Читать книгу Schmutzige Hoffnungen - Myron Bünnagel - Страница 6
IV.
ОглавлениеDie Sonne setzte die Umrisse der Red Hills in Brand, ließ die braunrote Erde im grellen Licht fast schwarz und verkohlt erscheinen. Ein trockener Wind spielte unschlüssig im hohen Gras, als Ray auf der Veranda stand und rauchte. Der Packard war verschwunden, nur der verstaubte Pick-up stand auf dem Vorplatz.
„Guten Morgen, Ray.“ Er blickte über die Schulter hinüber zu Ira Reed, die in der Eingangstür lehnte, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der einsamen Landschaft zu. Ein Raubvogel, nur ein winziger Punkt in der Ferne, zog seine geduldigen Kreise. Im Osten standen dünne Wolken am Himmel. „Guten Morgen, Ira.“
Sie zögerte. „Wollen Sie nicht zum Frühstück hereinkommen? Ich … Tony ist unterwegs, Cora schläft noch und ich esse nicht gerne allein.“
Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort, sog den Rauch seiner Zigarette ein und stieß ihn langsam wieder aus. „In Ordnung.“ Ohne Eile folgte er ihr ins Esszimmer.
Ray nahm ihr gegenüber Platz. „Haben Sie gut geschlafen?“
Er nickte. „Ist es gut ausgegangen?“
Sie sah ihn verwirrt an, ihre Augen geweitet, als hätte er sie bei etwas Verbotenem ertappt. „Was meinen Sie?“ Ihre schlanken Finger spielten unruhig mit einer Serviette.
„Das Hörspiel“, antwortete er und fixierte sie mit seinem Blick.
„Ach so, das meinen Sie.“ Eine leichte Röte stieg in ihre Wangen. „Ich glaube schon. Diese Sachen gehen doch immer gut aus. Ich bin vor dem Ende eingeschlafen.“ Ihre Augen huschten unruhig umher, sahen auf ihren Teller, dann zum Fenster hinaus und schließlich zu ihm.
Ray lächelte und sie erwiderte es scheu. „Fahren Sie heute raus, um Proben zu nehmen?“
„Ja, direkt nach dem Frühstück.“
„Nehmen Sie mich mit, Ray?“
Er rührte in seinem Kaffee, dann schaute er sie an. In Iras Blick funkelte es. „Wenn Sie möchten.“
„Gern. Ich habe heute ohnehin nichts zu tun. Penny wird uns eine Kleinigkeit zusammenpacken. Heute wird es schrecklich heiß.“ Sie aß ihr Frühstück mit sichtlichem Appetit, schaute gelegentlich zu ihm herüber.
Als Ray fertig war, erhob er sich und ging zur Tür. „Sagen wir, in einer halben Stunde vor dem Haus.“ Sie nickte zustimmend.
In seinem Zimmer kontrollierte er den Inhalt seines Koffers und ging, als er mit dem Ergebnis zufrieden war, wieder hinunter. Auf den ersten Stufen blieb er plötzlich stehen. Das Gefühl, beobachtet zu werden, glitt über seinen Nacken. Er sah in den Flur zurück, aber er lag verwaist da, nichts rührte sich. Langsam ging er weiter.
Ira stand mit einem Picknickkorb in der einen und einem weißen Sonnenschirm in der anderen Hand vor dem Wagen. Ray vertäute den Koffer sorgfältig auf der Ladefläche, dann stiegen sie ein.
„Wissen Sie noch, wo es lang geht?“ Ira beobachtete ihn, wie er den Pick-up startete und langsam über die Zufahrt rollen ließ. „Denke schon.“ Bei seiner gemächlichen Fahrt wirbelte der Wagen nur wenig Staub auf.
Ray bog nach Osten ab und sie folgten dem Asphaltband durch die rotbraune Ebene. Die Straße war kaum befahren, gelegentlich kam ihnen ein einzelnes Fahrzeug entgegen und weit vor ihnen kroch ein Lastwagen dahin. Schließlich schwenkten sie in den unscheinbaren Feldweg ein und hielten an den Ausläufern der Red Hills.
Die Sonne war den blauen Himmel empor geklettert und schien mit sengenden Strahlen auf die zerrissenen Hügel nieder. Die Luft war heiß und trocken.
„Es ist jetzt schon unerträglich warm.“ Ira kletterte aus dem Wagen und spannte ihren zierlichen Sonnenschirm auf, ein Gebilde aus luftiger Spitze, den sie kokett rotieren ließ.
Ray nahm seinen Koffer an sich und stapfte in Richtung der Hügel.
„Warten Sie auf mich, Ray.“ Sie eilte ihm nach. „Warum haben Sie es so eilig?“
Ohne sie anzusehen, antwortete er: „Ich habe einiges zu tun.“
„Sie sind böse auf mich.“
Er blieb stehen, stellte den Koffer ab und zog seine Zigaretten hervor. „Warum sollte ich das sein?“ Der Tabak begann zu glühen und er sog begierig den Rauch ein. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, aber er beobachtete Ira weiterhin aus den Augenwinkeln.
Sie schürzte die Lippen und sagte: „Wegen gestern Abend.“
Seine Antwort kam nicht sofort. „Nein.“
„Bestimmt. Ich … es ist nicht so einfach, Ray.“
Er zuckte die Schultern, dann nahm er seinen Koffer und setzte seinen Weg fort.
„Warten Sie!“ Ihre Hand ergriff seinen Arm und hielt ihn zurück. „Bitte, Ray, seien Sie mir nicht böse.“
Mit kaltem Blick sah er sie an. „Ich habe zu arbeiten.“
Langsam ließ sie ihn los. „In Ordnung“, sagte sie schwach und folgte ihm die Anhöhe hinauf.
Schweigend blieben sie oben stehen und sahen sich das Land vor ihnen an. Die unebene Grasfläche, brüchige Hügel, braunes, lebloses Gras und rote, grobe Erde.
Sie sprach leise, mehr zu sich selbst als zu ihm: „Ich finde diesen Anblick trostlos.“ Der Wind trug die Einsamkeit über die rotbraune Ebene.
Ray entspannte sich etwas, seine Stimme klang weicher. „Warten Sie hier, Ira. Ich muss ein paar Proben nehmen, dabei können Sie mir nicht helfen. Warum holen Sie nicht den Picknickkorb, wir können danach sicherlich eine Pause vertragen.“
Ein Lächeln strich über ihr Gesicht. „Gern.“ Sie wandte sich ab und ging zurück zum Wagen. Er schaute ihr einen Augenblick nach, sah, wie der Wind in ihrem Haar und dem blauen Kleid spielte, dann zündete er sich eine neue Zigarette an und stieg den Hügel in entgegengesetzte Richtung hinab.
Unten angekommen, stellte er seinen Koffer ab und wanderte über die Grasfläche, die Hände in den Hosentaschen, den Blick aufmerksam gen Boden gerichtet. Gelegentlich blieb er stehen, ging in die Hocke und grub seine Finger in die Erde oder hob einen Stein auf, den er eingehend untersuchte. Dann setzte er seinen Weg fort, beschrieb dabei einen Kreis, der zu einer nach innen verlaufenden Spirale wurde. Immer wieder von kurzen Pausen unterbrochen, in denen er sich dem Boden zuwandte.
Schließlich kehrte er zu seinem Ausgangspunkt zurück. Er öffnete den Koffer, in dem Glasröhrchen und glänzende Werkzeuge lagen, allesamt sorgfältig darin verstaut. Die Sonne brach sich im Glas und blitzte auf dem polierten Metall. Ray entnahm einige Gegenstände, die er mit geübten Handgriffen zu einem langen, dünnen Bohrer zusammensetzte, dessen Kern hohl war. Darauf schloss er den Koffer wieder und erhob sich.
Ira saß auf dem Hügel, den Schirm gegen die sengende Sonne geöffnet, und winkte ihm zu. Er hob kurz die Hand, dann ergriff er den Koffer und begann erneut mit seinem Rundgang. Auch dieses Mal stoppte er an den Stellen, an denen er bereits beim ersten Mal Halt gemacht hatte, öffnete den Koffer und verstaute Gesteins- oder Erdproben in den Gläsern, deren Papieretiketten er in seiner kleinen, unruhigen Schrift kennzeichnete. Manchmal trieb er den Bohrer in die Erde und klopfte sorgfältig die Probe einer tieferen Erdschicht in eines der Reagenzgläser.
Die Sonne stand nun hoch am Himmel und verwandelte das Tal in eine flimmernde Landschaft. Die Hitze staute sich zwischen dem trockenen Gras und auch der Wind brachte keine Abkühlung mehr.
Ray stapfte den Hügel hinauf. Sein Hemd war durchnässt, Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Er stellte den Koffer ab und ließ sich ins Gras sinken.
„Hier, trinken Sie etwas, Ray. Diese Hitze ist mörderisch.“ Sie reichte ihm ein Glas Wasser, das er gierig austrank. „Sind Sie fertig mit Ihrer Arbeit?“
„Für heute. Ich werde die Proben analysieren, aber das dürfte ein oder zwei Tage in Anspruch nehmen.“ Er wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch ab. „Jetzt könnte ich etwas Schatten vertragen.“
„Unter dem Schirm ist nicht gerade viel Platz und er bewirkt auch kaum etwas.“
„Lassen Sie uns zum Wagen gehen, Ira.“
„Aber wir haben doch noch nichts gegessen.“
Er winkte ab. „Mir ist zu heiß dazu.“
„Ich weiß etwas Besseres. Halten Sie noch zehn Minuten durch? So weit ist es nämlich.“ Sie erhob sich und ergriff den Picknickkorb.
„Von mir aus.“
„Lassen Sie den Koffer doch da, Ray. Hier draußen ist sonst niemand.“
„Nein, ich lasse ihn ungern allein. Es ist zwar nur Erde, aber dennoch.“
Sie zuckte die Schultern und gemeinsam gingen sie den Hügel entlang. „Dort hinten liegt unser Haus.“ Ihre Hand deutete in nördliche Richtung, aber außer den Red Hills war nichts zu sehen. „Ich weiß nicht, warum Jasper sich so in dieses trostlose Stückchen Land verbissen hat. Ich meine, es gibt hier nichts. Nur diese Hügel, Gras und Hitze.“
„Und Ruhe.“
„Ruhe? Ich weiß nicht. Mir ist das hier zu ruhig. Es passiert nie etwas.“
„Jasper, mir und all den anderen Kriegsleuten ist es recht, wenn nichts passiert. Wir haben genug davon für zwei Leben.“
Sie schwiegen und wanderten weiter.
„Da ist es“, sagte Ira. Hinter einem zerbröckelnden Hügel tauchte ein verlassenes graues Steinhaus auf. Das niedrige, flache Dach war mit einem Flickwerk aus kleinen, verfärbten Holzschindeln gedeckt. Der breite, kurze Schornstein war halb zerfallen, in den kompakten Fenstern fehlte das Glas, die Läden hingen zum Teil schief in den Angeln. Einige Holzlatten der einst stabilen Tür waren herausgebrochen und lagen auf dem Boden. Im nördlichen Teil des Hauses gab es einen überdachten Anbau.
Sie wateten durch das hohe Gras zum Eingang. „Es stammt noch aus der Zeit vor dem ersten Boom. Ein kleines Farmhaus oder so.“
„Es hat keine Scheune.“
„Was weiß ich. Es gehört niemandem.“ Ira schob die protestierende Tür auf und trat ein. Ray folgte ihr. Im Kamin lagen Aschereste, es gab einen wuchtigen Tisch und zwei Bänke dazu, an der Wand hingen die Überreste eines zerfallenen Bücherregals. Die Luft war stickig, aber bar der gnadenlosen Hitze.
Sie stellte ihre Sachen auf dem verstaubten Tisch ab und ging zu einem der Fenster, um einen Laden aufzustoßen. Sonnenstrahlen fingen den aufgewirbelten Staub ein, drängten das graue Halbdunkel zurück. Dann drehte sie sich um und lehnte sich an die Wand, die Hände auf dem kühlen Stein. Ihr Gesicht war gerötet und ihr Atem ging unregelmäßig. Sie sah ihn an, die Lippen geöffnet.
Einige Zeit berührten sich ihre Blicke. Die Lautlosigkeit vermengte sich mit der Wärme zu einer zähen Schicht, die sich auf den Raum legte.
Ihr Brustkorb hob und senkte sich, Schweiß glitzerte an ihrem Hals. In den grünen Augen saß ein Funkeln, während die Sprenkel beinahe schwarz und bodenlos wirkten.
Ray stellte seinen Koffer ab und trat auf sie zu, seine Schritte wirkten unnatürlich laut in der Stille. Sein Gesicht glich einer Maske, erstarrt und kalt. Sein Blick war hart, ohne Glanz. Als sein Schatten sie bedeckte, wich sie vor ihm zurück, presste sich dichter an die raue Wand, aber sie starrte wie gebannt in seine Augen. Ein Schaudern durchlief ihren Körper.
Er hob einen Arm und seine Hand fasste nach ihrem Kinn, hielt es grob fest. Ihre Haut war heiß und feucht. Bei der Berührung zuckte sie zusammen, ihr Leib verkrampfte sich für einen Moment. Ihr Kopf wehrte sich gegen seinen Griff, dann seufzte sie resignierend und entspannte sich. Ihre Augen waren geweitet, das Funkeln war einem fiebrigen Schleier gewichen. Sein Namen auf ihren Lippen, aber ehe sie ihn aussprechen konnte, presste sich sein Mund gegen den ihren. Der Kuss war unbeherrscht, drängend. Als sie sich voneinander lösten, atmeten sie schwer. Ihre Blicke senkten sich ineinander, loderten vor Begierde.
Er sah auf ihr Gesicht, dann auf ihre Brüste, die sich schwer und voll abzeichneten. Ira errötete unter seiner Forderung, dann rückte sie von der Wand ab. Ihre Finger tasteten sich zu ihrem Rücken, fanden den Reißverschluss des Kleides. Das Geräusch, das sein Öffnen verursachte, klang wie das Reißen von Seide. Der Stoff löste sich widerwillig, schälte sich langsam von dem feuchten Leib, sank über ihren bloßen Brüsten hinab. Im Halbdunkel leuchtete die weiße, glatte Haut, nur die Höfe waren dunkle Flecken.
Sie senkte den Blick und wollte die Arme über ihre Blöße legen, aber Rays eiserner Griff hielt sie zurück, zog ihre Arme in die Höhe. Mit einem leisen Rascheln glitt das Kleid gänzlich von ihr, umspielte ihre Füße wie ein aufgewühltes Meer. Ihre helle Scham schimmerte durch den Stoff ihres beigen Höschens.
Ira setzte sich für einen Moment zur Wehr, versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, Scham und Unsicherheit zeichneten sich auf ihren Wangen ab. Aber ihr fehlte die Kraft, ihr Wille zerfiel unter der Lust, die in ihren Augen brannte.
Er drängte sie grob gegen die Wand, die rauen, unverputzten Steine rieben über ihre Haut. Seine Hand zerrte die letzte Stoffbarriere von ihrem Schoß, bis sie nackt und schutzlos vor ihm stand, für einen Augenblick die Schenkel fest zusammengepresst, bis er sie grob auseinanderzwängte.
Der Wind trug trockene Luft durch das Fenster herein, das die geschundenen Hügel festhielt wie ein Bilderrahmen eine alte Photographie. Der Staub auf den knarrenden Dielen war zerwühlt, übersät mit Fußspuren und wirren Linien, klebte an dem achtlos liegen gelassenen Kleid.
Ira ruhte an der Wand, die Augen geschlossen. Ihr Atem ging regelmäßig. Ihre Brüste waren an etlichen Stellen gerötet. Sie hatte die Knie angewinkelt, so dass ihr Schoß im Schatten verborgen lag. Eine Hand ruhte darin, die andere verwischte träge die Spuren in der Staubdecke. Nach einiger Zeit öffnete sie die Augen, blickte sich unter schweren Lidern langsam im Raum um.
Ray saß ihr gegenüber, gegen den Türrahmen gelehnt. Er hatte seine Hose wieder angezogen, aber auf das Hemd verzichtet. Unter seinem Unterhemd zeichnete sich sein kräftiger Körper ab. Er rauchte nachdenklich eine Zigarette und beobachtete sie.
Verlegen griff Ira nach ihrem Kleid und legte es sich schützend über die Beine, die Arme vor den Brüsten verschränkt. Sie sah den Rauchfäden nach, die sich zögerlich auflösten. „Du hältst mich für schlecht.“ Ihre Worte kamen nur mühsam über ihre Lippen, als zögerten sie, sich der drückenden Hitze auszusetzen.
Er fixierte sie, noch immer überlegend, dann stieß er den Rauch durch die Nase aus und antwortete: „Nein.“
„So bin ich nicht. Es mag so aussehen, aber es ist anders.“
„Vielleicht hältst du dich selbst für schlecht.“ Er schüttelte den Kopf.
„Ich hoffe, ich kann es dir eines Tages erklären, aber nicht jetzt.“
Ray schloss die Augen. Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Er hörte, wie sich die Frau erhob und ihr Kleid anzog, den Schmutz von den winzigen Sternen rieb. Dann ging sie hinüber zum Picknickkorb, zog eine Thermoskanne daraus hervor und schenkte sich ein Glas ein. Sie trank gierig und Ray, der sie wieder betrachtete, sah, wie sich ihr anmutiger Hals bei jedem Schluck bewegte.
Schließlich kam sie zu ihm herüber, ihre Frisur hatte sich aufgelöst, blonde Strähnen spielten um ihre Ohren und in ihre Stirn. „Hier.“ Sie hielt ihm die Kanne und ein Glas hin.
Er nahm sie und seine Finger berührten ihre Hand, doch sie zog sich zurück, als hätte sie sich verbrannt. „Wir müssen zurück“, sagte sie, den Blick abgewandt.
Das kalte Wasser floss seine Kehle hinab und belebte seinen überhitzten Körper. Er erhob sich und streifte sein Hemd über, nahm seinen Koffer und wartete, die qualmende Zigarette im Mundwinkel.
Ira räumte den Korb ein, dann sah sie sich noch einmal prüfend im Raum um. „Gehen wir.“ Ihre Stimme war leise.
Ray öffnete die Tür und sie traten hinaus in den frühen Nachmittag. Die Hitze umfing sie wie ein klebriges Tuch. „Es ist schlimmer geworden“, stöhnte Ira und wischte sich die Stirn.
Er sah in den Himmel, aber noch immer stellte sich der gnadenlosen Sonne nichts in den Weg. Nur weit im Westen durchzogen ein paar dünne Schlieren das makellose Blau.
Sie gingen den Hügel hinab zum Pick-up, das trockene Gras raschelte unter ihren Schritten.
Ray kletterte auf die Ladefläche und vertäute den Lederkoffer, dann sprang er auf den staubigen Weg zurück.
Sie lehnte am Wagen, eine Hand über den Augen, um das grelle Sonnenlicht abzuwehren, den Korb zwischen den Beinen. Ihr Gesicht war gerötet. „Ray, ich … sei mir nicht böse …“ Sie sah ihn unter dem Schatten ihrer Hand hindurch an, ihre Augen ohne Glanz, schmutzig durch die braunen Flecken darin.
Er antwortete ihr nicht, sondern beugte sich vor und küsste sie roh auf den Mund. Sie erwiderte den Kuss nicht, noch wich sie ihm aus. Ihre Lippen waren leblos. Als er von ihr abließ, starrte sie durch ihn hindurch in die endlosen Weiten der Red Hills.
Ohne ein weiteres Wort ging er um den Wagen herum und stieg ein. Die Hitze in der Kabine war unerträglich. Als er den Motor anließ, kletterte Ira auf den Beifahrersitz und sie fuhren davon.
Der schwarzweiße Packard stand vor dem Haus, als sie die Baumreihen passierten.
„Tony ist wieder zurück“, bemerkte Ira mehr zu sich selbst und versank wieder in Schweigen.
Ray zuckte die Schultern und parkte den Wagen. Er stieg aus, um seine Sachen von der Ladefläche zu nehmen, aber die blonde Frau blieb regungslos sitzen, den Blick starr auf die Kühlerhaube gerichtet. Er trat zu ihr und zündete sich eine Zigarette an. „Steig aus, Ira. Er wird nichts erfahren“, sagte er und öffnete die Tür.
Sie verharrte einen Augenblick, dann kletterte sie steifbeinig vom Sitz. Ihr Gesicht war ausdruckslos, die Röte war einer kränklichen Blässe gewichen. Sie ging an ihm vorbei, die Stufen zur Veranda hinauf, den Kopf gesenkt.
Unvermittelt wurde die Tür geöffnet und sie zuckte merklich zusammen, als Tony ihr entgegen trat, ein breites Lächeln auf den Lippen. Er wischte sich die Hände an einem alten Lappen ab und redete auf Ira ein. Ray konnte nicht verstehen, was sie sprachen, aber Ira schüttelte heftig den Kopf, dann ließ sie Tony stehen und verschwand ins Haus.
Der Mann kam mit gerunzelter Stirn zum Wagen herüber. Er trug eine fleckige Hose und ein durchschwitztes Hemd mit Pferdeköpfen darauf. „Tag, Ray. Ganz schöne Hitze, was?“
Der andere nickte zur Antwort und schloss die Wagentür.
„Macht einen ganz wirr im Kopf, die Hitze. Nehmen wir die Frauen, Ray. Bei so einem Wetter ist schwer mit ihnen auszukommen. Sie sind schlecht gelaunt oder leiden an Kopfschmerzen. Habe ich nicht Recht?“
Sie gingen zur Veranda.
„Wenn Sie es sagen, Tony.“
„Genau das sage ich. Muss ja ein toller Morgen für Sie da draußen gewesen sein, Ray. Ich meine, ich kenne Ira – wenn sie in so einer Stimmung ist, dann ist der Tag gelaufen.“
Ray deutete auf seinen Koffer: „Den Steinen macht die Hitze nichts aus.“
Tony lachte kurz auf: „Recht haben Sie, Ray! Bleiben Sie bei Ihren Steinen, ich bleibe bei meiner Arbeit. Da kann heute nichts schief gehen.“ Kopfschüttelnd ging er in Richtung des Schuppens davon.
Den Blick auf die Red Hills gerichtet, rauchte Ray seine Zigarette zu Ende, dann betrat er das Haus. Die relative Kühle des Inneren ließ ihn aufatmen, als er das Arbeitszimmer betrat. Er stellte den Koffer auf dem leer geräumten Schreibtisch ab und ging hinüber in die Küche.
Das Mädchen war nicht da, aber im Kühlschrank stand ein Krug Limonade, aus dem er sich ein Glas einschenkte.
Vom Garten her wurde die Küchentür aufgestoßen und Tony kam herein. „Lassen Sie sich nicht stören, Ray. Wollte eigentlich ein bisschen Ungeziefer jagen, aber Gott weiß, wo dieses verdammte Rattengift hin ist. Ich könnte schwören, dass es im Schuppen stand, aber Fehlanzeige.“ Er begann damit, leise murmelnd die Speisekammer zu durchsuchen, dann den breiten Küchenschrank und schließlich die Fächer unter der Spüle.
„Schenken Sie mir doch auch ein Glas ein, Ray. Seien Sie so nett. Hier ist es also. Frage mich, wie es dorthin kommt.“ Er zog eine weiße Papiertüte unter dem Spülbecken hervor. „Als ob wir die verdammten Viecher in der Küche hätten. Wissen Sie, wo sich die aufhalten, Ray? Unter der Veranda. Manchmal kann man sie da nachts hören. Danke.“ Er leerte sein Glas in zwei Zügen und nickte dem anderen Mann zu. „Ich werde dann mal.“ Damit verließ er die Küche wieder.
Ray trank seine Limonade, noch immer auf die Küchentür starrend, als würde sie jeden Moment wieder aufgestoßen. Aber Tony blieb verschwunden.
Ray drehte den Stein noch einmal in den Händen, strich mit den Fingern über seine raue Oberfläche und legte ihn dann nachdenklich beiseite. Der Schreibtisch war zu einem geologischen Ausstellungsstand umfunktioniert worden. Gesteinsproben ruhten ordentlich aufgereiht und mit kurzen Notizen versehen nebeneinander. In Glasfläschchen gefüllte rotbraune Erde daneben, die Etiketten mit Rays hektischer Handschrift gekennzeichnet. Vier Reagenzgläser lagen, exakt aneinander ausgerichtet, vor ihm, die Erde darin schattiert und mit Kieseln durchsetzt.
Er nahm einen Block zur Hand, blätterte darin, strich Passagen mit einem Rotstift an und besah sich erneut einzelne Proben. Dann verstaute er die Papiere in der obersten Schublade, stand auf und dehnte sich müde. Die Luft im Arbeitszimmer war warm und roch nach Erde. Er ging zum Fenster hinüber und öffnete es. Zähe Hitze drang herein.
Sein Streichholz entzündete eine Zigarette und Ray lehnte sich auf die Fensterbank um zu rauchen. In einiger Entfernung sah er Tonys Gestalt, die um den hölzernen Schuppen ging und die einzelnen Latten begutachtete. Nach einiger Zeit bemerkte er Ray und schlenderte herüber, um sich ebenfalls eine Zigarette anzuzünden und in den Mundwinkel zu klemmen. Sein Blick wanderte hinauf zu einem Punkt über Ray und das Grinsen wurde breiter.
Ray wandte den Kopf und blickte nach oben. In einem Fenster sah er Cora, die ihn beobachtete. Ihr Gesicht war ernst und angespannt, aber als Tony sie entdeckte, verzerrte es sich vor Wut. Im nächsten Moment war sie verschwunden und das Fenster mit einem Knall verschlossen.
„Seien Sie bloß nett zu unserer Prinzessin, sie ist heute in einer ausgesprochen charmanten Laune.“
„Sie sah aus, als wünsche sie Ihnen die Pest an den Hals, Tony.“
Der Mann strich amüsiert über seinen schmalen Schnurrbart. „Das tut sie immer. Aber heute ist sie ungenießbar. Soviel ich weiß, hatte sie gestern Nacht einen saftigen Streit mit Donald.“ Er blies betont langsam den Rauch aus.
„Vielleicht sollten Sie sie dann einfach in Ruhe lassen.“
Tony verzog entrüstet den Mund: „Ich tue ihr doch gar nichts.“
„War nur ein Vorschlag, regen Sie sich nicht auf.“
„Sie schätzen die Kleine falsch ein, Ray.“
„Vielleicht.“
„Manchmal werde ich aus Frauen einfach nicht klug. Man glaubt, sie verstanden zu haben, und im nächsten Moment überraschen sie einen mit dem genauen Gegenteil.“
„Das macht doch den Reiz aus, oder nicht?“
„Meinen Sie, Ray? Ich weiß nicht ...“
Sie ließen ihre Gedanken zwischen den zerfurchten Hügeln weilen. „Gott, dieses Land ist so verdammt öde. Keine Bäume oder Blumen, nicht mal das Meer oder so etwas.“ Tony stieß resigniert die Luft aus.
„Sind wohl nicht von hier?“
Tony grinste: „Halten Sie mich für einen Provinzler? Bestimmt nicht. Meine Heimat ist Südflorida. Waren Sie schon mal in Miami, Ray?“
„Nein.“ Er zündete sich eine neue Zigarette an.
„Müssen Sie unbedingt mal hin. Nicht so ein vereinsamtes Loch wie Ashland.“
„Mir gefällt es.“
„Vielleicht, wenn man auf der Flucht vor etwas ist. Oder auf irgendetwas ganz Großes hofft.“
„Was hält Sie hier, Tony?“
Der andere zuckte die Schultern: „Geschäfte, eine Frau wie Ira.“ Er sah Ray an. „Die Hoffnung auf etwas ganz Großes.“
Ray nickte und deutete mit der brennenden Zigarette auf die rotbraunen Hügel. „Hoffnungen.“
„Sie sagen es.“
Iras Stimme drang von oben zu ihnen herab. Sie hoben die Köpfe und sahen die Frau in einem der Fenster. Ihr Gesicht war blass, das blonde Haar sah zerzaust und stumpf aus. „Entschuldigen Sie, Ray. Tony, würdest du mal bitte zu mir hochkommen?“
„Klar doch.“ Er drückte seine Zigarette aus, nickte Ray zu und ging zur Haustür.
Rays Blick begegnete dem von Ira. Sie sah ihn mit einem seltsamen Ausdruck an, halb voller Furcht, halb voller Sehnsucht. Keiner sagte ein Wort. Als Tony an ihre Zimmertür klopfte, schenkte sie ihm ein schnelles Lächeln und schloss das Fenster.
Seine Hand strich abwesend durch sein Haar, als er sich wieder auf die Fensterbank lehnte und in die Ferne schaute.
„Ich hoffe, Sie mögen das. Kochen ist nicht unbedingt meine Stärke.“ Tony hatte sich eine karierte Schürze umgebunden und stand am Herd.
„Ich esse auch Schuhsohlen“, bemerkte Ray trocken, der im Durchgang zum Esszimmer lehnte.
„Klar, Soldatenmentalität. Na, so schlimm wie an der Front sollte es aber nicht werden. Nehmen Sie mal die Teller, ja?“
Der Geruch nach gebratenem Speck durchdrang die Luft. „Geht doch nichts über Iras Kochkünste. Müsste ich mich selbst ernähren, dann gute Nacht.“ Tony kam mit der Pfanne in der Hand an den Esstisch und schaufelte Spiegelei und Speck auf drei Teller. „Sein Sie so gut und rufen Sie noch mal nach Cora, tun Sie das, Ray?“
Die Tür öffnete sich und das Mädchen trat ein.
„Hat sich erledigt“, witzelte Tony, aber Cora sah ihn nur unfreundlich an. Sie setzte sich Ray gegenüber und starrte mit hängenden Mundwinkeln auf ihren Teller. Ihr rotblondes Haar hatte sie über das linke Ohr gekämmt.
„Es ist genießbar“, sagte Tony, der ihren Blick bemerkt hatte.
„Ich habe ohnehin keinen Hunger“, antwortete sie eisig.
„Mir egal. Lassen Sie es sich schmecken, Ray.“ Tony begann zu essen.
Ray sah das Mädchen einige Augenblicke an, dann zerkleinerte er seine Streifen gebratenen Specks.
Das Essen verlief schweigsam. Schließlich seufzte Tony, legte sein Besteck zur Seite und erhob sich. „Ich werde Ira eine Kleinigkeit nach oben bringen. Entschuldigt mich.“ Damit ging er hinüber in die Küche. Dort hantierte er kurz am Herd und bald darauf waren seine Schritte auf der Treppe zu hören.
Cora schob ein Stück Speck auf ihrem Teller umher, den Blick bemüht von Ray abgewandt.
„Sie sollten etwas essen“, sagte er sanft.
„Behandeln Sie mich nicht wie ein Kind, das steht mir bis hier!“, begehrte sie auf. Ein aggressives Funkeln trat in ihre Augen, ihre Wangen röteten sich.
Er sah sie mit ausdrucksloser Miene an: „Ich hatte nichts desgleichen vor. Ich bin nur der Auffassung, dass man bei Kummer jeglicher Art ausreichend essen sollte.“
„Kummer? Was wissen Sie denn schon davon?“
„Meinen Sie, ich hätte keinen in meinem Leben gehabt, Ms. Reed?“
Ihre Schultern sackten zusammen, der starre Ausdruck ihrer Augen zerbrach, wurde unstet. „Tut mir leid, Mr. Corbin. Sie können ja nichts dafür.“
„Schon in Ordnung.“
Sie schüttelte den Kopf, den Blick von ihm abgewandt. „Ist es nicht. Ich habe mich unmöglich benommen.“
Er zuckte die Schultern: „Vermutlich sind Sie noch sauer auf mich.“
Sie schüttelte erneut den Kopf, dann nickte sie heftig. „Ja, vielleicht.“
„Hätte ich gewusst, dass es Ihnen so viel bedeutet, dann hätte ich Ira und Tony nichts von unserem Ausflug gesagt.“
„Es ist … nie habe ich etwas für mich. Immer muss sie sich einmischen.“ Ein Schluchzen schlich sich in ihre Stimme.
„So schlimm wird es schon nicht sein.“
„Doch, ist es!“
Das Schweigen lastete für einen Moment auf dem Raum.
„Entschuldigen Sie, Mr. Corbin. Sie müssen einen schrecklichen Eindruck von mir haben.“
„Keineswegs.“
Sie lächelte, aber in ihren Augen schimmerten Tränen. „Sie sind nett.“
„Na, immerhin.“
Ein kurzes, weiches Lachen entstieg ihrer Kehle. Dann schüttelte sie erneut den Kopf: „Ich lasse meinen ganzen Frust an Ihnen aus, dabei sollte ich Donald die Hölle heiß machen.“
„Ich war im Krieg, mit mir kann man es ja machen“, sagte er und lächelte.
„Tut mir leid. Aber Donny und ich, wir haben uns gestern Abend fürchterlich gestritten. Er ist so schrecklich eifersüchtig.“
„Das sind die meisten Jungs.“
„Er ist ein Armleuchter. Sein Gerede über seine Karriere als Bomberpilot … Gott, war mir das in Ihrer Anwesenheit peinlich.“
„Solche Grünschnäbel hatten wir zuhauf in der Armee. Sobald ihnen die ersten Kugeln um die Ohren pfiffen, hatten sie die Hosen gestrichen voll.“
„Trotzdem, manchmal ist er ein Trottel.“
„Aber manchmal auch nicht.“
Sie zuckte die Schultern. „Lassen Sie uns nicht mehr über ihn sprechen.“
Ray nickte und sagte: „Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir klauen uns eine Flasche Wein aus der Vorratskammer und köpfen sie auf der Veranda. Dabei stellen wir uns vor, der Packard sei der Cimarron. Was meinen Sie?“
„Ist das Ihr Ernst?“
„Es ist kein Ausflug, wenn Sie das meinen.“
„Nein, ich finde die Idee wunderbar.“
„Großartig.“
„Ich hole den Wein und die Gläser, Sie können es uns schon einmal auf der Veranda gemütlich machen.“ Sie erhob sich und ging mit kleinen, tanzenden Schritten in die Küche.
Ray sah ihr einen Augenblick lang nach, das Lächeln auf seinen Lippen wich einem nachdenklichen Strich. Schließlich stand er auf und verließ das Esszimmer.
Die Dunkelheit hatte sich über die Red Hills gelegt, bedeckte die erdigen Narben und sog einen Teil der Tageshitze auf. Aber die Luft war dennoch feucht und drückend, wurde von einem trägen Wind über das leblose Gras getrieben und rauschte in den ausgedörrten Bäumen.
Als er die Lampe auf der Veranda entzündete, begannen die Mücken ihren Tanz um das Licht.
Ray tastete nach seinen Zigaretten und stellte seufzend fest, dass die Packung leer war. Er knüllte sie zusammen, beförderte sie auf ein kleines Tischchen und schlenderte zur Hollywood-Schaukel hinüber.
„Was für ein Wetter“, sagte Cora, als sie mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern herauskam.
„Vermutlich gibt es Gewitter.“
Sie stellte die Gläser ab und reichte ihm die Flasche. „Machen Sie die auf? Hier ist ein Korkenzieher.“ Die junge Frau setzte sich in die Schaukel, die Beine übereinander geschlagen, und sah ihm dabei zu, wie er den Korken entfernte und den Wein einschenkte. Ihr Blick fiel auf die leere Schachtel Zigaretten: „Haben Sie keine mehr?“
„Nein.“
„Sagen Sie Tony, er soll Ihnen morgen welche aus der Stadt mitbringen.“
„In Ordnung. Hier, Ihr Glas, Ms. Reed.“
„Danke.“ Sie lächelte ihn an, dann hob sie einen irdenen Blumentopf an, der umgestülpt in einer Ecke auf den Holzdielen stand. „Meine geheime Reserve.“ Sie fischte eine Packung vom Boden und bot ihm eine Zigarette an.
Er riss ein Streichholz an und gab ihr Feuer. Sie beugte sich vor, um sie zu entzünden und berührte sanft seine Hand, um die Flamme näher an den Tabak zu bringen. Sie nickte ihm zu und blies gekonnt den Rauch aus.
„Auf was trinken wir?“, fragte er und hob sein Glas. Das unruhige Licht der Lampe brach sich in der roten Flüssigkeit.
„Schlagen Sie was vor.“
Er sah an ihr vorbei in die Dunkelheit, dorthin wo er die zerrissenen Hügel wusste. Nach einiger Zeit sagte er: „Auf die Hoffnungen, die dort draußen begraben liegen.“
Sie verzog den hübschen Mund, dann lächelte sie: „Sollten wir nicht einfach nur auf uns anstoßen?“
„Das wäre mir als nächstes eingefallen.“ Die Gläser berührten sich, schickten ihren Klang in die Nacht, während sich ihre Augen trafen.
„Sie sehen Ihrer Mutter sehr ähnlich.“
„Finden Sie?“
Er nickte. „Sie haben ihre Augen. Und ihr Lächeln.“
Sie blickte verlegen zu Boden. „Nur die Haare sind von meinem Vater.“
„Solange sie hübsch auf Ihrem Kopf bleiben und Ihnen keiner von Jaspers Bärten wächst, können Sie ganz gut damit leben.“
Sie lachte, ein klarer Ton, der über die schwüle Hitze strich. „Finden Sie nicht, dass mir ein Bart stehen würde? Nur so ein dünnes Dingelchen wie es Tony trägt.“
„Lieber nicht, nachher wollen Sie mir noch Waschpulver verkaufen.“ Sie grinsten sich an und tranken.
„Wir haben früher auch auf der Veranda gesessen, wenn Sie da waren, Mr. Corbin.“
Seine Stimme klang leise, ein wenig schläfrig von Wein und Erinnerungen: „Das ist schon lange her. Ein anderer Ort und eine andere Zeit.“
„Ich kann mich gut daran erinnern. Sie und Dad saßen da, redeten über die Dinge, die ich nicht verstand, und rauchten.“ Er starrte die Glut seiner Zigarette an. „Nur wir beide sind übrig geblieben“, sagte Cora mit schwacher Stimme. Sie fröstelte trotz der drückenden Wärme.
Das Grollen des Donners drang bedrohlich in das Schweigen zwischen ihnen. Das Mädchen drehte sich um und schaute in Richtung der Hügel. „Gleich geht es los.“ Wieder ein Grollen. Der Wind frischte auf, trieb den Geruch von Regen vor sich her.
Als der erste Blitz die Red Hills aus ihrem nächtlichen Versteck riss, schreckte Cora zusammen. Der grelle Schein brannte die Umrisse der Hügel für Augenblicke in die Schwärze. „Gewitter sind unheimlich. Diese Hügel wirken dann geisterhaft.“ Sie wandte langsam den Blick vom Lichtspiel des nahenden Unwetters. Die Blitze zuckten jetzt in kürzeren Abständen über den Nachthimmel, das Donnergrollen hallte in der Erde nach.
Als sie Rays Gesicht sah, erschrak sie leicht. „Alles in Ordnung mit Ihnen? Sie mögen wohl auch keine Blitze?“
Seine Miene war verzerrt, der Mund zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Mühsam schüttelte er den Kopf „Ich habe keine guten Erinnerungen an Gewitter. Aber vermutlich liegt es am Wein.“ Er betrachtete missmutig die Flasche.
„Der Krieg?“
Ray zuckte mit den Schultern und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Schweiß stand auf seiner Stirn.
Zögerlich gingen die ersten Regentropfen nieder, schlugen einen unregelmäßigen Takt auf das hölzerne Dach der Veranda. In der Ferne rückte das Unwetter näher, zog über die Red Hills heran, war tiefes Grollen und grelle Zackenblitze. Der Regen wurde heftiger, rauschte in den vom Wind gepeitschten Bäumen und floss in groben Strömen vom Hausdach.
„Wir sollten für heute Schluss machen“, sagte Ray müde und erhob sich. Der Wein pochte in seinem Schädel. Er griff nach den leeren Gläsern, aber Cora schüttelte nur den Kopf: „Das mache ich schon. Sie sehen aus, als sollten Sie sich hinlegen.“
Er nickte, dann ging er langsam zur Haustür. „Gute Nacht, Ms. Reed.“
„Gute Nacht. Schlafen Sie gut.“ Sie sah ihm nach, wie er das Haus betrat.
Das Unwetter war ganz in der Nähe, als Ray sein Zimmer erreichte. Ein Blitz schälte die Einrichtung aus der Dunkelheit. Der Wind warf den Regen gegen die Scheibe, während im Hintergrund der Donner grollte. Er stand einige Augenblicke hilflos im Türrahmen, klammerte sich daran fest und kämpfte ein Gefühl von Übelkeit nieder.
Wieder flammte ein Blitz auf. Für den Bruchteil von Sekunden war Ray nicht mehr in seinem Zimmer. Der Gestank nach feuchtem Lehm und Pulverdampf stach ihm in die Nase. Die Regenschleier tanzten über unförmige Erdwälle, prasselten auf die grauen Leiber vor ihm nieder. Das Donnergrollen war das Lärmen der Artillerie, die die Luft mit einer unheimlichen Ahnung füllte. Die Bilder verschwanden genauso schnell wie sie gekommen waren, aber der Geruch schien noch einige Augenblicke in der Luft zu stehen. Es roch nach Tod.
Die Narbe an seiner Seite pochte schmerzhaft, als er die Tür schloss und schwankend sein Bett erreichte. Schwer fiel er darauf, unfähig, sich zu bewegen. Die Erinnerungen drückten ihn nieder, lasteten in der Dunkelheit. Schließlich schloss er die Augen, trieb den Lärm des Unwetters mühsam von sich.
Als er einschlief, glaubte er, Ira stöhnen zu hören.