderung in den Bergen verschwunden. Der Ort der Station ist mehr oder weniger geheim."

Sie waren die Rampe wieder ein wenig hinab gegangen. Das Sternenmeer, ein mit Seen gesprenkeltes Hochland im Himalaya, glitt langsam vor ihre Augen.

- "Was war es für eine Forschungsstation", fragte Piero.

"Ich vermute, es war ein Laboratorium zur Entwicklung atomarer Waffen," sagte Marie, "ich war dort vor einigen Monaten in der Gegend, am Rand eines verbotenen Gebiets, und habe einen Indianer kennen gelernt, einen Arzt, dessen Großvater Wächter einer Kultstätte seines Stammes war, die seit alter Zeit an der Stelle gelegen haben soll, wo das Laboratorium errichtet wurde. Sie bauten die Station also auf den Indianern heiliger Erde. Als die ersten Baufahrzeuge angerückt seien, habe sein Großvater noch immer vor seiner winzigen Hütte auf dem geweihten Grund gesessen, erzählte mir der Indianer. Polizisten trugen ihn fort. Dabei starb er. Er wurde plötzlich schwer in ihren Händen. Wie eine Statue hatte er vor der Hütte gesessen, stumm, mit ausdruckslosem Gesicht; und als sie ihn hochhoben, behielt er die Haltung des Schneidersitzes bei. Sein Enkel beobachtete die Szene. Er lief zurück ins Reservat, sprach mit niemandem, holte sich Pfeile und Bogen. Als er zurückkam, stand an der Stelle, wo einige Tage zuvor noch seines Großvaters Hütte gewesen war, eine Gruppe von Männern. Die Männer, Weiße, trugen Anzüge und Krawatte, im Kreis um sie parkten schwarze Limousinen. Der Indianerjunge ging zur Hälfte um den Wagenring herum, hob dann plötzlich den Bogen und schoss einige Pfeile in rascher Folge auf die Gruppe ab, noch bevor einige Polizisten eingreifen und ihn überwältigen konnten. Einer der Männer sank von einem Pfeil verwundet nieder. Wegen seiner damals erst zwölf Jahre musste der Täter nicht ins Gefängnis, verbrachte aber einige Monate in einer Art Heim für jugendliche Straftäter, bevor er ins Reservat zurückgebracht wurde. Wie er mir erzählte, gelang es ihm später sogar höhere Schulen zu besuchen und zu studieren. Und heute arbeitet er also als Arzt in dem noch immer bestehenden Reservat."

Marie und Piero waren nun fast wieder am Fuß der Rampe angelangt und Piero wies Marie auf ein Walfischhaupt in den Weiten des Süd-Pazifik hin. Bald erhoben sich vor ihnen die Hänge der Anden mit ihren Schnee- und Eiskappen.

- "Warum hat deine Mutter nichts weiter unternommen, um ihn wiederzufinden?" fragte Piero. - "Sie hatten sich ja schon getrennt zu diesem Zeitpunkt. Ich weiß nicht, ob sie ihn noch liebte, das heißt...." Sie starrte nachdenklich ins Leere. - "Aber du warst doch noch gar nicht geboren, als er verschwand." - "Nein, das ist eben rätselhaft, sie müssen sich später noch einmal begegnet sein," sagte Marie, "oder er ist überhaupt nicht mein Vater; doch Mutter will darüber nicht sprechen." - "Was stand denn damals über den Fall in den Zeitungen?", fragte Piero. Sie verließen die Spirale und gingen zwischen den Ständen und Schaukästen der einzelnen Nationen umher. - "Ich habe einige Artikel in New Yorker Archiven aufgetrieben", sagte Marie, "darin wird zunächst von einer Festnahme berichtet. Später heißt es, er sei freigelassen worden. Ein Verdacht auf Spionage habe sich nicht bestätigt. Dann aber, etwa drei Monate später, erhebt eine Zeitung die Vermutung, er sei tot, die Festnahme wird in Frage gestellt. Tatsächlich folgt kurz darauf die offizielle Version, verkündet von einem hohen Regierungsbeamten, und sie lautete, John Marr sei bei einer Gebirgswanderung tödlich verunglückt. Davon müsse ausgegangen werden, wenn auch die Leiche nicht gefunden worden sei. Diese Behauptungen wurden natürlich einige Jahre später in Zweifel gezogen, als neue Artikel meines Vaters publiziert wurden. Fortan galt er als verschollen."

- "Ich habe übrigens schon in der Schule von einer Gleichung gehört, die er entdeckt haben soll", sagte Piero, "eine Art letztgültige, alles umfassende Theorie zur physikalischen Erklärung des Seins."

Sie blieben jetzt an einem hohen Pult stehen, auf dem ein Buch lag, so groß, dass es von einem Menschen allein nicht getragen werden konnte. Piero blätterte in dem riesigen Band, der nur Fotografien mit kurzen Kommentaren enthielt. Die Bilder zeigten Landschaften der Erde. Piero sah einen mit einem Poncho gekleideten Jungen, der Flöte spielend einen Hochweg in Bolivien dahinschritt; das Muster der Felder im Tal begleitete seinen Weg. Dann sah er wilde Pferde, grasend auf einem Gebirgsplateau in Wyoming; im Hintergrund ragte ein zylinderförmiger, an seinem sanft ansteigenden Fuß mit niedrigen Bäumen bewaldeter Felsen gegen den Himmel auf und das Schwarz-Weiß-Grau der Fotografie schien Piero dem wahren Bild dieser Landschaft näher zu sein als alle Farben. In dem Himmel schwebte eine einzelne leichte Wolke, deren Form an einen Fächer erinnerte. Während Piero noch in dem Buch blätterte, war Marie schon einige Stände weitergegangen. Sie setzte sich an einen Bistrotisch und eine Frau asiatischer Herkunft brachte ihr eine Tasse Tee. Piero blätterte eine weitere Seite auf und sah einen Berg, dessen schnee- und eisbedeckte Flanken sich gleichsam unvermittelt aus dichtbewaldeten Hügeln erhoben. Der breite, weiße Kegel ruhte zwar, leuchtend in der Abendsonne, in der Landschaft, schien aber nicht allein ein Teil von ihr, sondern ebenso auch des Himmels zu sein, dessen Farbtöne er gedämpft erwiderte. Es war, als könne man sich diesem Berg niemals nähern. Die Entfernung, aus der diese Aufnahme entstanden war, war die äußerste Nähe, die er zuließ. Jedem Aufbruch in seine Richtung würde er sich verweigern. In ewig unveränderlicher Größe würde er im Wandel der Zeit dort ruhen und bloß den Veränderungen des Lichts folgen, während sich die Expeditionen bereits in den Wäldern zu seinen Füssen zerschlugen. Piero schloss langsam das Buch. Sein Blick blieb an dem kreisrunden Foto auf dem Einband haften; es zeigte ein schwarzes, von Lichtreflexen besticktes Meer, im Vordergrund türmten sich mächtige, glänzende Steinquader auf. Die Wolken waren wie leuchtende Schwämme, die das Licht aus dem Raum aufgesaugt hatten, um für ihren Weg durch die Nacht gerüstet zu sein. Nachdem er es lange betrachtet hatte, löste sich Piero von dem Bild und ging zu Marie. Sie empfahl ihm den Tee, den sie trank. Er bestellte ebenfalls eine Tasse davon. Sie saßen an einer bis zum Boden reichenden Fensterfront und schauten nach Westen, wo das Meer war. Er dachte an das tollkühne Kunstexperiment, dem er sich seit einiger Zeit hingab. Die Frage stellte sich ihm, ob es eine Malerei geben könne, die zugleich vollkommen abstrakt und vollkommen gegenständlich war, die nichts abbildete und dennoch ein Sujet hatte.

"Das ist eine großartige Idee, ein solches Forum der Erde", sagte er nach einer Weile, "aber ich kann mich nicht ohne eine gewisse Melancholie darin bewegen. Es ist nicht etwa eine Sehnsucht nach all diesen Ländern, sondern nach einer anderen Zeit, als jeder Ort noch ein Geheimnis war. Denke an die großen Kulturen, die nichts voneinander wussten, getrennt durch Meere, Wüsten, Berge. Indianische Zelte stehen inmitten von Wellen hohen Grases, ein italienischer Künstler zeichnet der Stadt Florenz den Entwurf für einen Turm, mühselig treibt ein Bauer sein Lasttier in ein Tal zum Mount Everest hinauf, dem er einen anderen Namen gibt und von dem er nicht weiß, dass er die höchste Erhebung der Erde ist; einige tausend Kilometer südlich versinkt ein Mann in tiefes Nachdenken über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; in einer Savanne Ostafrikas rennt eine Gruppe von Jägern, mit langen Speeren bewaffnet, auf ein Rudel Antilopen zu; irgendwo am Amazonas, umgeben vom undurchdringlichen Pflanzenlabyrinth starrt ein Indio, dahingleitend in seinem Boot, auf den in der Dämmerung brütenden Strom und hat nur einen Gedanken: wohin fließt dieses Wasser?" -

"Und heute wird alles gleichgeschaltet", fuhr Piero mit brüchiger, immer wieder stockender Stimme fort, "die verbleibende Wildnis wird zum Abenteuerspielplatz erklärt. Rund um die Erde sind Anzug und Krawatte die Uniform der Politiker und Geschäftsleute, eine grauenhafte Eintönigkeit und Geschmacklosigkeit breitet sich aus. Die Vielfalt, die Klarheit und die Poesie verschwinden. Insofern ist das hier" - und er deutete in die riesige Halle, in deren Mitte sich der Globus drehte - "eine nostalgische Veranstaltung, eine Gaukelei, vielleicht aber auch eine Utopie. Könnte es nicht sein, dass es uns in nicht ferner Zeit gelingt, unser Leben neu einzurichten. Vielleicht wollen wir einmal keine Sklaven des Geldkreislaufs mehr sein, die mit allen Mitteln bei Laune gehalten werden. Wir alle sind doch willenlos, betäubt von den Spielzeugen, die wir uns geschaffen haben. So vielen ist der Sinn ihrer Arbeit nicht mehr einsichtig."

Er atmete tief ein. Marie sah ihn verwundert an. Während seiner seltsamen Rede hatte sie die Kellnerin herbeigerufen und sich noch eine Tasse Tee bestellt.

- "Entschuldigen Sie! Darf ich mich setzen?" sagte plötzlich eine fröhliche Stimme. Marie und Piero blickten beide zugleich auf.- "Darf ich mich setzen", wiederholte Maries Detektiv und saß im gleichen Augenblick schon, indem er sich einen Stuhl vom Nebentisch heranzog und rittlings darauf niederließ, so als geselle er sich wie ein alter Freund zu ihnen. Piero sah Marie an. Ihre Wangen waren leicht gerötet. Die Pupillen ihrer blauen Augen hatten sich zu kalten Punkten zusammengezogen. Marie griff nach ihrer Teetasse und führte sie zum Mund. - "Richard Cawthra", stellte sich der Gast zu Piero gewandt vor und schaute sie abwechselnd beide freundlich und offen an. Er drückte den Stummel einer Zigarette in einem Aschenbecher aus. Da Marie schwieg, nannte Piero selbst seinen Namen, was ihm von ihr einen bösen, funkelnden Blick eintrug. - "Diese kleine Beschattung tut mir leid", sagte Cawthra und nickte dankend der Frau im Seidenkleid zu, die ihm unaufgefordert eine Tasse Tee gebracht hatte. - "Ich habe hier noch einen Brief von ihrer Mutter, Mrs. Amber Malone", fuhr Cawthra fort, "ich vergaß es, ihn Ihnen bei unserer ersten Begegnung zu geben." Er fasste in die Innentasche seiner lange getragenen Lederjacke, zog einen hellblauen Briefumschlag hervor und reichte ihn Marie.

"Darin wird hoffentlich einiges erklärt", sagte er, "möchten Sie ihn nicht lesen?" Da Marie den Brief nicht anrührte und schwieg, legte er ihn vor sie auf den Tisch. "Warum haben Sie mich wieder verfolgt", fragte sie plötzlich. Cawthra spitzte kurz die Lippen, was seine Wangen sehr hohl werden ließ.

- "Ich war ungeschickt", sagte er. "Sie hätten es gar nicht bemerken dürfen. Und ich war unsicher, ob ich mich Ihnen noch einmal nähern sollte. Ich gebe zu, es wäre nicht nötig gewesen, dieses Versteckspiel. Aber lesen Sie einfach den Brief." Marie riss den Umschlag auf und überflog die beiden Blätter. Dann rückte sie mit dem Stuhl etwas zurück und las langsam folgende Zeilen:

- "Engelchen,

der junge Mann, der Dir den Brief überbringt, ist von der New Yorker Detektivagentur Melville, Sands & Harper. Er soll Dir helfen, Deinen Vater zu finden. Ich weiß, dass Du jetzt verärgert bist. Du glaubst, ich ließe Dich überwachen. Aber das ist nicht wahr. Meiner Ansicht nach brauchst Du eine professionelle Hilfe. Ich will Dich nicht bevormunden. Sprich einfach mal mit Mr. Cawthra. Er hat übrigens schon einiges herausgefunden. Du kannst Dir kaum vorstellen, welche Möglichkeiten eine solche große Agentur hat. Mit Carl Harper bin ich, wie Du weißt, seit vielen Jahren befreundet. Als ich ihn vor einigen Wochen auf einer Vernissage drüben in Williamsburg traf - dort hat sich jetzt eine Künstlerkolonie etabliert - und ihm von Deiner "Grand Tour" und ihrem Zweck erzählte, schlug er mir sofort vor, sozusagen Klient bei ihm zu werden, auf Kosten der Firma. Du liegst mir also auch nicht auf der Tasche. Natürlich werde ich Mr. Cawthra für seine Arbeit, ob Ihr Erfolg habt oder nicht, etwas zukommen lassen. Betrachte mein Eingreifen auch als einen Akt der Reue. Es war falsch, Dir das Schicksal Deines Vaters so lange zu verschweigen. Ich hätte damals, als er verschwand, etwas unternehmen müssen. Aber ich hasste ihn so und war zugleich noch immer so närrisch verliebt in ihn; ich verzieh ihm sein Verschwinden erst nach Jahren, in denen ich ihn aus meiner Erinnerung gelöscht hatte. Deine wachsende Ähnlichkeit mit ihm ließ mich aber bald immerzu an ihn denken. Bitte, lass Dir von Mr. Cawthra helfen. Zu Hause ist es wie immer im September ganz, ganz wunderbar. Das Licht in den Straßen ist überwältigend schön, alles funkelt, flirrt, glänzt. Letzten Samstag war ich mit Merle Nicholson im E.A.T.-Cafe´ frühstücken. Anschließend gingen wir ins Metropolitan. Ich war seit Jahren nicht mehr dort. Am besten gefiel mir ein Hockney: eine japanische Vase mit einer weißen Blume steht auf einem Fensterbrett, in der Ferne steigt eine weiße Bergspitze aus dem Blau, dessen Schattierungen den Mittelgrund füllen, empor, offenbar der Fuji. Du kennst das Bild sicher. Louise ist gerade zu Besuch. Sie hat Aussichten auf eine kleine Rolle in einem Film mit Harrison Ford. Lass Dich umarmen kleiner Indiana Jones und verzeih mir. Melde Dich bald, Mummy."

Während des Lesens zog Marie mehrmals ihre runde Stirn in Falten. Einmal spielte kurz ein abschätziges Lächeln um ihren Mund. "Also, Herr Detektiv, was haben Sie Neues zu berichten", sagte sie, nachdem sie die beiden Briefbögen wieder in den blassblauen Umschlag gesteckt hatte und sah den Überbringer herausfordernd an. - "Zunächst sollten Sie mir sagen, ob ich Ihnen bei der Suche helfen soll," sagte Cawthra ruhig, "mein Auftrag lautet vorerst nicht, den Aufenthaltsort ihres Vaters herauszufinden, auch wenn dies vielleicht ihre Mutter von mir erwartet. Ich könnte zwar auch in dieser Richtung tätig werden, aber meine Direktive war bisher, Sie zu beobachten und im Notfall einzuspringen. Daran halte ich mich seit drei Wochen. Zunächst wartete ich in London, bis Sie sich aus irgendeinem Hotel bei ihrer Mutter melden würden. Als dann ihr Anruf aus Barcelona kam, gab man mir sofort Nachricht und ich nahm ein von unserer Agentur gechartertes Flugzeug. Nun, und dann ging es über Nimes und Aix bis hierher nach Paris. Am Cours Mirabeaux in Aix saß ich einmal unter den Platanen neben Ihnen im Café. Dass ich mich nun zu erkennen gegeben habe, könnte mir Ärger einhandeln. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit mehr, in dieser Sache voran zu kommen. Diese Beschattungen liegen mir nicht. Sie haben ja heute gesehen, wie dumm ich mich dabei anstelle. Von wann stammt denn das letzte Lebenszeichen Ihres Vaters?"

- "Von vor fünf Jahren", sagte Marie, "damals erschien im Wissenschafts-Magazin "Experientia" ein Aufsatz von einem Joseph Berlin, möglicherweise sein Pseudonym."

Cawthra lächelte. - "Der Aufsatz wurde der Zeitschrift von einem Londoner Rechtsanwalt zugeschickt", sagte er, "wir arbeiten oft mit dieser Kanzlei zusammen. Ich traf mich mit einem der Mitarbeiter. Erst wollte er nicht damit heraus, doch dann erfuhr ich, dass ihnen das Manuskript aus Rom zugeschickt worden war, Absender unbekannt, nur ein Postfach war angegeben. Wie kommen Sie aber darauf, dass Joseph Berlin und ihr Vater identisch sein könnten?"

"Es gibt noch eine Reihe weiterer Aufsätze von diesem Berlin", erwiderte Marie, "teilweise zwanzig und mehr Jahre alt. Niemand hat Berlin je getroffen. Beim "Science Magazine" hieß es, Wissenschaftler würden zwar in der Regel nicht unter einem Pseudonym ihre Texte veröffentlichen. In Berlins Fall deuteten aber Stil und Gehalt auf einen Physiker von Rang hin, der nur hin und wieder veraltete Wendungen benutze und sich kaum auf jüngste Entwicklungen des Fachs beziehe. Ich gebe zu, es ist nur eine Vermutung, doch warum sollte ich ihr nicht nachgehen."

"Ja, warum nicht", sagte Cawthra. Er zog ein schwarzes, in Leder gebundenes Notizbuch hervor, blätterte darin und fuhr in raschem Tonfall fort: "In Rom war ich nicht sehr erfolgreich. Im Bus befreite mich ein Taschendieb von einigen zehntausend Lira. Das Postfach wurde für eine Greta Buffon geführt, wohnhaft Via Bramante,... Was ist denn?" Cawthra wandte sich plötzlich an Piero, der mit einem unverständlichen Laut und einer kuriosen, ziellosen Armbewegung beider Blicke auf sich gelenkt hatte. - "Entschuldigung, ich glaubte Sie wollten etwas sagen." - Piero schüttelte den Kopf. - "Fahren Sie ruhig fort", sagte er zu Cawthra. - "Also gut, sie war Schauspielerin oder Fotomodell von Beruf, Mitte zwanzig vielleicht. Sie lud mich zu einem Espresso ein; erklärte mir, nie irgendetwas nach London geschickt zu haben. Sie kenne weder einen John Marr noch einen Joseph Berlin. Sie sah hinreißend aus und log mich kalten Herzens an. Ich kam bei ihr nicht weit, in keiner Beziehung." Marie starrte mit zusammengezogenen Augenbrauen vor sich hin. - "Ich dachte mir dann: Alter Junge, Du musst zurück zum Ausgang der Geschichte. Also fuhr ich nach Washington. Beim CIA legten sie mir natürlich auch keinen roten Teppich vor, aber ich fand heraus, dass Marr weder vom Geheimdienst entführt noch verhaftet worden war. Alles deutet daraufhin, dass er aus freier Entscheidung verschwand." - Erst bei diesem letzten Satz sah er Marie fest an. Zuvor hatte er unentwegt wie suchend in seinem Notizbuch vor und zurück geblättert. Sie erwiderte seinen Blick kühl und ausdruckslos.- "Die Spionagestory ist also ein Märchen", sprach Cawthra weiter, "aber was geschah in den Rocky Mountains, in jener geheimen Forschungsstation. Das ist vielleicht die Frage, deren Antwort uns sein Verschwinden erklären würde. Ich vermute, dass ihn dort etwas verstörte oder ängstigte, und dass er für eine Weile allein sein wollte, vielleicht nur für ein paar Tage, ein paar Wochen, aber dann wurden fast vierzig Jahre daraus. Bloß warum? Fand er Geschmack an diesem abgeschiedenen Leben oder hatte er gewichtige Gründe, nicht zurückzukommen, im Verborgenen zu bleiben? Es muss nicht sein, dass er wie ein Robinson lebt. Vielleicht hat er jahrelang das Postamt von Sumatra, Montana, geleitet und ist nun in Pension, sitzt auf der Veranda seines Häuschens und guckt in seinen Vorgarten, wo die von ihm gepflanzten Astern blühen." - "Sie wissen selbst, dass es so nicht ist", sagte Marie humorlos und zu Piero gewandt: "Lass uns weitergehen. Kommst Du?" Sie rief die Asiatin, doch Cawthra bestand darauf zu bezahlen. Marie schenkte ihm noch ein gereiztes Lächeln und lief davon.

Piero folgte ihr. "Findest Du nicht, dass er ein wenig zu arrogant ist. Er scheint sich wunderbar über uns zu amüsieren. Und dann noch dieses mickrige Musketierbärtchen und das Gel im Haar!" Marie lehnte mit verschränkten Armen in einem Winkel des Aufzugs, der sie hinauf zur Dachterrasse des Riesenquaders trug. "Mir war er nicht unsympathisch", sagte Piero, "und er scheint Dir wirklich helfen zu wollen." – Doch Marie schnaubte verächtlich und starrte düster vor sich hin. Als sich die Tür des Aufzugs öffnete, ließ sie Piero ohne ein weiteres Wort stehen.

Die Nachmittagsluft war mild. Selbst in dieser frei ausgesetzten Höhe blies der Wind sanft, strich warm um die Köpfe und hatte sich auf seinem Weg über Land noch Meeresduft bewahrt. Bald tauchte Cawthra wieder auf und lehnte sich neben Marie an eine mit einem hohen Gitterzaun bewehrte Brüstung, über die hinweg sie auf die Stadt sehen konnten. "Beantworten Sie mir noch ein paar Fragen", sagte er, "danach verschwinde ich, wenn Sie mögen, für immer." Ein kurzes Lachen entfuhr ihr.

"Sie sind hartnäckig, nicht wahr. Verstehe schon, rein beruflich." Cawthra wunderte sich über die Wandlung in ihrem Gesicht und fragte sich, warum sie so plötzlich ihre abweisende Haltung fallen zu lassen schien. Er neigte dazu, es allein seinem Charme zuzuschreiben. Sie sah ihn an und sagte: "Als meine Mutter ihren Widerstand aufgegeben hatte, ermüdet von meiner Entschlossenheit, Vater zu suchen, gab sie mir ein Tagebuch, das er ihr einmal geschenkt haben soll. Er hat es mit 22 Jahren während einer Europareise geschrieben, die er in Begleitung eines Freundes unternahm. Mutter sagte mir, sie habe nie eine Zeile darin gelesen, aber vielleicht werde es mir ja helfen und ihn mir näher bringen. Es erschien mir seltsam, dass er ihr dieses Buch überlassen hatte. Sie hielt es für aussichtslos, nach ihm zu suchen. Ich schlug das Heft auf, ein schwarzes Schulheft mit karierten Blättern, und mein erster Gedanke war, dass sich darin ein Hinweis auf den Aufenthaltsort meines Vaters verbergen könnte. Ich setzte mich in den Lesesessel in meinem Zimmer, las es in einem Zug durch und beschloss dabei, seine Reise, soweit es nur möglich war, nachzuahmen. Ich wollte die gleichen Orte wie er aufsuchen, in den gleichen Unterkünften übernachten, sofern es sie noch gab, und mir mehr Zeit nehmen, als ihm damals zur Verfügung stand, um ihm sein Geheimnis zu entlocken. Auf dieser Reise befinde ich mich noch. Ich war in der Schweiz, in Irland, Spanien, Portugal und Südfrankreich. Von dort, wie Ihnen ja bekannt ist, kam ich vor drei Wochen nach Paris. Glücklicherweise lernte ich dann Piero kennen, der mich bei zwei Freundinnen von ihm unterbrachte. Es gefällt mir dort so gut, dass ich Paris nicht mehr so bald verlassen möchte. Ich wünschte, ich könnte meinen Vater in einer der Straßen dort unten finden."

- "Sie haben sich aber nicht genau an seine Route gehalten", sagte Cawthra, "er fuhr nämlich zunächst nach Deutschland."

- "Woher wissen Sie das?" rief Marie. Sie war erschrocken; der ängstliche Ausdruck ihrer Augen entging ihm nicht.

"Ich habe mit dem Freund ihres Vaters gesprochen, der ihn auf der Reise damals begleitet hat", sagte Cawthra, "er wohnt in London."

- "Aber Mutter sagte mir doch, sie wisse nichts über ihn."

"Ich habe es auch nicht von ihrer Mutter erfahren. Bevor wir solch einen Fall angehen, erstellt eine eigens dafür zuständige Abteilung unserer Agentur eine möglichst lückenlose Biographie der gesuchten Person bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie verschwand. Es war nicht schwierig auf Mr. Goldberg zu stoßen. Ihr Vater und er waren schon in Deutschland Freunde, während der Zeit der Diktatur. Irgendwann während des Krieges verloren sie sich aus den Augen, denn Goldberg ist Jude und wurde deportiert. Er überlebte. Ende der vierziger Jahre trafen sie sich zufällig in Cambridge wieder. Sie saßen im gleichen Seminar. Als der Dozent in der ersten Sitzung die Teilnehmer aufrief, fiel irgendwann der Name Goldberg. Ihr Vater saß einige Bankreihen hinter ihm und muss wohl während der weiteren Namensverlesung auf Goldbergs Hinterkopf gestarrt haben, denn als schließlich der Name John Marr und das bestätigende "Ja" durch den Raum schallten, drehte sich Goldberg, der ja nur einen Johannes Maar gekannt hatte, unwillkürlich um, und ihre Blicke trafen sich. Es ist meist leicht, die besten Collegefreunde einer Zielperson herauszufinden", schloss Cawthra seinen Bericht und es klang nicht arrogant, sondern besänftigend, als er dann sagte: "Sie haben gar nicht daran gedacht, Goldberg zu besuchen. Sie konnten es nicht einmal, denn im Tagebuch steht wohl nur der Vorname Daniel."

- "Nein, er nennt ihn Dan oder auch Ben", sagte Marie. Mit einer abrupten Bewegung entfernte sie sich einige Schritte von ihm. Er blieb an die Brüstung gelehnt stehen und sah ihr zu, wie sie umherging. Es war, als wolle sie mit jeder Geste ihre Unabhängigkeit beweisen. Ihre kindliche Schroffheit amüsierte ihn. Sie war von einer Aura des Unbehausten umgeben, die sich tief aus ihrem Inneren nährte, doch zugleich auch nur ein Habitus sein mochte, den sie vielleicht schon vor Jahren am Ausgang der Kindheit angenommen hatte. Er folgte ihr nicht und wartete, zündete sich eine Zigarette an. Es war wie ein Spiel und Cawthra war sicher, dass er es gewinnen würde. Tatsächlich schlenderte sie nach einer Weile zu ihm zurück, und er bemerkte die Verunsicherung im Blick ihrer verschatteten Augen.

Piero, der von einer anderen Seite aus in die Tiefe geschaut hatte, schloss sich ihnen wieder an. Ein Gespräch über Sehenswürdigkeiten in Paris, über besuchenswerte Lokale und neueste Filme entwickelte sich. Gemeinsam verließen sie die Grande Arche. Unter der Wolke hatten die Vorbereitungen für ein Rockkonzert begonnen, das am Abend des folgenden Tages stattfinden sollte. Sie gingen die Freitreppe hinab und über den Platz von La Defense auf das jetzt still stehende Karussell zu. Von dort blickten sie noch einmal zurück. Der monolithische Bau wäre würdig gewesen ein Tor zu einer anderen Welt zu sein. Trotz seiner vollendeten geometrischen Klarheit verwies er auf ein Geheimnis, kündete von einer unsagbaren Hoffnung. Es war, als wolle diese Architektur mit revolutionärer Unbedingtheit ihre Utopie gegen alle realen Widerstände durchsetzen.

Sie blieben neben dem Karussell stehen und Cawthra sagte plötzlich leichthin: - "Ich glaube, dass er in Italien lebt."

Marie schwieg und starrte auf die grauen Steinplatten unter ihren Füßen. - "Bloß eine Intuition", sagte Cawthra, "ich werde morgen noch einmal nach London fahren und mit Goldberg sprechen. -

Möchten Sie mitkommen?" fügte er in möglichst beiläufigem Ton hinzu. - Marie zögerte: "Warum... " - sie blickte noch immer zu Boden - "Ich dachte dies sei nicht ihr Auftrag."

"Sie wollen also ihren Vater weiterhin allein suchen? Sie glauben ihn zu finden, indem sie Europa kreuz und quer bereisen und dabei in einem alten Tagebuch lesen?"

Piero nickte Marie aufmunternd zu, doch sie sah ihn überhaupt nicht an und ging rasch davon in Richtung einer Metrostation. Als die beiden sie wieder eingeholt hatten, hob sie mit einem Ruck wie in plötzlicher Entschlossenheit den Kopf und sagte: "Nein! Sprechen Sie allein mit ihm. Ich kann Sie ja doch nicht davon abhalten. Hauptsache, Sie verfolgen mich nicht mehr."

- "Wir könnten uns dann spätestens Samstag wieder treffen", sagte Cawthra.

"Ja, kommen Sie zu Carla", doch als er sofort zustimmend nickte, rief sie: "Ach, Sie kennen ja gar nicht die Adresse!" Cawthra verzog Augenbrauen, Wangen und Mund zu einer Grimasse. Aus Marie brach prustend ein schallendes Lachen hervor, was ihr seit langem nicht mehr widerfahren war.

"Nehmen Sie es mir nicht übel, wir sind nun mal eine der besten Agenturen Amerikas und außerdem - nennen Sie mich doch Richard, Sie auch Piero. Bis zum Samstag. Ich rufe an", - und er war die Treppe zur Untergrundbahn schon halb hinab gesprungen, da drehte er sich nochmals um, winkte und lief dann erst tiefer hinab.

Die Heimkehr der Jäger

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