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Kapitel 2

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Der Oktoberwind pfiff kalt ums Gebäude und klatschte dicke Regentropfen an die Fensterscheiben. Wie immer an solch ungemütlichen Tagen mieden die Schüler den Schulhof und in der Mittagspause drängten alle in die Cafeteria der Liongate Academy. Da noch einen Platz zu ergattern, erforderte entweder Glück oder eine ausgefeilte Strategie – und Zack verließ sich ungern nur auf Ersteres. Eine der letzten freien Tischnischen lag nur noch ungefähr sechs Meter von ihnen entfernt und er hatte nicht vor, sie sich von den vier Mädchen wegschnappen zu lassen, die im Schneckentempo vor ihnen herschlichen und die Ballakrobatik begafften, die einige Fußballer am Tisch der Schulmannschaft angeberisch zum Besten gaben. Zack holte aus, warf seine Lunchtüte in schwungvollem Bogen über ihre Köpfe – und sie landete punktgenau in der Mitte des Tisches.

»Yes!« Triumphierend riss er die Arme hoch. »Basketball ist so viel alltagstauglicher als Fußball!«

»Hey!« Ein Mädchen mit kurzen roten Haaren drehte sich empört zu ihm um. »Das war unser Tisch!«

»Oh, tut mir leid.« Zack setzte sein entwaffnendstes Lächeln auf und strahlte in die Runde, während Ned sich am Rotschopf und ihren Freundinnen vorbeischlängelte und die Tischnische endgültig sicherte. »Ich dachte, ihr seid auf dem Weg zu unseren Fußballstars.«

»Wohl kaum!«

»Echt nicht? Ich dachte, Adrian hätte euch gerade zugewinkt.« Noch immer lächelte Zack gewinnend in die Runde, doch sein Blick machte gleichzeitig unmissverständlich deutlich, dass der Tisch erobert war.

Die Rothaarige schnaubte, verkniff sich aber einen weiteren Kommentar, als Jamie zu ihnen trat. Mit einem kurzen Blick in seine Richtung wandte sie sich an ihre Freundinnen. »Kommt, Leute. Da hinten ist auch noch was frei.« Ohne Zack, Ned oder Jamie noch eines Blickes zu würdigen, zog die kleine Truppe von dannen.

»Na, das lief doch perfekt.« Zufrieden ließ Zack sich Ned gegenüber auf die Sitzbank fallen.

Der zog eine Augenbraue hoch und schüttelte den Kopf. »Irgendwann fängst du dir für so eine Aktion nicht nur böse Blicke, sondern ein paar Ohrfeigen ein, das ist dir klar, ja?«

»Bei dem Charme, den ich versprühe?« Zack schnappte sich seine Lunchtüte und begutachtete das Sandwich, das seinen Wurfgeschosseinsatz erfreulich unlädiert überstanden hatte. »Außerdem such ich mir immer nur Gruppen, die vollbeladene Tabletts mit sich rumschleppen. Das hilft, das Ohrfeigenrisiko in überschaubaren Grenzen zu halten.« Er grinste. »Und Lächeln ist ja bekanntlich immer noch die eleganteste Art, jemandem die Zähne zu zeigen, oder nicht?«

»Du hörst dich an wie ein Glückskeks.« Augenrollend lehnte Jamie seine Krücken gegen den Tisch, streifte seinen Rucksack von den Schultern und rutschte neben Zack auf die Bank. »Beim nächsten Mal darfst du übrigens gerne ein bisschen weniger Charme versprühen. Die Kleine mit den braunen Locken hat ganz weiche Knie bekommen, als du sie angestrahlt hast. Ich glaube, die hat das mit dem Lächeln und Zähnezeigen nicht so ganz geschnallt.«

Lachend zog Zack ihn an sich. »Eifersüchtig? Dafür hast du überhaupt keinen Grund, Kleiner.« Er gab ihm einen Kuss.

»Blödmann.« Jamie boxte ihm in die Rippen. »Und nenn mich nicht Kleiner! Als ob du selbst ein Riese wärst!«

Zack strubbelte ihm durch die Haare. »Aber immerhin bin ich locker größer als du!«

»Na ja, das ist aber auch echt keine Kunst.« Ned gab sich nicht mal Mühe, sein unverschämtes Grinsen zu verstecken.

Zack warf ihm einen vernichtenden Blick zu und wandte sich dann wieder an Jamie. »Warum genau haben wir gedacht, es wäre eine gute Idee, wenn der da mit uns zur Schule geht?«

»Keine Ahnung. Vermutlich als Gegengewicht, um deine Charmeoffensiven auszugleichen!«

Ned lachte empört auf und kickte unter dem Tisch nach einem Schienbein. »Egal, wen ich getroffen hab, es war bestimmt der Richtige!«

»Es war definitiv der Richtige«, grinste Zack, als Jamie das Gesicht verzog und sich das Knie rieb.

»Danke!«

Zack gab ihm noch einen Kuss und spähte dann an ihm vorbei in die Cafeteria. »Ist Jem schon irgendwo zu sehen? Ich brauch echt dringend eine Cola.« Stöhnend ließ er sich zurück auf die Bank sinken und nahm wieder sein Sandwich. »Ich wär in Sheppards Stunde gerade fast eingeschlafen. Ganz ehrlich, der Zweite Weltkrieg war mit Sicherheit alles andere als langweilig, wie kann man da eine Geschichtsstunde nur so dermaßen grottenöde abhalten?«

»Dafür mussten die großen Meister hier vermutlich jahrelang studieren.« Auch Ned sah sich nach den anderen um, aber in der Menge ihrer Mitschüler war das aussichtslos. »Ein Ameisenhaufen ist nichts gegen diese Schulcafeteria bei miesem Wetter.«

»Yep. Und es hilft nicht gerade, dass sich unsere bombastischen Fußball-All-Stars mal wieder wie die Kings vom Campus aufführen.« Kopfschüttelnd sah Jamie zu, wie der Großteil der Fußballer sich an ihrem Mannschaftstisch von einem Pulk kichernder Mittelstufenmädchen anschmachten ließ, während der Rest des Teams durch die Cafeteria stolzierte und dabei offensichtlich erwartete, dass sich die Menge vor ihnen genauso teilte, wie einst das legendäre Meer vor Moses. »Keine Ahnung, warum die sich so beweihräuchern lassen. Die haben letzten Samstag nur ein Match gegen die Gurkentruppe aus Hampstead gewonnen, nicht die Fußballweltmeisterschaft.«

Zack und Ned lachten. Jamie kramte sein Lunchpaket aus seinem Rucksack und wollte gerade in sein Sandwich beißen, als Mike, einer der Ersatzspieler, plötzlich an ihrem Tisch Halt machte und sich mit verschränkten Armen neben ihm aufbaute.

Stirnrunzelnd sah Jamie zu ihm auf. »Kann ich dir irgendwie helfen?«

»Deine Krüppelstützen stehen mir im Weg.«

Jamie zog eine Augenbraue hoch. Seine Krücken lehnten so am Tisch, dass sie mit Sicherheit für niemanden ein Hindernis darstellten. Nicht mal für einen Plattfußindianer wie Mike.

»Ernsthaft?«

»Seh ich so aus, als würde ich Witze machen?«, blaffte Mike.

Jamie atmete tief durch und legte sein Sandwich weg. »Nein, du siehst so aus, als würdest du Frust schieben, weil du letzten Samstag mal wieder nur auf der Ersatzbank sitzen durftest und deshalb jetzt nicht wie der Rest des Teams angehimmelt wirst, obwohl du eure tolle Sportjacke so demonstrativ über deiner Schuluniform spazieren trägst. Das ist aber nicht meine Schuld, okay? Also lass deine Scheißlaune nicht an mir aus.«

Mikes Gesicht nahm einen hässlichen Rotton an, als er sich ruckartig zu ihm hinabbeugte. »Du mieser kleiner Scheißer hast echt Glück, dass es unter meinem Niveau ist, einen Krüppel zu schlagen.«

»Halt die Klappe, Mike, und verschwinde!« Zacks Stimme war eisig, doch Mike ignorierte ihn und bohrte seinen Blick weiter in Jamie.

»Bitte, tu mir und dem Rest der Welt ganz schnell den Gefallen und lass dich in einen von diesen neuen Robo-Freaks verwandeln, ja? Dann würdest du nämlich endlich keinem mehr mit deinem Gekrüppel auf den Sack gehen und ich könnte dir mal so richtig die Fresse polieren.« Er nickte zu Ned. »Den richtigen Freund hast du dir dafür ja schon gekrallt, kaum dass er einen Fuß in unsere Schule gesetzt hatte. Wenn du es ihm ordentlich besorgst, schlägt er bei seinem Daddy doch sicherlich ein spektakuläres Sonderangebot für dich heraus. Und falls er doch nicht auf Schwuchteln steht, hast du ja immer noch ein ganz nettes Schwesterchen. Die würde für dich doch bestimmt ein bisschen Körpereinsatz übernehmen, oder nicht?« Er lachte dreckig.

Jamies Wut kochte so unvermittelt hoch, dass er sie diesem Mistkerl beinahe vor die Füße gekotzt hätte. Doch bevor er etwas sagen konnte, ergriff Ned das Wort. Er ignorierte Mike allerdings und sah stattdessen Jamie und Zack über den Tisch hinweg an.

»Ich weiß, ich war ein paar Jahre aus der Schule raus und kenn mich deshalb sicher nicht mehr ganz so gut mit all den Umgangsregeln aus, aber gibt es irgendeinen Grund, warum wir hier irgendwas ausdiskutieren müssten – mit so einem Vollhonk?« Mit dem Daumen wies er auf Mike, noch immer ohne ihn eines Blickes zu würdigen. »Oder gilt bei so was einfach: >Don’t feed the troll!< und wir können weiteressen, ohne seinem Bullshit Beachtung zu schenken? Für manche Menschen ist mir meine Aufmerksamkeit nämlich echt zu schade.«

Mike fuhr zu ihm herum und funkelte ihn an. »Pass bloß auf, was du sagst! Wenn du Ärger willst –«

»Hi Jungs! Störe ich gerade bei irgendeinem tiefgründigen Männergespräch?« Charlie trat mit ihrem Essenstablett neben Mike, drängelte ihn galant ein Stück vom Tisch weg und schenkte dem Hünen gleichzeitig ein völlig übertriebenes Lächeln. »Sorry, Großer, darf ich mal? Ich würde meine Lasagne nämlich gern essen, bevor sie kalt wird und du offiziell zum Verkehrshindernis erklärt wirst.«

Ned musste grinsen. Charlie hatte das Zähnezeigenlächeln genauso gut drauf wie Zack.

Mikes Gesichtsausdruck wandelte sich ebenfalls in Sekundenbruchteilen und überraschenderweise machte er ihr sofort anstandslos Platz, als sie ihr Tablett abstellte und sich neben Ned setzte.

»Oh, Charlie, tut mir leid. Ich hab dich gar nicht gesehen.« Er lächelte sie an, runzelte dann aber die Stirn. »Willst du echt hier bei den Losern sitzen? Komm doch mit rüber. Ich nehm dich mit an den Mannschaftstisch.«

Charlie zeigte ihm weiter zuckersüß die Zähne, allerdings änderte sich ihr Tonfall, als würde sie mit einem unterbelichteten Dreijährigen sprechen. »Süßer, glaubst du wirklich, dass du jemals bei mir landen kannst, wenn du meine Freunde bedrohst und beleidigst? Ich weiß, das ist eine schwierige Frage, aber nimm dir einfach alle Zeit, die du brauchst, auf der Suche nach einer Antwort. Nur such bitte nicht hier, ja? Dieser Tisch ist eine trollfreie Zone.« Mit einem letzten ironischen Lächeln in seine Richtung machte sie eine Handbewegung, als wollte sie eine lästige Fliege verscheuchen, und widmete sich dann ihrer Lasagne.

Mike schäumte vor Wut, sparte sich aber jeden weiteren Kommentar. Stattdessen kickte er gegen Jamies Krücken und zog mit einem schadenfrohen Grinsen davon, als sie mit lautem Klappern zu Boden fielen.

»Was für ein armseliges Arschloch.« Augenrollend hob Charlie die Krücken auf.

Jamie starrte ihm zornig nach, sagte aber nichts, sondern rutschte nur mies gelaunt auf, als Jemma ein Tablett voll Teetassen und Getränkeflaschen neben ihm auf dem Tisch abstellte.

»Was war denn hier los? Hat Mike dich schon wieder angebaggert?«, fragte sie in Richtung Charlie, während sie sich zu ihrem Zwilling setzte und ihr Lunchpaket aus ihrer Messenger-Bag kramte.

»Yep. Nachdem er die Jungs als Loser bezeichnet hat. Ach ja, und er meinte, falls Ned nicht auf Jungs steht, könntest du ja statt Jamie mit ihm rummachen, damit Ned bei seinem Dad einen dieser neuen Robokörper für ihn rausschlägt. Dann muss Jamie der Gesellschaft nämlich nicht mehr mit seinem Handicap auf den Geist gehen.«

Jemma warf Mike einen giftigen Blick hinterher. »Der Typ ist echt pure Sauerstoffverschwendung auf diesem Planeten. Dem sollte man das Sprachzentrum im Gehirn lahmlegen. Damit würde man der Gesellschaft wirklich einen Gefallen tun.«

»Yep.« Charlie schob sich eine Gabel voll Lasagne in den Mund. »Ein süßer Hintern ist echt nicht alles. Ich schwöre: Den Mistkerl könntet ihr mir nackt auf den Bauch binden und es würde nichts passieren.«

Zack verschluckte sich an seinem Sandwichbissen und würgte ihn hustend mit einem Schluck Cola hinunter. »Danke, Charlie! Kopfkino!«

»Echt? Wegen mir oder wegen Mike?«

Jemma lachte. »Oh-oh! Pass jetzt bloß auf, was du sagst!«

Zack verzog das Gesicht. »Ich glaube, ich mach von meinem Recht zu schweigen Gebrauch.«

Empört knuffte Jamie ihm in die Seite. »Hey, jetzt hab ich Kopfkino!«

Alle lachten.

»Haben wir irgendwas verpasst?«, fragte Sam und die fünf rückten noch ein bisschen enger zusammen, als er und Meg sich mit ihren Tabletts zu ihnen setzten.

»Habt ihr schon gehört, dass die Dubois schwanger sein soll?« Meg nahm sich einen Tee von Jemmas Tablett. »Jetzt haben wir endlich mal eine coole Französischlehrerin, hätte die da nicht warten können, bis wir den Abschluss haben?«

Zack nickte todernst. »Ja, echt. Total egoistisch, dass die ihre Familienplanung nicht vorher mit uns abspricht.«

Meg warf ein Zuckerpäckchen nach ihm. »Blödmann!«

Grinsend lehnte Ned sich zurück, kaute zufrieden sein Sandwich und sah aus dem Fenster hinaus in den Regen. Der Wind zerrte unerbittlich die Blätter von den Bäumen und ließ keinen Zweifel daran: Der Herbst war da.

Unglaublich, wie schnell die letzten Wochen vergangen waren.

Er war froh, dass er sich von Zack, Jamie und Jemma hatte überreden lassen, zu ihnen an die Schule zu kommen. Auch wenn Mike das beste Beispiel dafür war, dass die Liongate Academy ganz sicher keine idiotenfreie Zone war – Ned war gern hier. Es war bedeutend lustiger, gemeinsam zu lernen und öden Unterrichtsstoff zu ertragen, als ihn alleine am Computer durcharbeiten zu müssen. Und anders als befürchtet, kam er trotz seiner langen Krankheit in den meisten Fächern sogar gut mit. Nur in Chemie und Physik musste Jamie ihm noch helfen, fehlenden Stoff aufzuholen. Doch das war es wert. Es war witzig mit den anderen in den Pausen herumzublödeln. Es war schön Freunde zu haben, einfach normal zu sein – und manchmal sogar zu vergessen, dass er es nicht mehr war. Es tat gut, hier zu sein, auch wenn er gleichzeitig eine Heidenangst davor hatte, jemand könnte herausfinden, dass sein Bewusstsein in einem Bioroboter steckte, weil sein menschlicher Körper den Kampf gegen den Krebs verloren hatte.

Seit sein Vater vor gut drei Monaten mit den Biorobotern an die Öffentlichkeit gegangen war, tobten wilde Diskussionen auf allen möglichen Ebenen: Medizin, Ethik, selbst Regierungen und Religionsvertreter hatten sich eingeschaltet. Wochenlang hatte die Presse seinen Dad und Angus McLean belagert, der als erster Mensch galt, der einen Übergang in die künstliche Roboterhülle gewagt hatte. Nur eine Handvoll Leute wusste, dass eigentlich Ned der Erste gewesen war. Und streng genommen stimmte nicht einmal das. Doch welche Experimente mit den Biorobotern schiefgegangen waren und dass Jamie den Übergang als Erster geschafft hatte, wussten nur sechs Menschen und Ned betete, dass das auch so blieb.

Genauso wie er hoffte, dass er weiter vor der Welt verborgen halten konnte, dass sein Körper nicht mehr menschlich war. Er war weder scharf darauf, den Presserummel ertragen zu müssen, noch sich von Vollidioten wie Mike Robo-Freak schimpfen zu lassen. Doch das Interesse seiner Mitschüler an den Biorobotern war zum Glück erfreulich gering. Es hatte zwar die ein oder andere Frage dazu gegeben, doch die meisten Schüler interessierte deutlich mehr, welche CyberGames die Firma seines Vaters gerade in Arbeit hatte, und ob er ihnen nicht ein paar Demoversionen davon besorgen konnte.

Jamie war es, der deutlich mehr wegen der neuen Biokörper über sich ergehen lassen musste. Als er nach den Ferien statt im Rollstuhl an Krücken zur Schule gekommen war, hatten etliche Mitschüler ihn verständnislos gefragt, warum er sich noch weiter damit herumquälte, seinem kaputten Körper das Laufen wieder beizubringen, wenn er sich doch jetzt stattdessen einfach einen perfekt funktionierenden neuen anschaffen konnte. Und Mike war auch nicht der Erste, der Jamie unterstellte, dass er sich nur mit dem Sohn des Bioroboterentwicklers angefreundet hatte, weil er hoffte, so möglichst schnell einen vorderen Platz auf den Wartelisten zu bekommen. Zwar war kaum einer so dreist wie Mike und sagte es Jamie offen ins Gesicht, aber Getuschel gab es mehr als genug.

Ned seufzte. Er wusste, wie unfair diese Unterstellungen waren und sie machten ihm ein verdammt schlechtes Gewissen. Und Angst. Jamie war sein bester Freund und bisher ignorierte er mehr oder weniger stoisch all die dämlichen Kommentare. Doch was, wenn es ihm irgendwann zu viel wurde? Was, wenn er seine Ruhe wollte und auf Distanz zu ihm ging, um dem Gerede ein Ende zu machen?

Jamie womöglich als Freund zu verlieren – auf einmal klebte Ned sein Käsesandwichbissen ziemlich pappig im Mund. Er beugte sich vor, um einen Schluck Tee zu trinken, als Charlies Lachen ihn abrupt aus seinen düsteren Gedanken riss. Irgendwas in seinem Inneren begann zu kribbeln, als ihm plötzlich bewusst wurde, wie nah sie bei ihm saß, weil Sam und Meg sich zu ihnen auf die Bank gequetscht hatten.

Wow …

Rasch würgte er den Sandwichbissen hinunter und horchte in sich hinein. Er spürte dieses seltsame Kribbeln in Charlies Nähe nicht zum ersten Mal und er hatte keinen Schimmer, was das zu bedeuten hatte … Was er da fühlte …

Er mochte Charlie. Sehr sogar. Sie war witzig und schlagfertig, hilfsbereit und immer irgendwie in Action. Wenn es etwas zu regeln gab, nahm sie es in die Hand, und alles schien plötzlich einfach und unkompliziert. Außerdem lachte sie gern und er hatte sie noch nie wirklich schlecht gelaunt erlebt. Sie war so völlig anders als er und das faszinierte ihn maßlos.

Und sie war hübsch. Ziemlich klein, kaum größer als Jemma, dafür aber nicht so schmal. Eher im Gegenteil. Ein paar magersüchtige Zicken hatten bei Charlies letztem Auftritt im McAllister’s rumgelästert, wie fett sie sei, doch da sprach offensichtlich nur die pure Missgunst. Fett war Charlie sicher nicht. Ein bisschen pummelig vielleicht, aber gerade das sah doch süß aus! Ned gefielen ihre Kurven jedenfalls ziemlich gut und Charlie wusste definitiv, wie sie die am besten in Szene setzte.

War dieses Kribbeln in seinem Inneren also vielleicht so was wie die berühmten Schmetterlinge, die angeblich auftauchten, wenn man dabei war, sich in jemanden zu verlieben?

Verstohlen musterte er Charlie von der Seite.

Er war noch nie verliebt gewesen. Der jahrelange Kampf gegen den Krebs, die Angst zu sterben – das alles hatte äußerst effektiv als Liebestöter gewirkt. Mal ganz davon abgesehen, dass er die meiste Zeit wegen seines kaputten Immunsystems praktisch im Haus eingesperrt gewesen war und sich damit potenzielle Chancen zum Verlieben einfach nicht ergeben hatten. Er kannte die typischen Anzeichen also nur aus Büchern und Filmen.

Schmetterlinge im Bauch.

Herzklopfen.

Schwitzige Hände.

In seinem Roboterkörper bekam er keine schwitzigen Hände und sein künstliches Herz schlug niemals schneller, sondern hielt sich unbeeindruckt an seinen vorprogrammierten Takt, um die Nährstoffe durch seinen Körper zu pumpen, die seine Biozellen zum Leben brauchten. Und das Ding unterhalb seiner Gürtellinie war auch nur dazu da, unnötige Reststoffe aus seinem Körper zu entfernen, daher kamen aus dieser Region auch nicht die Signale, die anderen Jungs mehr als deutlich gezeigt hätten, dass sie ein Mädchen toll fanden.

Und trotzdem kribbelte da irgendwie irgendwo irgendwas.

Besonders, wenn Charlie wie jetzt gerade lachte und er dieses freche Funkeln in ihren dunklen Knopfaugen sah.

Waren das also diese Schmetterlinge, die er da fühlte? Die gab es schließlich in normalen menschlichen Körpern auch nicht wirklich …

Himmel, egal, was es war, es fühlte sich gut an! So verdammt gut, dass er liebend gern eine von Charlies schwarzen Locken um seinen Finger gewickelt oder ihre wunderschöne dunkle Haut berührt hätte – nur um herauszufinden, ob dieses unglaubliche Kribbeln dann womöglich noch viel, viel stärker werden würde …

»Hey, ich rede mit dir!«

Er fuhr heftig zusammen, als das Einwickelpapier von Jamies Schokoriegel ihn an der Stirn traf.

»Was? Sorry, war in Gedanken.«

»Ja, das hab ich gemerkt!«

»Sorry«, murmelte Ned noch einmal und wich Jamies Blick aus. »Ich hab über ein paar neue Ideen für unser CyberGame nachgedacht.« Er war froh, dass er nicht rot werden konnte, als Jamie ihn jetzt durchdringend musterte.

»Spar dir das für Bio auf. Wenn die Foster uns heute nicht endlich mikroskopieren lässt, wird ihre Stunde gleich nämlich genauso spannend wie der Geschichtsvortrag von Sheppard.«

Ned verzog das Gesicht. »Okay. Ich verspreche, du hast für den Rest der Mittagspause meine ungeteilte Aufmerksamkeit.«

»Danke. Ich wollte eigentlich nur wissen, ob es dabei bleibt, dass du nach der Schule noch mit zu mir kommst, um Chemie zu lernen.«

Ned stöhnte, nickte aber schicksalsergeben. »Klar, ich kann mir an einem verregneten Nachmittag nichts Schöneres vorstellen als die geheimnisvolle Welt des Periodensystems …«

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