Читать книгу Liebe findet immer einen Weg - Monica Maria Mieck – Herausgeber Jürgen Ruszkowski - Страница 12

Der Schneeballstrauch

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Ich weiß es noch, als wenn es erst vorgestern geschehen wäre, so hat sich dieses kleine Erlebnis damals in meine junge Kinderseele eingedrückt. Es war im Jahre 1947, und ich war neun Jahre alt. Zusammen mit meiner Mutter und meinen vier Geschwistern hatte ich erst zwei Jahre zuvor unsere ostdeutsche Heimat verlassen müssen. Wir wohnten alle zusammen in einem einzigen Zimmer, welches jedoch ziemlich groß war. Abends legten wir uns müde und oftmals auch hungrig auf unsere Strohsäcke. Manchmal konnte ich bei schlechtem Wetter nicht zur Schule gehen, weil ich keine Schuhe hatte. In den Sommermonaten lief ich fast immer barfuß. Und wenn die Hecken frisch geschnitten waren, hatte ich mir Dornen in meine nackten Füße getreten. Taschengeld hatten wir Kinder natürlich auch niemals bekommen. Also, es war an einem sonnigen Tag im Monat Mai, als zwei meiner Brüder und ich auf eine kleine Wanderung gingen. Unser Weg führte uns an schmucken Einfamilienhäusern vorbei, die wunderschöne Vorgärten hatten; für meine Kinderaugen sahen sie wie paradiesische Eingangshallen aus. Es blühten viele bunte Blumen in diesen Gärten. Aber in einem Vorgarten zog ein ganz besonderer großer Strauch unser aller Augenmerk auf sich, wie ein Magnet. Dicke runde weiße Schneebälle hingen in großer Zahl an den Zweigen. Der Strauch war fast so groß wie ein Baum. Ich hatte einen so bezaubernd blühenden „Schneeballbaum“ vorher noch niemals gesehen. Lustig, ja lu­stig schauten mich diese verführerischen weißen Bälle an. Sie erinnerten mich auch an die langen und kalten Winter in unserer ostdeutschen Hei­mat. Schneeballschlachten hatte ich im Winter schon oft erlebt. Aber blühende Schneebälle im Frühling, das war etwas ganz Neues für mich. Von diesem Strauch ging etwas Bezauberndes aus, wie in einem Märchen.

Auf unserer Wanderung führte uns der Weg in einen Wald hinein, und wir Geschwister unterhielten uns sehr angeregt über unsere verschiedenen Lehrer. Überhaupt ging uns niemals der Gesprächsstoff aus. Ich weiß nun nicht mehr, wer von uns zuerst den Einfall hatte, auf dem Rückweg an dem Haus zu klingeln, in dessen Vorgarten der weiße Schneeballstrauch stand. Am kommenden Sonntag war nämlich Muttertag, und auch wir wollten unserer Mutter so gerne etwas schenken. Wir beschlossen genau, wie wir vorgehen wollten. Einer der Brüder wollte klingeln, und ich sollte die Bitte vortragen. Gemeinsam übten wir den Bittstellersatz regelrecht ein.

Wir hatten auch Angst, eventuell abgewiesen zu werden. Darum musste unsere Bitte das Herz des Gartenbesitzers treffen. So übte ich auf dem Weg zu dem „Paradiesgarten“ immer wieder die beste Formulierung, die uns eingefallen war. Natürlich hatten wir das Haus mit dem außergewöhnlichen Vorgarten gleich wiedergefunden, und an der Haustür war auch schnell der Klingelknopf gedrückt. Eine Frau mit einem freundlichen Gesicht öffnete die Tür. Mein Herz schlug mir plötzlich bis in den Hals hinein, aber die Freundlichkeit in dem Gesicht der Frau ließ mich dann doch den Satz hervorbringen: „Wir möchten unserer Mutter so gerne zum Muttertag auch etwas schenken, und wir dachten, wir möchten Sie bitten, ob Sie uns ein paar Zweige von den wunderhübschen Schneebällen dafür geben könnten.“ Die Frau sagte gleich: „Ja, ich schneide euch gerne Zweige ab, damit ihr eurer Mutter auch am Sonntag eine Freude machen könnt. Ich hole nur noch schnell ein Messer aus der Küche.“ Während die freundliche Frau das Messer holte, stießen wir Geschwister uns gegenseitig an, erleichtert, dass unsere Bitte Erfolg gehabt hatte. Mit einem großen Strauß verzauberter Schnee­bälle, den der älteste Bruder trug, gingen wir durch die Straßen nach Hause, so glücklich, wie nur Schneekönige sein können.


Eine Rose verschenkt,

zwei Umarmungen bekommen.

Wenig gegeben,

reichlich genommen.


Liebe findet immer einen Weg

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