Читать книгу Vorhof - M.T. Schobach - Страница 5

Kapitel 2

Оглавление

Einige Zeit später, ich hätte es fast übersehen, kam ich an einem kleinen Geschäft vorbei. Naja, klein ist gut, es hätte vielmehr das Prädikat »schäbig« verdient. »Lebensmittel und Haushaltswaren«, stand in schiefen Buchstaben, auf der sich gemächlich, vom Wind hin und her schaukelnder, Tafel. An der Eingangstür, die aus mattem dunklem Glas bestand, prangte ein Schild, auf dem mit übertriebener Fröhlichkeit Blumen um das Wort »Geöffnet« gemalt worden waren.

Ich kann es nicht erklären, aber dieses talentlos geschmierte Schildchen spendete komischerweise Trost. Um die Harmonie noch zu vollenden, hatte man ein kleines Auto an der Wand neben der Tür postiert. Eine Art Karussell, wahrscheinlich um nörgelnde Kinder zu beschäftigen. Ein Funken Normalität, der ein wenig beruhigte. Als ich eintrat, schrie ich vor Schmerz auf. Ein brennender Stich in den Augen ließ mich laut Aufschreien. Ich versuchte reflexhaft selbige, mit den Händen zu schützen. Mein Schädel schmerzte und kurz wurde mir richtig schwummrig. Schon einen Moment später war es vorbei.

Vorsichtig blickte ich zwischen meinen schützenden Fingern. Was für eine Reizüberflutung. Von Blau, Gelb, Grün, Lila, Rot und all die anderen Farben. Es wirkte auf eine seltsame Art und Weise kitschig auf mich. Unpassend. Wie von selbst schnappte ich mir einen der roten Plastikkörbe und durchquerte das Drehkreuz in der Hoffnung ich könnte auf Leute treffen, die ihre alltäglichen Besorgungen erledigten. Ich blieb abrupt stehen. Denn im Grunde genommen wollte ich mir gar nichts kaufen und guckte ratlos auf den Korb herab und stellte dieses eher unpraktische Ding verstohlen auf die Seite.

Der Laden schien, entgegen meines ersten Eindrucks, den die Fassade mir vorspielte, recht groß. Es war vermutlich ein ganz gewöhnlicher Supermarkt mit den üblichen Abteilungen. Nach einigen Schritten durch Regale voller Krimskrams geschah es. Schlagartig zog mir ein fauliger Geruch in die Nase. Ich stockte. Die Kästen in der Obst- und Gemüseabteilung waren mit grün und grau tönigem Schimmel überzogen. Aber das war nicht das Eigenartigste. Da stand jemand und mein Puls begann, sich vor Aufregung zu beschleunigen. Eine Angestellte, sie mochte so Anfang zwanzig gewesen sein, räumte frisches Obst in versiffte Körbe ein. Ein legitimer Kündigungsgrund, wie ich trocken feststellte. Und zu allem Überfluss noch in diesen vollkommen monotonen und geschmeidigen Bewegungen, als wäre das die gewissenhafte Ausführung von, sagen wir mal, einer eher suboptimalen Firmenpolitik.

Ich stand weniger als drei Meter von ihr entfernt. Und, obgleich hier sonst kein Anderer außer mir anwesend war und allem Anschein nach auch schon seit einiger Zeit niemand mehr in diesem Geschäft eingekauft hatte, nahm sie mich nicht wahr. Als wäre ich meiner Existenz beraubt. Sie hatte die langen dunklen Haare zu einem streng wirkenden Zopf gebunden, einen Dutt? Haarknoten? Null Ahnung, wie das genannt wird. Ich ging vorsichtig ein paar Schritte nach links, um ihr Profil sehen zu können. Abgesehen davon, dass sie eine versteinerte und finstere Mine aufgesetzt hatte, fand ich sie äußerst hübsch.

Eigenartigerweise zu hübsch. Sie wirkte wie eine einst deplatzierte Fee, der diese Arbeit aus Mangel an Kreativität zugewiesen worden war. So unwirklich, dass man es eben nicht erklären kann. Der Inbegriff von fehl am Platz. Ich wollte sie antippen und fragen, was zur Hölle denn hier vorging. Doch bevor mein Zeigefinger die schmale Schulter erreichen konnte, drehte sie sich zu mir um und ich sah zur Überraschung, dass sie weinte. Naja tränte würde es eher treffen. Sie gab ja keinen Ton über ihre vollen Lippen. Ich runzelte perplex die Stirn. Leise kullerten dicke Tropfen von traurigen und leeren Augen die Wangen hinab. Der wütende oder säuerlich verzogene Mund blieb wie gehabt aus Stein gemeißelt, aber ihre graublauen Augen, die sich stetig mit Tränenwasser füllten, blickten hektisch um her. Voller Furcht. Plötzlich hob sie den Arm und zeigte mit einer bestimmenden Geste gen Ausgang.

Das verstand ich nicht. »Aber«, begann ich den Satz unbeholfen. »Ist der Laden heute geschlossen?« Ich deutete mit dem Daumen über die Schulter hinweg und schüttelte ungläubig den Kopf. »Auf Ihrem Schild steht nämlich, dass Sie geöffnet haben. Was machen Sie überhaupt? Sehen Sie denn nicht, dass hier alles faulig und verschimmelt ist?« Es war dämlich auf das Offensichtliche zu deuten und verlegen fasste ich mir ans Kinn. Ich war selbst ein wenig über meine Schroffheit erstaunt. Die Nerven lagen eben blank.

Kurz verharrten ihre suchenden Blicke. Dann sah sie mich fest an. Die Pupillen der jungen Frau schienen sich wie Enterhaken an mir festzukrallen. Wenn die Augen die Spiegel unserer Seelen sind, so musste ihre gebrochen sein und je länger ich in diese tiefe eisblaue Agonie blickte, desto mehr überfiel mich Hoffnungslosigkeit. Ein dunkler Schatten, der umsichtig und mit kühler Zärtlichkeit die Zuversicht in mir hinterrücks erdrosselte. In ihnen konnte ich so Vieles lesen und verstand dennoch rein gar nichts.

Ich versuchte meinen Blick von ihr loszureißen, doch zogen mich diese tiefen Augen wie zwei erbarmungslose Magnete an. Sie verzog die schönen Lippen zu einem schiefen, ja fast gehässigen Grinsen und winkte kopfschüttelnd ab. Die junge Dame hatte schneeweiße Zähne, aber dank der übertrieben geschnittenen Fratze, hatte sie mehr mit einem Raubtier gemein, als mit einer attraktiven Frau. Ich wollte noch zu einer Bemerkung ansetzen, doch sie hatte sich schon von mir abgewendet und ihr Körper nahm wieder die routinierten Arbeitsbewegungen an. »Entschuldigung«, fragte ich gedämpft, und als sie nicht zu hören schien, noch etwas lauter. »Ähm, verstehen Sie mich denn überhaupt?« Doch sie gab nur ein komisches Geräusch von sich, das in meinen Ohren wie ein schadenfrohes Kichern klang.

Ich blieb beharrlich. »Können Sie mir den Namen dieser Stadt nennen?«, fragte ich ein wenig hoffnungsvoll. Anstatt mir zu antworten, zeigte sie mit ihrem schlanken Zeigefinger auf mich. Ich schüttelte enttäuscht den Kopf. »Ja, danke für nichts und so«, seufzte ich resigniert und tat es mit einem Achselzucken ab. Aber der düstere Schatten in mir breitete sich aus. Nur ein surrealer abgefuckter Traum, mehr ist das nicht. Mehr darf und kann es einfach nicht sein. Verrückte Schachtel. Ich ging weiter, zugegeben, hastiger als zuvor. Die Frau hatte etwas Unberechenbares an sich und stellte das auch noch unverhohlen zur Schau. Im Gehen drehte ich mich nochmal um, nur um meinen Verfolgungswahn zu beschwichtigen. Die Angestellte machte weiter wie gehabt. Mein lieber Scholli, war die unheimlich!

Ich versuchte es in der Kühlabteilung für Fertiggerichte. Auch dort war kein Schwein zusehen, wie hilfreich. Wie ein Schiffbrüchiger klammerte ich mich an meinen Sarkasmus. Plötzlich wurde es unglaublich warm. Der Boden war, mit kleinen Pfützen überseht. In den Kühlbehältern befand sich nichts Genießbares, aber das überraschte mich kaum. Eigentlich war das auch egal. Ich verspürte keinen Hunger. Wen wunderte das schon bei diesem Gestank. Seltsamerweise nicht einmal Durst. Ich durchquerte die riesige Abteilung. Der Laden hatte von außen so klein gewirkt und nun musste ich feststellen, dass er, verglichen mit seiner Fassade, kolossal erschien.

Geschmolzenes Eis, miefender Joghurt, ranziger Käse und was weiß ich noch alles, standen säuberlich aufgereiht in den Kühlregalen. Das war unfassbar. Ich bog um die Ecke und fand mich vor noch mehr tauender Tiefkühlkost. Ein Geruch, den ich nicht einordnen konnte, begann die Sinne einzunehmen. Mein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse des Ekels und ich musste reflexartig würgen. Schlagartig wurde mir übel und eine unsichtbare Schlinge schnürte den Magen fest zusammen. Ich würgte noch einmal trocken und Flüssigkeit stieg in meine Augen. Was bitte auf der Welt konnte so abartig stinken?

Fast blind vor Tränen wankte ich vorwärts, und obgleich ich mich beeilte, fühlte es sich so an, als ob sich der Boden an meinen Füßen festsog. Er klebte und war gleichzeitig rutschig. Ich rieb mir die Augen und mit vor Schreck geöffneten Mund sah ich, dass der gesamte Flur mit einem rötlich schimmernden Film bedeckt wurde. Blut? Wieder in die Horizontale blickend sah ich jemanden hinter einer Theke etwas in kleine Stücke hacken. Von Weitem schien es dort zu flimmern, und als ich näher trat, musste ich laut keuchen. Schreien ließ meine Fassungslosigkeit nicht mehr zu. Es hatte mir wortwörtlich die Sprache verschlagen.

Die Fleisch-und Wursttheke befand sich, nun sagen wir in einem äußerst lebendigen Zustand. Es stank nach Verwesung, nach reinem Tod und meine Nase sehnte sich nach dem vergleichsweise erfrischenden Geruch der Obstabteilung. Ich presste mir mit einer Hand den Ärmel des Hemds vor den Mund und dem ohnehin geschundenen Riechorgan. Einen kurzen Blick auf die mit Maden überzogenen Blutklumpen genügte und ich begann, mich zu erbrechen. Das war sie wieder, die gute alte Galle.

Der Metzger, ein hünenhafter Mann, mit herzlichem Lächeln schien mir die Abscheu nicht anzusehen. «Bitteschön«, säuselte er. »Was darf ich Ihnen bringen?« Sofern er mein fassungslos bleiches, dreinblickendes Gesicht bemerkte, zeigte er es kein bisschen. »Können sich wohl bei unserem umfangreichen Sortiment nicht entscheiden, was? Sagen Sie nur Bescheid, wenn Sie Ihre Auswahl getroffen haben. Aber seien Sie so nett und lassen Sie die anderen Kunden erst mal vor.« Verwirrt drehte ich den Kopf und blickte hinter mich. Nichts. Niemand. »Da ist doch keiner«, sprach ich mit hoher, schriller Stimme und presste mir dabei angeekelt meine linke Hand vor Mund und Nase. Ich wollte nur raus hier.

Der Fleischer schien mit jemandem zu sprechen, jedenfalls gab er ein unverständliches Brabbeln von sich. Er nickte verständnisvoll ins Leere und die Mimik äußerte sich in jener Weise, wie man es als sein Gegenüber in einem höflichen Gespräch erwartet hätte. Naja, nur dass er eben kein Wort sagte. Dann blickten mich die leeren Augen an und das freundliche Gesicht verwandelte sich schlagartig in eine verzerrt, bösartige Fratze.

»Ich hätte da auch andere Leckerbissen im Angebot.« In den einen orangefarbenen Behälter hinter sich greifend, zog er den verbrannten Kopf eines Menschen hervor und klatschte ihn, immer noch breit grinsend, auf ein massives, hölzernes Schneidebrett. Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen und ich schrie vor Schrecken. Aus voller Kehle. Die Musikboxen des Ladens ertönten und die typische Musik erklang, die man sonst auch in Supermärkten aufgedrängt bekommt. Schlechtes Zeug aus den Charts eben.

Der Schrei, der meinen Brustkorb zum Vibrieren brachte, ging unter. Ich hob unbeholfen die Arme, machte hastig einen Schritt zurück, rutschte aus und klatschte, auf den mit Blut überzogenen, Boden. Ich versuchte aufzustehen, jedoch bekam ich mit meinen Händen und Füßen keinen Halt. Der Metzger schlurfte mit schmerzverzogenem Gesicht die Theke entlang und verschwand in einem Raum, der mittels zwei dicken Plastiklappen abgetrennt wurde.

Das Licht im gesamten Supermarkt begann wie wild zu flackern, erstarb für einige Sekunden, nur um wieder hektisch zu flimmern. Ich erstarrte. Mein Herz klopfte so schnell und stark, so dass ich Angst hatte, es könne zerspringen. Ich wimmerte, als ich Schritte hörte. Adrenalin schoss in meine Adern. Langsame Schritte. Unbewaffnet. Ein gemächliches Schlurfen. Panik und Todesangst verstärkten den nackten Überlebenswillen. Ich versuchte zu rennen. Dummerweise viel zu hastig und ich rutschte aus. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Mein Herz schlug nun so heftig, dass es mir in den Ohren rauschte und ich robbte mit der Angst im Nacken vorwärts. Die Kleidung, die Hände, einfach alles blutverschmiert. Das war egal. Ausschließlich ein Gedanke dominierte meinen Verstand: raus hier, und zwar in einem Stück!

Das Schlurfen wurde zunehmend hörbarer und im spärlichen Licht, dass mir wie ein glimmender Kerzendocht erschien, erkannte ich einen grobschlächtigen Mann mit Schürze und Hackbeil. Er lachte und mir schwand der Mut. Der miese Wichser lachte. Und es kam mir komischerweise vertraut vor, dieses Gelächter. Ich wusste nur nicht weshalb. Und er kam immer näher, seine vom Blut verkrustete Waffe lässig in der Hand drehend. Er befand sich noch etwa fünfzehn, vielleicht auch zwanzig Meter von mir entfernt.

Ich klammerte mich an eine Kühlauslage und spannte Sehnen und Muskelfasern bis zu ihrem Limit an. Mit aller Kraft zog ich meinen Oberkörper hoch. Die Füße erwiesen mir keine Hilfe, da der Boden so rutschig wie Glatteis war. Nur um wieder auf den Gang zu knallen. Verflucht tat das weh. Schmerzverzerrt sah ich hastig hinter mich. Zehn Meter. Er schien nahezu vollständig verbrannt und roch nach Ruß und Tod. Nur im aufflackernden Licht konnte ich das erkennen. Die Haut an seinen Unterarmen war aufgeplatzt und glänzte wie eine saftige Grillwurst. Stellenweise war sie auch schwarz. Das Gesicht hatte nichts mehr mit der freundlichen und runden Miene gemein, die mich einige Augenblicke vorher angesehen hatte.

Die Gesichtspartien unterhalb der einstigen Nase bestanden nur aus blanken Knochen. An der Stelle, wo Augen finster hätten funkeln müssen, waren nur noch zwei schwarze Löcher zu sehen. Ihre Leere erschien mir mitleidslos und durstig. Er röchelte scheppernd und da, wo er hintrat, verdampfte das Blut. Sein grausiger Kiefer öffnete sich. »Strafe!« Hörte ich ihn grollen. Er hob die Waffe und hackte sie brutal in eine Kühltruhe.

Der Schlachter wies mit dem anderen verbrannten Arm, der nur noch ein Stumpf zu sein schien, auf mich. »Sühne«, bellte er. Ein Blick auf die martialisch zerlegte Gefriertruhe ließ ihn wie das Jüngste Gericht erscheinen. Meine ganz persönliche Götterdämmerung. Dieses Etwas bewegte sich rascher. Fünf Meter. Gierig stierten seine Augenlöcher mich an. Ich klemmte die Knie gegen die Auslage. Umfasste den Rand und hievte meinen Körper nach oben, kletterte in die Kühlboxen, die längs in einer Reihe standen, voller abgelaufener Lebensmittel. Ich überschlug mich fast, beim Versuch von dem länglichen und schmalen Behälter in die nächste Kühltruhe zu gelangen. Er holte mit unglaublicher Geschwindigkeit aus und verfehlte jedoch knapp meinen Kopf, nur weil ich über ein verschimmeltes Wurstpäckchen gestolpert war.

Ich hastete vorwärts, ohne zurückzublicken. »Gerechtigkeit«, hörte ich ihn wieder schreien. Noch immer humpelte er hinter mir her, umhüllt in einem Umhang voller Dunst. »Dein Henker!« Auf einmal verlor ich das Gleichgewicht und strauchelte. Er nutzte die Gelegenheit und schlug mich mit seinem Armstumpf nieder. Ich klatschte zum gefühlten hundertsten Mal auf den mit Blut überzogenen Gang. »Dein Tod«, raunte das Scheusal zufrieden. Rücklings, mit den Füßen vom Boden abstoßend, versuchte ich ihm zu entkommen. Da meine feuchten Handflächen dem glitschigen Flur kaum etwas entgegenzusetzen hatten, musste ich wie eine hilflos kriechende Marionette gewirkt haben, der ein oder zwei Fäden abgeschnitten worden waren.

»Der Sühne entkommst du nicht!« Mechanisch hob er seine klobige Waffe in die Höhe und das Metall blitzte hell in diesem flackernden Wahnsinn. Ich schrie ihn an. Ich bettelte und flehte. Aber mit welchen Versprechungen und Bitten ich mich an ihn wandte, kann ich nicht mehr sagen. Der Anblick muss erbärmlich gewirkt haben, so viel ist klar. Und dann geschah etwas wunderbar Seltsames. Solche Dinge dachte ich, geschehen immer nur in Filmen. Eine Rettung in letzter Sekunde, um dem Plot noch einmal den nötigen Drall zu verpassen. Diese schöne und ebenso melancholische Frau reihte sich in die Linien jener unbekannten Faktoren ein.

Wie aus dem Nichts stürmte sie auf ihn los. Einen Putzeimer tragend und stellte sich schützend vor mich. Sie umfasste den Eimer mit beiden Händen und schüttete das Wasser in sein verbranntes Gesicht. Dieses Ding begann zu schmelzen, und schrecklich zu rauchen. Es stank unglaublich nach verkohltem Fleisch und dem metallischen Geruch geronnen Blutes. Der Henker stieß einen schrillen, gellenden Schrei aus, der mir die Adern gefrieren ließ. Unter dem wütenden Gejammer konnte ich die Wörter »Mörder« und ein enttäuschtes »Muss leiden«, verstehen. Für mich ergab das keinen Sinn. Das Ungetüm schrie so donnernd hell, dass ich schon fürchtete, mir würde es augenblicklich das Trommelfell zerreißen.

Plötzlich war er oder es einfach weg, naja es hatte seinen Aggregatszustand gewechselt aber das war genauso gut. Ich rappelte mich auf und trat vorsichtig an den feuchten Aschehaufen heran, der eben gerade mein Todesurteil dargestellt hatte. Dieses Ding war keine Gefahr mehr, stellte ich erleichtert fest. Immer noch völlig neben mir, starrte ich auf diese Suppe voller Blut und Asche und blankem Hass, bis eine Stimme die Stille durchschnitt. »Verschwinde von hier«, murmelte sie teilnahmslos. Plötzlich wurde mir bewusst, wo ich mich eigentlich befand. Ich blickte sie an und wollte ihr danken.

Ich wünschte sie zu umarmen, sie zu küssen. Nur, wie läuft das ab? Wie spricht man jemanden seinen Dank aus, der einem gerade das Leben gerettet hatte? Geht man auf die Knie? Ich wollte unbedingt auf sie zugehen, aber sie hob nur ihre schmale, makellose Hand. »Geh jetzt und denk an die Fotos«, sprach sie in einem kalten Befehlston, der mich sofort einen Schritt zurückweichen ließ. »Welche Fotos? Bitte ich …«, doch sie drehte sich nur herum und begann mit dem Mopp das Chaos aufzuwischen. Ich stand noch einige Augenblicke verdutzt und mit peinlicher Unbeholfenheit neben ihr. »Danke dir«, stotterte ich leise und geknickt, da sie meine Erkenntlichkeit nicht annehmen wollte.

Und so wie sie teilnahmslos das Obst einräumte, so wischte sie in geübten Bewegungen vor sich hin. Mit behutsamen Tapsen entfernte ich mich von meiner Beschützerin. Ehe ich es versah, stand ich abermals in der Obstabteilung, die auf einmal leer geräumt war und süßlich, jedoch erfrischend roch. Keine Spur mehr von vergammeltem Obst und Gemüse. Das konnte ja nur ein Traum sein.

Ich lief an den sauberen Kästen vorbei in Richtung Ausgang. Von hier aus sah ich sie putzen. Mit dem traurigen Blick und dem ausdruckslosen Gesicht. Der Laden machte jetzt den ebenso unscheinbaren und lauschigen Eindruck, den ich anfangs erwartete. Bevor ich die Türe nach außen hin öffnete, war mir, als hätte ich ihre leise Stimme etwas flüstern hören. »Ich hasse dich«. Schlussendlich wurde mir doch noch eine Klinge in die Brust gestoßen.

Vorhof

Подняться наверх