Читать книгу Der männliche Baum - Nam-Sig Gross - Страница 10
Оглавление5 . Der männliche Baum
Die Namensgebung nehmen die meisten Koreaner sehr ernst. Da unsere Namen aus der chinesischen Bildersprache gewählt, aber koreanisch ausgesprochen werden, schreiben wir auch das chinesische Symbol neben unseren koreanischen Vornamen, um die Bedeutung in der richtigen Übersetzung zu verstehen.
Manchmal holen sich Eltern den Rat einer Schamanin ein, damit sie auf keinen Fall einen Fehler machen bei der Festlegung der Deutung. Ein Traum der Mutter während ihrer Schwangerschaft, kann auch eine große Bedeutung für das neugeborene Kind haben. So werden für manche Kinder die Namen festgelegt, bevor sie geboren werden, weil die Eltern an die höhere Macht der Träume glauben. Es gibt viele Traumdeuterinnen in Korea, meistens ältere Frauen, die über das Leben Bescheid wissen. Erscheint im Traum ein Drache, soll es ein Junge mit großer Macht werden. Träumt eine schwangere Frau von einer schönen Blumenwiese, ein Mädchen mit anmutigem Gesicht.
Bei der Benennung der Söhne spielen auch die Namen der Ahnen eine Rolle. Zum Beispiel verwendet man die mittlere oder die letzte Silbe aus dem Namen des Vaters. So kann man erraten zur wievielten Generation der Neugeborene gehört.
Da der Name der Töchter nach der Heirat aus dem ursprünglichen Familiendokument entfernt wird, ist man in ihrer Namensgebung freier. Die Frauen werden nach der Heirat der neuen Familie zugesprochen. Dadurch wird ihnen ihre alte Identität genommen.
Nach meiner Heirat mit einem deutschen Mann wurde mein Mädchenname aus dem Stammbuch meiner Familie gestrichen, aber meines Mannes Name wird im Dokument meiner Familie registriert, als hinzugekommenes männliches Familienmitglied.
Es soll inzwischen ein anderes Gesetz geben. Gesetze, die Frauen betreffen, werden von dem augenblicklichen Gedankengut ständig verändert. Meistens von Männern.
Mein Name bedeutet „männlicher Baum“, obwohl ich eine Frau bin. Ich habe etwas darunter gelitten, als ich noch zur Schule ging. Viele andere Mädchen hießen „wertvolle Perle“ oder „schöne Lotusblüte“.
Meine Eltern haben sich meinen Namen überlegt, bevor ich geboren wurde. Sie haben so eine Sehnsucht nach einem Jungen gehabt, nach vier Mädchen vor mir. Meine Mutter hat bestimmt von einem übergroßen Drachen geträumt. Wie schön, dass es damals Raum für Träume gab. Es gab kein Ultraschallgerät zur Erkennung des Geschlechts. Und es gab auch kein „Ein-Kind-Gesetz“, wie es in China jahrzehntelang üblich war.
So bin ich glücklich geboren, als fünftes Mädchen.
Meine Großeltern väterlicherseits besaßen große Ländereien und als die Japaner diese nicht mehr als gestohlenes Besitztum für sich in Anspruch nahmen, litt die Familie meines Vaters keinen Hunger mehr. Wir konnten unsere eigene Sprache wieder sprechen. Meine Eltern mussten mir keinen japanischen Vornamen geben.
Dem Lebenswillen und der Weltoffenheit meiner Eltern habe ich es zu verdanken so ein freies Leben zu führen. Alles war da. Die nötige Liebe und Hoffnung, das Haus mit Garten und genügend zu essen. Wir hatten kaum ein besonderes Möbelstück, aber seitdem ich denken kann, hatten wir immer ein Klavier zu Hause, weil mein Vater Musik liebte. Meine älteren Schwestern spielten Klavier und noch andere Instrumente.
Eines Tages saugte ich gerade an der Brust meiner Mutter, als meine Schwester auf dem Klavier Mozart spielte. Da hörte ich auf zu saugen und weinte ergriffen. Meine Mutter hielt ihren Zeigefinger vor den Mund und sagte, „ganz leise weinen“ und ich weinte dann lautlos.
Das erzählte mir meine Mutter kurz vor ihrem Tod, als ich fragte: „Mama erzähl mir von meiner Kindheit, an die ich mich nicht erinnern kann.“
Ich habe ganz früh gelernt, wie man lautlos weint.