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1 Nachhaltiges Lernen als Ziel schulischer Bildung 1.1 Nachhaltiges Lernen und die gemäßigt konstruktivistische Perspektive
ОглавлениеBereits im alten Rom wurde kritisiert, dass die Schulbildung eher lebensfern sei. »Non vitae sed scholae discimus« (Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir; Briefe an Lucilius 106, 12). So formulierte es Seneca im ersten Jahrhundert nach Christus als Kritik an den Philosophenschulen dieser Zeit (Bartels, 2006). Fast 2000 Jahre später findet sich eine ähnliche Kritik bei Gruber, Mandl und Renkl (2000). Schulisches und hochschulisches Lernen führe zu trägem Wissen, welches für die Lösung komplexer, alltagsnaher Probleme nicht zu gebrauchen sei. Es bestehe also eine Kluft zwischen Wissen und Handeln.
Im Sprachgebrauch hat sich die Umkehrung von Senecas Satz »Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir« durchgesetzt und wird häufig ins Feld geführt, wenn sich Schülerinnen und Schüler über ihr Pensum beschweren, den Sinn des Lernens in Frage stellen, negative Emotionen mit dem Lernen verbinden oder oberflächliche Lernstrategien anwenden, die nur darauf ausgelegt sind, den Lernstoff bei der nächsten Klassenarbeit abrufen zu können (sogenanntes Bulimie-Lernen). Dahinter steckt der Wunsch, die Schülerinnen und Schüler mögen das Gelernte dauerhaft behalten und anwenden können – kurz: Das Lernen soll nachhaltig sein.
Nachhaltiges Lernen wird hier im Sinne des »Lernens für das Leben« verstanden (z. B. Schüßler, 2004). Im Gegensatz zu trägem Wissen soll das Gelernte …
1. dauerhaft wirksam (gespeichert und abrufbar),
2. über verschiedene Kontexte hinweg nutz- und transferierbar,
3. lebensnah und zukunftsrelevant sein.
Auch das angewendete Lernverhalten selbst soll nachhaltig wirksam sein. Der Erwerb nachhaltigen Wissens steht daher auch immer im Dienste des Erwerbs von weiteren Kompetenzen (Stadelmann, 2017). Nachhaltiges Lernen sollte also auch
4. die Bereitschaft und Befähigung zu lebenslangem Lernen fördern.
Nachhaltiges Lernen weist somit Bezüge zu verschiedenen lerntheoretischen psychologischen und pädagogischen Konzepten auf.
Die Grundannahmen beruhen auf dem Informationsverarbeitungsansatz des Lernens und dem Mehrspeichermodell des Gedächtnisses. Nachhaltig ist Wissen dann, wenn es (1) den Langzeitspeicher erreicht und (2) in vielfältigen Situationen abrufbar ist. Aus der Forschung in diesem Kontext ist auch bekannt, dass der Aufbau von Wissen sich kumuliert, d. h., dass der Wissenserwerb bei vorhandenem Vorwissen erleichtert wird (lebenslanges Lernen). Gleichzeitig wird hier die Bedeutung von Lernstrategien und Motivation für den Wissensaufbau betont (Hasselhorn & Gold, 2017), diese Komponenten sind ebenfalls Voraussetzungen des lebenslangen Lernens (4).
Hinsichtlich der zu lernenden zukunftsrelevanten und lebensnahen Inhalte (3) lassen sich Bezüge zum Literacy-Konzept herstellen, welches den Bildungsstandards der KMK sowie den internationalen Leistungsvergleichen in den PISA-Studien zugrunde liegt (Köller, 2018). Literacy (Grundbildung in Bezug auf verschiedene Domänen wie z. B. Lesen und Schreiben) beinhaltet Basisqualifikationen, die soziale und kulturelle Teilhabe sowie lebenslanges Lernen ermöglichen.
Bei der Gestaltung von Lernumgebungen für nachhaltiges (fachbezogenes) Lernen gilt es also, die Förderung weiterer Kompetenzen mit einzuplanen. Didaktisch wird dabei eine konstruktivistische Perspektive auf das Lernen zugrunde gelegt ( Abb. 1.1).
Abb. 1.1: Elemente nachhaltigen Lernens und konstruktivistischer Lernumgebungen
Der Ausgangspunkt ist, dass Wissen individuell und sozial (gemeinsam mit anderen) (ko-)konstruiert und erweitert wird. Das Lernen erfolgt also einerseits selbstgesteuert, andererseits kooperativ. Wichtig ist, dass die Lernenden sich aktiv mit dem Gegenstand auseinandersetzen. Dabei werden Ansätze situierten Lernens zugrunde gelegt. Lernen findet demnach in konkreten Situationen im sozialen Raum statt und ist an bestimmte Verwendungskontexte gebunden (Reinmann & Mandl, 2006). Daher sollten Aufgabenstellungen möglichst alltagsnah erfolgen. Lernende sollen ihr Wissen anhand authentischer Probleme konstruieren. Die Wissenskonstruktionen werden mit situationsspezifischen Eindrücken und Gegebenheiten verknüpft, daher ist es wichtig, Transfer sowie (durch Austausch und Diskussion) die Auseinandersetzung mit multiplen Perspektiven gezielt einzuplanen. Die Lehrperson begleitet bei der Konstruktion von Wissen und hebt immer wieder Verbindungen von Wissen und Handeln hervor.