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ОглавлениеFreitagmorgen ging ich eine Schuld einkassieren.
Ich nahm den Frühzug nach Camden, einem kleinen schmucken Städtchen, das seinen Wohlstand dem ältesten eingewanderten Geldadel des jüngsten Landes der Erde verdankt. Die grünen Grasflächen kriechen hier bis zu den Türschwellen hinauf, und die schwarze Asphaltstraße windet sich durch Hektar um Hektar sanftgewelltes, saftiges Weideland, das gesprenkelt aussieht durch die Schattenflecken der großen weißen Gummibäume und der Weiden, die den Lauf der kleinen Siedlungsbäche markieren. Die graugetönten Häuser sind weit ins Innere des eingezäunten Besitzes hineingebaut, und die Familien, denen sie gehören, leiten sich vom ersten Schiffskonvoi ab und von den rüden, rauhbeinigen Zeiten der Sträflingskolonie.
Es ist Zuchtland, alles hier herum. Milchkuhland, Merinoschafland, flaches Pferdezüchterland, in dem nie Trockenheit herrscht und die Bäche nie austrocknen und die Wurzeln tief hinunterreichen und wo für mich, einen wurzellosen Menschen aus der Großstadt, kein Platz war.
In Camden nahm ich ein Taxi und fuhr fünf Meilen auf der Hauptstraße hinaus bis zu einem Gitterdrahttor, über das sich, nach Art einer Pergola, eine Inschrift erhob – ›McAndrew-Gestüt‹. Man geht noch ein ganz schönes Stück vom Tor bis zum Siedlungshaus, so machte der Taxifahrer erstaunte Augen, als ich hier bereits zahlte und ihm sagte, er solle mich in einer Stunde wieder abholen.
Er konnte nicht wissen, daß ich mich meines Vorhabens und meiner selbst schämte und den Fußmarsch unter den blühenden Gummibäumen nötig hatte, um mich auf mein Treffen mit Alistair McAndrew vorzubereiten.
Der Fahrweg stieg eine Zeitlang sanft bergan und neigte sich dann hinab zum Haus, einem niedrigen, weitläufigen, zwischen Zieranpflanzungen eingebetteten Sandsteingebäude, das umringt war von weißen Nebenbauten und den Zäunen der Hauskoppeln.
Zur Linken lag eine weite Weidefläche, auf der ein Teil des McAndrew-Kapitals graste. Rechts war eine kleine gelbbraune Einfriedung, wo eine Gruppe Leute zuschaute, wie ein Fohlen unter den Sattel gezwungen wurde.
McAndrew war einer von ihnen – ein stämmiger, schwarzhaariger, keltischer Typ in Khakihemd und Reithosen.
Er lehnte am Koppelgeländer in der lässigen Haltung der Landleute, aber seinen von Runzeln eingerahmten Augen entging keine Einzelheit des Vorgangs, und von Zeit zu Zeit rief er dem Zureiter im Sattel ein leises Kommando zu. Beim Geräusch meiner Schritte drehte er sich um, zögerte einen Moment und kam dann mit breitem Grinsen und ausgestreckter Hand auf mich zu.
»Lundigan! Hol’ mich der Teufel! Das freut mich, dich zu sehen.«
Ich lächelte blöde und drückte seine Hand und sagte die banalen Worte:
»Guten Tag, Mac.«
»Was treibt dich hier heraus in die Camdener Gegend?«
»Nun ja, ich... ich wollte dich sehen, Mac. Natürlich nur, wenn du Zeit hast.«
Meine Stimme oder meine Augen schienen mich verraten zu haben, denn er schaute mich mit einem merkwürdig besorgten Blick an und sagte: »Natürlich. Für dich immer. Entschuldige, noch eine Minute, ich muß den Jungs ein paar Dinge sagen.«
Ich sah ihm zu, wie er sich umdrehte und den um die Zureitkoppel Herumstehenden seine Anweisungen gab. Er ging selbstbewußt, seine Stimme verriet Autorität; ein Mann, der sein eigener Herr war und mit seinen Leuten und seinen Pferden und seinen gesprenkelten Weiden friedlich lebte. Mir fiel der Tag wieder ein, an dem ich ihn auf einer der Trobriand-Inseln über den Strand geschleppt hatte, ein gelbes, abgemagertes Knochengerüst, der letzte Überlebende eines Pioniertrupps, den die Japaner zwei Tage nach ihrer Landung in Stücke gehauen hatten. Geschüttelt vom Malariafieber, von Ruhrkrämpfen zusammengeschnürt, hatte er sich bis zum Sammelpunkt durchgeschlagen, und wir hatten ihn unter dem Beschuß einer in dem Palmenwäldchen verschanzten Patrouille weggebracht... und jetzt kam ich und präsentierte die Rechnung.
McAndrew kam zurück, und wir gingen zusammen aufs Haus zu.
»Es ist lange her, Renn.«
»Elf Jahre... zwölf. Ja... eine lange Zeit, Mac.«
»Meine Frau ist heute in der Stadt. Sie würde dich gern kennenlernen. Du bleibst natürlich hier. Ich muß dir eine Menge zeigen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Mac. Ich muß in einer Stunde wieder weg.«
Das brachte ihn in Verlegenheit und verletzte ihn auch ein wenig. Er insistierte.
»Aber du kannst doch nicht herkommen und gleich wieder rausstürmen. Natürlich mußt du bleiben.«
»Hör dir lieber erst einmal an, warum ich hier bin.«
Es war eine unhöflich trockene Antwort einem Mann gegenüber, den man zwölf Jahre lang nicht gesehen hat; andererseits, was hätte ich sagen sollen? Ich kam mir linkisch, tölpelhaft vor. Ich bereute schon, überhaupt gekommen zu sein.
Er nahm mich am Arm und schob mich sanft über die Veranda ins Wohnzimmer. Es war ein riesiger Raum mit hellen Teppichen auf einem wachsglänzenden Boden, mit guten Bildern und mit Ledersesseln, die um einen großen Steinkamin angeordnet waren.
»Mach’ es dir bequem, Renn. Ich hole uns einen Drink. Scotch?«
»Ja, danke.«
Der Sessel war tief und bequem, doch ich konnte mich gar nicht entspannen. Mein Gesicht spannte, mein Mund war ausgetrocknet. Meine Hände waren sehr unruhig, und ich preßte sie auf die Lehnen, um ihr Zittern zu verhindern. McAndrew brachte die Drinks, gab mir meinen und setzte sich mir gegenüber.
»Auf dein Wohl, Renn – und auf das glückliche Wiedersehen.«
»Auf dein Wohl, Mac.«
Der Whisky floß hinunter, mild wie ein guter Whisky sein muß, und lag dann wie eine heiße Kohle am Grund meines Magens. Andrew betrachtete mich mit nüchterner Anteilnahme. »Renn, bist du krank?«
»Krank?« Ich versuchte ein Lachen, aber aus meiner Kehle kam ein trockenes, keuchendes Geräusch. »Nein, krank nicht. Nicht im Sinne eines Arztes.«
»Aber vielleicht im Sinne eines Freundes.«
Seine Sanftheit, seine Besorgnis, seine echte Hilfsbereitschaft machten mich plötzlich wütend, wütend auf mich selber. Ich stemmte mich aus dem Sessel hoch, stellte mich an den Kamin und sah auf ihn hinunter. Die Worte schienen sich mir mit Gewalt herauszuzwängen, und beim Hervorbrechen rieben sie meine Kehle wund.
»Weißt du, es hat seine Risiken, mich zum Freund zu haben. Als ich heute gekommen bin, war das nicht wegen des freudigen Wiedersehens mit dir. Ich – ich bin gekommen, weil ich tausend Pfund brauche und du der einzige Mensch bist, von dem ich glaube, daß er mir dazu verhelfen könnte.«
McAndrew zeigte keinerlei Verblüffung. Er starrte in sein Glas und sagte: »Dann bin ich froh, daß du zu mir gekommen bis, Renn. Tausend Pfund sind nicht viel für einen Mann, der einem das Leben gerettet hat. Ich schreibe dir einen Scheck aus, bevor du gehst. Jetzt mach dir’s erst ’mal bequem und laß dir deinen Drink schmecken.«
Es war so einfach, so banal und so alltäglich, daß mir der Atem wegblieb. Aber nicht einmal jetzt besaß ich den Anstand, sein Angebot anzunehmen und die Sache als erledigt zu betrachten. Ich sprach weiter, verstört, hirnlos:
»Aber so will ich es nicht.«
»Wie willst du es dann?«
»Ich will dir erst erzählen, wozu ich es brauche.«
»Das ist nicht nötig.«
»Trotzdem will ich es dir sagen.«
Und ich erzählte. Ich erzählte von Jeannette und mir und unserer Sonneninsel. Ich erzählte von der alten Goldmünze und dem alten Schiff, von dem sie nach meiner Meinung stammte. Ich erzählte ihm von Manny Mannix und meiner letzten Torheit an Mannys Spieltischen und von meinem schmählichen Abschied von der Universität. Ich sprudelte es in einer Orgie der Selbstquälerei heraus, und als ich zu Ende war, fühlte ich mich auf einmal leer und müde.
McAndrew sagte kein Wort. Er stand auf, füllte mein Glas wieder und gab es mir.
»Trink aus, Junge. Danach fühlst du dich besser.«
Ich lächelte säuerlich. »Das ist ein Altweiberspruch. Ich hab’s versucht, aber es funktioniert nicht.«
McAndrew lächelte und gab mir einen freundlichen Schlag auf die Schulter.
»Du hast nur mit den falschen Leuten getrunken. Wenn du gescheit gewesen und gleich zu mir gekommen wärst...«
Wir tranken. Ich setzte das Glas vorsichtig ab und versuchte ebenso vorsichtig, ihm eine Erklärung zu geben.
»Mac, ja, ich will Geld. Ich will es mehr, als ich in Worten ausdrücken kann, aus vielen Gründen, die ich nicht alle erklären kann, aber ich will nicht dein Geld.«
»Dann nenn’s einen Kredit; rückzahlbar, nachdem du dein Schatzschiff gehoben hast.«
»Nein, Mac. Auch nicht als Kredit. Es soll mein Geld sein. Wenn ich das finde, was ich suche, soll es auch mir gehören. Ich weiß nicht, ob ich dir das deutlich machen kann. Aber ich will etwas, wie du es hier hast... wie dein Land, deine Pferde, dein selbständiges Leben. Das erwarte ich von meinem Schatzschiff. Ein eigenes Heim, ein eigenes Leben.«
»Würde dich das glücklich machen? Ohne sie?«
»Ich weiß es nicht. Aber wenn ich schon Jeannette nicht haben kann, möchte ich wenigstens die anderen Dinge. Die Dinge, die ich mit ihr zu teilen hoffte. Verstehst du das?«
»Ja. Aber wie du das mit dem Geld meinst, das ist mir noch nicht klar.«
»Das werd’ ich dir sagen. Du magst mich für verrückt halten. Aber ich will es so. Deine Pferde laufen im Rennen. Und sie gewinnen. Wenn du das nächste Mal ein gutes Pferd im Rennen hast, mit einer guten Quote, zehn zu eins oder höher, sag’ mir Bescheid. Ich möchte dieselbe Chance haben wie der Stall, mein Geld darauf zu setzen. Ich hab’ nur hundert Pfund. Die werden die Quote nicht kaputtmachen... und wenn ich sie ins Trockene bringe, dann habe ich den Einsatz, den ich brauche. Und auch eine kleine Rache an den Buchmachern. Mehr will ich nicht.«
McAndrew blickte mich entgeistert an.
»Renn, du bist verrückt. Jedes Rennen ist ein Glücksspiel. Das beste Pferd der Welt kann verlieren. Was dann?«
»Dann gehe ich nach Queensland und schneide Zuckerrohr oder such’ mir einen Job als Koch bei den Schafscherern. Alles, was ich will, ist die Chance. Mac, die gleiche Chance, die auch der Stall hat. Ein gutes Pferd, das auf Sieg laufen kann.«
»Aber wenn es verliert, dann verlierst du alles.«
»Ich verliere hundert Pfund. Das ist nicht alles.«
»Es ist alles, was du hast. So wie ich es vorgeschlagen habe, hättest du das Geld ohne Risiko, ohne Verpflichtung.«
»Dann verlöre ich das einzige, was ich noch habe – meine Unabhängigkeit.«
Eine endlose Minute lang dachte McAndrew über meinen Vorschlag nach. Es war deutlich zu merken, daß er ihm ganz und gar nicht gefiel. Nach allen Maßstäben der Vernunft war ich im Begriff, eine verdammte Torheit zu begehen. Auch betrog ich einen hilfsbereiten, anständigen Mann um die Möglichkeit, eine alte Schuld großherzig zu begleichen. Hätte ich damals gewußt, was ich heute weiß, dann hätte ich seinen Scheck angenommen und die Hand geküßt, die ihn mir darbot. Aber ich war ja ein widerborstiger Historiker, der sich weigerte, die Lehren der Geschichte zu begreifen, und überließ es so McAndrew selbst, eine Antwort zu finden. Er gab sie mir ruhig und vorbehaltlos.
»Okay, Renn. Wenn du das Geld von mir angenommen hättest, wenigstens als Kredit, wäre ich sehr glücklich gewesen. Das willst du nicht. Ich glaube, ich verstehe, weshalb. Mein Pferd ›Schwarzer Schütze‹ läuft morgen im dritten Rennen in Randwick. Es wird am Anfang zwölf zu eins stehen und am Start vielleicht drei zu eins. Du mußt dein Geld also frühzeitig setzen. Wir glauben, daß er gewinnt. Wenn nicht, wird es nicht an uns oder an ihm liegen. Ich wünsch’ dir viel Glück.«
Ich streckte ihm die Hand hin. Er ergriff sie. Und ehe er sie losließ, sagte er zu mir: »Du segelst hart am Wind, Renn. Und der Sturm ist noch nicht vorüber. Aber du findest immer eine ruhige Bucht bei McAndrew. Denk’ daran.«
»Ich werde daran denken. Ich kann dir nicht sagen, wie dankbar ich bin. Aber ich setze meinen Kurs selbst, und wenn ich nirgends einlaufe, wird es einzig und allein meine eigene Schuld sein.«
Ich ließ ihn stehen und ging den langen Fahrweg zur Straße hinab. Am entfernten Ende einer Koppel sprang ein schwarzer Zuchthengst an und absolvierte eine Runde im Galopp. Einen flüchtigen Moment lang dachte ich, es sei der ›Schwarze Schütze‹. Dann fiel mir aber ein, daß Schwarzer Schütze‹ jetzt sicher schon in seiner Box war, um die Kräfte für das dritte Rennen in Randwick zu schonen.
Ich kam Mitte des zweiten Rennens auf der Galoppbahn an. Die Menge schrie auf, als ein starker Außenseiter vom Land den Favoriten leicht überholte. Die Schalter der Buchmacher waren, wie ich erwartet hatte, noch nicht besetzt, und ich bezog Stellung vor der Absperrung des Rings, in dem die Großen der Wettszene aufs große Geld setzten, und wo hundert Pfund nicht die Preise verderben würden.
Es ist ein heikles Unterfangen, wenn ein Rennstall auf Sieg eingestellt ist. Man muß Tausende Pfund investieren, noch ehe die Quoten auf drei zu eins oder weniger abrutschen und jeder Buchmacher im Ring weiß, daß er die Schotten dicht machen muß, wenn er nicht will, daß die Wetten über ihm zusammenschlagen. Ein Dutzend Kommissionäre halten sich im Ring auf, jeder mit den Geldern eines Rennstalls in der Tasche, und die Kritzler rechnen fieberhaft die Quoten aus, und die Zuträger hängen mit Luchsaugen an den wohlbekannten Gesichtern dieser Männer, deren Geschäft es ist, für die Besitzer und die Trainer und die großen Wettsyndikate die Buchmacher zu überlisten. Ich mußte beiden ein Schnippchen schlagen, den Buchmachern und den Kommissionären. Ich mußte meine Wette platzieren, sobald die erste Quote heraus war. So stellte ich mich am Schalter von Bennie Armstrong auf, dem größten Buchmacher am Platz, und wartete.
Ein Raunen ging durch die Menge, als der Außenseiter Längen vor dem Feld einlief. Zwei Minuten später wurden die Wetten für das dritte Rennen eröffnet.
Auf den australischen Rennbahnen zeigt jeder Buchmacher seine Quoten auf einer eigenen Tafel an, und Veränderungen werden durch Drehen an zahlenbesetzten Rollen eingestellt, ähnlich wie beim Billard. Bennie Armstrong zeigte den ›Schwarzen Schützen‹ mit zwölf zu eins an. Fünf Meter weiter bot ein anderer vierzehn. Ich schätzte die Zeit ab, die ich brauchen würde, um mich durch die Menge zu drängen und die höhere Wette wahrzunehmen. Es lohnte nicht das Risiko. Die Kommissionäre würden ihre Gelder anbringen, und die Quoten könnten in einer halben Minute purzeln. Ich wandte mich zu Bennie, hielt ein Bündel Fünfpfundnoten hoch und rief mein Gebot.
»Zwölfhundert zu hundert auf ›Schwarzer Schütze‹...« Bennie warf mir einen raschen Blick zu. Sein Gehilfe schnappte sich mein Geld, zählte es hurtig durch und verstaute es in seinem Beutel, er nickte Bennie zu, und der kritzelte mir einen Bon und streckte ihn mir entgegen.
»Ich nehme an. Zwölfhundert zu hundert.«
Dann drehte er die Rolle an seiner Tafel, und die Quote war auf zehn herunter. Ich sah hinüber zu der anderen Tafel. Sie zeigte acht zu eins. Glück gehabt! Das Rennstallgeld tat jetzt seine Wirkung... und ehe das Startband hochging, würde ›Schwarzer Schütze‹ auf pari stehen.
Ich steckte den Bon in meine Brieftasche und ging zur Tribüne hinüber, um mir einen Sitzplatz zu suchen. Mein Mund war trocken, und die Aufregung schnürte mir den Magen zusammen. Ich brauchte unbedingt einen Drink; aber beim Gedanken an die Theke mit ihrem Stimmengewirr und dem Dunst verschütteten Schnapses wurde mir übel. Ich schluckte, fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und wischte mir die feuchten Hände ab, um sodann die Treppe neben den Reporterhäuschen zur Haupttribüne hinaufzusteigen.
Es war ein wolkenloser Tag, aber die Sonne schien ohne Kraft. Die Frauen auf den Rasenflächen schienen in herbstliches Grau getaucht. Den Blumenbeeten fehlte die Farbigkeit, und das Publikum war weniger zahlreich als sonst. Aber das Geläuf war fest, und es war fast windstill, und das war genug für mich. Ich sah die Stallburschen die Pferde in die Bahn führen. Ich schaute den kleinen Männern in ihren farbigen Seidenhemden zu, wie sie ihre Sättel zur Waage schleppten. Ich bemerkte die purpur-goldenen Farben des McAndrew-Stalls und mein Herz schlug ein bißchen schneller. McAndrew hatte Minsky als Jockey, und hätte Gott irgendeins der Pferde die anderthalb Meilen gewinnen lassen wollen, so hätte er sich auch Minsky als Reiter ausgesucht.
Jetzt wurde gesattelt. Minsky und McAndrew und McAndrews Trainer unterhielten sich. Sie standen da in der lässigen Haltung von Männern, die ihr Geschäft verstehen, die wissen, daß sie alles in ihrer Macht Stehende getan haben und daß von diesem Augenblick an alles vom Pferd und vom Jockey und vom Allmächtigen abhängen wird.
Der Trainer hievte Minsky aufs Pferd. Er probierte den Sattelgurt und spannte das Zaumzeug nach. Dann beugte sich Minsky hinunter und McAndrew reichte hinauf, und sie schüttelten sich die Hände und drückten sie dabei an die glänzenden Schulterriffeln des ›Schwarzen Schützens‹. Es war ein seltsames, vertrauliches, kleines Ritual, vom dem ich gänzlich ausgeschlossen war. ›Schwarzer Schütze‹ trug mein Geld und meine Zukunft mit sich, aber ich hatte keinen Anteil an ihm, so wenig wie er an mir. Würde er gewinnen, dann deshalb, weil McAndrew ihn gezüchtet und McAndrews Männer ihn trainiert hatten und weil ein Gnom in den McAndrew-Farben sich ihm ins Genick schmiegte. Ich aber war ein Wetter, ein Parasit im Fell eines edlen Rennpferds.
Jetzt wurden sie vom Starthelfer auf die Bahn geführt. Sein dickwanstiger Jagdgaul bildete ein groteskes Gegenstück zu den feinen, nervösen Formen der Vollblüter. Minsky ließ den ›Schützen‹ in leichtem Schritt gehen, und der schwarze Hengst ging so zierlich wie eine Ballerina. Er versuchte, etwas seitlich auszubrechen, als ein großer Brauner im Aufwärmgalopp an ihm vorbeizog, aber Minsky beruhigte ihn und zog die Zügel eine Idee straffer. Ein guter Mann, dieser Minsky, ein kluger, erprobter Veteran. Ich war froh, daß mein Geld bei ihm mitritt.
›Schwarzer Schütze‹ zog die Startnummer zehn. Das war eine gute Position mitten im Feld. Sie würden ihn nicht an die Barriere drücken oder in der Kurve abdrängen können, und wenn Minsky ihn mit einem guten Start auf den Weg brächte, könnte er unbedrängt im Feld mitlaufen, bis es in die letzten tausend Meter ging, in denen das Pferd seine Muskeln und sein Herz, der Jockey seine Geistesgegenwart und sein Können beweisen müssen.
Die Luft vibrierte wie von einem metallischen Sirren, als der Radiokommentator die Startnummern durchsagte und seiner unsichtbaren Hörerschaft ein kurzes Durcheinander zu schildern versuchte, das es am Start gab. Ich konnte die einzelnen Worte nicht verstehen, aber ich schaute durch mein Glas und sah den ›Schwarzen Schützen‹ ruhig hinter den Bändern stehen, während der Starter die letzten drei Pferde in die Linie zu bringen versuchte. Eins war jetzt drin, die beiden anderen wichen seitlich aus. Die Reiter zogen sie herum und richteten sie wieder nach vorn aus. Sie gingen vor. Die Bänder schnellten hoch. Die Menge brüllte. Sie waren unterwegs...
Ich sah einen Moment die purpur-goldenen Farben aufblitzen; Minsky kam gut und sauber weg. Dann verlor ich ihn im Pulk der Pferde, der sich während der ersten Halbmeile geschlossen hinter den Führpferden hielt.
Ein grauroter Wallach und ein großer Grauer hatten die Führung. Ein paar Versprengte, die den Start verschlafen hatten, schipperten dem Feld im Trainingsgalopp hinterher. Der Gewinner jedoch war irgendwo in der dichtgedrängten Traube in der Mitte, und niemand konnte ihn voraussagen, ehe sich das Feld nicht bei der Hälfte der Distanz auseinanderziehen würde und die auf Sieg reitenden Jockeys in die Positionen gingen. Der Graurote baute eine Meile vor dem Ziel ab, und wenig später führte der Graue, fiel aber wieder ins Feld zurück. Der Pulk war jetzt in zwei Teile zerrissen, und ›Schwarzer Schütze‹ hing in lockerem, langgestrecktem Galopp am Ende der ersten Achtergruppe. Bei der letzten Halbmeile waren es noch immer acht, zwei fielen noch ab, so daß ›Schwarzer Schütze‹ jetzt nur mehr fünf Pferde vor sich hatte.
Minsky hatte bis zu diesem Augenblick, als es in die Zielgerade ging, ein Bilderbuchrennen geritten. Doch dann sank mir das Herz. Der Favorit zog hinüber an die Innenbarriere. Drei weitere rückten nahezu gleichauf, und ›Schwarzer Schütze‹ lag eine Länge hinter dem Vierten. Ich versuchte, ihn im Visier zu behalten, aber das Pferd vor ihm verdeckte ihn. Ich sah den Reiter des Favoriten zur Peitsche greifen. Ich sah die ersten drei Pferde ihren Schritt länger machen, während ihre Reiter sich in den Steigbügeln nach vorn legten. Wenn ›Schütze‹ jetzt nicht antrat, war es aus mit ihm und mit mir.
Dann sah ich es. Und die Menge sah es. Und wir sprangen auf und brüllten. Minsky hatte den ›Schwarzen Schützen‹ nach außen gebracht. Er lag vier Längen hinter dem Führenden. Aber er war aus dem Sattel heraus, klemmte sich mit seinen knochigen Knien an den Schultern des ›Schwarzen Schützen‹ fest. Sein Kopf verschwand hinter dem Hals des Pferdes, er gab ihm die Zügel, so viel, wie es wollte, und der kräftige Hengst streckte sich. Drei Längen – zwei – dann war er Kopf an Kopf mit dem ersten. Dann legte ihm Minsky die Peitsche an die Flanken, so sacht, daß man sich fragen konnte, ob er es überhaupt spürte, und der ›Schütze‹ stürmte davon und gewann mit eineinhalb Längen.
Ich wartete, bis die Nummern hochgezogen wurden. Ich wartete, bis korrektes Gewicht angezeigt war. Ich befühlte meine Tasche, um sicherzugehen, daß der Wettbon sicher aufgehoben war. Dann ging ich aus dem Gelände und nahm mir ein Taxi zu meiner Wohnung. Ich war um zwölfhundert Pfund reicher. Es fiel mir auf, wie wenig aufgeregt ich darüber war.
Am Montagmorgen ging ich zur Einlösung in den Tattersall-Club. Bennie Armstrong zahlte wie immer mit einem Lächeln und einer Einladung, ihn wieder zu beehren.
Ich zählte gerade die knisternden neuen Scheine und stopfte sie in eine Aktentasche, als mir Manny Mannix auf die Schulter klopfte.
»Scheint, es war ein guter Tag für Sie, Kapitän.«
Ich nickte kurz und sagte: »Ja, ganz gut.«
»Mehr als zehn Riesen für so ein kleines Los«, sagte Manny.
Ich verstaute den letzten Schein in der Aktentasche und ließ den Verschluß einschnappen.
»Ganz recht, Manny. Mehr als zehn Riesen.«
Manny grinste verschlagen.
»Na also, dann haben Sie ja ihr Startkapital, was, Käpt’n?«
»Sie sagen es, Manny. Ich habe mein Startkapital.«
Er lächelte darauf – das alte unschuldsvolle Lächeln – und streckte mir die Hand hin.
»Ich meine, Sie waren einfach ’mal dran, Käpt’n. Ich wünsche Ihnen Glück.«
Ich ignorierte seine Hand und sah ihm voll in die Augen.
»Du bist eine miese Ratte, Manny«, sagte ich sanft. Dann klemmte ich mir die Aktentasche unter den Arm und verließ den Club.
Das war der zweite Fehler, den ich machte. Nennen Sie irgendeinen anderen Mann eine miese Ratte, und er gibt Ihnen eins auf die Nase. Aber ein Mann wie Manny wird sich vornehmen, zu beweisen, was für eine miese Ratte er tatsächlich sein kann.