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Frisch überholt zum Stundenschlag

Unterwegs mit Erhard Pritschet: Wenn Turmuhren und Glocken gewartet werden, ist der Experte gefragt. Hoch im Gebälk prüft er Schrauben und Gehwerk.


Diese mechanische Uhr aus dem 18. Jahrhundert ist nicht mehr in Betrieb. Inzwischen wird die Turmuhr von Sankt Emmeram per Funk gesteuert. Foto: altrofoto.de

Von Dagmar Unrecht, MZ

Regensburg. Sie kommt schnell in Schwung. Der eiserne Klöppel holt aus und gut 3,5 Tonnen Bronze nehmen Fahrt auf. Wer jetzt im Weg steht, dem könnte das letzte Stündlein schlagen. Die Liebfrauenglocke von #Sankt Emmeram hat einen Durchmesser von 1,80 Meter. Unter ihren mächtigen Schwüngen vibriert das Eichengebälk. Erhard Pritschet holt tief Luft. Die größte Glocke der Basilika läutet das Ende seines Einsatzes im Kirchturm hoch über den Dächern von Regensburg ein. Auch bei Temperaturen um die Null Grad ist dem 49-Jährigen mollig warm. Kein Wunder, denn er ist zuvor quer durch den Glockenstuhl gekraxelt, hat Schrauben festgezogen, Drahtseile überprüft und „überall dort, wo sich was dreht“ ein paar Tropfen Öl verteilt. „Aber nicht zu viel, sonst bleibt der Dreck so richtig kleben“, fügt er hinzu.

Vor 25 Jahren begann Pritschet eine Lehre als Feinmechaniker bei der Regensburger Turmuhrenfabrik Rauscher, damals hatte er gerade sein Maschinenbau-Studium an den Nagel gehängt. „Ich bin durchs Vordiplom gefallen“, erzählt er und ergänzt schmunzelnd: „Lieber war ich in der Stadt unterwegs, als zu lernen.“ Spezialwissen hat er aber in Hülle und Fülle angesammelt, Kniffe von älteren Kollegen abgeschaut. Heute ist er der Experte.

Alt, aber robust

Beim Aufstieg in den Kirchturm von Sankt Emmeram führt der Weg an einem alten Uhrenkasten vorbei. Ein willkommener Anlass, den Werkzeugkasten kurz abzustellen und durchzuschnaufen. Die mechanische Uhr aus dem 18. Jahrhundert ist außer Betrieb. „Sie könnte aber problemlos renoviert werden“, sagt Pritschet und schaut mit Kennerblick auf das verschraubte Gestell aus Schmiedeeisen mit den vielen stumpf gewordenen Zahnrädern. Mechanische Zeitmesser gibt es heute kaum noch, fast alle Turmuhren werden inzwischen elektronisch gesteuert. Der Funkbetrieb hat unter anderem den Vorteil, dass das Läuten in der Nacht ausgestellt werden kann. Das Evangelische Krankenhaus liegt ja direkt gegenüber. Mechanische Turmuhren sind laut Pritschet nicht so staubempfindlich wie funkgesteuerte und sehr robust. „Die überleben uns alle“, ist er überzeugt. Am Handgelenk trägt er dennoch eine Funkuhr. „Ich muss ja die Zeit exakt einstellen.“


Ein Motor, unter einer grauen Abdeckung versteckt, bewegt die Zeiger. Foto: altrofoto.de

Einmal im Jahr wird eine #Turmuhr in der Regel überholt, Pritschet und seine Kollegen kümmern sich um mehr als 40 Exemplare in Regensburg. Drei bis vier sind an einem Tag zu schaffen. „Danach bin ich oft von Kopf bis Fuß mit Schmutz und Taubendreck eingestaubt“, sagt der Mechaniker. Das gehört dazu, genauso wie das Herumklettern in bis zu neun Metern Höhe ohne Sicherung. Wer nicht schwindelfrei ist, hat in diesem Beruf einen schweren Stand. „Ich bin schon als Kind gern in Bäumen herumgekraxelt“, erzählt Pritschet.

Sturmläuten in der Not

Nur einmal, im vergangenen Jahr, ist ihm beim Kundendienst ein Unfall passiert: Ein morsches Brett wurde für ihn zur Stolperfalle und er stürzte eine Treppe hinunter. Nierenquetschung, Rippenprellung, Gelenkkapselriss. Drei Wochen war er außer Gefecht. Ansonsten hält ihn das Treppauf und Treppab fit, in seiner Freizeit joggt er obendrein. Auch im Urlaub bleibt er in Bewegung, besonders gern in den Bergen. Zuletzt war er zwei Wochen in Butan, Trekking auf 5000 Metern Höhe, ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk zum 50. in diesem Jahr. „Nur auf Klettersteigen fühle ich mich nicht wohl.“ 9.15 Uhr. Ein Seitenhammer, von einem Motor angetrieben, schlägt mit Wucht zu. Hätte die Liebfrauenglocke einen Sprung, würde es jetzt noch mehr in den Ohren dröhnen. „Wie ein alter Blechtopf klingt das dann“, so Pritschet. Anschließend prüft er, ob der Hammer noch fest sitzt oder neu gelagert werden muss. Auch alle Schrauben zieht er nach. „Ich bin Mechaniker, Schlosser, Elektroniker, alles in einem“, sagt er. Nebenbei bekommt er auch einen Eindruck davon, wie unterschiedlich Menschen ticken. Da gibt es Mesner, die ihm bei seiner Arbeit nicht von der Seite weichen, andere lassen ihn einfach gewähren. Sogar die Bitte, die Uhr ein wenig vorzustellen, gab es schon.

Auf einem Kirchturm kann man die Zeit aber auch hinter sich lassen und den Blick über die Stadt genießen. Eine besonders exklusive Aussicht bietet eine Luke mitten im Zifferblatt. Pritschet streckt einen Arm durch das Revisionstürchen hinaus ins Freie und rüttelt an den Zeigern. Bombenfest, zum Glück. Würden sich Teile lösen, könnte das für ahnungslose Passanten auf der Straße böse enden. „Hab’ ich alles schon erlebt“, versichert der Fachmann.


Für die Schrauben braucht man einen großen Gabelschlüssel. Foto: altrofoto.de

Zum Verhängnis ist ihm selbst einmal der Übereifer eines Pfarrers geworden. Der Geistliche im Ruhestand entdeckte die offene Eingangstür zum Kirchturm, vermutete ein Versäumnis und schloss ab. Da saß der Turmuhrenexperte fest. Laut rief er aus dem Glockenstuhl um Hilfe, vergeblich. „Dann hab’ ich halt eine halbe Stunde lang Sturm geläutet“ - und wurde erhört.


Durch eine Luke im Zifferblatt wird geprüft, ob die Zeiger fest sitzen. Foto: altrofoto.de

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