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Arschlöcher sind penetrante Biester

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Ein Dreivierteljahr habe ich mittlerweile damit vergeudet, vor allem davonzulaufen. Zeit, in der ich mich erfolglos im Verdrängen und Vergessen versucht habe.

Bin ich eigentlich wahnsinnig? Besser noch lebens­müde? Da wird mir die potenzielle Lösung meines Problems auf dem Silbertablett serviert, und ich blöde Kuh habe nichts Besseres zu tun, als alles zu packen und an die Wand zu klatschen. Ich habe mich von meinem Angstmonster in die Knie zwingen und in die düsterste Ecke meiner Gedanken drängen lassen. Geht’s noch?

Selbst von Robin, der mir noch immer sehr wichtig ist, habe ich mich durch meine verschlossene Art immer weiter entfernt, bis wir uns schließlich endgültig trennten.

Myriam, wach endlich auf! Es ist schlicht und ergreifend nicht möglich, ein derart großes Arschloch wie den Krebs einfach so aus seinem Leben zu kicken. Arschlöcher sind ­penetrante Biester. Ich schaffe das alles nicht, schon gar nicht allein. Auch wenn der Tumor selbst weg ist, heißt das noch lange nicht, dass alles paletti ist.

Langsam wird mir nicht nur die Bedrohlichkeit der vielleicht noch vorhandenen Krebsüberbleibsel bewusst, sondern auch die möglichen Konsequenzen meines krassen Fehlverhaltens. Ja klar, es könnte alles gut gehen, doch spiele ich nicht fast schon eine Art Russisch Roulette mit meinem eigenen Körper? So hatte es Jessica zumindest immer und immer wieder bezeichnet, wenn sie in unseren Telefonaten versucht hat, mich endlich zur OP zu drängen.

Die zurückliegenden Monate waren der absolute Albtraum. Damit muss jetzt Schluss sein, und so entscheide ich mich – besser spät als nie – zur Operation.

Als sie unmittelbar bevorsteht, geht es mir schrecklich. Die letzte Nacht zu Hause im Bett ist der pure Horror. An Schlaf ist nicht zu denken. Ich schwitze und friere zugleich, ­denke an verstümmelte Geschlechtsteile und in letzter Konsequenz natürlich auch an ein Misslingen des Eingriffs. Ich will verdammt noch mal meine Vulva nicht verlieren. Und: ICH WILL LEBEN! Leben für und mit meinem Sohn. Wie sehr ich ihn doch vermisse, den kleinen Fratz. Ich weiß, dass er bei seiner Oma und Robin im Moment ganz klar besser aufgehoben ist, doch ich hätte ihn so gern immer um mich herum. Er ist es, der mir Energie gibt. Kraft, um die ganze Krebsscheiße irgendwie zu ertragen. Basti fehlt mir.

Tiefer und tiefer denke ich mich in Frust und Panik hinein. Die Angst hat mich fest im Griff und lässt erst ein wenig nach, als ich am nächsten Morgen im Krankenhaus ankomme.

Die Schwestern begrüßen mich mit einem Lächeln. Klar, die haben ja auch nicht mein Problem. Nein, sie können aber auch nichts dafür und hätten es nicht verdient, wenn ich nun mein fast platzendes Frustpaket über ihnen ausschütten ­würde. »Myriam, reiß dich zusammen«, rede ich mir selbst gut zu, lasse mir bereitwillig mein Zimmer zeigen und schlüpfe ganz brav in die sexy Klamotten, die sie mir unter die Nase halten: tristes OP-Hemd, very sexy Thrombosestrümpfe und ein Netzschlüppi, der einfach nur zum ­Schreien ist.

Ich bin die Erste auf dem OP-Plan. Weniger, weil ich so wichtig und toll bin, nein, wohl eher wegen der geplanten Länge des Eingriffs, schließlich wird mir nicht mal fix der Blinddarm entfernt oder eine Knochenfraktur gerichtet. Als der Narkosearzt kommt und mir einen Zugang für all die ­Infusionen legt, die mich glücklicherweise auf direktem Weg ins Land der Träume befördern sollen, wird mir klar: Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Mein Bett beginnt zu wackeln, so sehr muss ich zittern. Mir geht es richtig dreckig, und zu ­allem Übel muss ich da auch noch allein durch, zum Händchenhalten ist nämlich niemand da. Ich will nicht jammern, schließlich wollte ich es ja so. Niemand, wirklich niemand soll mich, die starke Myriam, so sehen. Ein zusammengekauertes Häufchen Elend, das am liebsten ein ganzes Glas der Leck-mich-am-Arsch-Pillen gefuttert hätte – die eine nämlich, die ich bekommen habe, will und will einfach nicht wirken. Wo sind sie, die rosaroten Elefanten, die durchs Krankenhaus fliegen und mich retten? Wo bleibt es, das ­Gefühl, in einer purpurnen Wolke aus Watte zu versinken?

Panik macht sich breit. Ich schreie nach meiner Mutter, doch sie kommt nicht. Über mir sehe ich die grellen Neonröhren der Krankenhausflure hinwegrasen, die Schwestern scheinen mein Bett immer schneller Richtung OP-Saal zu schieben. Kein Wunder, ich hätte Panik-Myriam an deren Stelle auch nicht länger ertragen wollen. In der ­Schleuse ­angekommen, werde ich umgebettet und an jenes Team übergeben, welchem ich mich nun hilflos ausgeliefert sehe. Die Eiseskälte, die der sterile Saal auf mich ausstrahlt, macht mir irgendwie noch mehr Angst. Mein Herz pocht, als wolle es in unzählige Teile zerplatzen. Es rast unaufhörlich. Meine Atmung gleicht der eines Spitzensportlers, der gerade einen Marathon in Rekordzeit gelaufen ist. Nur meine Gedanken, die laufen mittlerweile in Zeitlupe.

Wie in Trance nehme ich wahr, dass sich der OP-Tisch nach hinten neigt, meine Beine hoch in die Luft ragen, weit auseinandergerissen und an zwei Stützen festgeschnallt werden. Unter der grünen OP-­Decke bin ich jetzt nackt. Ich bin den Operateuren samt wissbegieriger Studentenschar gnadenlos ausgeliefert – ein demütigendes Gefühl, einfach krass. Auch meine Arme werden auf beiden Seiten fixiert und mit unzähligen Kabeln und Schläuchen verbunden. Oh Jesus! So muss sich der Sohn Gottes am hölzernen Kreuz gefühlt haben, denke ich mir, während ich meinem im ­Technobeat wummernden Herzen über einen Monitorlautsprecher lausche, dessen kleine Lämpchen die passende Lichtershow liefern.

»Ach Mensch, das Herzlein rennt ja. Keine Sorge, das haben wir gleich. Alles wird gut«, versucht mich der wirklich liebe Anästhesist zu beruhigen, spritzt mir irgendetwas, und im Nu bin ich weggebeamt. Alles fühlt sich plötzlich ganz weit weg an, nur die rosaroten Elefanten und die purpurne Wattewolke nicht, die kommen immer näher. Meine Ängste versuchen, sich noch einmal mit aller Macht aufzubäumen. Ich will schreien, aber nichts geht mehr. ­Alles ist schwarz …

Irgendwann werde ich wieder wach. Völlig verwirrt. Wieder friere ich, Schmerzen habe ich glücklicherweise keine. Um mich herum surren unzählige Geräte, neben mir liegt eine ältere Frau, die unaufhörlich vor sich hin stöhnt und jammert.

»Na, da sind Sie ja wieder«, ruft mir eine Pflegerin zu, während ich erst mal die unzähligen Schläuche und Kabel inspiziere, die überall an meinem geschwächten Körper baumeln. Bewegen kann ich mich noch nicht richtig. Ich versuche es dennoch, aber nicht einmal mein Kopf will sich auch nur ansatzweise vom Kissen heben – alles scheint unendlich schwer. Ich habe kein Gefühl für irgendetwas, weder für Zeit noch für Schmerz, und mein Bewusstsein driftet kurzerhand wieder weg.

Es ist ein schrecklicher Schmerz, der mich kurz darauf in die Realität zurückholt. Fuck! Lauthals schreie ich das Aufwachzimmer zusammen. Mein Gott, ich wusste bis dahin gar nicht, was für ein kräftiges Organ in mir schlummert. Sofort eilt eine Ärztin zu mir und ballert mich mit einer ordentlichen Dosis Schmerzmitteln zu. Es ist nicht auszuhalten. Aus purer Verzweiflung greife ich nach ihrer Hand und flehe sie an, mir zu helfen. Egal wie, Hauptsache, es geht schnell. ­Unaufhörlich redet sie auf mich ein, doch ich kann ihr nicht folgen. Ich verstehe sie nicht, sehe nur, wie sie eine Spritze in die über mir baumelnde Infusion sticht und mich so zurück ins Dunkel katapultiert.

Alles schwarz, schon wieder, bis ich irgendwann aufwache. Nun bin ich nicht mehr im Aufwachraum, sondern auf meinem normalen Krankenzimmer. Ich freue mich riesig, als ich mich umschaue und neben mir in die großen Rehaugen meiner allerliebsten Freundin Jessica blicke. Träume ich? Kann das wahr sein? Es ist wahr, und ich kann es echt nicht fassen: Die Gute ist doch tatsächlich extra von Amerika ­rübergeflogen, um mir nun beizustehen. Doch ihre ­ansonsten so strahlenden Augen wirken traurig. Klar, so hat sie mich schließlich noch nie gesehen.

Ich bin schwach und unendlich müde. Die Schmerzen sind Gott sei Dank weg, das beruhigt mich ungemein. Auf die Frage der Schwester, wie ich mich denn fühle, kann ich nicht wirklich antworten zwischen all den Drainagen, Infusionen, Schläuchen und Geräten. Ich fühle mich wie eine Geisel meines eigenen kranken Körpers. Ausreißen? Unmöglich, selbst wenn ich es wollte, ich bin viel zu schwach. Jessica steht mir bei, das gibt mir in dieser surrealen Situation ein enormes Gefühl von Geborgenheit, mit dem ich getrost immer wieder wegdösen kann, bis eine Ärztin kommt und mir berichtet, was in den vergangenen Stunden passiert ist.

Tatsächlich waren es Stunden, die ich im Operationssaal verbracht habe. Unglaublich, nichts aber auch wirklich nichts habe ich davon mitbekommen. Es habe Komplikationen gegeben, erzählt sie mir. Ich hätte »super viel« Blut verloren, weshalb auch eine Transfusion nötig war und innen drin tamponiert werden musste, um entsprechenden Druck auf die Wunden auszuüben. Während sie mir das so alles ­berichtet, merke ich, dass all die schrecklichen Dinge nicht bei mir ankommen wollen. Ich nehme Jessicas Hand und drücke sogleich wieder meinen inneren Ausschalter. Weg, einfach nur weg mit all dem Mist.

Als die Schmerzen zurückkehren, lässt sich allerdings nichts mehr einfach so wegdrücken. Hölle, so muss es sich anfühlen, wenn man bei lebendigem Leibe verbrannt wird. Alles zwischen meinen Beinen tut einfach nur sauweh. Ich denke nicht mal daran, mich auch nur von der einen auf die andere Seite zu rollen. Einfach nur megabreitbeinig im Bett liegen, nichts anderes geht.

Immer und immer wieder bettele ich um Schmerzmittel, bekomme auch etwas, doch es wird und wird nicht besser. Die Lösung: Morphium! Der Schmerz wird besser, mir ­dafür kotzübel. Auch das ist uncool, denn ich muss mich sofort übergeben. Es ist nicht auszuhalten, gigantische ­Anstrengung, ich rechne jede Sekunde damit, dass mein kompletter Unterleib in Millionen Teile zerplatzt. Brutal! Es kostet mich unendlich viel Kraft, und irgendwann verfluche ich das Morphium, spätestens dann, als die Schmerzen zurückkommen.

Am Abend haben die Ärzte dann eine grandiose Idee und entscheiden sich für die Brechstange: Periduralanästhesie. Sie rammen mir einen Katheter in die Wirbelsäule, über die nun die rettenden Schmerzmittel auf direktem Weg in meinen Körper fließen, der sein komplettes Gefühl verliert – ich bin quasi querschnittsgelähmt. Mir egal, Hauptsache, diese verdammten Schmerzen sind endlich weg!

Dass mir die Ärztin spätabends netterweise noch mitteilt, sie wolle am nächsten Morgen nach meiner Wunde sehen, wirkt nicht unbedingt förderlich auf meinen Schlaf, doch Jessi verspricht mir, dass sie dabei sein wird. Die Nacht ist dennoch brutal für mich, an Schlaf ist kaum zu denken. Aber was soll’s, um sechs Uhr dreißig platzen eh schon wieder die Schwestern herein. Zähne putzen, waschen – nichts geht ­allein, bei allem muss mir geholfen werden. Krass, da bin ich doch tatsächlich zum Pflegefall geworden.

Nach dem Frühstück lässt sich dann auch endlich der große Meister blicken, Professor Hein, der mir das hier alles eingebrockt hat.

»Wie ist denn unser wertes Befinden?«, will er von mir wissen.

Hat der den Donner nicht gehört, oder was? Als er sich meine Wunde anschauen will, würde ich ihn am liebsten mit einem gezielten Schuss zwischen die Beine wissen lassen, wie ich mich fühle. Aber selbst wenn ich schießen könnte, würde ich ihn sicher nicht ansatzweise treffen, so sehr zittere ich schon wieder vor lauter Angst. Gott sei Dank ist Jessica mittlerweile da und hält mir ganz fest die Hand.

Wie werde ich da unten wohl aussehen? Was wird noch da sein, was nicht? Oh Mann, die Angst versorgt mein Kopfkino mit den allerfeinsten Horrorbildern, während eine Schwester vorsichtig mein sexy Netzhöschen zerschneidet und die Bilder bittere Realität werden. Blut, überall Blut, gemischt mit Jod. Mein kompletter Unterleib sieht aus wie eine Schlachtbank, auf der gerade ein armes Schwein zu Schnitzeln verarbeitet wurde. Ich muss meine Beine spreizen und anwinkeln, jede Minibewegung kostet mich große Überwindung, so höllisch tut alles weh, habe ich doch schon seit ein paar Stunden kein Medikament mehr nachgespritzt bekommen. Gepaart mit dem Gefühl des völligen Ausgeliefertseins, stecke ich in einer Situation, die ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen würde.

Untenrum nun komplett nackt, gebe ich breitbeinig den Blick in die tiefsten Tiefen meiner Intimität frei, und fünf Paar Augen starren auf meine Muschi. Der Herr Chefarzt hat natürlich seine Studenten wieder mitgebracht, für die ich ja so etwas bin wie ein Wunder der Medizin. Hoffentlich fragt mich jetzt niemand nach meinem Befinden, derjenige würde danach nämlich garantiert keine Freude mehr am Leben haben. Ich allerdings auch nicht, denn als der Verband ab ist, fange ich direkt an zu weinen – nicht nur vor Schmerzen, sondern auch vor Demütigung. Während Professor Hein im zum Hörsaal umfunktionierten Krankenzimmer munter über mich – sein ­Wissenschaftskaninchen – referiert, fühle ich mich eher wie ein Anschauungsobjekt und nicht mehr wie ein Mensch.

»Wir haben hier eine linksseitige Vulvektomie durchgeführt und die inneren wie äußeren Schamlippen, Teile des Vaginalkanals sowie des Damms entfernt. Soweit ich das ­beurteilen kann, ist der Bereich nun gesäubert.«

Aha, immerhin bin ich gesäubert, was auch immer das bedeuten mag. Hinschauen will ich eigentlich nicht, doch ich muss. Ich verlange gegen den Rat des Arztes ­einen Handspiegel, warten ist nämlich nicht gerade meine ­Königsdisziplin, und Jessis Anwesenheit gibt mir den nötigen Mut. Viel sehe ich nicht, der Spiegel vibriert förmlich in meiner zitternden Hand. Was ich erkenne, ist furchterregend: blau, dick, verquollen, blutig und zu allem Überfluss kommt mitten raus auch noch ein Schlauch. Ich könnte schreien vor Ekel, 176 Stiche in mehreren Schichten entlang der Nähte tun ihr ­Übriges und können nicht davon ablenken, dass auf der linken Seite einfach nichts übrig geblieben ist – NICHTS! Große, große Leere. Tränen kullern über meine Wangen. Ich komme mir schmutzig vor, missbraucht. Meine komplette Weiblichkeit ist mir geraubt worden. Das bin nicht mehr ich!

»Ich weiß, es sieht schlimm aus«, sagt der Professor und will mir gut zureden.

Dazu lasse ich es nicht kommen, ich bin zu sehr von Hass erfüllt. Auch wenn er mir ja eigentlich geholfen hat, kann ich im Moment nicht dankbar sein. »Was würden Sie denn sagen, wenn man Ihnen einfach mal Ihren Penis senkrecht halbieren würde?«

Eine Antwort bekomme ich nicht.

Fuck Cancer

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