Читать книгу Schmutzige Hoffnungen - Myron Bünnagel - Страница 5

III.

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„Mr. Corbin, sind Sie da drin?“ Cora Reed trommelte heftig mit den Fäusten gegen die Tür.

„Was gibt es?“ Er wusch sorgfältig das Rasiermesser im lauwarmen Wasser der Waschschüssel ab.

„Ich muss mit Ihnen sprechen!“ Ihre Stimme klang wütend. Wieder klopfte sie gegen das Holz.

„Hat das nicht einen Augenblick Zeit, Ms. Reed?“

„Nein, hat es nicht!“ Die Antwort kam so heftig, als hätte sie vor Wut mit dem Fuß aufgestampft.

„Von mir aus. Moment …“ Er besah sich sein frisch rasiertes Gesicht im Spiegel, dann nahm er ein Handtuch und wischte den restlichen Seifenschaum fort, während er zur Tür ging. „Was gibt es, Ms. Reed?“

Sie stand vor ihm, das rotblonde Haar zerzaust, die Wangen gerötet und ein seltsames Glitzern in den Augen. Sie setzte zum Sprechen an, dann wurde sie sich bewusst, dass er nur in Hose und Unterhemd vor ihr stand. Ihr Blick wandte sich ab, aber Ray konnte beinahe fühlen, wie er über seine muskulösen Arme strich. Einmal tief Atem holend, meinte sie: „Sie haben es Ira gesagt!“ Ein Anflug von kindlichem Trotz in der Stimme.

Er legte sich das Handtuch um den Hals und sah sie prüfend an: „Was habe ich gesagt?“

„Dass wir einen Ausflug machen wollten. Und jetzt fahren sie und Tony mit!“

„Warum sollte ich es ihr nicht sagen?“

Sie biss sich auf die Unterlippe und antwortete leise: „Es war doch unser Geheimnis.“ Eine leichte Röte stieg ihr in die Wangen, dieses Mal jedoch nicht vor Wut.

„Ich wusste nicht, dass es ein Geheimnis war.“

„Konnten Sie sich das nicht denken?“

Er sah sie an und unter seinem Blick errötete sie noch weiter. „Ich habe nicht gesehen, dass wir ein Geheimnis daraus machen sollten.“

„Es ging doch nicht um das Geheimnis. Ich wollte diesen Ausflug nur mit Ihnen machen.“

„Mit mir allein?“

Sie nickte schüchtern.

Die Haustür wurde geöffnet und Iras Stimme drang nach oben: „Ray, wie weit sind Sie?“

Er sah Cora an, die seinem Blick standhielt. „Bin gleich so weit.“

„Gut; Frühstück lassen wir zugunsten von ein paar Sandwiches ausfallen. Haben Sie Cora gesehen?“

Das Mädchen schaute ihn durchdringend an.

„Sie wird in ihrem Zimmer sein. Ich werde ihr Bescheid sagen“, rief er nach unten.

Ira gab zurück: „Wir warten im Wagen. Lassen Sie sich nicht zu viel Zeit.“

Die Wut war in Coras Augen zurückgekehrt. „Sie reißt einfach alles an sich“, zischte sie.

Ray lächelte sie an: „Ich wusste nicht, dass es Ihnen etwas ausmacht. Wenn Sie wollen, dann fahren wir an einem anderen Tag gemeinsam raus.“

Ihre Mundwinkel glitten nach unten. „Ein anderer Tag, na klar.“

„Versprochen.“

Sie sah ihn an, die Augen auf sein Gesicht gerichtet. „Also gut.“

„Fein. Jetzt muss ich mich fertig machen. Die anderen warten schon.“

Cora atmete tief ein. Ihr Blick streifte noch einmal über seinen Oberkörper. „Versprochen“, sagte sie mehr zu sich selbst.

Er schloss die Tür wieder, blieb einen Augenblick nachdenklich stehen und ging dann langsam daran, sich fertig anzukleiden.

Als er das Haus verließ, stand die Sonne bereits über den Hügeln, die im morgendlichen Licht rotbraun leuchteten. Tony saß hinter dem Steuer des auf Hochglanz polierten Packards, das Grinsen unverrückbar unter der dünnen Linie seines Schnurrbarts eingemeißelt. Seine weiße Kleidung sah mehr danach aus, als wollte er zu einer Partie Golf antreten.

Ira lehnte am Wagen, den Arm auf die offene Tür gelegt. Sie trug ein weißes Kleid mit schwarzen Punkten, kurze weiße Handschuhe und einen breiten Hut in der gleichen Farbe, den sie schräg aufgesetzt hatte. „Guten Morgen, Ray. Sind Sie so weit?“, begrüßte sie ihn.

Er nickte.

Tony beugte sich zu ihnen herüber: „Hallo, Ray. Steigen Sie vorne ein.“ Er klopfte mit der flachen Hand auf den Beifahrersitz.

„In Ordnung.“

„Wo bleibt nur Cora?“, fragte Ira und sah genervt zum Haus hinüber.

Ray nahm Platz. „Sie wird gleich kommen.“

Er beobachtete, wie sie in ihrem gepunkteten Kleid auf und ab schritt.

„Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen, Ray. Sind fit für unsere kleine Spritztour?“ Tony grinste ihn an.

„Klar, alles bestens. Wie lief das Geschäftstreffen?“

Die Hände des Fahrers tätschelten das Lenkrad. „Ganz hervorragend. Sieht mir nach einem guten Abschluss aus.“

„Das freut mich für Sie.“

Cora erschien in der Haustür. Ihr gelbes Kleid leuchtete in der Morgensonne. An ihrem Arm baumelte ein zerbrechlich wirkender Sonnenschirm.

„Da bist du ja. Wir wollen endlich los“, sagte Ira und stieg hinter Ray ein.

Das rotblonde Mädchen warf ihrer Stiefmutter einen giftigen Blick zu. Als sie merkte, dass Ray sie ansah, lächelte sie grimmig, ging entschlossen um den Wagen herum und stieg ein.

„Na, dann los. Alles festhalten, die Reise beginnt.“ Tony lenkte den Wagen die staubige Einfahrt entlang auf die Hauptstraße. Das graue Band zog sich endlos durch die Landschaft dahin. Abgesehen von den Red Hills, die wie erkrankte Berge im Norden lagen, war das Land beinahe eben. Einzig die monotone Reihe der Strommasten entlang der Straße und die verschwommenen Umrisse alter Bohrtürme in der Ferne, kündeten von menschlichen Niederlassungen.

„Da vorne liegt Ashland, Sie werden es allerdings ziemlich langweilig finden, Ray“, erklärte Tony. Die flachen Häuser der Kleinstadt tauchten vor ihnen auf. „Wenn Sie ein bisschen was erleben wollen, müssen Sie rauf nach Dodge City.“ Sie erreichten den Ortseingang. Eine breite Straße mit Parkplätzen links und rechts durchteilte Ashland. Die höchsten Gebäude waren eine weiß gestrichene Kirche und ein vierstöckiges Bürohaus. „Da finden Sie die Lokalredaktion der Zeitung drin. Hat früher einer Ölgesellschaft gehört. Wenn ich mich nicht irre, gibt es im Haus auch einen Anwalt und einen Arzt.“ Es gab eine Bar, die in tiefem Schlaf lag, ein Diner, vor dem etliche Fahrzeuge parkten, sowie einen Eisenwaren- und einen Lebensmittelladen. „Neben der Kirche ist die Stadtverwaltung. Nicht sehr groß, was?“ Tony zeigte auf ein kleines Backsteingebäude im Schatten des Gotteshauses.

„Ashland ist wirklich ein ruhiger Ort“, erklärte Ira und beugte sich vor. Ihr Atem strich über Rays Nacken.

Ein paar alte Männer saßen vor der Eisenwarenhandlung, musterten die Straße, rauchten und unterhielten sich, ohne groß die Lippen zu bewegen.

„Dort ist die Tankstelle. Sie gehört Ben Stanton und wenn Sie etwas an schwerem Gerät für Ihre Aufgabe benötigen, ist er Ihr Mann, Ray. Ben hat früher auf den Ölfeldern gearbeitet, kennt sich also aus. Früher oder später werden Sie sich an ihn wenden.“ Tony zeigte auf einen hellen, flachen Steinbau, dessen Fenster vergittert waren. Auf dem Vorplatz standen zwei blaue Zapfsäulen, neben der Einfahrt zur Werkstatt parkte ein klappriger roter Lastwagen. „Ben sitzt meistens hinter seinem Laden unter einem Baum und spielt auf seiner Mundharmonika.“

Sie fuhren langsam die Straße hinab. „Angeblich wurde Ashland von ein paar Leuten aus Kentucky gegründet. War früher ein Versorgungspunkt zwischen Texas und Fort Dodge. Na, Sie sehen ja, was davon geblieben ist.“ Die Stadt löste sich abrupt auf, überließ den ewigen, trostlosen Weiten von Kansas den Raum. „Das war es auch schon. Spannend, finden Sie nicht, Ray? Wir haben hier nicht mal einen eigenen Sheriff. Gibt nur einen für das gesamte Clark County. Wenn mal was ist, kommt er aus Minneola herüber. Aber es ist fast nie was.“ Tony wendete den Wagen und sie folgten der Straße in die entgegengesetzte Richtung.

Ray sah sich um, ließ seinen Blick gelegentlich über seine Schulter wandern. Ira saß noch immer zu ihm nach vorne gelehnt und lächelte ihn an. Cora hatte die Finger ineinander verschlungen und starrte mit unfreundlichem Gesichtsausdruck aus dem Fenster.

„Es gibt hier ein paar Sachen, die sollten Sie sich beizeiten mal ansehen, Ray. Die Zigeuner-Höhlen zum Beispiel, ein romantisches Plätzchen“, erklärte Tony.

„Lass uns endlich zum Fluss fahren, Tony. Dieses Nest ödet mich an“, schlug Ira vor.

„Sofort, ich will mir eben nur ein paar Zigaretten holen.“ Tony parkte den Wagen vor dem Lebensmittelgeschäft. Im Schaufenster stapelten sich bunte Konservendosen zu zwei kunstvollen Türmen. Eine alte Frau schlurfte heraus, warf ihnen einen misstrauischen Blick zu und humpelte davon.

„Bin gleich zurück.“ Tony kletterte aus dem Packard und betrat den Laden. Ray beobachtete, wie er das junge Mädchen hinter dem Tresen grüßte und ein paar Worte mit ihr wechselte.

„Bethany Miles“, zischte Ira hinter ihm.

„Die kleine Angestellte?“, fragte er und drehte sich zu ihr um.

„Eine kleine Schlampe. Jede Stadt hat so welche, selbst ein Kaff wie Ashland.“ In ihren Augen funkelte es.

Cora wechselte einen kurzen Blick mit Ray und ein schadenfrohes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Er sah wieder zu Tony hinüber, der sich verschiedene Zigarettenmarken zeigen ließ. Bethany musste sich dazu jedes Mal umdrehen, um die Schachteln aus dem Regal zu nehmen.

„Sie ist doch ein hübsches Kind“, bemerkte Ray. Die Verkäuferin mochte Mitte Zwanzig sein, hatte kastanienbraunes Haar und einen wohlgeformten Körper unter ihrem hellblauen Kleid.

Ira schnaubte verächtlich.

Schließlich kam Tony zum Wagen zurück und klemmte sich hinter das Steuer.

„Hast du deine Zigaretten bekommen?“, fragte Ira in eisigem Tonfall.

„Aber klar.“ Tony nickte und warf Ray einen augenzwinkernden Blick zu. Der Packard setzte sich in Bewegung und sie fuhren aus der Stadt. Nach einiger Zeit verließen sie die einsame Hauptsraße und bogen in einen Feldweg ein. In der Mittagssonne glitzerte der Cimarron wie ein mit Diamanten besetztes Band. Sie hielten vor einer kleinen Anhöhe, die mit kränklichen Bäumen bewachsen war.

„Da sind wir“, erklärte Ira und sie wartete, bis sich der Staub gelegt hatte, um auszusteigen.

Die Luft war warm und trug den Geruch des Flusses mit sich. Tony ging zum Kofferraum, öffnete ihn und zog einen großen Picknickkorb hervor. „Das Wichtigste.“ Ira nahm ihn entgegen, während Tony zwei zitronengelbe Decken und einen weißen Panamahut zum Vorschein brachte. „Lasst uns dort unter die Bäume gehen“, schlug er vor und setzte sich den Hut auf.

Sie folgten ihm in den Schatten. „Helfen Sie mir mal mit den Decken, Ray.“ Er warf dem anderen eine davon zu und sie breiteten sie nebeneinander aus.

„Wollt ihr Männer zum Fluss runter gehen? Dann bereite ich alles vor“, sagte Ira und klappte den Korb auf.

„Warum nicht? Kommen Sie, Ray.“ Sie ließen die beiden Frauen zurück. Ray spürte Coras Blick, der ihnen folgte, als sie den kleinen Hügel hinabstiegen.

„Angeln Sie, Ray?“, fragte Tony. Er bot eine Zigarette an und gab ihnen beiden Feuer. Dann schob er den Hut zurück und schaute in die Ferne. „Gibt hier Forellen und so was.“

Der Cimarron floss breit und träge dahin. Seine Ufer bestanden aus roter Erde und Steinen.

„Nein, ich mache mir nicht viel aus Fisch oder Angelsport. Jagen liegt mir mehr.“

Tony sah ihn lächelnd an und stieß den Rauch seiner Zigarette durch die Nase aus. „Beides nichts für mich. Ich meine, warum soll man so ein Vieh abknallen oder mit einem Haken aufspießen, wenn man es sauber zerlegt oder in praktischen Dosen verpackt im Laden kriegen kann?“

„Bei der Jagd kann man großartig entspannen.“

„Ich weiß nicht. Da fallen mir bessere Sachen ein.“

„Bethany Miles zum Beispiel?“

Tonys Lächeln gefror zu einer Grimasse. Seine Augen musterten Ray scharf. Dann nahm er die Zigarette aus dem Mund und fuchtelte damit vor ihm herum. „Beth ist ein nettes Ding, verstehen Sie? Warum soll man sich verhalten, als wäre man aus Stein?“ Das Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. Ray sah ihn weiterhin an. Ein paar Schweißperlen glitzerten in Tonys Bart. „Ach, kommen Sie, Ray. Ich kaufe meine Zigaretten bei ihr, mehr nicht. Wollen Sie hier den Moralapostel spielen?“

Ray nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und blies nachdenklich den Rauch in Tonys Richtung. „Bestimmt nicht.“

Das Grinsen im Gesicht des Mannes ihm gegenüber wurde breiter. „Ah, Sie wollen mich aufziehen. Eins zu null für Sie.“ Tony schlug ihm freundschaftlich gegen den Arm.

„Ja, wollte ich.“

„Ich meine, wir jagen alle irgendetwas, nicht wahr? Tiere, Geld, Erfolg oder Frauen, Sie verstehen? Das tun Sie doch auch, Ray.“

„Menschen“, bemerkte der andere trocken.

Tony sah ihn mit großen Augen an, den Mund halb geöffnet. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, dann nickte er. „Ich verstehe, Ray. Ich verstehe Sie voll und ganz. Es ist, weil ich nicht im Krieg war. Das ist es, nicht wahr?“ Sein Gesicht nahm einen verstehenden Ausdruck an.

Ray schwieg.

„Das sehen Sie ganz falsch, Ray. Ich habe nicht wie Sie an der Front gekämpft, okay. Aber ich bin durch und durch Patriot. Patriot, verstehen Sie, Ray?“ Seine Stimme war lauter geworden.

„Wenn Sie es sagen, Tony“, antwortete Ray und schnippte seine Zigarette in den Fluss.

„Klar; das sage ich, weil es stimmt. Ich meine, ich finde gut, was dieser McCarthy da macht. Natürlich wird Kritik an ihm laut, versteht sich. Die ganzen Roten haben Panik. Er steckt sie ins Loch und das ist gut so. Die machen doch alles zunichte, wofür Sie da draußen eingestanden sind. Oder etwa nicht?“ Er sah Ray auffordernd an: „Oder etwa nicht, Ray? Diese Kommunisten machen doch alles kaputt.“

„Vielleicht.“

„Bestimmt tun sie das. Sie haben doch welche von denen gesehen, da drüben in Europa, Ray. Wie waren die?“

„Wie andere Leute auch.“

„Ach, kommen Sie, Ray. Wir wissen beide, dass die nur eins wollen: die Vereinigten Staaten zerstören. Den amerikanischen Traum beschmutzen.“

Cora kam den Hügel hinunter. Das Gelb ihres Kleides wetteiferte mit der hoch am Himmel stehenden Sonne. „Kommt ihr zum Essen?“

„Klar, natürlich. Kommen Sie, Iras Sandwichs werden Ihnen schmecken, Ray. Der wahre amerikanische Traum.“ Er lachte über seinen Witz und ging voran.

Cora blieb neben Ray und wich kaum von seiner Seite, als sie zu den Bäumen hinüberschlenderten. Ihr Ausdruck war noch immer ernst, ihre Mundwinkel deuteten abwärts.

„Ziehen Sie nicht so ein Gesicht, Ms. Reed. Das steht Ihnen nicht.“

Sie sah ihn wütend an. „Was geht Sie das an, was mir steht und was nicht?“ Ihre Schritte beschleunigten sich und sie entfernte sich zur hintersten Ecke der Decke und ließ sich darauf nieder, ohne ihn anzusehen. Ray grinste.

„Habt ihr euch gut unterhalten?“ Ira saß in ihrem gepunkteten Kleid zwischen Tellern, Bechern und Schälchen. Tony setzte sich neben sie und ergriff den Kaffee, den sie ihm hinhielt. „Ja, ganz ausgezeichnet. Sind uns klar geworden, dass wir beide Patrioten sind.“

„Vermutlich hast du wieder über Politik gesprochen“, seufzte sie und reichte Ray eine gefüllte Tasse und einen Teller, auf dem ein dick belegtes Sandwich lag. Dabei zwinkerte sie ihm zu. „Ich kann Politik nicht ausstehen.“

„Solltest du aber, Ira. Du hast immerhin das Wahlrecht.“

Sie zuckte die Schultern. „Was interessiert es mich. Ich war noch nie wählen.“ Sie sprach das letzte Wort aus, als wäre es eine ansteckende Krankheit. Tony schüttelte den Kopf und vertiefte sich in den Verzehr seines Brotes.

„Schmeckt es Ihnen, Ray?“, fragte Ira und biss ein kleines Stück von dem ihren ab.

„Wirklich gut. Diese Soße ist einzigartig“, antwortete er.

„Danke.“

Cora betrachtete ihr Sandwich mit Widerwillen, hob es an, legte es zurück und ignorierte die anderen.

Sie aßen ohne viele Worte, tranken ihren Kaffee und schauten über den Cimarron hinweg ins Land.

„Was meinen Sie, Ray, wollen wir ein wenig spazieren gehen?“ Ira tupfte sich die Lippen mit einer Serviette ab.

„Ohne mich. Sei so gut und reich mir doch mal die Zeitung aus dem Korb herüber“, meinte Tony, rutschte zu einem Baum und lehnte sich dagegen. Ira gab ihm eine zusammengefaltete Zeitung, die er mit viel Lärm auf seinen Knien ausbreitete. „Wetten Sie eigentlich, Ray?“, fragte er, ohne aufzusehen.

„Nein, kein Interesse.“

„Schade, hätte Ihnen ein paar Tipps für das nächste Rennen geben können. Ich setze immer mal einen Fünfer. Nie mehr und auch nur, wenn ich mir absolut sicher bin.“

„Lassen Sie uns gehen, Ray. Wenn es um seine Pferdewetten geht, ist er zu nichts anderem mehr zu gebrauchen.“ Ira erhob sich und wartete auf ihn.

Cora warf ihm einen kurzen, missmutigen Blick zu, dann spannte sie ihren Sonnenschirm auf, zog ein Buch aus ihrer Handtasche und begann zu lesen.

Ray erhob sich und Ira und er gingen gemeinsam zum Fluss hinunter. Ein leichter Wind spielte mit ihrem Kleid und einer einzelnen Haarsträhne. Er zündete sich eine Zigarette an und sah zu, wie das Streichholz im Cimarron erlosch.

„Wir hätten auch zum Baden herausfahren können. Weiter oben ist der Fluss etwas tiefer. Es gibt da eine Uferstelle, die ist wie ein kleiner Strand. Nicht so viele Steine. Ich liebe das Wasser. Als Kind lebten wir in Chicago und meine Mutter ist jeden Sonntag mit uns raus an den See gefahren. Warten Sie, Ray, wir wollen Steine springen lassen.“ Sie trabte zum Ufer hinab und suchte nach einem flachen Stein. Als sie sich vorbeugte, um einen aufzuheben, zeichnete sich ihr Gesäß unter dem hellen Rock ab.

Ray zog an seiner Zigarette und betrachtete sie.

„Sie auch, Ray“, rief sie und ließ den Stein über das ruhige Wasser springen. Er tanzte fünfmal darüber, dann versank er. Ira jauchzte vergnügt wie ein Kind.

Langsam ging Ray zum Ufer hinunter, ergriff einen Stein und schleuderte ihn ins Wasser.

„Nein, ganz falsch“, lachte die Frau fröhlich und schüttelte den Kopf. „Sie müssen einen flachen Stein nehmen, so einen zum Beispiel. Und dann aus dem Handgelenk. Sehen Sie?“ Ihr Stein berührte wiederum fünfmal die Oberfläche, ehe er unterging.

Ray ahmte ihre Bewegung nach, aber sein Wurfgeschoß landete spritzend im Wasser.

„Haben Sie das als Kind nie gemacht?“, fragte sie.

„Nein.“

„Ich zeig es Ihnen.“ Ira trat an ihn heran und legte ihm einen flachen Stein in die Hand. Ihr sanfter Griff schmiegte seine Finger darum. Einen Moment lang sahen sie sich an. Ihre grünen Augen glänzten, fingen das Bild der Sonne und des Flusses ein. In ihre Wangen stieg eine leichte Röte, sie atmete schnell. Ihr Lächeln war verträumt, abwesend. „Aus dem Handgelenk“, sagte sie langsam und führte ihn bei dieser Bewegung. Dann löste sich ihr Blick von ihm und sie konzentrierte sich auf den Stein in seiner Hand.

Ray ließ seine Augen auf ihr ruhen, die Zigarette im Mundwinkel. Ihr blondes, duftendes Haar vor sich.

„Probieren Sie es.“

„Mmh?“

„Probieren Sie es“, forderte Ira ihn auf.

„Ja.“ Er warf und der Stein tanzte drei Schläge lang über das Wasser.

Die Frau nickte zufrieden und sah dem Fluss nach, der träge dahin floss. Dann drehte sie sich plötzlich um und stieg die Uferböschung hinauf. „Ich habe keine Lust mehr.“

Ray folgte ihr. Nach einer Weile brach er das Schweigen, das sich zu sehr mit der drückenden Hitze verband: „Ich denke, ich werde mir morgen ein paar Gesteinsproben holen. Mit den Karten dürfte ich heute Abend soweit sein.“

Sie sah auf, ihre Augen verschleiert, als wäre sie tief in Gedanken gewesen. Ohne ihn anzusehen, antwortete sie: „Großartig.“

Wieder folgte Schweigen. Ihre Schritte, die das Gras unruhig flüstern ließen.

„Wir sollten zurückgehen“, meinte Ira und wandte sich in einem Wogen aus weißem Stoff und schwarzen Punkten um.

Als sie sich dem Hügel näherten, konnten sie zwischen den Bäumen einen gelben Farbtupfer erkennen, der sich erst von seinem Beobachtungsposten zurückzog, als sie Cora deutlich erkennen konnten.

„Da seid ihr ja. Wir hatten schon befürchtet, Ihr wolltet dem Cimarron bis zur Quelle nachstiefeln.“ Tony grinste unter seinem Hut hervor, den er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Die Zeitung lag aufgeschlagen neben ihm.

„Wir wollten, aber uns ist der Proviant ausgegangen“, meinte Ira und setzte sich dicht neben ihn. Ray nahm ihnen gegenüber im Schatten eines knorrigen Baumes Platz und sah zu Cora hinüber. Das Mädchen lag auf einer Decke, die schlanken Beine angewinkelt, Kopf und Oberkörper unter ihrem Sonnenschirm verborgen.

Schließlich griff er sich in das hitzemüde Schweigen hinein die Zeitung und blätterte uninteressiert darin. Aber seine Aufmerksamkeit glitt immer wieder ab, strich über die endlosen, rotbraunen Weiten, den Fluss und dann zu Ira Reed, die an Tony gelehnt ruhte. Ihre Lider waren geschlossen, ihr Atem ging gleichmäßig. Die Mittagshitze lag nun schwer auf dem trockenen Gras. Coras Beine bewegten sich leicht. Ray sah nacktes, glattes Fleisch zwischen den gelben Falten schimmern. Er blickte wieder in die Ferne und schloss schließlich die Augen.

„Ich setze euch nur kurz ab, dann muss ich zu Vance raus. Sieht so aus, als wollte er seine Wäscherei mit SunTop zusammenbringen“, erklärte Tony, als sie in die staubige Einfahrt einbogen. Der Packard hielt und sie kletterten steifbeinig aus seinem Inneren, nahmen Korb und Decken aus dem Kofferraum und sahen ihm nach, wie Tony mit quietschenden Reifen davonfuhr.

„Ich lege mich ein wenig hin“, sagte Cora und ging hinein. Ihre schlechte Laune schien sich noch vertieft zu haben.

Ray und Ira folgten ihr ins Haus. Selbst die gemalten Vögel an den Wänden schienen in der Hitze die Flügel hängen zu lassen. Die blonde Frau sah ihn an: „Kommen Sie allein klar, Ray? Ich bin bei Martha, Donalds Mutter, eingeladen und möchte mich vorher noch frisch machen.“ Sie lächelte, ging zur Treppe und drehte sich wieder zu ihm herum. Ihre Hände berührten ihn sanft am Arm: „Ich bin sehr froh, dass Sie gekommen sind, Ray.“ Seinen Namen in ihrer Art ganz sorgsam aussprechend. Dann eilte sie die Stufen hinauf.

Er blieb einen Moment nachdenklich stehen, dann ging er, den Korb in der Hand, in die Küche. Das Hausmädchen, stand an der Spüle und war mit dem Abwasch beschäftigt. Als er eintrat, wandte sie sich ihm zu, grüßte leise und kümmerte sich wieder um ihre Arbeit. Sein Blick glitt über sie, aber er fand nichts, was ihn festhielt. Das schwarze Kleid hing lose um ihren kantigen Körper, ihr Gesicht war blass und ihre Augen von einem stumpfen Grau.

Er erwiderte ihren Gruß, stellte den Korb auf dem Tisch ab und ging hinüber ins Arbeitszimmer. Sonnenlicht fiel zwischen den Vorhängen herein, warf Muster auf den verwaisten Schreibtisch mit den ausgebreiteten Karten darauf und glitzerte in den Photographien. Ray schlenderte an ihnen vorbei, legte hier und da einen Finger auf das Glas.

Jasper Reed. Als Jäger und Kriegsheld. Mit Freunden, einem alternden Stummfilmstar, den Kameraden. Vertraute Gesichter. Er schnippte grübelnd gegen all jene, die übrig geblieben waren, rief sich ihre Namen in Erinnerung, was sie nach dem Krieg angefangen hatten und wo sie nun gestrandet waren. Dann betrachtete er die leeren Stellen in der Reihe der Aufnahmen. Löcher im Bilderleben, verschwundene Vergangenheit. Es gab keine Photographien von Jasper gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau Eve. Vielleicht fehlten diese. Er überlegte, ob Ira sie entfernt haben könnte. Oder Cora.

Schließlich setzte er sich an den Schreibtisch und vertiefte sich in die Arbeit, streifte die Erinnerungen ab.

Es klopfte. Ira trat ein, in einem dunkelblauen Rock und einer hochgeschlossenen Bluse. „Ich bin dann weg, Ray. Fühlen Sie sich wie daheim.“

„Ich werde mich bemühen. Aber vermutlich weiß ich gar nicht mehr, was das ist – daheim.“ Er lachte.

„Sie werden sich hier schon noch wohl fühlen. Bis später.“ Sie lächelte ihm zu und war verschwunden.

Seine Hand hielt noch immer den Stift über dem Papier, auf dem er sich Notizen gemacht hatte, mitten in der Bewegung erstarrt. Still und unbeweglich wartete er. Nicht lange, und er hörte leise Schritte auf der Treppe, die sich langsam näherten und vor der Tür zum Arbeitszimmer hielten. Das sanfte Rascheln von Stoff, eine Pause, ein Ausatmen und dann entfernten sich die Schritte wieder. Anfangs zögerlich, dann entschlossen, bis eine Tür ging und sich wieder Ruhe über das Haus gelegt hatte. Er betrachtete nachdenklich seine Hand, deren Finger sich vor Anspannung fest um den Stift gelegt hatten.

Das Abendrot begann an den Ausläufern der Red Hills, war anfangs mehr eine verwischte Linie der rot-braunen Hügel: Bald wuchs es aus deren Konturen heraus, floss in den blauen Himmel, tränkte die zerrissenen Wolken und trat seine Herrschaft an, deren Dynastie in dunklem Blut und tiefer Schwärze enden würde.

Ray stand auf der Veranda und blickte in den Himmel, eine Zigarette zwischen den Fingern. Er nahm einen tiefen Zug und blies den Qualm aus, ließ ihn vor seinem Gesicht treiben und betrachtete durch die winzigen Schwaden den Siegeszug des Abends.

Die Haustür öffnete sich und Tony kam heraus. Er trug eine grobe, helle Hose und ein mit blassen Blüten bedrucktes, kurzärmliges Hemd. Seine Unterarme waren dünn und drahtig, sporadisch mit dunklen Haaren bedeckt. An seinen Fingern waren weiße Farbflecke zu erkennen. „So, die Hintertür ist auch gestrichen. Fehlen nur noch die Rahmen der Fenster.“ Er zündete sich gleichfalls eine Zigarette an und stellte sich neben Ray, die Hände auf das hölzerne Geländer gelegt. Aber sein Blick ging nicht hinüber zu den Red Hills, sondern begutachtete den schwarzen Packard. „Muss ihn mal wieder polieren“, bemerkte er und schnippte Asche ins Blumenbeet unter sich.

Ray antwortete nicht, sondern sah weiter in die Ferne.

„Wird Zeit, dass wir die Zufahrt teeren. All der Staub und die Steine sind nicht gut für den Lack.“ Tony sah ihn an, versuchte ein Gespräch zu erringen, aber der andere beachtete ihn nicht. Er seufzte und sie blickten stumm zum Horizont.

Schließlich öffnete sich die Tür erneut und Cora trat heraus. Sie war gekleidet in ein hellblaues Kleid, eine gerüschte Bluse und ein gestreiftes Jäckchen. An ihrem Arm baumelte eine winzige Handtasche. Sie hielt abrupt im Schritt inne, als sie die beiden Männer am Geländer stehen sah. Ihre Miene verdunkelte sich, dann blickte sie starr zu Boden und eilte die Stufen hinab. Rays Augen folgten ihren weichen Bewegungen, als sie die Zufahrt entlang lief.

„Möchte wissen, was der für eine Laus über die Leber gelaufen ist. Vermutlich hat sie Streit mit Donald“, bemerkte Tony und streifte die Asche ab.

„Meinen Sie?“

„Was denn sonst? Sie ist halt noch ein Kind und ein ziemlich verzogenes dazu.“ Die Lippen unter dem Schnurrbart zogen sich über seine Zähne zurück, als er abschätzend grinste.

„Vielleicht.“ Cora war hinter den Bäumen verschwunden. „Geht sie allein weg?“

Tony schüttelte den Kopf: „Donny fischt sie auf und dann fahren sie nach Ashland, Freunde besuchen.“

Sie schwiegen wieder. Noch immer war die Luft fiebrig warm.

„Das Essen ist fertig.“ Ira steckte den blonden Schopf zur Tür heraus, lächelte und verschwand wieder.

„In Ordnung.“ Tony zerdrückte seine Zigarette in einem Aschenbecher auf dem kleinen Beistelltisch.

Gemeinsam gingen sie ins Haus und ins Esszimmer, in dem der Tisch bereits gedeckt war.

Ira und das Hausmädchen waren gerade dabei, Platten mit gekochtem Fisch und Gemüse abzustellen. Beide trugen weiße Schürzen. „Setzt euch.“

Die beiden Männer nahmen Platz und warteten, bis sich Ira zu ihnen gesetzt hatte. „Langt kräftig zu.“ Sie lächelte und verteilte geschickt den Fisch.

Das Mädchen erschien im Durchgang zur Küche: „Der Nachtisch ist angerichtet, Mrs. Reed.“

„Danke, Penny. Sie können dann Feierabend machen.“

Sie verzehrten wortlos ihr Essen, lauschten auf das Klingen des Bestecks.

Die Dunkelheit zog sich vor dem Fenster zusammen, sog die Grasflächen und Bäume in sich auf.

„Sind Sie weitergekommen, Ray?“, fragte Ira und tupfte sich die Lippen sorgfältig mit einer Serviette ab.

Er legte seine Gabel zur Seite und nahm einen tiefen Schluck Weißwein. „Ich denke schon. Das Material ist sehr umfangreich, einige der Expertisen widersprüchlich, vieles vage Vermutungen.“ Er machte eine Pause. Ira sah ihn mit glänzenden Augen an. Tony kaute nervös auf seiner Unterlippe. „Aber eine Chance besteht. In Ihrem Land wurden bisher keine Bohrungen vorgenommen. In den Nachbarfeldern ja, in Ihrem nicht. Die Ergebnisse der Bohrungen waren zufrieden stellend, wurden aber frühzeitig eingestellt.“

„Was bedeutet das?“, fragte Tony.

Ray zuckte die Schultern: „Das kann ich nicht voraussagen. Möglich, dass wir ein altes Feld anbohren, das noch nicht völlig erschöpft ist. Es würde uns einige Zeit Erdöl liefern, aber früher oder später austrocknen.“ Tony blickte enttäuscht. Ira saß unnatürlich starr auf ihrem Stuhl. „Oder wir finden eine neue Quelle, eine, die bisher übersehen wurde.“

„Besteht eine solche Chance?“ Ihre Stimme war mehr ein Flüstern.

„Eine geringe. Die Bohrungen hier im Umkreis bewegten sich in einer Tiefe von etwa achtzig Metern. Das ist für diese Region so üblich. Tiefere Bohrungen waren aufwendiger, zumindest Anfang der Dreißiger. Ein tieferes Vordringen ist schwieriger und zumeist teurer. Es passiert jedoch, dass sich Ölfelder überlagern. Unter einem leer gepumpten Feld könnte ein noch unberührtes liegen.“ Seine beiden Zuhörer atmeten hörbar aus. „Könnte“, betonte Ray. „Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Die Möglichkeit besteht, aber mehr auch nicht.“

Sie schwiegen. Ray beobachtete Ira, deren Finger sich in eine zerknüllte Stoffserviette gekrallt hatten. Ihr Gesicht war angespannt und ernst, die Haut lag straff über ihren Wangenknochen und die braunen Sprenkel ihrer Augen waren deutlich zu erkennen.

„Meinen Sie, es ist einen Versuch wert?“ Tonys Stimme war beinahe tonlos, als hätten ihr all die brüchigen Hoffnungen die Kraft geraubt.

Ray sah ihn an und nickte langsam. „Es ist mit Unkosten verbunden und die Möglichkeit eines Misserfolgs besteht. Vermutlich benötigen wir mehr als eine Probebohrung, aber das sollte uns nicht den Mut nehmen. Ich habe mir das Material angesehen und halte es für möglich, dass wir fündig werden. Morgen besorge ich mir Gesteinsproben von Ihrem Feld. Ich hoffe, dass untermauert unsere Vermutung.“

„Was müssen wir tun?“ Iras Finger lösten sich langsam aus dem zerknüllten Stoff.

„Nicht viel. Jasper hat so ziemlich alles vorbereitet. Adressen und Materiallisten. Es fehlt nur noch Geld.“

„Auch das ist da. Jasper hat es genau dafür zurückgelegt.“

Ray nickte. „Das ist ein weiterer Punkt. Jasper hatte einen Sinn für Geschäfte. Er konnte Geld förmlich riechen. Wenn er sich sicher war, dass wir hier Öl finden würden, dann glaube ich es auch.“

„Sie können über das Geld verfügen, Ray.“ Ira blickte ihn an.

„Gut.“

Sie seufzte. „Es ist unsere letzte große Rücklage. Wenn es aufgebraucht ist, haben wir nicht mehr viel.“

Wieder schwiegen sie.

Schließlich sagte Tony in die Stille hinein: „Ich könnte jetzt eine Zigarette vertragen. Kommen Sie mit, Ray?“ Er erhob sich.

Der andere schüttelte den Kopf.

„Sei aber gleich zurück, es gibt noch Nachtisch.“ Ira stand auf und ging in die Küche hinüber.

Ray blieb nachdenklich sitzen und starrte auf seinen Teller. Seine Finger spielten abwesend mit einer silbernen Gabel, schoben sie in einen rechten Winkel zum Tisch.

„Danke, dass Sie die Wahrheit gesagt haben, Ray.“ Sie stand neben ihm, eine Porzellanschüssel vor der Brust.

Er zuckte die Schultern, ohne den Blick vom spiegelnden Glanz des Silbers zu nehmen. „Ich wollte Ihnen nicht zu viele Hoffnungen machen.“

Ira stellte die Schüssel ab und beugte sich zu ihm herab. Ihr Atem strich über sein Gesicht, der leichte Pfirsichduft kitzelte seine Nase. „Sie geben uns immerhin Hoffnung. Allein könnten wir das nicht schaffen.“

Er drehte den Kopf zu ihr. Ihre Gesichter waren sich sehr nah. Iras Lippen schimmerten feucht, ihre grünen Augen glänzten. Die winzigen Sommersprossen bedeckten Nase und Wangen. Sie sahen sich an, ein gespanntes Schweigen zwischen ihnen. Ray sah, wie sich ihre Brust hob und senkte, wie sich eine einzelne blonde Strähne sachte in ihrer Stirn bewegte. Er setzte an, etwas zu sagen, aber die Worte verloren sich, bevor er sie über die Lippen bringen konnte.

Im nächsten Moment hatte er sie ergriffen. Ira versuchte sich ihm zu entziehen, dann blieb ihre Hand regungslos, wie verkrampft in seiner liegen. Sie atmete schwer, eine dunkle Röte stieg ihr in die Wangen. Ein Schleier glitt über ihre Augen. Smaragde in sanftem Nebel. Ihre Haut war sehr warm und weich. Ihre Zähne schimmerten hinter den roten Lippen. Langsam entspannte sie sich, schmiegte ihre Hand in seine Wärme.

Die Haustür ging, ein gedämpfter Laut, der in der lastenden Stille klang wie ein Donnerschlag. Ira versuchte sich zurückzuziehen, einen Anflug von Angst in ihren gesprenkelten Augen. Ray hielt sie fest, mit beinahe brutaler Kraft. Sie wehrte sich für einen Moment, dann gab sie seinem harten Blick nach, die schimmernde Furcht unter einem Schleier bedeckt, ein leises Seufzen auf den Lippen.

Als sich die Tür öffnete, entließ Ray sie und Ira trat mit brennenden Wangen von ihm fort, den Blick auf den Boden gerichtet.

„Wenn man da draußen steht und zu den Hügel hinüber sieht, kann man fast die Bohrtürme glänzen sehen“, sagte Tony und setzte sich. Er schüttelte den Kopf.

„Träumen Sie nicht zu viel, Tony. Noch haben wir nichts gefunden.“ Ray schob die Gabel wieder an ihren Platz zurück, ohne Ira anzusehen.

Der andere lächelte und zeigte seine Zähne unter dem dünnen Bärtchen: „Für irgendetwas müssen diese Hügel ja gut sein.“

Ira kam mit einer Kanne aus der Küche zurück und setzte sich neben Tony. Ihr Blick glitt zögerlich über Ray hinweg und wandte sich dann dem Redner zu: „Du mochtest die Red Hills noch nie.“

„Warum auch? Sie sehen schmutzig aus.“

„Reichen Sie mir Ihr Schälchen, Ray? Ich hoffe, Sie mögen Rote Grütze?“ In ihrer Stimme klang Unsicherheit mit.

„Danke“, sagte Ray und beobachtete, wie sie ihm den Nachtisch servierte.

„Da ist Vanillesoße. Bitte schön, Tony.“

Sie aßen, wobei niemand ein Wort sprach.

„Was haltet Ihr von etwas Radio? Ich habe den Empfänger heute abgeholt. Es dürfte Musik und ein Hörspiel geben. Was meinen Sie, Ray? Mögen Sie Hörspiele?“ Tony kratzte sein Schälchen geräuschvoll mit dem Löffel leer.

„Vielleicht.“

„Bestimmt. Jeder mag Hörspiele.“

„Geht ihr schon vor, ich muss das Geschirr noch in die Küche bringen.“ Ira erhob sich und begann abzuräumen. Ray versuchte ihren Blick einzufangen, aber sie wich ihm aus.

„Na dann, kommen Sie, Ray. Wir wollen den Kasten mal vorheizen.“

Die beiden Männer verließen das Esszimmer und gingen hinüber in den Leseraum. Auf einer Kommode stand ein großes Röhrenradio. Tony stellte sich davor und tätschelte es liebevoll. „Die Röhre war kaputt und ich musste es zu Ben Stanton bringen, damit er es repariert. Setzen Sie sich in den Sessel dort, Ray. Da können Sie am besten zuhören.“ Er schaltete das Radio ein und drehte am Empfänger, während Ray Platz nahm. Nach kurzem Rauschen war die klare Musik von Duke Ellington zu hören. „Ich liebe den Duke. Der macht klasse Musik, finden Sie nicht, Ray?“ Dabei schlug Tony den Takt auf seinem Oberschenkel an.

„Weiß nicht, ich interessiere mich nicht sonderlich für Musik.“

Tonys Lächeln verzog sich und er ließ sich auf die Couch fallen. „Verstehe. Sie halten nicht viel von Kultur.“

Ray zuckte die Schultern: „Ich lese gelegentlich ein Buch oder geologische Fachzeitschriften, mehr nicht.“

„Ist ja auch nicht schlimm. Ich meine, man kann seine Zeit auch sinnvoller nutzen. Wie wäre es mit einem Drink?“

Der andere nickte.

Tony grinste, erhob sich und schlenderte hinüber zu einem kleinen Barwagen. „Bourbon?“

„Akzeptiert.“

Die Tür öffnete sich und Ira Reed trat ein. „Für mich auch einen, Tony.“

„Klar.“

Sie setzte sich auf die Couch, schlug die Beine übereinander und nahm das Glas entgegen, das ihr gereicht wurde. „Danke.“

Ray nickte ihm zu und nahm einen Schluck.

Tony trank ebenfalls, schnalzte anerkennend mit der Zunge und strich sich genießerisch über den dünnen Bart.

Die Musik verstummte und ein Radiosprecher verkündete das weitere Programm. „Hammett. Das ist einer, der hat Ahnung. Hat klasse Geschichten geschrieben, auch wenn er ein Roter ist“, bemerkte Tony und lehnte sich zurück, einen Arm hinter Ira auf die Rückenlehne gelegt.

„Mögen Sie Krimis, Ray?“, fragte die blonde Frau und stellte ihr leeres Glas ab.

„Klingt mir zu sehr nach einer haarsträubenden Räuberpistole.“ Er beobachtete Ira, die sich an Tonys Arm schmiegte, die Lider halb geschlossen.

„Mir gefällt es“, seufzte sie.

„Warte ab, bis es ordentlich kracht.“ Tony grinste Ray an.

„Ich mag mehr die Liebesgeschichten.“ Sie öffnete die Augen und musterte Ray eindringlich, ohne dass es Tony mitbekam. Ihre Augen schimmerten feucht, ihre Lippen waren halb geöffnet. Er erwiderte ihren Blick, ohne das Gesicht zu verziehen. Einige Momente versanken sie ineinander, dann schloss sie ganz langsam die Augen.

Das Stück dauerte an, füllte das Zimmer mit Revolverschüssen, Schreien und theatralischen Stimmen. Tony hörte aufmerksam zu, die Augen weit geöffnet. Gelegentlich fuhr er sich mit der Zunge über die dünnen Lippen. Seine Hand ruhte auf Iras Schulter, die zu schlafen schien. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen.

„Nichts für ungut, aber ich glaube, mir genügt es für heute Abend.“ Ray leerte sein Glas und erhob sich.

„Wollen Sie nicht wissen, wie es ausgeht?“, fragte Tony erstaunt. „Das Finale ist immer das Beste am ganzen Stück.“

„Lass ihn doch, Tony. Ray interessiert sich nun einmal nicht für Hörspiele.“ Iras Worte klangen träge, gestimmt von Behaglichkeit und Alkohol. Sie blickte ihn unter schweren, dunklen Lidern an.

„Lassen Sie mich wenigstens Ihr Glas noch einmal auffüllen.“ Tony griff nach der Flasche, die auf dem niedrigen Tisch vor ihm stand und schenkte Ray reichlich ein.

„Ich werde damit gurgeln.“ Ray grinste. „Gute Nacht, allerseits.“

„Bis Morgen.“

„Schlafen Sie gut, Ray“, hauchte Ira und schloss wieder die Augen.

Er ließ die beiden mit dem Lärm des Radios allein.

Schmutzige Hoffnungen

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