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Lieber, böser Freund

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Sie ist hübsch. Nicht schön, aber hübsch. In ihrer Nähe fühlt man sich wohl, sie hat eine so warme Ausstrahlung. Heute allerdings sind ihre sonst schelmischen Augen voller Trauer. Ihr Gesicht ist blutunterlaufen und aufgedunsen. Es macht mich elend, sie so zu sehen.

Vor fünf Jahren sind wir uns zum ersten Mal begegnet. Auf dem Parkplatz vor dem Einkaufszentrum. Ihre prall gefüllte Einkaufstasche barst auseinander, und die Tomaten, Äpfel, Seife, Wurst, Reis und Brötchen kullerten bunt durcheinander, teilweise unter die parkierten Autos. Sie besah sich einen kurzen Moment das Malheur und lachte dann schallend los. Sie begann die Dinger wieder einzusammeln, und ich half ihr dabei. Als sie sich schliesslich bäuchlings auf den Boden legte, um eine Tomate unter einem Auto hervorzuholen, lachte auch ich.

Ich sehe sie an, betrachte ihr geschundenes Gesicht, und mir wird schlagartig bewusst, dass sie schon lange nicht mehr so gelacht hat. Ein Gefühl der Wärme durchströmt mich, und ich möchte sie in die Arme nehmen. Tue es aber nicht.

Damals, als wir all ihre Einkäufe wieder eingesammelt hatten, lud sie mich zu einer Tasse Kaffee ein. Ich hörte ihr zu, sah ihr Lächeln, ihre verschmitzten Augen, ihre so ausgeprägte Gestik, als sie von den vielen Pleiten erzählte, die ihr immer wieder unterliefen. Sie sei von Natur aus linkisch, die Pannen vorprogrammiert, sagte sie. Dann erzählte sie mir von ihrem Freund, vom Glück, einen Menschen wie ihn um sich zu haben.

Von da an trafen wir uns ab und zu – zu einem Gläschen Wein, einer Kinovorstellung oder einem Abendessen. Irgendwann bemerkte ich, dass sie immer stiller wurde, nicht mehr so oft ausgelassen war. Es gab Momente, in der Trauer aus ihren Augen sprach. Doch sie wollte nicht darüber sprechen. Ganz allmählich erlosch der Schelm in ihren Augen, und sie war kaum mehr unbeschwert und aufgezogen.

Gestern hatten wir uns verabredet und wollten uns «Herr der Ringe» im Kino ansehen. Als sie eine halbe Stunde nach Beginn immer noch nicht aufgetaucht war, fuhr ich zu ihrer Wohnung. Im Schlafzimmer und in der Küche brannte Licht, also klingelte ich. Auch nach mehrmaligem Klingeln öffnete sie nicht. Ich hatte Angst und begann an die Türe zu poltern. Doch erst als die Nachbarn ins Treppenhaus kamen und schimpften, öffnete sie. Ich war auf einiges gefasst, doch nicht auf das! Ihr Gesicht und ihre Kleidung waren über und über mit Blut verschmiert, ihr Gesicht so verschwollen, dass ihre Augen kaum mehr zu sehen waren. Auch konnte sie sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten.

Nach dem ersten Entsetzen, als ich wieder klar denken konnte, fuhr ich sie ins Spital. Ich bombardierte sie mit Fragen, doch sie war nicht in der Lage, darüber zu sprechen, was geschehen war.

Jetzt, im Spital halte ich ihre Hand und schaue zu, wie sie langsam erwacht. Sie macht die Augen auf und schaut mich eine Weile unverwandt an. Ich schlucke leer. Ganz, ganz leise sagt sie: «Bitte, bitte bleib.»

«Ich habe nicht vor zu gehen», antworte ich ebenso leise.

«Aber, sag mir, um Gotteswillen, was geschehen ist.»

Sie bleibt stumm. Tränen laufen aus ihren Augenwinkeln und tropfen auf das Kissen. Ich möchte sie in die Arme nehmen, getraue mich aber nicht. Dann, flüsternd, fängt sie an zu erzählen: «Tom. Es war Tom. Diesmal war es ganz besonders schlimm. Aber er ist kein böser Mensch. Im Gegenteil. Er kann so zärtlich und mitfühlend sein. Wenn er nicht getrunken hat, dann ist er genau der Mann, den ich immer wollte. Nur, wenn er Alkohol trinkt, wird er aggressiv. Zu Anfang hat er mich nur verbal verletzt. Wenn er wieder nüchtern war, hat er sich dann auch entschuldigt. Nur, sein Alkoholkonsum hat nach und nach zugenommen. Er wurde immer brutaler. Ich weiss nicht mehr, wann es war, dass er mich zum ersten Mal schlug. Hinterher hat es ihm immer leidgetan, und er machte es auf eine Art und Weise wieder gut, dass ich ihm nicht böse sein konnte. Im Gegenteil, ich hatte Mitleid mit ihm. Doch es geschah immer häufiger. Langsam wusste ich nicht mehr aus und ein, weil ich ihn immer noch liebe. Gestern Nachmittag dann habe ich ihn endlich zur Rede und vor die Wahl gestellt: ich oder der Alkohol! Er ist völlig ausgerastet. Er hat nicht aufgehört zu schlagen, bis ich nicht mehr aufstehen konnte. Dann ist er gegangen.»

Ihre Tränen haben einen nassen Fleck auf dem Kopfkissen hinterlassen. In mir tobt ein Orkan. Ich sage kein Wort. Halte nur ihre Hand.

Ich warte, dass ihre Tränen versiegen, sie Abschied von Tom nimmt. Nur ab und zu streiche ich ihr über das Haar. Endlich versiegen ihre Tränen, und sie versucht ein Lächeln: «Danke.»

«Meinst du, dass du aufstehen kannst?» Sie nickt. «Dann ziehen wir dich jetzt an. Ich bringe dich von hier weg.» Wortlos steht sie auf und zieht sich an. Dann hakt sie sich bei mir ein. Diese Stütze braucht sie. Zu Hause angekommen, rufe ich zuerst im Geschäft an, dann bei der Fluggesellschaft. Ich will ihr die räumliche Distanz geben, die sie jetzt braucht. Sie liebt noch immer Tom.

Doch mich mag sie auch. Das genügt mir fürs Erste. Ich werde alles daran setzen, zu verhindern, dass sie nochmals so gequält wird.

Das unheilvolle Niesen

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