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| | | | | | Kindheit in Passy

Ich wurde am 5. März 1926 in Paris, im 16. Arrondissement, in einer Klinik in der Rue Alfred Dehodencq 5, geboren. Meine Eltern wohnten in einer Mietwohnung in Saint-Cloud, glaube ich. Im Jahr meiner Geburt kauften sie nur nach der Planzeichnung eine Wohnung in einem noch im Bau befindlichen Gebäude, in der Rue des Marronniers 2 in Paris, im 16. Arrondissement. Im Frühjahr 1927 bezogen sie diese Wohnung, die im Jahr 1956 meine eigene und die meines Mannes werden sollte, von wo ich jetzt diese Zeilen schreibe. Sieht man von den ersten drei Zahlen ab, die für Paris stehen, ist unsere Telefonnummer in den letzten 87 Jahren die gleiche geblieben.

Der Beginn dieses Berichts lässt vermuten, mein Leben habe im Zeichen der Stabilität gestanden. Dem war keinesfalls so. Wir lebten nur sieben Jahre in der Rue des Marronniers. Mein Bruder Jacques kam am 9. Oktober 1927 zur Welt. Am 21. Mai hatte meine mit ihm schwangere Mutter vom Fenster ihres Zimmers aus, das nach Westen ging, die Spirit of Saint Louis ankommen sehen, Lindberghs Flugzeug, mit dem er am Vorabend von New York aufgebrochen war und als Erster den Atlantik ohne Zwischenstopp in 33 Stunden überquert hatte, er sollte in Le Bourget landen. Meine Mutter glaubte, dass der Geschmack, den mein Bruder später an allem fand, was mit dem Fliegen zu tun hatte, eng damit zusammenhing, dass er – wenn auch als Embryo – Zeuge einer derartigen Großtat gewesen war.

Vom Balkon des fünften Stockwerks aus, der vor den Zimmern verläuft, die auf die Rue des Marronniers hinausgehen, sah man die Seine, die unterhalb der waldigen Hügel von Meudon einen großen Bogen beschrieb. Nur wenige Autos parkten in der Straße, die in beide Richtungen befahren werden durfte. Man hörte regelmäßig das Trotten der Pferde, die die Lieferwagen zogen; sie brachten uns Kohle für das Heizen des Küchenherds. Sie lieferten Holz, denn die Wohnungen hatten in der Zeit in einigen Zimmern noch offene Kamine. Das Holz und die Kohlen wurden im Keller gelagert und jeden Tag über die Hintertreppe hinauf in die Wohnungen gebracht. Vergessen wir nicht den Wagen des Eislieferanten, der uns jeden Morgen mit einer Stange Eis belieferte, die er auf seiner von einem groben Leinensack geschützten Schulter hinauftrug. In Europa gab es noch keine elektrischen Kühlschränke. Man kann sich heute nur schwer das Kommen und Gehen vorstellen, das auf den Hintertreppen zwischen Keller und Küche herrschte. Damals erfüllten diese Orte eine wichtige Funktion und wurden gut instand gehalten.

Ein bürgerlicher Haushalt wie der meiner Eltern brauchte Dienstpersonal. Wir hatten eine Köchin und ein Zimmermädchen, die in den Dienstbotenzimmern schliefen. Eine englische Zugehfrau kümmerte sich um die Kinder. Sie ging mit ihnen jeden Tag im Jardin du Ranelagh spazieren, brachte sie in die Schule und zu den Klavierstunden, unterrichtete sie in Englisch. Sie wohnte im Viertel und ging abends zu sich nach Hause.

Bei meinen Großeltern mütterlicherseits in Saint-Cloud

Donnerstags und an den Wochenenden wurden die Kinder zu den Großeltern mütterlicherseits gebracht, die in einem Sandsteingebäude aus dem Anfang des Jahrhunderts, umgeben von einem ein Hektar großen Garten, wohnten, Rue du Mont-Valérien 40 in Saint-Cloud, genau oberhalb der Gare du Val-dʼOr. Von dem vierstöckigen Haus aus sah man den Nordwesten von Paris über die Rennbahn von Longchamp hinaus. Auf die Terrasse in der obersten Etage hatten meine Großeltern ein Fernrohr gestellt, durch das wir die Rennen genauso deutlich verfolgen konnten wie heutzutage im Fernsehen. Ebenso konnte man nachts die Mitteilungen lesen, die als leuchtende Zeichen auf dem Eiffelturm erschienen. Dieser Panoramablick auf die Pariser Innenstadt verzauberte meine frühe Kindheit. Ich liebte den Garten, der Früchte und Blumen im Überfluss hervorbrachte.

Samstagmorgens holte mein Großvater mich nach der Arbeit in seinem Büro in der Rue Étienne Marcel mit seinem Panhard oder seinem Buick ab, der von einem tschechischen Chauffeur gefahren wurde. Ich könnte den Inhalt unserer Plaudereien nicht wiedergeben, aber ich sehe noch die in Silberpapier gewickelte Rolle vor mir, die mein Großvater aufriss, um mir eine weiße Pastille in Form eines Rettungsrings, life-saver genannt, zu geben, deren Wintergrün-Aroma mir im Gedächtnis geblieben ist. Kaum waren wir in Saint-Cloud angekommen, umfing Nanny mich mit ihrer Zärtlichkeit. Das Zimmer der Enkel befand sich im zweiten Stock neben dem von Onkel Georges, von Nanny, dem der Gäste und dem Wäschezimmer. Die Großeltern bewohnten den ersten Stock. Wir, die Kinder, besuchten sie morgens gegen zehn Uhr, während meine Großmutter ihr Frühstück im Bett einnahm und dabei dem Haushaltsvorsteher sowie dem Chauffeur ihre Instruktionen gab. Sie führten ein sorgenfreies Leben, empfingen viele Gäste, auf amerikanische Art, führten ein open house. Meine Großmutter, klein und dicklich, trieb keinen Sport, sie spielte Bridge. Mein Großvater war introvertierter und liebte Schach. Er brachte mir die Regeln bei und glaubte, dass ich mit meinen vier Jahren alt genug dafür war. Eines Tages griff ich mir mitten in einer Partie das Schachbrett und stürzte alle Figuren um. Er konnte seine Enttäuschung nicht verbergen, ich bedauerte meine Tat sofort, denn ich liebte ihn sehr. Bei seinem Tod im Jahr 1931 empfand ich das erste Mal Trauer.

Nach dem Tod meines Großvaters nahm meine Großmutter ihre Mutter, die in den USA lebte, zu sich in dieses große Haus in Saint-Cloud. Meine Urgroßmutter, die schon erblindet war, kam gerne, denn sie sehnte sich danach, ihre Enkel und Urenkel näher kennenzulernen. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1938 lebte sie im ehemaligen Zimmer meines Großvaters, das für mich und andere zum Ort einer täglichen guten Tat wurde. Die alte Dame brauchte Gesellschaft. Der nachmittägliche Besuch einer Vorleserin allein reichte nicht aus, um sie zu zerstreuen. Klein und dicklich wie ihre Tochter, hatte sie Probleme mit dem Laufen. Ich kann mich nicht daran erinnern, ihr viele Dinge erzählt zu haben, aber ich begriff schnell, dass man sie reden lassen musste, ihr zuhören. Die Konversionen und die Hochzeiten zwischen Juden und Nicht-Juden beunruhigten sie sehr. Daher verschwiegen wir ihr die, die in unserer eigenen Familie und in der näheren Bekanntschaft stattfanden. In dieser Zwischenkriegszeit entfernten sich die jungen Leute von den religiösen Traditionen. Die Scheidungen schockierten meine Urgroßmutter. Die Psychoanalyse, bei der viele Menschen aus der Generation meiner Mutter Hilfe suchten, erschien ihr lächerlich.

Im Rachen des Wolfes

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