Читать книгу Die Regimentstante - Band 1 - Nataly von Eschstruth - Страница 5

I.

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Die Kammerjungfer stand hinter ihr und steckte den Schneeglockenkranz auf dem braunroten, plattgescheitelten Haar fest, und während ihre geschickten Finger zierlich auf den weissen Blumenkelchen hin und her tupften, hier fester andrückten und dort ein wenig lockerten, flog der Blick immer wieder in den Spiegel, das Bild der jungen Gebieterin zu mustern. Ach, es war so ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack, es war so herzbeklemmend unvorteilhaft, dass Dörte gar nicht begriff, wo das gnädige Fräulein überhaupt die Courage hernahm, auf einen Ball zu gehen!

Wusste man dort, wie klug, wie lustig, wie herzensgut Fräulein Resi war?

Nein, man kannte sie nicht, man sah sie zum erstenmal hier in der Stadt, — und auf einem Ball fragt kein Mensch danach, wie es tief innen in Herz und Seele eines jungen Mädchens aussieht, da kommt es lediglich auf das hübsche Lärvchen an, und wem Mutter Natur den Freibrief der herzbesiegenden, augenbethörenden Schönheit ausgestellt hat, der tanzt, — und wer hässlich ist, wer bei der grossen Ausstattungslotterie eine Niete gezogen hat, der bleibt sitzen — rettungslos sitzen, denn die paar Almosen, welche mitleidige Herren den Mauerblümchen in Form spärlicher Extratouren zuwerfen, rechnen nicht mit. Dörte wusste so genau Bescheid damit! —

Sie hatte nicht umsonst acht Jahre lang bei der Gräfin Ridder gedient und manch liebes Mal durch die Verandathür in den Ballsaal geäugt! Wie ging es da zu? Etwa nach Recht und Verdienst? O Gott bewahre!

Ihre kleine Comtesse schwebte daher wie ein Engelchen, lachend, glückstrahlend, kokettierend mit all der Routine der Grossstädterin, welche die „rädergrossen, naiven“ Augen stundenlang vor dem Spiegel einstudiert, welche genau weiss, wie sie das Köpfchen drehen muss, um das pikante Profil im richtigen Moment zur Geltung zu bringen!

Welch eine Not im Toilettenzimmer! — da liegen die Engelflügel noch als Requisite in der Schublade, und Gräfin Fidelia tobt umher als das bitterböseste aller Teufelchen! Drei- — viermal muss die Frisur geändert werden, immer wieder werden von allen Seiten Spiegel gehalten und die kleine Dame mustert und prüft ohne Aufhören, Zornesfalten auf der Stirn, scharfe Linien um das rosige Mündchen, leidenschaftliche Scheltworte auf den Lippen. Wie oft hat sie nicht die Puderdose der Kammerjungfer an den Kopf geworfen, wenn es die Arme trotz aller Mühe nicht recht machen konnte! Wie manch reizenden Blumenkranz hat sie voll Wut mit den Atlasschuhchen zerstampft, wenn er ihrem Gesichtchen nicht das Relief gab, welches sie erwartete!

Wieviel zornig zerfetzte Spitzentücher, wieviel Scherben, wieviel des Hetzens, Kommandierens und Schmähens, bis es endlich — endlich so weit ist, bis das Erscheinen der Frau Gräfin dem grausamen Spiel ein Ende setzt, — ihr Mahnruf und der Schlag der Pendule auf dem Kamin.

Dörte ist dann müde und erschöpft einen Augenblick auf den Sessel gesunken und hat die kühlen Hände gegen die Stirn gepresst, wie ein flügellahmer Vogel, welcher sich in einem Wirbelsturm zu Tode geflattert, — Gräfin Fidelia aber schwebt in den Ballsaal, — lächelnd, anmutig, ganz kindliche Unschuld und Lieblichkeit. —

Entzückend hübsch sieht sie aus, und sie fliegt von einem Arm in den andern, sie ist umschwärmt, angebetet, ihre Händchen vermögen kaum die Masse der Cotillonsträusse zu fassen.

Und abseits, kaum bemerkt, nur gerade so viel tanzend, dass ihr „Schimmeln“ nicht auffällt und für die Herren zum Vorwurf wird, steht ein überschlankes, ernstes, nicht allzu hübsches Mädchen, eine Nichte der Gräfin, welche seit Jahren schon im Schlosse weilt. —

Wie manche Stunde sitzt sie still und emsig, kittet die Scherben, stopft, kaum sichtbar, die zerfetzten Taschentücher, frischt liebevoll die Blumen auf, welche die wütende kleine Cousine zertreten, und überall, wo Fidelias Lieblosigkeit und Heftigkeit ihre Spuren hinterlassen, waltet sie sanft und milde wie ein Geist des Friedens. Die Wunden heilen unter ihrer Hand. —

Wissen das die Leute im Ballsaal? — Nein, — sie sehen nur was vor Augen ist, — hier die Schöne, und dort die Hässliche.

Im Reich der Rose kommt das Wegekraut nicht zu Ruhm und Ehren — und wenn es selbst das beste, edelste Heilpflänzlein und Wohlverleih ist!

Ja, Dörte hatte die Welt kennen gelernt. Sie war eine verarmte Lehrerstochter, gebildet und freigeistig genug, um sich ein Urteil bilden zu können.

Als Comtesse Fidelia geheiratet, hatte sie das gräfliche Haus verlassen und war auf ihre guten Empfehlungen hin zu Fräulein Therese von Wieders übergesiedelt.

Fräulein Resi war eine Waise. Seit ihrem fünften Lebensjahr stand sie allein auf der Welt, ward von einer freundlichen alten Tante auf ihrem elterlichen Gut erzogen, und hatte das grosse Glück, von einer vortrefflichen Erzieherin und einem geistig bedeutenden Pfarrer unterrichtet zu werden.

Letzterer war ein sehr vielseitiger, lebensfrischer alter Herr, welcher ehemals als Marinepfarrer die Welt durchquert und manch reichen Schatz des Wissens und der Erfahrung heimgebracht hatte in die stille, kleine Dorfpfarre, auf welcher er, seinem eigenen Wunsche gemäss, den Rest seiner Tage in friedlicher Beschaulichkeit beschliessen wollte.

Es gewährte ihm besondere Freude, die junge Resi von Wieders zu einer klugen, lebhaft frischen und trefflich unterrichteten Dame heran zu bilden, gleichzeitig Herz und Seele bei ihr pflegend, um in den beiden Wundergärtlein aus fleissiger Saat viel edle Früchte zu ziehen.

So reich beanlagt Resi, so spielend leicht sie auffasste und lernte, so schwerfällig war ihr einziger Bruder Eberhard, welcher auf Veranlassung des Vormundes im Kadettenkorps erzogen ward und nur seine Ferien auf dem elterlichen Schloss verleben durfte. Das war der einzige, herbe Schmerz in dem sonst so heiteren, friedlich stillen Leben des heranwachsenden Kindes, denn die Geschwister liebten sich über alles, und wenn auch Resi an Jahren jünger war, so machte sie ihr energisches Wesen, ihr überlegener Geist dennoch zur lady patroness des Bruders, welcher sich ihren Ansichten und Wünschen fügte, wie ein gehorsamer Sohn seiner Mutter.

Eberhard war Offizier geworden und sollte es auch vorläufig bleiben, da er für Landwirtschaft weder Neigung, noch Interesse zeigte, und seine Güter in den Händen eines vortrefflichen Pächters besser aufgehoben schienen, wie in seinen eigenen. Seine Vermögensverhältnisse waren auch so glänzend, dass man es als noble Pflicht erachtete, den Namen Wieders in imponierender Weise in der Armee repräsentieren zu lassen. Als Eberhard bei einem Garde-Kavallerie-Regiment eintrat, zählte Resi fünfzehn Jahre und seitdem der Bruder zum letztenmal einen Jagdurlaub auf Wiedershagen verlebt, war ein Sturmwind mit ihm zugleich durch das stille Schloss gebraust, welcher die schönen, seit Jahren so trefflich bestehenden Verhältnisse rettungslos über den Haufen zu blasen drohte.

Eberhard verlangte in seiner phlegmatischen, aber sehr nachdrücklichen Weise, dass Tante Auguste mit Resi nach der Residenz übersiedeln solle. Die „kleine Maus“ solle sich dort weiter ausbilden, Musik und Malerei sei im Rückstand geblieben, Kunstgeschichte lerne sie am besten in Museen und Theatern, und für all diesen Kram habe Resi Talent und Interesse. Auch sei es für ihn ein behagliches Gefühl, ein Heim in der grossen Stadt zu haben. Die Resi könnte ihm mit manch gutem Rat beistehen, denn das verstehe sie besser wie jede andere — und er könne wiederum der Schwester nützen, wenn sie Schutz und Schirm bedürfe.

Voll Begeisterung griff das junge Mädchen diesen Vorschlag auf, und wenn auch die Tante tausend Einwände macht, schliesslich fügte sie sich doch und siedelte mit dem Pflegetöchterchen nach der Residenz über.

Es war, als habe Resis reger Geist nur auf den Funken gewartet, um in hellen Flammen aufzuschlagen.

Das neue, nie gekannte Leben und Treiben, die Fülle von Wissenschaft, Kunst, Eleganz und Grossartigkeit waren dieser Funken, und wenn Resi schon als Kind viel Anlage zur Selbständigkeit und Energie gehabt, so reifte ihr Charakter jetzt mit Riesengeschwindigkeit ihren Jahren voraus und verlieh dem jungen Mädchen, als es kaum achtzehn Jahre zählte, etwas so Fertiges, frauenhaft Ruhiges und Sicheres, dass man wohl annehmen konnte, der bartlose, etwas linkisch unbeholfene Leutnant sei der Sohn dieser Dame, welche wohl etwas jung geheiratet hatte.

Es war geradezu erstaunlich, welch ein Talent Resi entwickelte, den älteren Bruder zu gängeln und zu leiten. Nicht in herrschsüchtiger oder unangenehmer Weise, sondern stets taktvoll, stets in einer so frischen, lustigen, liebenswürdigen Art, dass es dem Leutnant gar nicht in den Sinn kam, sich für irgendwie beeinflusst zu erachten. Im Gegenteil — es war so bequem, versorgt zu werden! Er brauchte sich nicht mit Überlegen und Denken abzumühen, er fragte einfach in seiner langsamen, pomadigen Weise: „Sag’, Resi, wie soll ich’s machen? — Sag’, Resi, was soll ich da thun? — Sag’, Resi, wie könnt’ ich das ändern?“ Und Resi sah ihn mit ihren hellen, grauen Augen einen Moment schweigend an, ruckte dann das Köpfchen mit der ihr eigenen, schnell entschlossenen Weise in den Nacken und gab kurz und bündig ihre Anordnungen. —

Stets zur Zufriedenheit, Eberhard hatte sich noch nie in die Nesseln gesetzt, wenn er den Rat des jungen Mädchens befolgte, und das festigte sein Vertrauen mehr und mehr, so dass es ihm bald eine Unmöglichkeit dünkte, ohne die Schwester fertig zu werden.

Eberhard war ein hochaufgeschossener junger Mensch, dennoch aber schwank und haltlos wie eine Bohnenranke, welche trotz ihrer frischgrünen Blätter und fleischigen Blüten doch hilflos an der Erde kriechen würde, wenn der liebe Herrgott nicht ein kräftig Stämmchen daneben stellte, an welchem sie sich emporrichten könnte. Und solch ein Stecken war die Resi, — der gute Gärtner droben hatte es wohl gewusst, warum er die beiden Menschenpflänzlein so dicht nebeneinander gestellt hatte.

Mit kleinen Sorgen und Beratungen begann es, — aber es blieb nicht dabei.

Resi lebte sich mit wunderbarer Schnelligkeit in ihre Rolle als Schutzgeist hinein. Sie begann, den grossen Leutnant mehr und mehr „unter ihre Flügel“ zu nehmen, sie interessierte sich schliesslich nicht nur für die Angelegenheiten, welche er selber, freiwillig, bei ihr zur Sprache brachte, sondern auch für diejenigen, welche Eberhard wohl mehr als privater Natur erachtete.

„Ich muss auf den Schlingel aufpassen“, sagte sie dann wohl zu sich selber, „er gebraucht mehr Geld, als er ausgeben darf. Sonst schenkte er mir ein ganzes Dutzend Handschuhe, wenn es ihm einfiel, mich durch eine Aufmerksamkeit zu überraschen, das letzte Mal war es nur ein halbes Dutzend, — auch schloss er neulich seinen Schreibtisch so schnell ab, als ich ihn vor etlichen Briefschaften überraschte, und das eine Papier hatte ein Format .... Gott im Himmel, der Junge wird doch keine Schulden machen?“ —

Abends am Kamin, als die beiden Geschwister einen Augenblick allein sassen, begann Resi mit dem harmlosesten Gesicht der Welt von einem Spieler- und Wucherprozess, welcher unlängst sich vor den Schranken des Gerichts abgespielt, zu reden. Wie verurteilte sie den Leichtsinn, die Ehrlosigkeit eines Menschen, welcher sich auf die unedelste aller Weisen an dem Hab und Gut seines Nächsten bereichern möchte. — Warum spielt ein Mann? — Um zu gewinnen! Um sich auf die Kosten eines andern reich zu machen. Ist es nicht ein Ausplündern schlimmster Sorte? Was ist ein moderner Kavalier, welcher mit Hilfe von ein paar Königen, Buben und Damen dem bezechten Nachbar den Geldbeutel leicht macht, anderes, als ehemals ein Ritter vom Stegreif, welcher mit seinen Spiessgesellen dem ahnungslosen Kamerad ein Dorf auspochte oder dem reisenden Kaufmann den Beutel leerte — —

„Oho!“ rief Eberhard — „spielen und spielen ist ein Unterschied —“

„Gewiss, — so lange es beim harmlosen Skat oder Whist bleibt und ein paar Mark kostet, ist auch das Kartenspielen ein erlaubtes Vergnügen, — bleibt es aber dabei? — Nein; und wo das Hazard mit seinen Vermögenseinsätzen beginnt, hört die Ehrenhaftigkeit auf. — Wenn man ein reicher Mann ist und das Geld zum Wegwerfen hat? Auch der grösste Sack Korn läuft aus, wenn man ein Loch hineinschneidet, und ausserdem — sind es nur reiche Leute, welche spielen? Im Gegenteil, die leidenschaftlichsten Spieler sind zumeist die, welche absolut nichts zuzusetzen haben, sondern reich werden wollen. Ausserdem ist es für vermögende Leute ein doppeltes Verbrechen, zu spielen und andere, weniger Bemittelte durch ihr Beispiel zu verführen —“ und nun schilderte Resi mit solch lebhafter Beredsamkeit alles Elend, welches je durch das Spiel über Familien hereingebrochen, dass Eberhard die Zähne in die Lippe grub, aufsprang und mit grossen Schritten im Zimmer auf und nieder ging.

Resi schien seine Erregung gar nicht zu bemerken, sie lehnte den Kopf zurück und lächelte: „Gott sei Lob und Dank, dass in unserer Familie der Spielteufel niemals Fuss fassen konnte. Die Wieders waren zu gottesfürchtig und rechtlich dazu. Unser seliger Vater hasste das Spiel. Hat dir Onkel Hellmuth schon davon gesprochen, Hardi, dass Vater in seinem Testament einen Brief hinterlegt hat, welchen du bei deiner Mündigkeitserklärung ausgehändigt bekommen sollst? Es sei das letzte, liebevolle Mahnwort an seinen Sohn.“ — Und die Sprecherin erhob sich jäh, schlang die Arme um den Bruder und blickte ihm mit strahlendem Blick in das erhitzte Antlitz: „O Eberhard, wie stolz bin ich auf dich ehrenhaften, braven Menschen! Wie zuversichtlich sehe ich der Stunde entgegen, wo du Vaters Brief liest, du brauchst nicht zu erröten dabei — du kannst stolz erhobenen Hauptes zum Himmel blicken und dem Toten sagen, dass du seines Hauses und Namens Ehre heilig gehalten ...“

Eberhard sank auf einen Sessel nieder, sein Haupt neigte sich tief — tief zur Brust — und dann drückte er das Gesicht gegen Resis Schulter. „Gott gebe es, Resi.“ —

Die naive, kleine Kriegslist hatte ihre Wirkung nicht verfehlt, was ein gestrenger Oberst umsonst angestrebt, hatte ein Mädchenmund durch wenige Worte erreicht. —

Und dieser erste, mehr geahnte, wie bewusste Erfolg machte die Schwester immer sicherer und energischer, immer wachsamer auf ihrem Posten. Zeigte Eberhard eine Anwandlung zu Leichtsinn oder zu flotter Lebensart, verstand Resi es, zu rechter Zeit „den Daumen aufzudrücken!“ Nicht pedantisch, nicht altjungferlich, sondern frisch und fröhlich mit rechtem Wort zu rechter Zeit. Der junge Wieders war ein leicht zu lenkender Charakter, und in Resi sah er das Ebenbild der Mutter, und oft, wenn sie ihm ins Gewissen sprach, kam es über ihn, als sei die weiche Hand, welche ihm zärtlich über das Haar strich, die schlanke, kühle Rechte der geliebten Toten, so, wie er sie zum letztenmal auf dem Haupte gefühlt, als die Kranke mit brechenden Augen in den Kissen des hohen Himmelbettes lag. —

Resi war erwachsen.

Tante Auguste machte in der Residenz ein Haus, um die Pflegetochter der Geselligkeit zuzuführen. Eberhards Kameraden statteten ihre Besuche ab und verkehrten gern und viel in dem behaglichen Salon; es war ein so anheimelndes, nettes Umgehen mit den beiden Damen, namentlich mit Fräulein Resi.

Sie war so anders wie andere junge Mädchen, so kameradschaftlich, ehrlich, vernünftig und vergnügt, ein Gedanke an lyrische Redensarten oder fade Courmacherei kam keinem in den Sinn, — das schien seltsamerweise ganz ausgeschlossen, denn das junge Mädchen von achtzehn Jahren machte einen so gereiften, mütterlich wohlwollenden Eindruck, so recht wie eine gute, freundliche Tante, mit welcher man so ganz und gar harmlos verkehren kann und muss!

Resi war durchaus nicht hübsch, ja, es gab Menschen, welche das direkte Gegenteil behaupteten.

Ihre grosse, vierschrötige Gestalt entbehrte jedweder Grazie und Anmut, ihre Bewegungen waren energisch und kurz, ihr Gang von einer gewissen derben Eilfertigkeit, welche ihre Erzieherin manchmal mit den Worten gerügt hatte: „Resi, stiefele doch nicht so drauf los!“ —

Die Haare lagen glatt gescheitelt, braunrot und ohne Glanz, wie von leichtem Rost überzogen, an der stark gewölbten Stirn, welche durch sehr spärliche, sich in ihrer hellen Färbung kaum markierende Brauen abgegrenzt wurde.

Hellfarbige, graue Augen, weder an Farbe, noch Umrahmung schön, aber durch den klugen, lebhaften Blick sympathisch, gaben dem Gesicht Ausdruck, und über die kurze, stumpfe Nase und die breiten Backenknochen zog sich ein Sattel von Sommersprossen, welcher selbst im härtesten Winter nicht abblasste.

Dörte hatte anfänglich mit gerungenen Händen gefleht: „Brauchen Sie doch ein Mittel dagegen, gnädiges Fräulein, — es gibt deren gut wirkende, welche absolut unschädlich sind! Mein Gott, wenn ich an all die Salbentiegelchen und Crêmedosen auf dem Toilettentisch der Comtesse Fidelia denke!!“ — Aber Resi hatte mit lustigem Lachen den Kopf geschüttelt: „Wie sollte ich wohl dem lieben Gott seine schönste Originalphysiognomie verderben!“ scherzte sie; „die Sommersprossen gehören zu mir, wie die braunen Staubfäden in den Kelch der Heckenrose! Wir sind beide Landkinder und tragen unsere Visitenkarte im Gesicht! Nein, Dörte, es wäre undankbar von mir, etwas wegzuwerfen, was Mutter Natur mir so besonders splendid geschenkt hat!“ —

Die Kammerjungfer schüttelte über solch lachende Philosophie den Kopf und seufzte hilflos wie Jung-Jochen: „Wat sall ich dabi daun?!“ und mit dem gleichen Gefühl beängstigender Ratlosigkeit stand sie auch jetzt hinter dem Stuhl ihrer jungen Herrin, welche sie zum ersten grossen Ball frisiert hatte, und wagte kaum, einen Blick auf das so unvorteilhafte Spiegelbild derselben zu werfen.

„Ach, gnädiges Fräulein, wir hätten die Haare heute doch ein wenig brennen sollen!“ rang es sich schliesslich über ihre Lippen; „der Kranz sitzt auf diesen glatten Scheiteln so ungeschickt — er gefällt mir noch gar nicht recht — und ... ach, da schlägt es ja erst halb sieben Uhr — wenn ich mich recht spute, bekomme ich sicher noch eine zweite Frisur fertig! Einen Brennapparat besitze ich ... darf ich ihn holen — —“ und schon wollte die Sprecherin jeden Einwand der jungen Dame durch schleunige Flucht aus dem Zimmer abschneiden.

Resi aber fasste lachend hinter sich und hielt die Getreue mit energischem Griff. „Du wärst es imstande, Dörte, und hiessest mich noch eine weitere halbe Stunde ‚Statue‘ sitzen! Nein, ich danke Gott, dass die Prüfung überstanden ist. Es ist thöricht, dass ich überhaupt einen Kranz aufsetze, aber es ist nun einmal Sitte, dass man zu einem Hofball ein ausgeschnittenes Kleid anzieht und durch Blumenschmuck die festliche Stimmung markiert — und gegen Vorschriften darf man nicht rebellieren.“ Ein beinahe schelmischer Blick traf das verlegene Gesicht der Zofe: „Wenn solche Befehle nun hie und da in der Ausführung übel ausfallen — wie zum Beispiel der Kranz auf meinem Kopf und die kurzen Ärmel an meinen roten Armen, so ist das nicht meine Schuld, sondern die der Hofetikette — und darum trage ich das Unvermeidliche mit Würde und sage: tu l’as voulou, George!!“

„Aber man kann doch etwas dazu thun, um die Vorschriften geschmackvoll auszuführen, gnädiges Fräulein! Ein wenig brennen — ein paar Löckchen — und nicht den vollen Kranz, sondern einen graziösen Zweig in das Haar gelegt ...“

Resi lachte noch mehr. „Nur einen kleinen Zweig Wie respektierlich! Ich bin eine gute Patriotin und sage: „Ehre, wem Ehre gebührt! — Seinem König darf man nichts abknapsen! — Übrigens — es ist ja so ungeheuer gleichgültig, wie ich aussehe, Dörte —“

„Gleichgültig?!! — Gnädiges Fräulein wollen und sollen doch gefallen!“ —

„Ich soll gefallen? — Wozu das? Wenn nur die andern Leute mir gefallen!“ —

„Glauben Sie mir, gnädiges Fräulein, wenn eine junge Dame recht hübsch aussieht, amüsiert sie sich doppelt.“ —

„Hübsch aussehen? Liebe Dörte, aus einer Fledermaus wird zeitlebens kein Goldfasan, und wenn sie sich mit noch so viel fremden Federn schmückte! Das Amüsement, welches ich auf dem Balle suche, finde ich, und wenn mir der Teufel noch mal so arg auf meinem Gesicht Erbsen gedroschen hätte!“ — Resi schaute mit ihren vergnügten Augen ohne jedwede Spur von Bitterkeit oder Bedauern auf ihr Spiegelbild. „Dass ich mordsgarstig bin, weiss ich, und dass die Menschen nicht blind sind, weiss ich auch, und um mir thörichte und falsche Illusionen zu machen, dazu bin ich Gott sei Dank zu vernünftig. Ich gehe nicht auf den Ball, um Eroberungen zu machen und Herzen zu bethören“ — wieder ein frisches, lustiges Lachen — „auch nicht um mit meinen schönen Mitschwestern zu konkurrieren und die begehrteste Tänzerin zu sein, — ich gehe hin, um mich wie die Göttin Unnahbarkeit auf einen einsamen Thron zu setzen und auf die schnurrige Welt voll Pracht und Herrlichkeit, Hass und Liebe, Gut und Bös herab zu sehen. Nicht ich will die Leute amüsieren, sondern die Leute sollen mich amüsieren — nicht ich will Wohlgefallen erwecken, sondern die Menschen sollen mir die Freude zutragen, ich will nicht geben — sondern empfangen! Siehst du, Dörte, wenn man mit solch guten Absichten auf einen Ball geht, muss man sich amüsieren, selbst mit diesem Schneeglockenkranz auf dem dicken Schädel!“ —

Dörte blickte mit einem Gemisch von Rührung und Staunen auf die Sprecherin. Unbegreiflich! So lacht und scherzt ein Mädchen von achtzehn Jahren über ihr Unglück — denn Hässlichkeit ist ein Unglück für jedes weibliche Wesen, — wie oft hatte Gräfin Fidelia das nicht ironisch lächelnd ihrer armen Cousine versichert!

Noch einen Einwand wollte sie wagen!

„Gewiss, gnädiges Fräulein, das ist alles schon ganz gut! Aber wenn die Herrschaften Ihnen gefallen sollen, — dann gehört es dazu, dass sie recht nett und liebenswürdig zu dem gnädigen Fräulein sind, dass die Damen freundliche Worte sagen und die Herren die Cour machen, — und das geschieht um so mehr, als man vorteilhaft aussieht, denn die meisten Herrschaften sind bei solch grossem Fest einander fremd, und weil sie sich nicht gleich ins Herz sehen können, so lesen sie zuerst den Freibrief, welcher dem Menschen von aussen anklebt ....“

Resi dehnt die robusten Arme und lehnt sich behaglich gegen den Stuhl zurück. „Ich sage dir ja, Dörte, dass ich an keinen Menschen irgend welche Anforderungen stelle! Das bewahrt mich vor jeder Enttäuschung. Ich verlange kein freundliches Wort und keinen Tanz. Ich will mir ein friedliches Wandplätzchen aussuchen und mir einbilden, ich sässe im Theater. Vor mir spielt sich eine grosse Komödie ab, teils lustig, teils ernst, teils zum Lachen, teils zum Weinen. Und ich sehe zu und nicke Beifall, wenn einer seine Rolle gut spielt. Und an dem Schönen, was ich sehe, freue ich mich, und das Hässliche nehme ich mit in den Kauf, weil es da sein muss, um der Schönheit Wert zu geben. Und wenn ich das Niedrige sehe, werde ich den Blick um so entzückter auf das Erhabene richten, denn je tiefer wir in den Abgrund sehen, desto höher deucht uns der Berg. — Siehst du, Dörte, das ist mein Ballvergnügen, und wenn alle hässlichen Mädchen mit solch vernünftigen Gedanken zu Spiel und Tanz gingen, gäb es keine sauertöpfigen Gesichter an den Wänden. „Nimm di nix vör — dann sleit di nix fehl!“ — So; und nun zieh mir das festliche Fell über die Ohren, ich möchte bereit sein, wenn mein Bruder kommt! —

Und Resi stand lachend auf, streifte den Frisiermantel von den Schultern und hob die Taille von duftiger, gestickter Seidengaze mit zwei Fingern empor. Ihr Blick bekam etwas Weiches, Inniges, wie er warmherzigen Menschen eigen ist, wenn ein lieblicher Anblick sie erfreut.

„Wie schön ist doch so ein Ballkleid, Dörte! Es macht mir schon ausserordentlichen Spass, mich einmal so anziehen zu können! — Ach Dörte, wie glücklich bin ich doch! Konnte Gottes Wille mich nicht auch als Kranke, als Krüppel auf die Welt kommen lassen? — Wenn ich drunten an die arme unglückliche Portierstochter denke, welche bei ihren vierundzwanzig Jahren tagein, tagaus in dem Fahrstuhl sitzen muss und ihre gelähmten Füsse nicht regen kann! Und arm ist sie auch noch dazu — kann ihr Elend durch nichts vergessen machen! — Und ich! o, wie kann ich meine Glieder rühren, wie kann ich so unendlich viel Schönes sehen und mit vollen Zügen geniessen!“ Sie blieb vor der Jungfer stehen und legte ihr mit strahlenden Augen die Hände auf die Schultern. „Dörte — als ich eben vor dem Spiegel sass, und du mein hässliches Gesicht ansahst, da las ich in deinen Zügen. Du beklagtest mich aus Herzensgrund! — keine Ursache dazu. Ich bin zwar nicht hübsch und reich, denn unsere Güter sind Majorat und Eberhards Eigentum, aber ich bin gesund und von Herzen guter Dinge — und das ist Glück! ein grosses Glück! So lange ein Mensch noch seine Glieder gebrauchen und sich neidlos an der schönen Welt freuen kann, so lang ist er ein Liebling seines Gottes!“ Dörte blickte in die strahlenden Augen der Sprecherin und nickte stumm mit dem Kopf, — wahrlich, Fräulein Resi war wohl beneidenswerter wie manch blendend schönes Mädchen, welchem nichts mehr genügt und nichts mehr begehrenswert erscheint, welches auf dem flimmernden Goldstrom des Lebens treibt und nach den kühlen, frischen, herben Wassern des Lebens schmachtet, welche aus rauhem Felsen schäumen, und nur den erquicken, welcher tapfer und zuversichtlich den steinigten Weg erklommen.

Resi stand in dem duftigen Ballkleid und freute sich seiner geschmackvollen Zartheit, und sie freute sich über den schönen Fächer, welchen Eberhard ihr heute morgen geschickt, und über die Tasse Thee und die belegten Butterbrote, welche Tante Auguste noch servieren liess. Wie gelegen kamen sie ihrem Hunger! wie lieb, wie gut von der Tante, daran zu denken! —

Die Freude ist die grösste Künstlerin, sie malt das hässlichste Gesicht mit Farben, welche es verklären und schön machen, und sie legte auch ihren Zauberglanz in Resis Augen und warf einen zarten, rosig roten Schleier über ihr Antlitz, dass es trotz der ungebrannten Haare und des unvorteilhaften Kranzes so liebenswert dreinschaute, dass dem eintretenden Bruder vor Genugthuung das Herz im Leibe lachte!

Leutnant von Wieders hatte nicht viel Schönheitssinn, und an das Gesicht der Schwester hatte er sich seit Kindesbeinen gewöhnt, und weil er seine Resi liebte und verehrte, wie sonst kein anderes Wesen, so kam ihm gar nicht der Gedanke, dass ein anderer Mensch seine Schwester mit anderen Augen ansehen könnte, wie er.

Er sprach nie sehr viel, nickte auch jetzt nur behaglich vor sich hin und bot der Tante den Arm. — „An die Pferde! — Es ist Zeit!“

Die Regimentstante - Band 1

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