Читать книгу Die Regimentstante - Band 1 - Nataly von Eschstruth - Страница 7

III.

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Resi schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, Baron, ich befehle nicht! Im Gegenteil, ich möchte die Vorschriften Ihres Arztes durch die Bitte verschärfen, sich möglichst zu schonen! Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit! Und“ — fügte sie mit scherzendem Ton hinzu — „werde Sie in voller Anerkennung Ihrer guten Absicht sofort für die Schwester der „Nora“ notieren, welche daheim in dem Fohlenstall heran wächst, und Eberhards Fuchs an Schönheit und guten Eigenschaften sicher noch um etliche Pferdelängen schlagen wird!“ —

Kronstadt sah sie überrascht an, dann lachte er leise auf. „Sie wissen von meiner unglücklichen Liebe zu der goldblonden Nora?“ antwortete er in derselben heiteren Art, „dann bitte ich um stilles Beileid, — ich kam mit meinem Antrag leider zu spät“ — ein beinahe koketter Blick der schönen, dunklen Augen traf sie — „wie es eben solch armen Burschen geht, welche immer mehr Glück im Spiel — wie in der Liebe haben!“ —

„Hm!“ — knurrte Eberhard mit einer leichten Grimasse und kurzem Seitenblick.

Resi aber ward abermals blutrot und sah ihn mit einem Blick an, in welchem sich die volle, naive Ehrlichkeit eines arglosen Herzens spiegelte, dessen Staunen sich in der Frage ausdrückt: „Du liebe Zeit! — Du schöner, wunderschöner Mann solltest kein Glück in der Liebe haben?!“ —

Aber sie fasste sich schnell und der Schalk blitzte wieder aus ihren Augen.

„Erste Lieb, du gehst vorbei,

Schneller wie ein Sturm im Mai!“

rezitierte sie. „Ich hoffe, auch Sie verschmerzen die schöne Nora bald, um ihrer noch schöneren Schwester willen!“ —

„Faktisch, gnädiges Fräulein, hat sie solch nahe Verwandte, welche ihr Ebenbild ist!“ —

„Hm —“ brummte es neben ihm, und der Kürassier nahm ein Sektglas von dem Silbertablett eines servierenden Lakaien: „auf der gedenke ich die nächste Frühjahrsparade zu reiten!“

„Aber Wieders!!“ —

„Schäme dich, Eberhard! Über „Isolde“ hast du ganz und gar nicht zu bestimmen!“

„Oho! — das wäre!“ —

„Ich hab’s schriftlich!“

„Teufel ja! Die Akte fahre mal an, Altes!!“ —

„Momentan wäre das schwierig, aber du entsinnst dich eines Briefes — und auch Briefe haben bindende Kraft — in welchem du mir ausdrücklich die Oberhoheit und Gerechtsame über alle weiblichen Wesen von Wiedershagen zuerkanntest! Über das Ewig-Männliche behieltest du dir alle Bestimmungen vor, aber die Weiber könnte ich kommandieren, so viel es mir Spass mache!“

„Na ja, — was haben aber die Frauenzimmer mit der Fohlenkoppel zu thun?“ —

„Ei! sie bewohnen dieselbe sogar; — Isolde ist eine Dame!“ —

Kronstadt lachte so laut auf, wie es in diesen Räumen gestattet war. „Brillant, mein gnädiges Fräulein! Vortrefflich! — Gegen diese Thatsache kämpfen Götter selbst vergebens!“ —

„Ränke und Schliche! — Gott soll einen vor den Diplomaten im Weiberrock bewahren!“ schüttelte Eberhard voll gutmütiger Entrüstung den Kopf. „Sie sehen, Kronstadt, wie sie ihrem leiblichen Bruder das Fell über die Ohren zieht — und mit der wollen Sie sich in Pferdehändel einlassen?“

„Ich riskiere es, und vertraue diesen liebenswürdigen Händen so sehr, dass ich ihnen sogar den Hasen im Sack abkaufe!“ —

„Donnerwetter! — Hör mal, Altes, du könntest von jetzt ab meine Pferdegeschäfte auch übernehmen! Ich habe zu Hause noch einen spatlahmen, alten Schinder auf Gnadenbrot gestellt, — den stopp ihm mit deinen liebenswürdigen Händen in den Sack hinein!“ —

Allgemeines Gelächter, — der Sprecher wandte sich zur Seite, um einem Kammerherrn, welcher ihm im Vorüberschreiten jovial die Schulter klopfte, mit biederem Druck die Hand zu schütteln, und Kronstadt wies auf den verlassenen Platz und scherzte: „Nehmen wir doch noch einen Augenblick auf diesem westöstlichen Diwan Platz, mein gnädiges Fräulein, und gestatten Sie es nachsichtig, wenn ich mich voll begreiflichen Interesses noch ein wenig über meine zukünftige Isolde informieren möchte! Ist es ungalant, nach dem Alter der jungen Dame zu fragen?“

Resi hatte das unbestimmte Gefühl, als hätten sich alle Himmelsthüren sperrangelweit vor ihr aufgethan, sie mit einer Flut strahlenden Lichtes zu blenden und ihr junges Herz in den Tiefen der Seligkeit versinken zu lassen. Wachte sie denn wirklich, oder war alles nur ein schöner Traum, aus welchem sie im nächsten Augenblick Dörtes Klopfen wecken musste?

Er hatte mit ihr tanzen wollen! Er setzte sich an ihre Seite, um in heiterster und liebenswürdigster Weise zu plaudern, so lebhaft und interessiert; als habe er die schönste, gefeiertste Dame vor sich, — nicht aber eine Resi Wieders, vor deren Spiegelbild die gute Dörte beinahe die Hände gerungen vor Jammer und Mitleid!

Und hatte schon vorher die bescheidene und dankbare Freude über ihr ganzes Gesicht gelacht, so verklärte die Glückseligkeit nunmehr ihr Antlitz, Geist und Witz sprühte aus ihren Augen und gestaltete die Unterhaltung immer lebhafter und lustiger!

Kronstadt gehörte zu den Menschen, welche sehr der Anregung bedürfen, um sich zu amüsieren. Sein stilles, reserviertes Wesen gab ihm leicht einen Beigeschmack der Langweiligkeit, und da die meisten jungen Mädchen mehr amüsiert sein wollen, als dass sie selber amüsieren, so hatte der Ulan bislang wenig animierte Ballunterhaltungen kennen gelernt. Phrasenhaftes Courmachen lag nicht in seinem Wesen, — er „schwang“ sich wohl hie und da zu einer Artigkeit auf, aber er war zu ehrenhaft und streng denkend, um Hoffnungen zu erwecken, welche er nicht zu erfüllen gedachte, oder lediglich mit Gefühlen zu spielen, welche ihm fern lagen.

So war ihm die harmlos vergnügte Art Resis neu und fesselte ihn, — es lag so nichts in ihrer ganzen Art, was irgendwie lyrischen Beigeschmack hatte, man sprach über Dinge, welche weitab von dem Gebiet jedweder schmachtenden oder pikanten Sentimentalität lagen, und doch amüsierte er sich, wie selten zuvor.

Eberhard ward nach seiner flüchtigen Begrüssung mit dem Kammerherrn von zwei bekannten Damen angeredet und hörte andächtig, mit seinem so unverbrüchlich ernsten Gesicht, aus dessen Augen es desto humorvoller wetterleuchtete, zu, was man ihm zu sagen hatte. Er dienerte und klappte mit den Sporen, und die Damen plauderten weiter und er dachte sich sein Teil dazu, und als die einseitige Unterhaltung zur rechten Zeit durch eine Gegenströmung der zum Souper strebenden alten Junggesellen, welche nie die Zeit erwarten können, bis sich die Flügelthüren öffnen und schon zehn Minuten zu früh in deren Umkreis Posto fassten — unterbrochen wurde, strich der Kürassier leise stöhnend mit dem Battisttuch über die Stirn und schaute sich nach seiner Schwester um.

Ei du Schockbombenelement! — da sitzt ja der Kronstadt so nahe neben ihr, als führe er in der Eisenbahn und wolle nur auf halbem Platz ein Kinderbillet bezahlen, und redet so eifrig auf Resi ein — und sie nickt und lacht, dass alle Schneeglöckchen in ihrem Kranz Sturm läuten, — und dann schwatzt sie wieder und er lacht — und so geht das ohne Unterbrechung, wie bei Müller und Schultze, wenn sie Weltgeschichte machen!

Ist’s möglich! der Kronstadt! und er hatte ihn immer für einen so blasierten, berechnenden Menschen gehalten! —

Und Resi! — In solchem Feuer hat er sie ja noch nie gesehen, — reden thut sie ja immer gern und hat den Mund auf dem rechten Fleck, aber heut liegt etwas ganz Besonderes in ihren Augen, ein Ausdruck ... Wie .. ja wie bei einem, der eine Portion Ragout von Schemelbeinen erwartet hat, und dem plötzlich — für dasselbe Geld — ein Viertel Gänsebraten vorgesetzt worden ist! Eberhard spitzt nachdenklich die vollen, roten Lippen, über welchen es erst so ganz wenig und ganz semmelblond sprosst, und pfeift ganz leise, kaum, dass er es selber hört, etwas sehr Unmusikalisches, welches in keinerlei Zusammenhang mit seinen Gedanken steht.

Er hat sich diese Eroberung Resis am allerletzten träumen lassen, aber sie freute ihn, ganz unbändig sogar, denn er gönnte seinem „Altchen“ alles Gute und ein bischen Vergnügen auf einem Balle ganz besonders.

Nur die Thatsache, dass Kronstadt einen so guten und Resi einen so schlechten Geschmack dabei entwickelt haben, macht ihn gewaltig erstaunen. Seine kluge, gute, lustige Schwester, wenn die Menschen sie auch hässlich nennen, muss jedem gefallen, der auch nur ein einigermassen vernünstiger Kerl ist, aber Achat Kronstadt, dieser eitle, verwöhnte Schlingel, der sich für gewöhnlich nur anschmachten lässt und höchstens mal mit den schönen Augen klimpert, wenn eine Prinzess ihn zum Tanze befiehlt, oder die Frau Regimentskommandeuse ihm Elogen sagt, — wie kann seine Resi so oberflächlich sein und sich so lange Zeit derart „Feuer und Fett!“ mit ihm unterhalten!

Wunderlich! sie hat es aber gezwungen! Der einsilbige Adonis taut auf und spricht so witzige Sachen .... Grundgütiger! wo nur die Menschen alle die Worte hernehmen!! —

Was gibt es nur für zwei wildfremde Leute zu schwatzen? Ihm würden nicht drei Sätze einfallen! Neulich hat er bei einem Diner neben einem kleinen Mädchen gesessen, das wollte auch unterhalten sein, und das war eine verteufelte Sache, denn ihm fiel nichts ein. Er trank in seiner bedrängten Lage ein Glas Rotwein nach dem andern und sah seine Nachbarin freundlich dabei an, und als die Pastetchen kamen, fiel ihm plötzlich seine Unaufmerksamkeit ein: Sie trinken vielleicht auch ein Glas Rotwein, mein gnädiges Fräulein?“ —

„Danke! ich möchte Sie nicht berauben!“ — lächelte sie freundlich zurück.

Da trank er allein weiter.

Als der tote Fisch kam, zermarterte er sein Gehirn um eine Anspielung: „Angeln Sie, gnädiges Fräulein?“ —

„Nicht nach Stockfischen!“ — sie lächelte abermals holdselig wie ein Engel, und er fand ihre Antwort etwas merkwürdig, denn, so viel er wusste, werden die mit Netzen gefangen! —

Was nun weiter? — Er schenkte sich abermals ein und sass wie auf Kohlen; sonst hatte er sich nach der zweiten langen Pause mit scharmantem Diener empfohlen, aber während des Essens konnte er doch nicht den Platz wechseln!

Das Eis erschien in Gestalt einer lieblichen Palme, unter welcher eine Gruppe Gazellen lagerte. „Nun, gnädiges Fräulein, wie denken Sie über Afrika?“ schmunzelte er und freute sich kolossal über seinen guten Einfall.

Sie zuckte die Achseln. „Afrika habe ich in der Schule nicht gehabt, — wie’s dran war, hatte ich die Masern.“ —

„Donnerwetter, — fatal!“ —

Die Flasche Rotwein vor ihm war leer und die Tafel ward aufgehoben.

„Gesegnete Mahlzeit, mein gnädiges Fräulein!“

„Wohl bekomm’s, Herr von Wieders!“ und dabei schüttelten sie sich so kräftig die Hände und sahen sich so recht von Herzen ausdrucksvoll an, dass man wohl glauben konnte, sie hätten einen Pakt fürs ganze Leben geschlossen.

Schade, dass ihm immer so wenig zum Sprechen einfällt, — später in der Nacht, als er im Bett lag, da kamen ihm noch ein paar gute Gedanken, was er wohl hätte sagen können, aber was hilft der Mostrich nach Tisch!!

Und Kronstadt sitzt da und ist plötzlich der reine Kettenredner geworden!

Freilich, mit Resi! — Mit der kommt jeder gut fort, — mit der schwatzt er, Eberhard der Schweigsame, sogar das Blaue vom Himmel herunter! So; — Paukenschlag, — Schluss. — Gott sei Dank, nun ist die Quadrille zu ihren Vätern versammelt und die Flügelthüren werden sich öffnen. Da heisst es auf dem Posten sein.

Der Kürassier schob sich energisch an ein paar dicken Excellenzen vorüber und tippte Resi auf den Nacken.

„Komm fix, Altes! Das Büffett für die tanzende Jugend ist in der Marmorgalerie aufgeschlagen, wenn wir durch den kleinen Saal hier — rechts durch die Vorhalle gehen, schlängeln wir uns durch den Eingang für die Lakaien direkt hinter das Büffet! Ich habe es das letzte Mal ausprobiert!“ —

„Heil Ihrem Spürsinn!“ lachte Kronstadt aufspringend und bot Resi den Arm: „Darf ich bitten, mein gnädiges Fräulein? Ihr Herr Bruder zeigt den Weg, und wir folgen unserm Feldherrn!“

„Weiss der Teufel, wie er den Vorteil ausnutzt!“ schmunzelte Eberhard, „na, heute will ich Sie noch mal mitnehmen, alter Freund!“ und damit schob er seine vierschrötige Gestalt wie einen Eisbrecher durch die hin- und herwogende Menge, dem nachfolgenden Paar Bahn zu schaffen, und sein rotes, frisches Gesicht leuchtete so fröhlich wie ein Vollmond an klarem Himmel, denn erstens that es seinem eitlen Herzen wohl, dass seine Schwester einen regelrechten Tischherrn gefunden hatte, was bei wenig bekannten jungen Damen immer etwas schwierig ist, und zweitens fühlte er sich dadurch doppelt frei und behaglich.

Er engagierte sich prinzipiell nicht bei Büffetts, denn er behauptete, „nach Mitternacht für alte Weiber und andrer Leute Töchter Essen zu schleppen“ — dazu sei er nicht durch den Fahneneid verpflichtet.

Er ass gern in Ruhe und Behaglichkeit und beklagte es lebhaft, dass Rehrücken, Schnepfenpastete und Austernaspic nicht auch mit Gräten und Flossen zur Welt gekommen waren, denn der weiseste Ausspruch, den je ein hungriger Mensch gethan, deuchte ihm der: „Kinder! beim Fischessen spricht man nicht!“ —

Und so freute er sich auch jetzt seines vortrefflichen Einfalls, einen Flankenangriff auf das Büffett gemacht zu haben, denn diese Taktik bewährte sich glänzend.

Während die Schar hungriger Seelen, glänzend und farbenprächtig, sich durch die soeben geöffneten Saalthüren ergoss, und sich bald vor der langen, reichbesetzten Mitteltafel staute, wie ein Bienenschwarm, welcher in surrenden und burrenden Klumpen am Korbe hängt, stand Leutnant Eberhard bereits mit Schwester und Kamerad hinter dem „Tischlein deck dich“, füllte sich mit aller Seelenruhe und Behaglichkeit seinen Teller, „schwuppevoll“ — rettete ihn auf ein Fensterbrett und kehrte zurück, um eine zweite Auswahl zu treffen und mit Kennermiene die verborgensten lukullischen Perlen zu fischen!

Er behauptete, es sei auch für einen Teller nicht gut, wenn er alleine sei, und darum sorgte er ihm für einen leckeren Genossen.

„Wieders! — Wieders! — füllen Sie mir mal flink was auf!!“ rief eine Stimme aus der Menge, aber Eberhard war taub wie eine Nuss, wuchtete, reich mit des Orients Schätzen beladen, in die Fensternische zurück, schwang sich auf das Fensterbrett und war für niemand — für absolut niemand mehr zu sprechen! —

Resi stand währenddessen an Kronstadts Seite hinter dem Büffett und sorgte in ihrer mütterlichen Weise mehr für ihn, wie er für sie. Das machte sich so ganz selbstverständlich, dass sie energisch die Teller zur Hand nahm, die Speisen mit kritischem Blick überflog und auf dies und jenes Gericht aufmerksam machte; konnte er es schlecht erreichen, füllte sie ihm schnell auf, und just, als sie Eberhards Beispiel folgen und sich an dem freien Eckchen eines seitwärts stehenden Serviertisches häuslich niederlassen wollte, tönte die Stimme an ihr Ohr: „Wieders! Wieders! füllen Sie mir doch was auf!“

Sie schaute empor und sah weit zurück hinter den eifrig hantierenden Damen und Herren ein paar junge Kürassiere, ihr wohlbekannte Kameraden Eberhards stehen.

Sie nickte ihnen fröhlich zu, und die Herren winkten mit der Hand und einer von ihnen rief: „Ei, mein gnädiges Fräulein, endlich sieht man Sie! — Wie kommt denn das, dass wir Sie jetzt erst finden?!“

„Das kommt daher, dass Sie immer in der falschen Ecke gesucht haben!“ rief Resi lachend, und alle Umstehenden lachten mit.

„Wie kommen Sie denn hinter das Büffett, mein gnädiges Fräulein? Haben Sie voltigiert?“

„Das versteht sich! — In Freiheit dressiert!“ —

Wieder allgemeine Fröhlichkeit.

„Fräulein von Wieders, Sie wären ein Engel, wenn Sie mir armem Mann ein Stückchen Brot gäben! Bis wir durchdringen, sind wir entweder verhungert, oder es ist nichts mehr da!“ —

„Ich thue es auch billiger! — Was wollen Sie, süss oder sauer?“ —

„Möglichst von allem und recht viel!!“

„Gut“, und Resi belud flink und geschmackvoll einen Teller und reichte ihn seitwärts durch einen Lakaien dem glücklichen Prätendenten.

„Aber Fräulein von Wieders, wie können Sie Lobwitz so verziehen? — Das nehmen wir andern übel! — Welch ein Recht hat unser Jüngster ...“

„Er ist mein Neffe!“ sagte Resi mit sehr ernster Miene.

„Ich bin auch Ihr Neffe!!“ rief ein anderer der Kürassiere. „Bitte, Tante, mir auch einen Teller!“

„Das versteht sich, — sofort!“ und das junge Mädchen waltete abermals ihres Amtes als Hermann der Rabe.

„Tante! Tante Wieders! Vergessen Sie etwa, dass ich auch Ihr Neffe bin?“ jubelte ein dritter Kürassier, und ein Vierter schwenkte aufgeregt beide Arme in die Luft —

„Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar! Auch ich bin Ihr Neffe, Gnädigste —!“ —

„Nanu! Wieviel Neffen hat denn Fräulein von Wieders? Jetzt ist wohl bald das ganze Regiment beisammen!!“ lachte ein Artillerie-Major in tiefem Bass, und während die Teller über die Köpfe weiter gereicht wurden und die Stimmen lachend durcheinander klangen, rief Leutnant von Lobwitz übermütig:

„Na natürlich! Fräulein Resi ist unser aller Tante, — sie ist Regimentstante!“ —

Und ein allgemeiner Jubel erhob sich und das Wort ward wie von einem Sturmwind erfasst.

„Bravo, — bravo! Regimentstante! Das ist famos, das soll schriftlich gemacht werden! An die Gläser, meine Herren! Die Regimentstante soll leben, hoch! hoch!!“ —

Welch ein lustiges Durcheinander!

Kronstadt reichte der jungen Dame ein volles Sektglas, und sie hob es ohne alle Prüderie, nickte den Herren fröhlich zu und trank es aus.

„Einverstanden. Also Regimentstante! Aber wehe dem Neffen, welcher nicht Ordre pariert!“

„Sie sollen Ihre Freude erleben, gnädigste Tante!“

„Ist Regimentstante identisch mit Erbtante?“ —

„Schämen Sie sich, Graf! Bei solchen ketzerischen Ideen werden Sie sofort aus dem Unterthanenverbande der allergnädigsten Tante ausgestossen!“

„Fräulein von Wieders, kann ich mich gegen einen Mohrenkopf und zwei Käsestangen in den Verband einkaufen?!“ —

„Unsinn, Paschedax! Wer nicht bereits mit dem Kürassierhelm auf die Welt gekommen ist, hat keinerlei Anwartschaft darauf!“ —

„Aber ich werde Adoptivneffe! Ich habe zu Hause zwei gewöhnliche Tanten, die tausche ich gegen die Regimentstante ein!“ —

„Entziehen Sie ihm die Hummermajonaise, gnädigste Tante, aus ihm spricht Beelzebub!“ —

„Platz! Platz! — Bitte weiter gehen, meine Herren!“

„Bahn frei! der Landsturm kommt!“

„Fräulein von Wieders, wo sitzen Sie eigentlich? Wir müssen eine kleine, verwandtschaftliche Ecke bilden!“ —

„Kronstadt, führen Sie unsere Tante zu Tisch? Kommen Sie doch, bitte, in die Bildergalerie, — gleich rechts an der Thür haben wir unsere Stühle!“

„Nein! im Marinesaal ist mehr Platz!“ —

„Keine Spur! bleiben Sie ruhig hier, meine Herrschaften, es ist gar nicht durchzukommen!“

„Ist ja auch gar keine gemütliche Ecke bei dem Tellerbalancieren möglich! — Da! ich sag’s ja, der kleine Graf jongliert bereits, — sauve qui peut!“

„Dann auf Wiedersehen beim Tanzen!“ —

„Sie gestatten, gnädigste Tante —!“

Und die Kürassiere hoben chevaleresk die Gläser, um sie zu leeren und sogleich an die Lakaien zurück zu geben.

Kronstadt hatte seinen Teller bereits geleert.

„Nun bitte ich aber dringend, mein gnädiges Fräulein, dass Sie auch einmal an sich denken, und nicht hier die Wohlthätigkeit bis zur Selbstverleugnung treiben! Sehen Sie mal, Ihr Herr Bruder kommt schon zum dritten Kesseltreiben zurück! Wir wollen uns schnell seines Fensterbrettes bemächtigen, denn diese sind ungeheuer gesucht! — Sie gestatten, dass ich Ihren Teller trage!“ —

Und als sie abseits standen, und Resi wie berauscht vor Freude und Entzücken mit strahlenden Augen zu ihm aufsah, da hob auch er sein Glas, neigte es galant gegen die junge Dame und sagte: „Ich trinke das Wohl der liebenswürdigsten aller Regimentstanten, — in der Hoffnung, dass aus derselben einst eine ebenso liebenswürdige Frau Kommandeuse — die Regiments mutter werde!“

Resi erglühte bis auf den weissen Hals herab, und Eberhard, welcher just mit dem dritten Teller zurück kam, blickte in das Gesicht der Schwester.

Vor Schreck hätte er beinahe seine ganze Ladung verschüttet. — Grundgütiger! Welch ein Ausdruck in ihren Augen! —

„Wahr und wahrhaftig — das vernünftige, liebe Altchen hat sich verliebt!“

Sollte es möglich sein? In Kronstadt, den Familientäuscher, für welchen schon so manch junges Herzchen hoffnungslos geglüht hat? —

Er ist so erschrocken, dass ihm beinahe der Appetit vergeht, — aber er sieht, dass Resi ihre Liebe nicht tragisch, sondern ungeheuer vergnügt auffasst, und dass Kronstadt auch so animiert wie selten ist! —

Es passieren ja manchmal Dinge zwischen heute und morgen, von welchen sich unsere Schulweisheit nichts träumen lässt, und Amor bekommt genau solche Gaunerei-Anfälle, wie jeder brave Erdenschlingel auch, — wenn er einen Frosch und einen Maikäfer, welche die Natur durch ihr Äusseres absolut nicht für einander bestimmt hat, übermütig mit einem Fädchen zusammenbindet — —

„Und an diesem Zauberfädchen,

Das sich nicht zerreissen lässt —“

hält der liebe, lose Schlingel sie so wider Willen fest! — Aber was hilft’s? — Ein Dritter darf sich mit seinen plumpen Händen nicht hinein mengen, — man muss sie zappeln lassen, bis sie selber die Fesseln sprengen! —

Da aber die Sache vorläufig noch sehr friedlich aussieht und Frosch und Maikäfer die holde Gefangenschaft noch als einen schlechten Witz von Amorchen zu belachen scheinen, ergibt sich auch Leutnant Eberhard in seine neueste Entdeckung und ist Philosoph genug, um sich nicht seinen schönen Ananascrême von einem Gewitter verhageln zu lassen, welches vorläufig noch gar nicht am Himmel steht. —

Es ballt sich erst am Horizont zusammen, und dann hat es noch keine Gefahr, man weiss nicht, ob’s herauf kommt, oder ob all das Augenblitzen und Wangenflammen nur ein ganz unschädliches Wetterleuchten bleibt! Wenn man sich nur ein bischen hätte setzen können, wäre die kleine Fensterecke höchst behaglich gewesen.

Eberhard liebt es so sehr bei Tisch, einer anderen lebhaften Unterhaltung zuzuhören, welche ihn amüsiert, ohne persönliche Ansprüche an ihn zu stellen.

Ja, er ist schon auf ganz nichtswürdige Ideen verfallen, um dieser Passion zu fröhnen, und hat Tante Auguste jüngsthin schwer dadurch alteriert.

Sie sassen zu dreien — die Tante, Resi und er — beim Essen, und seltsamerweise wollte die Unterhaltung keine rechten Blüten treiben, denn die beiden Damen waren auffällig wortkarg.

„Ich möchte wissen, was eigentlich richtig ist“, hub der Leutnant plötzlich an, „so, wie es früher Mode war, oder wie es unsere aufgeklärte Zeit hält!“

„Was meinst du für eine Mode?“ horchte die Tante auf, denn sie schwor Stein und Bein auf die alte Zeit und fand sie in allen Dingen sehr viel besser, wie die jetzige. „Also was meinst du?“ fragte sie voll jäh erwachenden Interesses.

„Ich meine den ‚Anstandsbrocken‘!“ fuhr Eberhard fort und schnitt sich eine grosse Portion Braten, „früher hielt man es für wohlerzogen, einen Restbrocken auf dem Teller zurück zu lassen, welcher kurzweg ‚der Anstand‘ genannt wurde, und heutzutage findet man das nicht chic und behauptet, besagter ‚Anstand‘ müsse auf der Schüssel liegen bleiben!“

„Was auch entschieden richtig ist!“ nickte Resi.

„Was entschieden falsch ist!“ betonte Tante Auguste, „die Schüssel ist neutrales Gebiet, während das Zurücklassen eines kleinen Restes auf dem eigenen Teller eine gewisse Selbstbeherrschung und Mässigung ausdrücken soll!“

„Ich würde es als eine Opposition auffassen, dass es dem Betreffenden nicht geschmeckt hat!“ rief Resi. „Was meinst du, Hardi?“

„Hm!“

„Wenn man zuvor von dem Gericht einen ganzen Teller oder deren mehrere verspeist hat, ist solch eine Annahme ausgeschlossen!“ warf die Tante spitz ein, und geriet auch in Eifer.

„Man kann schliesslich auch im letzten Happen eine Fliege finden!“ —

„Shocking!! So etwas ist in einem sauberen Haushalt absolut unmöglich! Findest du nicht auch, Eberhard?“ —

„Hm!“ —

„Du liebe Zeit! Wie manche Fliege habe ich in Wiedershagen aus der Suppe gefischt!“

„Unerhört! Soll das ein Vorwurf — eine Beleidigung für mich sein?“ bebte Tante Auguste in Entrüstung und Kampfesmut.

„Durchaus nicht! Das ist auf dem Lande, wo viele Fliegen sind, oft unvermeidlich! Sie fallen hinein, während der Diener den Deckel von der Terrine hebt! — Ich meine nur, der Restbrocken auf der Schüssel sei richtiger! — Nicht wahr, Hardi?“

„Hm —“

„Und ich erkläre — auf den Teller gehört er!“

„Na, ich esse nun mal alles auf, was ich mir nehme —“

„Und ich lasse einen Brocken zurück —!“

„So werde jede auf seine eigene Façon selig!“

„Ein junges, naseweises Ding, welches dem Alter und dem Althergebrachten opponiert, hat wenig Hoffnung auf Seligkeit —!“

Und so spitzte sich der Streit immer mehr und mehr zu, beide Damen, die erst so schweigsam verharrten, weil jede schon etwas „angeärgert“ war, wurden nun desto lebhafter, und Eberhard sass dabei, ass und trank und trank und ass, nnd über den Teller herüber flogen die Blicke seiner hellblauen Äuglein so pfiffig und das rote, feiste Antlitz glänzte so stillvergnügt, dass seine ganze, wohlbehagliche Persönlichkeit sehr grell und erstaunlich gegen die beiden erregten Damen abstach.

„Nimmst du vielleicht noch den Restbrocken?“ fragte Tante Auguste ironisch und blähte die Nüstern ihrer spitzen Nase noch weiter auf, reichte Resi die Platte, auf welcher noch ein letzter, kleiner Punschkuchen lag, herüber, und blickte sie mit herausforderndstem Blick an.

„Danke; ich lasse ihn als ‚Anstand‘ auf der Schlüssel liegen!“ — erwiderte Fräulein von Wieders energisch, und Tante Auguste zuckte spöttisch die Achseln und blickte auf ihren Teller, wo ein halber Apfel sehr ostensibel „aufgebaut“ lag.

„Der ‚Anstand‘ liegt auf dem Teller — wie bei mir! Alles andere ist taktlos!“ —

„Eberhard!“ rief Resi mit kirschrotem Kopf. „Ich bitte dich, entscheide! Wer hat recht?!“

„Eberhard, ich bitte dich ebenfalls, entscheide!!“ gebot auch die Pflegemutter mit dem würdigsten Ton, welcher ihr zu Gebote stand, und Leutnant von Wieders richtete sich mit wohligem Stöhnen vollster Sättigung auf, wischte sich die fleischigen Lippen mit der Serviette und blickte die beiden Damen abwechselnd sehr ernst an. Und dann nahm er die Schüssel mit dem Punschküchlein und schob dasselbe sehr gelassen in den Mund, und griff gleicherzeit nach dem Apfel auf Tantchens Teller und begann ihn eifrig zu schälen.

„Wer recht hat von euch beiden?“ fragte er kauend, und sah aus, so klug und so weise und majestätisch wie König Salomo, wenn er Gerichtstag hielt: „Das will ich euch sagen: Keine! denn der sogenannte ‚Anstand‘ ist erstens ein ganz veralteter Zopf und zweitens ein Provinzialismus, spricht also in der gebildeten, neutralen Welt gar nicht mehr mit!“ — Und damit schob er die Apfelscheibe zwischen die weissen, kräftigen Zähne: „So, meine Damen! Sie sehen: beide ‚Anstands‘ hat der Deiwel geholt, und wo nichts ist, hat der Kaiser das Recht verloren!“ —

Resi lachte Thränen vor Amüsement über diese verblüffende Wendung, und es fiel ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen, warum der Schalk den Wortkrieg heraufbeschworen, — er gebrauchte eben seine Unterhaltung bei Tisch! — Tante Auguste aber war schwer indigniert und hat dem bösen Neffen diese „Roheit“ drei Tage lang nicht vergessen, bis Eberhard am vierten mit Logenbillets zum Opernhause erschien — „Norma“! — ach, die liebe, alte Oper! Tante sehnte sich lange nach einem Wiedersehen mit ihr — und so verzieh sie und fuhr mit. — Ja! daran musste der junge Offizier gerade recht innig vergnügt denken und blickte ganz erstaunt von seinem Crêmeteller auf, als Resis und Kronstadts Unterhaltung plötzlich neben ihm verstummte und beide ihre Plätze verliessen.

„Na, Wieders?“ lachte der Ulan und klopfte Eberhard auf die Schulter: „Die Souperstunde hat ausgeschlagen, oder wollen Sie gleich zu den Resten hier bleiben?!“ —

„Alle Donnerwetter! — lass dich halten, goldne Stunde! — Lakai! schnell noch ein Abschiedsglas!“ —

Die Regimentstante - Band 1

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