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Ich weine und lache

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Vor zwei Stunden aufgestanden, bin ich schon wieder so müde, dass ich kaum mehr denken kann. Der Körper ist schwer, die Beine scheinen aus Blei zu sein. Die Arme hängen an mir herunter wie zwei nasse Sandsäcke. Der Kopf scheint mir vom Hals zu brechen, und doch bin ich in diesem Moment klar im Kopf und fähig, alles aufzuschreiben.

Es begann schon, als ich noch klein war. Wie alt ich damals war, kann ich heute nicht mehr genau sagen. Meine Kindheit scheint wie mit einem nassen Schwamm verwischt. Hie und da ein Bild, das klar zwischen den verschwommenen Bildern auftaucht: Ich ziehe mich in die hinterste Ecke meines Zimmers zurück aufs Bett, drücke mich an das Kissen und trauere. Worum? Ich glaube, ich selbst wusste dies nicht so genau, nur, dass es mir anschliessend wieder besser ging. Nachher ging es mir immer prima. Ich fühlte mich leicht und gut. Warum? Ich glaube, ich habe mir niemals Gedanken darüber gemacht, es war einfach ein Teil meines Lebens, so wie das Lachen auch.

Mit achtzehn Jahren wurde ich schwanger. Er wollte das Kind nicht. Mein Vater und seine Eltern wollten das Kind auch nicht. Ich schon. Es wurde abgetrieben. Ich weinte und lachte. Alles ging weiter. Mit neunzehn wollte ich sterben. Ich fühlte mich vom Leben zerrieben, denn ich brachte es nicht fertig, das Leben zu leben, wie ich es wollte, sondern ich lebte es, wie man es von mir verlangte. Wenn ich es doch einmal wagte, über die Stränge zu schlagen, wurde ich mit einem schlechten Gewissen, Hass gegen mich oder die Umwelt bestraft.

Als ich neunundzwanzig wurde, wollte ich aus dem Leben raus, runter vom Schachbrett. Ich trank eine Flasche Cognac, spie die Hälfte wieder aus, verliess die Wohnung und legte mich in den Schnee. Es war spannend, ich spürte überhaupt keine Kälte, keinen Schnee. Im Gegenteil, ich fühlte mich leicht und geborgen. Dann kam mein kleiner Junge – sagte Mami –, und alles war vorbei. Ich weinte und lachte weiter.

Als Vierzigjährige war ich völlig überfordert. Vier kleine Kinder, praktisch kein Einkommen trotz harter Arbeit, und dies im Ausland. Ich wollte den Kindern eine bessere Zukunft gönnen – also wieder vom Schachbrett runter. Die Kinder würden in die Schweiz zurückgebracht werden, wo sie es besser haben sollten…

Ich weinte und lachte weiter. Das Leben machte mich müde, so müde, dass ich kaum mehr wach bleiben konnte. Die Beine, die Arme, der ganze Körper, ja sogar das Gehirn waren bleischwer. Mein grösster Wunsch war, endlich von diesem ewigen Karussell abzuspringen und endlich einzuschlafen, ohne je wieder aufzuwachen.

Dann mit neunundvierzig Jahren, immer noch gegen die Müdigkeit kämpfend, der totale Zusammenbruch wegen Mobbing am Arbeitsplatz. Ich fand keinen Sinn mehr im Leben, bei dem ich den anderen nur auf den Zehen herum zu trampeln schien. Das ersten Mal die Diagnose Depression. Wieder wollte ich runter vom Schachbrett. Doch Medikamente und Psychiatrie machten, dass ich weiter weinte und lachte.

Mit einundfünfzig wieder Mobbing, Depression, Medikamente und Psychiatrie. Zwei Jahre Psychotherapie.

Analysen meines Seins lassen jetzt zu, dass ich wieder mitspiele, als Dame auf dem Schachbrett: mal schachmatt, mal Siegerin.

Immer noch gesteuert von aussen, doch mit dem Bewusstsein, dass ich das Spiel selbst in den Griff bekommen kann, es selber lenken, meine eigenen Fähigkeiten und mein eigenes Bewusstsein einbringen kann.

Ein echter Neubeginn? Weiss nicht, vielleicht? – Ja!

Das unheilvolle Niesen

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