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Sehen mit einem Stock und den Ohren

Unterwegs mit Friedrich Schuhmacher. Vor fünf Jahren erblindete der Regensburger. Heute kann er Vieles auch ohne Augenlicht selbstständig erledigen.


Mit einem Lesegerät kann auch Schuhmacher morgens die Schlagzeilen der MZ lesen. Fotos: Froschhammer

Von Philipp Froschhammer, MZ

Regensburg. Obwohl die Einkaufsliste nicht lang ist – Eier, Gummibärchen und Zwieback – ist es für den Friedrich Schuhmacher jedes Mal wieder eine Herausforderung. Es ist ein kühler Wintermorgen und der 66-jährige Regensburger ist zu Fuß auf dem Weg zum Supermarkt. Nur mit Hilfe seines Gehörs, einem Stock und seinem Erinnerungsvermögen muss er die richtigen Waren nach Hause bringen: er ist nämlich blind. Vorsichtig tastet sich Schuhmacher mit seinem „Auge am Boden“, wie er seinen Blindenstock nennt, am Rand des Gehsteigs entlang. Durch den sensiblen Kopf der Gehhilfe bemerkt der 66-Jährige jede Veränderung im Untergrund. „Bei Teer holpert der Stock ein bisschen und auf normalem Erdboden gibt der Untergrund nach“, beschreibt Schuhmacher während er mit dem Stab den Weg zum Supermarkt abklopft.

Im Jahr 2008 begann bei Schuhmacher die altersbedingte Makulardegeneration (AMD) einzusetzen. Dabei bildet sich in der Mitte des Sichtfelds ein grauer Fleck, der sich mit der Zeit ausbreitet. Bei Schuhmacher ist die Krankheit bereits sehr fortgeschritten. „Ich erkenne am Rand meines Blickfelds schemenhaft Bewegungen. Wenn ich den Kopf ganz zur Seite neige, kann ich zwischen hell und Dunkel unterscheiden“, erklärt er. Die blinde Fläche beschreibt Schuhmacher als großen, dunklen Fleck, der permanent seine Form ändert. „Man kann es sich vorstellen wie die Darstellung eines grauen Kontinents. In der einen Stunde sehe ich Afrika, in der nächsten Amerika“, witzelt Schuhmacher.

Mitmenschen sind sehr hilfsbereit

Zu Beginn seiner Erkrankung hat ihm sein Leiden schwer zu schaffen gemacht: „Ich bin anfangs regelrecht in ein Loch gefallen.“ Durch die erhebliche Einschränkung seines Blickfels konnte er Hobbys, wie Laufen, Fußball oder Schwimmen nicht mehr nachgehen. Viele Dinge wurden Schuhmacher erst klar, als er bereits erblindet war: „Fast 80 Prozent der Eindrücke aus unserer Umwelt nehmen wir mit den Augen wahr. Was einem abgeht, wird einem erst bewusst, wenn es nicht mehr da ist.“ Doch aus diesem „Loch“ wurde Schuhmacher schnell herausgeholfen. Mit tatkräftiger Unterstützung vom Blindenbund Regensburg lernte er schnell die grundlegenden Prozesse kennen, wie der Umgang mit einem Lesegerät, einer Wahlschablone oder auch dem Blindenstock.


Schuhmacher Blind geht

Der Stock wird im 90 Grad Winkel vor dem Körper am Boden hin und her bewegt. Ist der rechte Fuß vorne, sollte auch die Gehhilfe die rechte Seite absichern. An der Straße angekommen ertastet Schuhmacher zuerst vorsichtig mit seinem Stock den Bordstein. Dort stellt er sich hin und lauscht, ob sich ein Auto nähert. Als ein großer BMW angefahren kommt, geht er erst einmal einen Schritt zurück. Doch der Fahrer stoppt sein Auto mitten auf der Straße und wartet bis Schuhmacher sicher auf der anderen Straßenseite angekommen ist. „Seit ich mich als Blinder geoutet habe und den gelben Button mit den drei schwarzen Punkten trage, sind die Menschen sehr hilfsbereit und zuvorkommend“, meint der 66-Jährige. Auf der anderen Straßenseite wartet jedoch schon das nächste Hindernis. Zehn Stufen stehen noch zwischen Schuhmacher und dem Supermarkt. „Das ist gar kein Problem“, lacht Schuhmacher, hält den Stock vor sich und ertastet mit dem Fuß den Treppenabsatz. Als er auf die erste Stufe hochsteigt kann er so durch den Stock die Entfernung zur nächsten Stufe abschätzen: „Wenn der Stock vorne anschlägt, weiß ich, wo die nächste Stufe beginnt.“ Ohne Probleme steht Schuhmacher zwei Sekunden später am oberen Ende der Treppe und verschwindet in den Supermarkt.

„Die Eier stehen gleich hier beim Eingang“, ruft der 66-Jährige und deutet in die Richtung eines Kühlregals. Dort ertastet Schuhmacher vorsichtig das zweite Fach und nimmt eine 12er-Packung Eier heraus. Da er bereits vor seinem Erblinden Kunde in diesem Supermarkt war, kann er sich bei vielen Lebensmitteln noch an den genauen Standort erinnern. „Gefährlich ist es nur, wenn die Waren an einen anderen Ort gestellt werden. Aber wenn ich das merke, frage ich einfach – da darf man nur keine Scheu haben“, erklärt Schuhmacher. Doch am heutigen Tag findet er seine Produkte ohne Probleme. Vor den Gummibärchen verharrt er und erfühlt den Verpackungsinhalt. Nachdem er seinen ersten Handgriff, saure Mangos, mit der Aussage „Das ist irgendetwas Saures“ schnell wieder verworfen hat, ertastet er das Konfekt und packt es in den Einkaufskorb.


Mit dieser Schablone kann Schuhmacher an Wahlen teilnehmen.

Milchreis mit Curry statt Zimt

Als würde er von einer unsichtbaren Hand geführt, geht Schuhmacher zügig und ohne größere Probleme durch den Supermarkt. Nach fünf Minuten hat er seinen Einkauf erledigt und tastet sich in die Richtung des Ausgangs. „Gleich schlag ich mit dem Stock vorne an der Säule an. Dann muss ich leicht Links und stehe schon direkt vor der Tür“, beschreibt Schuhmacher seine automatisierten Bewegungsabläufe. Auch der Weg zurück nach Hause ist Schuhmacher bereits in Fleisch und Blut übergegangen. „Probleme habe ich nur bei unbekannten Umgebungen. Dort brauche ich Hilfe um mich zurecht zu finden“, gesteht der 66-Jährige.

Zu Hause angekommen macht sich Schuhmacher frisch ans Werk: Kochen ist seine Lieblingsbeschäftigung. Nachdem er 1996 auf Grund einer halbseitigen Lähmung, die kuriert werden konnte, in Rente geschickt wurde, hatte sich Schuhmacher ganz der Hausarbeit verschrieben. „Beim Kochen gehe ich nur nach meinem Geschmack. Normalerweiße klappt das ganz gut. Nur einmal gab es statt Zimtreis einen leckeren Milchreis mit Curry“, lacht der Hobbykoch im Gedanken an ein Missgeschick bei der Gewürzauswahl. Um die jeweilige Menge der Zutaten einzuschätzen hat Schuhmacher auch einen Trick: „Ich kann schemenhaft hell und dunkel erkennen. So haben wir für helle Gerichte schwarze und für dunkle Gerichte weiße Teller gekauft.“


Schuhmacher blind

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