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6. Kapitel
ОглавлениеIsabella saß noch immer tatenlos im Nebenzimmer des Konferenzraumes und konnte nichts weiter tun als zuzuhören.
Der Kriminaldirektor hatte seinen zwei oder drei Untergebenen ihre Aufgaben genauer erläutert. Den Stimmen nach schien auch eine Frau dabei zu sein.
Isabella hatte fast alles mit angehört. Doch sie wurde immer nervöser. Es war schon Viertel vor neun. Die Schauspielschule hatte bereits begonnen, sie war nicht entschuldigt. Ihr Handy hatte Isa lautlos gestellt, falls das Sekretariat nachfragte, warum sie fehlte. Der wichtige Brief von David steckte immer noch in ihrem Rucksack. Und irgendwann schaute womöglich mal jemand in den Nebenraum!
Gedankenverloren stand Isabella auf und sah sich um: Konnte sie sich hier nicht irgendwo verstecken? Ihr Blick fiel auf die Schränke an der Wand: Ob sie da hineinkriechen konnte? Leise schlich sie sich hinüber und öffnete die unteren Schränke: Sie waren alle voller Geschirr und hatten mehrere Unterteilungen – das ging nicht.
Isabella schloss die Schranktüren wieder und ging nachdenklich zurück zur Tür - halb lauschend, halb überlegend, wo sie sich noch verstecken könnte. Sie hörte unterbewusst, wie der Kriminaldirektor meinte: „Könnten Sie uns etwas zu trinken holen, Herr Kemp?“
Eine andere Stimme erwiderte: „Natürlich, gerne.“
Gleichzeitig machte Isabella zwei Schritte auf das zu, was sie für einen Kühlschrank hielt.
Doch plötzlich wurde ihr klar, was sie eben gehört hatte. Zugleich hörte sie Schritte. Sie fuhr zusammen: Er würde doch wohl nicht hierher…?
In dem Moment, als sich die Tür öffnete und heller Lichtschein ins Zimmer fiel, fuhr Isabella herum. Stocksteif, vor Schreck erstarrt und geblendet stand sie da und alles Blut wich aus ihrem Gesicht, als der junge Polizist wie in Zeitlupe in der Tür erschien und sie sah.
Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, und sie starrten sich beide völlig überrascht an.
Doch dann kam Leben in den Mann: „Was…?“
Blitzschnell fuhr er mit seiner Hand ans Schulterhalfter, zog seine Waffe und richtete sie auf Isabella: „Keine Bewegung!“
Scharf wie ein Messer durchschnitt seine Stimme die plötzlich entstandene Stille.
Vor Entsetzen wie gelähmt konnte Isabella nur die Pistole anstarren. Sie war gar nicht fähig, sich zu rühren, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Ein Stuhl fiel um, als im Konferenzraum jemand aufsprang. Eilige Schritte näherten sich.
Der Polizist bellte: „Hände hoch und umdrehen! Los!“
Isabella zitterte am ganzen Körper und konnte kaum noch klar denken vor Angst.
Der Mann wiederholte scharf: „Ich habe gesagt: Umdrehen!“
Er unterstrich seinen Befehl, indem er seine Waffe entsicherte.
Das weckte Isabella aus ihrer Erstarrung. Ihre Beine gehorchten ihr – wenn auch widerwillig – und sie drehte sich mit halb erhobenen Armen um, so dass sie an die Wand des Zimmers starrte.
Zum Schatten des Polizisten in der Tür gesellte sich ein zweiter Schatten. Die Stimme des Kriminaldirektors erklang: „Was ist los? Was…?“ Der Mann verstummte, als er Isabella erblickte.
Der junge Polizist antwortete mit eiskalter Stimme: „Eine Spionin. Sie hat gelauscht.“
Isabella schauderte und verteidigte sich verzweifelt: „Nein, das stimmt nicht! Ich bin bloß aus Versehen…“
Die Stimme versagte ihr. Sie wollte sich nach links umsehen.
Der Kriminaldirektor reagierte und warnte: „Sie darf eure Gesichter nicht sehen!“
Ein dritter Mann schlängelte sich gewandt an seinem Vorgesetzten vorbei, sprang vor, packte Isabella mit rechts am Rücken und stieß sie frontal gegen die Wand, wobei er mit seiner linken Hand ihr Gesicht so abdeckte, dass sie die Polizisten hinter ihr nicht sehen konnte: „An die Wand!“
Isabellas rechte Gesichtshälfte prallte unangenehm fest gegen die kühle, harte Wand. Ihr entfuhr: „Au!“ Fest wurde ihr Körper an die Wand gedrückt. Auch die vierte Person war offenbar mitgekommen, denn gleich darauf wurde Isa von einer weiteren Hand gegen die Wand gepresst. Ihr rechtes Handgelenk wurde ergriffen und neben ihrem Kopf an der Wand fixiert. Eine neue Stimme – sie gehörte zu einer Frau - erklang: „Gib mir mal deine Krawatte!“
„Hier.“
Kurz darauf legte sich der Stoff einer Krawatte kühl und fest vor Isabellas Augen. Jemand band die provisorische Augenbinde hinten an ihrem Kopf zu. Isa bewegte ihren Kopf – aber die Krawatte saß.
Der Mann links hinter ihr griff nach einem ihrer Rucksackträger, zog ihn ihr von der linken Schulter, packte dann Isabellas linkes Handgelenk und presste es gegen die Wand. Auch die Frau rechts hinter ihr gab nun kurz ihren rechten Arm frei, um ihr den Rucksack ganz abzunehmen.
„Durchsuch den Rucksack!“, hörte Isa sie zu einem ihrer Kollegen sagen.
Isabella wollte auffahren: „Nicht!“
Die Briefe waren doch da drin! Die Briefe, die sie persönlich übergeben sollte!
Von irgendwoher erwiderte eine kühle Stimme: „Doch!“
Schon wurde sie wieder an Schulter und Handgelenk ergriffen und gegen die Wand gedrückt.
Der Kriminaldirektor befahl: „Durchsucht sie! Dann nehmen wir sie gleich mal in die Mangel. Hat einer von Ihnen Handschellen hier?“
„Nein.“ „Nein.“ „Dann holen Sie welche!“
Der ganze Dialog spielte sich anonym ab, ohne Namen preiszugeben.
„Ich werde Sie jetzt durchsuchen. Bleiben Sie ruhig stehen!“, befahl ihr die weibliche Stimme.
Isabella spürte nun, wie zwei Hände mit geübten Bewegungen ihren Körper abtasteten. Widerstandslos ließ sie es über sich ergehen. Sie saß ziemlich tief in der Scheiße!
„Okay, sie ist clean“, verkündete die weibliche Stimme.
Daraufhin ließ der Druck gegen ihren Rücken nach. Der Mann, der sie die ganze Zeit gegen die Wand gedrückt hatte, packte sie nun am linken Arm und zog sie von der Wand weg, mit sich mit.
Isabella taumelte leicht – sie sah doch nichts. Reflexartig griff sie mit der freien Hand nach der störenden Augenbinde, aber da ergriff jemand auch diesen Arm und zog die Hand unsanft vom Kopf weg. Auf Socken zogen die beiden sie vorwärts, in den helleren Konferenzraum. Isabella musste stolpernd mitgehen. Plötzlich drückten sie Isabella nach unten auf einen Stuhl und hielten sie dort fest.
„Soll ich die Haussicherheit benachrichtigen?“, fragte einer der Polizisten.
„Ja, aber warten Sie noch ein paar Minuten. Die Haussicherheit kann sie sich später vorknöpfen. Nun habe ich erst einmal ein paar ganz spezielle Fragen an das Fräulein!“, antwortete der Kriminaldirektor.
Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinunter, sie war den Tränen nahe.
Jemand betrat den Raum: „Die Handschellen.“
„Danke!“
Isabellas Bewacher zogen ihr die Arme nun nach hinten, um die Stuhllehne herum, und kaltes Metall griff unnachgiebig fest nach ihren Handgelenken. Kurz darauf ließen sie Isabella los, aber sie konnte nicht aufstehen, weil sie mit den Handschellen an den Stuhl gefesselt war. Unbehaglich bewegte sie die Hände.
Plötzlich ertönte direkt neben ihrem Ohr die drohende Stimme des Kriminaldirektors: „Sie haben uns also belauscht. Seit wann?“
Isabella zuckte zusammen. Was sollte sie nun tun? Ehrlich sein und hoffen, dass sie gnädig mit ihr waren? Oder versuchen, alles zu leugnen?
Sie entschied sich für Ehrlichkeit und antwortete leise und ängstlich: „Seit Sie hier drinnen waren. Aber ich habe gar nicht alles gehört. Und ich wollte auch niemanden belauschen. Ich wollte bloß einen Brief abgeben… für Herrn Amper! Das ist dringend!“
Eine Stimme verkündete aus dem Hintergrund: „In ihrem Rucksack ist tatsächlich ein verschlossener Brief, aber ohne Adressat darauf! Soll ich ihn öffnen?“
Isabella wollte aufspringen, aber ihre Fesseln hinderten sie daran, und eine Hand legte sich warnend auf ihre Schulter: „Nein! Ich soll ihn persönlich übergeben!“
Der Kriminaldirektor überlegte und meinte nach einer kurzen Pause: „Warten Sie! Gibt es beim LKA einen Herrn Amper?“
Jemand meinte: „Ja, ich glaube schon – aber der arbeitet in einem ganz anderen Teil des Gebäudes.“
Der Kriminaldirektor forderte Isabella sarkastisch auf: „Können Sie mir dann bitte erklären, was Sie in diesen Raum geführt hat?“
Isabella erklärte mit bebender Stimme: „Der Mann, von dem ich diesen Brief bekommen habe, hat gesagt, Herr Amper arbeite hier im Zimmer 314. Naja, und deswegen habe ich hier hereingeschaut…“
Schneidend unterbrach der Kriminaldirektor sie: „Das hier ist aber nicht Zimmer 314, sondern I 314! Zimmer 314 ist im Gebäude nebenan!“
Isabella verstummte ein paar Sekunden verdutzt: „Was? Aber… ich dachte, das wäre 314.“
„Leider falsch gedacht!“ Er wandte sich an jemand anderen: „Prüfen Sie nach, ob ihre Angaben stimmen!“
„Wird gemacht!“ Der Beauftragte setzte sich offenbar an einen Laptop. Isa hörte das Klacken der Tastatur.
Der Kriminaldirektor fragte weiter: „Wer hat Sie hierhergeschickt?“
Isabella wandte ihm den Kopf zu, auch wenn sie ihn nicht sehen konnte, und antwortete: „David Wolf. Er arbeitet hier… und er ist mein Freund. Ich wollte wirklich bloß diesen Brief abgeben!“
Langsam wiederholte der Kriminaldirektor: „Also, damit ich das richtig verstehe: Ihr Freund ist Ermittler hier beim LKA? Welche Abteilung?“
Isa antwortete: „Staatsschutz.“
Der Kriminaldirektor hakte nach: „Okay, aber… wie sind Sie überhaupt hier hereingekommen?“
Kleinlaut antwortete Isa: „Ähm… Ich habe den Dienstausweis meines Freundes benutzt.“
„Wie bitte?“, fragte der Kriminaldirektor in beißendem Tonfall. „Wie kommen Sie an den Dienstausweis Ihres Freundes?“
Plötzlich ertönte ein alarmierter Ausruf, und dann verkündete eine der Männerstimmen ernst: „Kriminaldirektor – sie hat eine Waffe im Rucksack!“
„Was? Das kann nicht wahr sein!“, entgegnete der Kriminaldirektor scharf. Was kam noch?
Nervös setzte Isa zu einer Erklärung an: „Ja, ähm… das ist wohl Davids Waffe, nehme ich an. Sie war in dem großen Umschlag.“
„Aha. Und was macht die Waffe Ihres Freundes jetzt in Ihrem Rucksack, wenn ich fragen darf?“, hakte der Kriminaldirektor mit ironischer Schärfe nach.
Isa schluckte und erklärte: „Mein Freund ist im Moment in einer nicht offenen Ermittlung. Heute Morgen rief er mich plötzlich an, ich solle zwei Umschläge im Wald suchen und an Herrn Amper übergeben – sofort! Einer der Umschläge ist mir später heruntergefallen und aufgeplatzt – darin war die Waffe. Ich wusste nichts davon! Kann ich jetzt bitte den Brief an Herrn Amper übergeben? Er ist Davids Führer. Es ist wirklich dringend! Ich glaube, dass David in Gefahr ist! Vielleicht hängt seine Sicherheit davon ab, dass Herr Amper schnellstmöglich diesen Brief bekommt.“
Der Kriminaldirektor dachte kurz nach und fragte dann: „Wieso sind Sie überhaupt in dieses Zimmer hineingegangen, nachdem doch wohl offensichtlich war, dass hier kein Herr Amper arbeitet?“
Zögernd und unsicher antwortete Isabella: „Ich dachte, vielleicht steht hier irgendwo, wo ich ihn finden kann. Und dann kamen Sie. Da bin ich ins Nebenzimmer geflüchtet.“
„Und warum sind Sie nicht sofort wieder herausgekommen, als Sie hörten, dass wir hier eine wichtige Besprechung haben?“
Isabella ließ den Kopf hängen und sagte verzweifelt: „Das frage ich mich auch. Aber… ich habe mich einfach nicht getraut! Ich hatte Angst, was dann passieren würde.“
„Jedenfalls wäre mit Sicherheit weniger passiert als so!“
„Ja, das schon…“
Der Kriminaldirektor meinte zu Isa: „Ob ich Ihnen nun glaube oder nicht – sowohl Sie als auch wir haben jetzt ein Problem! Ihnen ist doch wohl klar, dass Sie jetzt nicht so ohne Weiteres wieder heimgehen können?“
Eigentlich war das Isabella nicht ganz klar: „Aber ich…“
Da klopfte es energisch an der Tür.
Isabella verstummte.
Jemand ging zur Tür und öffnete sie: „Ja?“
An der Tür standen zwei Männer: „Guten Morgen – Haussicherheit. Haben Sie uns benachrichtigt, dass eine junge Frau sich unberechtigt im Gebäude aufhält?“
Isabella wäre am liebsten im Boden versunken. Das hatte ihr gerade noch gefehlt!
Der Beamte, der die Tür geöffnet hatte, meinte grimmig: „Ja. Wir haben sie erwischt, als sie uns vom Nebenraum aus belauscht hat. Hier ist ihr Ausweis.“
Eine scharfe Stimme sprach sie daraufhin an: „Frau Isabella Caspari!“
Isabellas Kopf fuhr herum, und sie erwiderte unsicher: „Ja?“
„Es würde uns sehr interessieren, wie Sie unberechtigt ins LKA hineingekommen sind. Ihnen ist hoffentlich klar, dass Sie eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erwartet!“
„Ähm… nein. Ich habe vorher nicht darüber nachgedacht“, brachte Isa kleinlaut hervor.
Die Stimme des Generals ergänzte grimmig: „Nicht nur das. In ihrem Rucksack befand sich eine Waffe. Es geht hier also auch noch um einen Verstoß gegen das Waffengesetz – Führen einer Waffe ohne Erlaubnis!“
Isabella verwünschte den Mann. Mit erstickter Stimme brachte sie hervor: „Das mit der Waffe habe ich Ihnen doch erklärt! Was hätte ich denn tun sollen? Damit zum Pförtner marschieren und sie da abgeben?“ Eine Träne floss aus ihren geschlossenen Augen und wurde sofort von der Augenbinde aufgesogen.
Der Kriminaldirektor räusperte sich leicht amüsiert: „Naja, das hätte sicher auch für Irritationen gesorgt. Aber mitsamt Waffe ins LKA zu marschieren war jedenfalls auch keine gute Idee!“
An die Männer von der Haussicherheit gewandt sagte er nun ernst: „Wir hatten hier eine streng geheime Besprechung – und die hat Frau Caspari belauscht! Ich denke, wir sollten schnellstens eine Krisensitzung abhalten - und uns überlegen, was mit ihr nun geschehen soll!“
Isabella bekam eine Gänsehaut. Sie hatte das Gefühl, dass nun alle sie anstarrten. Die behandelten sie wie ein Objekt! Was sie dabei fühlte, daran schien keiner zu denken. Wieder war sie den Tränen nahe.
Mit zitternder Stimme verteidigte sie sich: „He – ich wollte ja gar nicht „spionieren“, sondern bloß den Brief abgeben und dann wieder gehen. Das müssen Sie mir glauben! Es ist halt nur alles ganz anders gekommen, als ich das wollte… Tut mir leid!“
Es kehrte Stille ein.
Schließlich erklang die Stimme des Kriminaldirektors, die Isabella mittlerweile kannte, streng: „Frau Caspari, haben Sie jemandem gesagt, wohin Sie gehen?“
Was sollte das denn nun?
Nach einer kurzen Pause antwortete sie: „Nein – warum?“
Er ging nicht darauf ein, sondern fragte weiter: „Ist Ihnen jemand hierher gefolgt?“
Wenn Isabella es gekonnt hätte, hätte sie ihn nun entgeistert angestarrt. So drehte sie nur ihr erstauntes Gesicht in seine Richtung: „Warum sollte mir jemand folgen?“
„Beantworten Sie meine Frage!“, beharrte er.
Sie schüttelte hilflos den Kopf: „Nein, also… ich weiß es nicht! Ich habe nicht darauf geachtet.“
„Hmm… Wie alt sind Sie überhaupt?“, wollte er wissen.
„Ich bin zwanzig“, erwiderte Isabella leise.
„Vorstrafen?“
„Nein!“, wollte sie entrüstet entgegnen – doch das stimmte ja nicht.
„Ähm…“ Sie zögerte und wurde rot. Konnten die das wissen?
„Naja“, sagte sie kleinlaut, „vor drei Monaten habe ich eine Geldstrafe und ein paar Sozialstunden bekommen.“
„Weswegen?“, hakte der Kriminaldirektor nach.
Isa zögerte.
Der Kriminaldirektor polterte: „Raus damit! Wir kriegen es ja sowieso raus, wenn wir den Computer befragen.“
Die junge Frau wurde noch etwas röter: „Wegen Nötigung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte.“
Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken.
„Okay – dann bleiben die Handschellen auf jeden Fall dran“, meinte der Kriminaldirektor trocken.
Nach einer kurzen Denkpause wandte er sich an die Männer von der Haussicherheit: „Bringen Sie sie erstmal in ein Büro und haben Sie ein Auge auf sie! Seien Sie vorsichtig! Man weiß ja nie… Nach der Besprechung bekommen Sie Bescheid, was zu tun ist.“
Isabella protestierte schwach: „Wie lange wollen Sie mich denn hier festhalten? Ich muss zur Schauspielschule – und um 16 Uhr Englisch-Nachhilfe geben!“
Es passte nicht hierher, aber es musste gesagt werden – sie konnte ihren Nachhilfeschüler Yannick doch nicht einfach sitzen lassen!
Nach kurzer Überlegung meinte der Kriminaldirektor: „Lassen Sie sich von der jungen Frau Namen und Telefonnummer der Schauspielschule und des Nachhilfeschülers geben und sagen Sie beides ab! Ihnen wird schon was einfallen.“
Dann wandte er sich wieder an Isabella: „Haben Sie heute noch andere Termine?“
Sie schüttelte kraftlos den Kopf.
Das klang nicht gut. Musste sie jetzt den ganzen Tag hierbleiben?
„Gut, dann ab!“, befahl der Kriminaldirektor.
Kurz darauf packten kräftige Hände sie an Handgelenken und Oberarmen und zogen sie vom Stuhl hoch, ohne ihr die Handschellen abnehmen zu müssen. Es war nicht gerade sehr angenehm, aber sie biss die Zähne zusammen, denn sie hatte noch etwas auf dem Herzen – ihren „Auftrag“: „Warten Sie – was ist denn nun mit dem Brief, den ich Herrn Amper geben soll?“
Der Kriminaldirektor seufzte und sagte zu einem ihrer Bewacher: „Nehmen Sie ihren Rucksack mit. Wir haben ihn durchsucht und eine Waffe sichergestellt. Das ist jetzt okay. Frau Caspari haben wir auch durchsucht. Ich benachrichtige Herrn Amper. Sie kann ihm den Brief dann in seinem Büro übergeben – aber bleiben Sie dabei!“
„In Ordnung“, ertönte neben ihr eine tiefe Stimme.
Dann begannen die zwei Männer sie an den Armen vorwärtszuziehen – doch schon nach zwei Schritten fiel Isabella noch etwas ein und sie bremste: „Halt! Meine Schuhe!“
Auf dem glatten Boden rutschte sie in den Socken.
Die Männer hielten an. Vermutlich starrten nun alle auf ihre Füße. Irgendwoher hörte sie unterdrücktes Lachen.
Eine Stimme meinte: „Die stehen drüben im Nebenraum.“
Der Kriminaldirektor wies an: „Holen Sie sie!“
Dann kam er noch einmal näher zu Isabella und bohrte: „Warum haben Sie ihre Schuhe überhaupt ausgezogen, wenn Sie uns doch gar nicht belauschen wollten?“
Isabella wurde rot: „Das habe ich doch eigentlich schon gesagt: Erwischen lassen wollte ich mich halt auch nicht. Ich hatte Angst, was dann passiert.“
Jemand griff nach ihrem Fußgelenk. Isabella verstand, hob den Fuß und schlüpfte nach kurzem Tasten in den leichten Schuh.
Als sie beide Schuhe trug, wiederholte der Kriminaldirektor knapp: „Ab! Und wir fangen gleich an zu beraten.“
Der Zug an Isabellas Armen verstärkte sich wieder. Sie ließ sich vorwärts ziehen. Kurz darauf schloss sich eine Tür hinter ihnen. Sie war alleine mit den zwei Leuten von der Haussicherheit auf dem Gang.
Nachdem sie eine Minute lang schweigend gegangen waren und Isabella sich dabei ständig unsicher vorwärtstastete, bat sie: „Könnten Sie mir nicht die Augenbinde abnehmen? Das ist ein verdammt ungutes Gefühl, nicht zu wissen, wohin man beim nächsten Schritt tritt.“
Von links ertönte eine Stimme: „Eigentlich spricht nichts dagegen. Sehen wird sie uns sowieso noch.“
Von rechts kam darauf die Antwort: „Richtig, aber gedulden Sie sich noch einen kleinen Moment! Wir sind gleich da.“
Isabella schwieg. Kurz darauf zogen die Männer sie um eine Ecke.
Nun spürte Isabella, wie ihr rechter Arm losgelassen und der Krawattenknoten an ihrem Hinterkopf gelöst wurde. Dann senkte sich endlich der Stoff, der sie für eine gefühlte halbe Stunde in das schwarze Reich der Dunkelheit verbannt hatte. Erleichtert atmete sie auf, als er über ihre Nase herabrutschte und dann ganz weg war. Blinzelnd öffnete sie die Augen, von der plötzlichen Helligkeit geblendet. Mit leicht schmerzenden Augen sah Isabella sich um: Vor ihnen lag ein offenbar nicht genutztes Büro.
Nun fasste der Mann sie wieder am rechten Arm und zog sie vorwärts. Isabella musterte ihn verstohlen: Er überragte sie um einen ganzen Kopf. Sie fühlte sich sehr klein neben ihm.
Ihre Wächter führten Isabella in das karg möblierte Büro. Der Größere mit der tiefen Stimme nahm ihr nun die Handschellen ab und sagte: „Verhalten Sie sich ruhig! Wir bringen Sie dann zu Herrn Amper.“
Mit einem durchdringenden Blick verstärkte er seine Mahnung.