Читать книгу Die Regimentstante - Band 1 - Nataly von Eschstruth - Страница 6
II.
ОглавлениеMan hat bisher stets angenommen, das wichtigste Möbel in einer Damengarderobe sei ein Spiegel, selten jedoch erfüllt geschliffenes Glas weniger seinen Zweck, wie hier, so unglaublich es auch klingen mag.
Die Damen, welche in grosser Toilette eine Ballgarderobe betreten, haben sich lange genug vor dem Spiegel aufgehalten und sind mit sich im klaren.
In der Regel mustert die Mutter die Töchter, und die Töchter mit flüchtigerem Blick die Mama, nachdem Mantel und Kopfschleier abgelegt sind, und dann nicken, sie sich mit etwas atemloser Hast und Eile zu: „Alles in Ordnung!“ — und winden sich mit liebenswürdigsten Pardons dem Ausgang wieder zu.
Nur hie und da wirft eine mutter-, schwester- und tochterlose Schöne einen schnellen Blick in das Glas, zupft noch einmal an Stirnlöckchen und Blumen, und wendet den Kopf blitzschnell wieder zur Seite, wenn neben ihr aufs neue eine Schleppe rauscht.
In der Ballgarderobe interessieren sich die Damen nicht mehr für ihre eigene Pracht und Herrlichkeit, die ist zu Hause genugsam geprüft und anerkannt, sondern all ihre Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die lieben Mitschwestern, welche man im Saal — wo Begrüssung und Konversation ihre Ansprüche stellen — lange nicht so scharf und genau mustern kann, wie hier, wo die Blicke so bequem hin und her huschen können, während man anscheinend — bis zur Teilnahmlosigkeit vertieft — die Handschuhe zuknöpft. —
Wer sich über das Kapitel Nächstenliebe unterrichten will, beobachte in einem Ablegezimmer die Blicke, mit welchen eine liebe Freundin die andere heimlich und rücklings mustert. Ja, da liegt in gar manchen Augen das Herz viel klarer und durchsichtiger, als die Schönen es sich träumen lassen, und man erzählt sich von einem Herrn, welcher vor der Garderobe auf die Schwester wartete, dass er durch die sich öffnende Thür zufällig in die heilige Halle hinein schaute.
Dieser Blick war die kleine Ursache einer grossen Wirkung, denn er traf zufällig das Gesicht der bis dahin heissgeliebten Königin seines Herzens, und diese musterte just die Toilette einer vor ihr stehenden Kommerzienratstochter. — Wieviel Neid, wieviel Missgunst, wieviel empörende Unduldsamkeit schillerte durch diesen einen Blick! Seine Schärfe zerriss all die rosigen Schleier vor den Augen des Anbeters, und von einer jähen, bitteren Enttäuschung beeinflusst, blieb das bindende Wort, welches ihm an diesem Abend auf den Lippen geschwebt, ungesprochen.
Resi ahnte nicht, welch einem Kreuzfeuer von Blicken sie ausgesetzt war, als sie mit fröhlichem Gesicht den Pelzmantel in die Hände einer Kammerfrau gleiten liess und sich momentan niederneigte, sich der Pelzschuhe zu entledigen. Die jungen Mädchen wechselten ironische Blicke, die Mütter lächelten wohlzufrieden und selbstbewusst ein unhörbares „hors de concours!“ und nur ein paar sehr heitere, kleine Frauen, welche schon jetzt begannen, die bunten Fädchen zu spinnen, an welchen sie nachher die jungen und alten Falter zappeln lassen wollten, waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie, ohne rechts und links zu blicken, vorübereilten. Als Resi sich wieder aufrichtete und — unwillkürlich nach bekannten Gesichtern suchend — um sich blickte, sah sie kaum ein Auge auf sich gerichtet, — ein paar junge Damen kicherten und prusteten vor Lachen hinter ihren Fächern über einen Witz, den die eine gemacht zu haben schien — und welchen Resi wohl auf alles andere bezogen zu haben schien, wie auf sich.
Tante Auguste war in dem farbenprächtigen Gedränge, in diesem wogenden Meer von Seide, Sammet und Spitzen das einzige Inselchen, zu welchem sich ihr irrender Blick zurück rettete, und sie freute sich, als die Brokatschleppe der alten Dame endlich — durch alle Klippen durchlaviert — auf den Purpurdecken des Treppenhauses rauschte.
Eberhard stand, den Kürassierhelm im Arm, bereits wartend neben der mächtigen Palmengruppe, welche ihre graziösen Fächerblätter in der Flut strahlenden Lichtes badete.
Er klappte die Sporen zusammen, bot der Tante abermals den Arm, und feierlich schweigend und langsam stieg man die Stufen empor, — hier den stummen Gruss eines dienstthuenden Kammerherrn erwidernd, dort liebenswürdig ein paar flinke Leutnantsfüsse oder jüngere Damen vorüberlassend, deren thatendurstige Eile die asthmatische Tante Auguste überflügelte.
Die Lakaien standen in prunkhafter Livree, würdevoll und selbstbewusst zur Seite, und Resis lustige Augen sahen alles und jedes, von den mächtigen Ritterbildern an den Wänden bis herab zu den wappengewirkten Teppichen. Der Rahmen deuchte ihr fürerst noch interessanter wie das Bild, und als sie ihn genugsam gewürdigt, liess sie auch dem letzteren sein Recht geschehen. Ja, ein schönes Bild! So schön, wie es in all seiner überschwenglichen Farbenpracht und seinem Goldglanz kein Maler wiedergeben kann.
Sie blieb momentan stehen und blickte über die breiten Schlosstreppen in das wundervolle Vestibül hinab.
Drunten wogte die Menge der Neuankommenden, die Herren in imposanten Galauniformen der Minister, Räte und Gesandtschaft, Goldtressen und breite Ordensbänder, Offiziersuniformen in grösster Mannigfaltigkeit des In- und Auslandes, und zwischen ihnen die liebliche Farbenpracht elegantester Toiletten, von dem duftigen Seidenflor jugendlichsten Ballkleides bis zu der goldgestickten Sammetschleppe der Excellenz.
Das wogte und hastete durcheinander, stieg in heiterer Konversation die Stufen empor und tauschte lächelnde Grüsse von drunten nach droben und von droben nach drunten — und über dem ganzen diamantglitzernden Treiben zogen süsse Duftwogen dahin, — jenes geheimnisvolle Gemisch von Ambrée und Blüten, die Narkose für junge Herzen, in welcher sie so manch süssen, wehen, wonnigen Traum der Liebe träumen! —
Resi war nicht gekommen, um zu tanzen oder sich unter jenen nichtssagenden Redensarten, welche fremde Menschen bei ununterbrochenen Vorstellungen wechseln, zu langweilen.
Tante Auguste hatte ganz überraschend eine alte Jugendfreundin, welche bei einer zu Besuch weilenden Herzogin die Dienste der Staatsdame versah, getroffen, und während sie in der Galerie Platz nahm, an der Seite der so lang Entbehrten tausend Erinnerungen aufzufrischen, nahm Resi den Arm des Bruders und flüsterte: „Nun schnell, Hardi, bring mich auf ein recht gedecktes behagliches Plätzchen im Thronsal, wo ich dem Tanz zusehen kann!“
„Hm!“ nickte der Kürassier, lockerte den Ellenbogen und verschaffte sich und seiner Dame mit dem höflichsten und scharmantesten Lächeln der Welt Platz.
Längs der Wände zog sich ein teppichbelegtes Podium hin, hie und da durch blühende Ziersträuche geschmackvoll dekoriert, auf welchem zumeist die älteren Damen Platz genommen.
Im äussersten Winkelchen, halb versteckt von duftigen Syringen- und Mandelbäumchen, fand Resi, was sie suchte, und während Eberhard sich mühsam zu seiner Regimentskommandeuse durchdrängte, um ihr den schuldigen Respekt zu vermelden, sass Fräulein von Wieders mit seelenvergnügtem Gesicht auf ihrem verlorenen Posten und freute sich unbeschreiblich über ihr Glück, diesen brillanten Platz erobert zu haben.
Vor ihr, zwei Stufen tiefer, drängte sich Kopf an Kopf das tanzlustige Publikum, stets wechselnd — wenn auch langsam und nur in kleinen Wirbeln — weil dicht daneben eine weite, durch Säulen geteilte und bogenartig gewölbte Thür in einen der Nebensäle führte.
Wie interessant, diesen bunten Strom an sich vorüber fliessen zu sehen, in all die lachenden, verschiedenartigen Gesichter zu sehen und so vieles beobachten zu können, was den andern entging, weil sie viel zu sehr mit sich selbst und ihrem eigenen Amüsement beschäftigt waren.
Dann betraten die hohen Herrschaften in kurzem Rundgang den Saal, und Resi ward dunkelrot vor Entzücken, sie so ganz nahe zu sehen und grüssen zu können.
Welch ein feierlicher, unvergesslicher Augenblick, welch eine Stille plötzlich nach all dem Schwatzen und Rauschen und Brausen, welches wie Meeresbrandung unter dem goldgemalten Plafond dahin gezogen. Und dann erweitert sich der freie, kleine Raum inmitten des Saales noch mehr, — die Herrschaften haben Platz genommen, und die Musik schmettert in jauchzenden Weisen los.
Die Vortänzer üben ihres Amtes.
Eine Prinzess des königlichen Hauses fliegt wie ein reizendes rosa Sommerwölkchen im Arm eines Dragoners dahin, der Diamanttau funkelt über die graziöse Gestalt und durch die Gestalten der Zuschauer geht ein Recken und Heben ... Und dann wirbelt es wie ein bunter Schmetterlingsschwarm durcheinander, man sieht nicht mehr viel, nur die sich drehenden Köpfe und Köpfchen, denn die Mauer der Zuschauer baut sich in immer dichteren Kreisen auf. —
Resi kommt es gar nicht in den Sinn, dass sie eigentlich recht verlassen und einsam in ihrem Wandeckchen sitzt, dass sich kein Mensch mit ihr unterhält, dass keiner der Herren Notiz von ihr nimmt, und sie wundert sich, als sie in die ärgerlichen, verdrossenen Gesichter zweier jungen Damen blickt, welche ihre Tanzkarten mustern und nicht zufrieden mit ihrem Inhalt sind. Sie streifen die nächststehenden Herren mit recht vielsagenden Blicken, und als just ein Garde-Artillerist begrüssend an sie heran tritt, wirft die kleine Blondine schmollend die Lippen auf und sagt sehr laut: „Es ist entsetzlich dieses Völkerfest! Man kennt mal wieder keine Seele! — Die bekannten Herren finden sich nicht durch, und die fremden lassen sich nicht vorstellen, — den ganzen ersten Tanz keinen Schritt gethan! Geht man darum auf einen Ball?“ — Der junge Offizier ist ausser sich über solch ein himmelschreiendes Unrecht und versichert hastig, dass man sich drüben in der Galerie schon zu einem famosen, kleinen Kreis zusammen gefunden! „Darf ich bitten, Baroness?“ und er bietet der Blondine den Arm und drängt sich mit ihr nach der Thür zurück.
Mit einem vernichtenden Blick auf die umstehenden „Schlachtenbummler“ folgt die Schwester.
Resi lächelt: „Ist das der Zweck eines Balles? — Wie verschiedenartig doch der Geschmack ist.“
Nimm di nix vör — dann sleit die nix fehl! — Du liebe Zeit, wie kann man noch mehr des Herrlichen verlangen, als wie hier geboten wird!
Aber die Menschen haben ganz verlernt, sich harmlos und ehrlich zu freuen, sie können nur noch nörgeln und tadeln, — die Hitze! das Gedränge! die flauen Tänzer! — die Langeweile! —
Resi merkt nichts von alledem. Sie freut sich an allem, an der bunten Pracht, an der köstlichen Musik, welche dem Herzen Flügel wachsen lässt, an den Erfrischungen, welche serviert werden und welche ihr herrlich munden.
Dabei hat sie soviel zu thun.
Ein paar besondere Lieblinge unter den jungen Mädchen hat sie schon erwählt, und die beobachtet sie und freut sich, wenn die Herren ihren Geschmack gut heissen und die allerliebsten Dinger recht auszeichnen, — und unter den Tänzern sind ihr auch schon verschiedene, eigenartige Typen aufgefallen, ein junger Türke, welcher mit sehr erstaunten, aber flammenden Augen in diese fremde Welt starrt und die köstliche Gelegenheit gar nicht genugsam ausnutzen kann, so viele reizende, unverschleierte Damen aus andrer Männer Harem ungestraft schauen und gar im Tanze umfassen zu können! —
„Das Abendland gefällt mir alle Tage besser!“ steht deutlich auf seinem schmalen, gelben Gesicht zu lesen, und zwei Herren erzählen sich vor Resi mit lauter Stimme: „Ali Ben Hassan habe jüngst einen, mit acht Töchtern gesegneten Baron gefragt, ob er wohl sein Schwiegersohn werden könne, — worauf der alte Herr mit lautem Seufzer der Erleichterung nur das eine hervorgestossen: ‚Wie viele wollen Sie? — Wenn Sie alle acht nehmen, kriegen Sie die Gouvernante gratis zu!‘“ —
Man lacht hell auf, und Resi amüsiert sich ebenso gut, als habe man ihr den Witz direkt erzählt. — Dann fällt ihr Blick auf einen Ulan, welcher neben ihr in die Thür tritt.
Vorhin stand er ihr gegenüber und fiel ihr auf, weil sein ernstes Antlitz so wunderlich gegen all die lachenden Gesichter umher abstach.
Auch jetzt blickt er so ernst in das lustige Gewimmel hinein, als spiele die Musik ein Requiem und als müsste mit Schlag zwölf dieser ganze Totenreigen in Grab und Moder zurücksinken.
Wie gut und distinguiert er aussieht.
Gross und schlank, ohne kraftlos zu erscheinen, mit gebräuntem, ovalem Gesicht, aus welchem grosse, dunkle Augen blicken und über dessen Lippe sich ein eleganter, kleiner Schnurrbart kräuselt.
Er ist noch jung, und darum überrascht der Ausdruck seines Gesichts noch mehr.
Warum tanzt er nicht? —
Er scheint nicht unbekannt zu sein, denn öfters schon neigte er das Haupt in etwas steifem und förmlichem Gruss, das Kinn gegen den gestickten Uniformkragen drückend und die Hacken zusammenklappend, wenn Damen an ihm vorüber eilten, aber seine ganze Art und Weise behielt trotz aller Höflichkeit etwas Abweisendes, so vielsagend auch manch schönes Auge zu ihm aufblickte. Einmal redete ihn eine junge Frau an, er antwortete mit leiser, etwas verschleierter Stimme, wie es schien, nur gerade das Nötigste, und als sie gegangen, stand er wie vorher und schaute auf die lebensfrohe Menge, als wolle er sagen: „Wie kann man!! —“
Wieder und immer wieder blickte Resi zu ihm hinüber.
Noch nie hatte ihr ein Männergesicht so vortrefflich gefallen, wie just dieses.
Warum? — sie fragte es nicht, denn sie hätte doch wohl keine rechte Antwort darauf gewusst; die spärliche Thatsache, dass er schön war, konnte einem so klugen Mädchen, wie Fräulein von Wieders, nicht genügen, und ausser dieser fehlte vorläufig jede andere Qualifikation. Und dennoch! — es ist ein wunderbares Gefühl um die Sympathie, um solch ein unbewusstes Sicherwärmen und Sichinteressieren!
Resi empfand nie zuvor etwas Ähnliches, wie in dieser Stunde, und während die andern Menschen im Saal ihr nur als amüsante Marionetten erschienen, deren Drehungen und Wendungen man zusieht, wie in einem Lustspiel, so kam ihr bei dem hübschen Ulanenoffizier zum erstenmal die Frage: „Wie heisst er und warum tanzt er nicht? Warum schaut er so unnatürlich ernst in die Welt?“ —
Und während ihr Blick wieder nachdenklich auf ihm weilte, und sie im Herzen eine innige, naive Freude empfand, dass ihr ein Mensch so ausserordentlich gut zu gefallen vermochte, sah sie Eberhards robuste Gestalt neben dem Ulan auftauchen.
Der Kürassier legte schweigsam wie immer die Hand auf die Schulter des Ulans, und drehte ihn mit fröhlich schmunzelndem Gesicht etwas zur Seite, um passieren zu können.
Der interessante Unbekannte wandte jählings das Haupt und starrte in das rote, fleischige Gesicht Wieders’, und dann flog ein Schimmer von Lächeln über sein Gesicht und er sprach ein paar Worte, welche sicher lauteten: „Ach, Wieders! Gut, dass ich Sie treffe!“ — So wenigstens deutete sich Resi den Ausdruck seines Gesichts.
Könnte sie doch hören, was sie sprechen! — Sie sitzt ja ziemlich nahe, aber die Musik spielt so laut — ah! brillant, eben schliesst sie mit kräftigem Paukenschlag, — und durch die momentane Stille klingt die tiefe Bierbassstimme des Bruders zu dem jungen Mädchen herüber.
„Meine Fuchsstute? Thut mir leid, Verehrtester, vorgestern schon verkauft! War ein Kapitalgaul! Stochow hatte schon lange darum gehandelt — —“ und dann setzte die Musik zu der dritten Quadrillentour ein, und Eberhard und der Ulan dienerten sich ein paarmal an und trennten sich.
Der Kürassier steuerte direkt auf das Podium los, seine Schwester zu erreichen, und der schöne Unbekannte stand nach wie vor als steinernes Bild an der Säule.
„Na, Resel — da bin ich endlich wieder!“ nickte Eberhard, mit tiefem Seufzer sich in das schmale Eckchen zwischen Diwan und Eckdekoration hinein klemmend. „Entsetzliche Schwätzerei! — An allen Ecken und Enden nageln sie einen fest! — Hast dich gelangweilt?“ —
Fräulein von Wieders lachte und ihre Wangen glühten wie Pfingstrosen. „I, wo werde ich, es ist entzückend! Du glaubst gar nicht, wie prachtvoll ich mich amüsiere! Schade nur, dass ich so wenig Menschen kenne, du musst mir ein paar Namen nennen, Hardi, zum Beispiel wer ist jene ... ja, wart’ mal .. wo steckt sie denn nun ... ah .. da drüben unter dem zweiten Kronleuchter, tanzt mit einem ausländischen Offizier in grüner, goldgestickter Uniform mit breitem Bandelier ...“
„Hm .. Russe ...“
„Und die Dame trägt ein Kleid aus Goldflor und einen grossen, schillernden Schmetterling im Haar — siehst du sie? — Eben macht sie einen Knix ...“
„Ach, die Ada!!“ —
„Ada? — Und wie weiter?“
„Na, Ada Ingelsburg! Tochter vom alten Grafen, dem Kommandierenden des X. Korps ...“
„Wie entzückend sie ist, — bildhübsch! Wenn ich ein Mann wäre, Hardi, in die würde ich mich verlieben!“
Ein undefinierbares Knurren neben ihr.
„Nun? Findest du sie nicht auch allerliebst?“
„Par distance, — wenn sie Gesicht Nr. 1 auf hat!“
„Was heisst das?“ —
„Das heisst, die Allergnädigste hat Auswahl in Gesichtern. Sie steckt sie nach Bedarf auf.“
„Und welches zeigt sie dir?“ —
„Das mit den Angelhäkchen in den Augen! Als Kürassier und Majoratsherr bekommt man drei Sternchen in ihrer Liste!“ —
„Abscheulich! Weiss der liebe Gott, wenn die Menschen schandmäulern, werden selbst die Schweigsamsten beredt!!“
„Hm ....“
„Auf die Damen bist du ja selten gut zu sprechen —“
„Oho! — ich bin ein Gefühlsmensch — aber kein Courmacher, das strengt zu verteufelt an!“ —
„Darum ziehst du weniger aufregende Gespräche mit Herren vor — wie zum Beispiel mit jenem Ulan dort! — Wollte er die Nora kaufen?“ —
„Hätte ihm so passen können!“ Eberhard legte beide Hände auf seinen Säbelkorb und schaute wie ein Marabu der Nase entlang?“ —
„Wie heisst er?“ —
„Der Gaul? — Nora!“ —
„Unsinn, der Ulan!“ —
Leutnant von Wieders schob die breite Unterlippe noch breiter vor.
„Sein Vater hiess Baron Kronstadt, und darum heisst der Sohn auch so!“
„Er tanzt ja nicht? Warum das?“ —
Eberhardt zuckte die Achseln. „Blasierter Bengel!“
„Pfui, Hardi! Tanzest du etwa?!“
„Das versteht sich! — Eben wird ein schneidiger Galopp losgelassen, auf den habe ich nur gewartet, um mal alle Hindernisse mit dir zu nehmen!“
„Mit mir?!“
Resi lachte hell auf, ward aber im nächsten Moment blutrot, denn der Ulan wandte den Kopf und sah sie an.
„Na natürlich mit dir!“ und Eberhardt legte gelassen den Säbel ab; „du armes Wurm sollst dich doch nicht den ganzen Abend hier im Eckchen steif sitzen! Komm, Resi — kannst es getrost mit mir riskieren!“ —
Seine tiefe Stimme klang wohl lauter, als er dachte, der Ulan verstand Wort für Wort und schaute jäh betroffen auf das grosse, hässliche Mädchen, dessen ganzes Gesicht vor Freude glühte. — Du lieber Gott! sie hatte noch keinmal den ganzen Abend getanzt, und es war elf Uhr durch! —
Resi fühlte den Blick der dunklen Augen auf sich ruhen, und eine jähe, namenlose Verlegenheit erfasste sie. Um sie aber nicht zu zeigen, lachte sie immer mehr und immer lustiger und sprang hastig auf, um von diesem Platz fortzukommen. Sie hatte aber den einen Fuss während des Sitzens zurück geschoben und auf die Spitze gestellt, und der spitze, franzöfische Hacken ihres weissen Atlasschuhes hatte sich in dem Spitzenzwischensatz des Unterkleides festgehakt.
Als sie nun so hastig aufsprang, blieb der Fuss hängen, und um ihn zu befreien, musste Resi etwas zappeln mit ihm, und das verursachte momentan eine hüpfende Bewegung, bis der Hacken frei kam, und Fräulein von Wieders, immer tödlicher verlegen, den Arm des Bruders nahm und, immer lebhafter lachend, auf ihn einsprach, während sie sich durch die dreifache Mauer der Zuschauer Bahn brachen.
Baron Kronstadt aber starrte ihr immer noch mit weitaufgerissenen Augen nach!
So etwas hatte er ja im ganzen Leben noch nicht gesehen! — Du lieber Himmel, welch eine Freude! Welch ein Entzücken, weil sie einmal tanzen soll! Armes Ding! Den ganzen Abend geschimmelt, und dabei doch so liebenswürdig und guter Dinge geblieben! Und als endlich der dicke Kerl, der Wieders ankommt — er schien ihr Bruder oder Vetter zu sein, nannte sie wenigstens „du“ — und sie zu einem armseligen Galopp flott macht, da freut sich das rührende Wurm so diebisch, dass sie vor Vergnügen von einem Fuss auf den andern hüpft! —
Ein Gefühl von Staunen, Überraschung und Rührung bemächtigte sich des Ulans.
Nein, so viel ehrliche Freude, so viel bescheidene Liebenswürdigkeit und Anspruchslosigkeit hatte er zuvor noch nie erlebt! —
Hübsch ist sie zwar nicht, aber .. du heilige Kümmernis! man findet es noch schlimmer, und ein hässliches Gesicht, welches so glückselig lacht, ist ihm immer noch zehnmal lieber, wie das schönste Lärvchen, welches von Arroganz und schlechter Laune verunstaltet wird. —
Er wollte heute eigentlich nicht tanzen, aber diesem braven Mädel gegenüber gebietet es die Ritterlichkeit, eine Ausnahme zu machen — da kann man ja leicht ein Herz beglücken — und wer weiss, hier schafft er vielleicht durch einen einzigen kurzen Tanz mehr Glückseligkeit, wie jemals bei seinen Schwestern durch die kostbarsten Präsente von Perlen und Brillanten.
Resi hatte getanzt, mit ungeheurem Genuss getanzt! Welch ein Spass, nun selber einmal zwischen all diesen Auserwählten herum zu wirbeln, sogar mit einem Kürassier und Majoratsherrn, welcher auf Gräfin Adas Liste durch drei Sternchen als „sehr empfehlens- und begehrenswert“ bezeichnet ist. Resi war so vergnügt, als flöge sie in den offenen Himmel hinein, und zwar mit ihrem Bruder, eine Thatsache, welche bei andern jungen Mädchen gar nicht mitrechnet, sondern als Notbehelf sehr ungnädig „erduldet“ wird.
Als sie hochaufatmend zum letztenmal herum getanzt hatte und mit lustblitzenden Augen zu Eberhard aufsah, nickte ihr der junge Offizier schmunzelnd zu und sagte: „Siehste, Altes, das hätten wir höllisch forsch gemacht! — Und nun wollen wir verpusten!“ —
Er bot ihr den Arm und wandte sich nach dem Eckplätzchen auf dem Wandpolster, um seine Tänzerin in ihr „angewärmtes Nest“ zurück zu bringen.
Resi aber blieb jählings stehen und wandte den Kopf etwas betroffen zur Seite.
„Da habe ich nun schon so sehr lange Zeit gesessen!“ sagte sie etwas unsicher, „führe mich doch einmal nach dort drüben, dass ich diese bunte Welt auch einmal von der anderen Seite kennen lerne!“
Eberhard zuckte die Achseln. „Alles geprammste voll! Da müssten wir schon einen Nebensaal unsicher machen. Lange Zeit ist ohnehin nicht mehr, — noch ein viereckiger Tanz und dann wird zum Futterschütten geblasen!“
„So komm dort in die Galerie!“ —
„Ja, halt mal, erst müssen wir an den Diwan zurück, ich habe ja meinen Säbel da abgelegt und muss wieder umschnallen!“
Resi hob den Kopf. Warum wollte sie eigentlich nicht wieder an den alten Platz zurück? Es war sehr thöricht von ihr. — Weil der Ulan sie mit seinen dunklen Augen so erstaunt angesehen hatte? Lächerlich! Hat sie ihn etwa nicht angesehen? Und Resi lachte wieder ganz vergnügt und redete sich selber ein, dass es doch höchst gleichgültig sei, ob ein Mensch den andern ansähe oder nicht.
Als sie an den Diwan kamen, stand Herr von Kronstadt vor demselben und blickte ihnen erwartungsvoll entgegen.
Sie mussten dicht an ihm vorüberschreiten, und der Ulan machte höflich Platz, wandte sich zu Eberhard und sagte lächelnd: „Ich habe ihr Schlachtschwert in Verwahrung genommen, lieber Wieders, es rasselte gar zu kriegerisch auf das Parkett herab!“ Und als der Kürassier wohlbehäbig seine Anerkennung aussprach, bat sein Kamerad mit liebenswürdigstem Neigen seines wohlfrisierten Hauptes: „Darf ich bitten, mich vorzustellen?“ —
„Gern, Verehrtester. Liebe Schwester, bleibe deiner Sinne Meister —: Baron Kronstadt.“
Resi lachte und Kronstadt lächelte, und nach einer abermalig scharmanten, spornklingenden Verbeugung sagte der Ulan ganz unvermittelt: „Sind gnädiges Fräulein bereits zu diesem Lancier engagiert, oder darf ich um den Vorzug bitten?“
Resi stand einen Augenblick sprachlos und starrte den schönen Mann an, als habe er türkisch gesprochen, und sie ward erst blass und dann so rot, als habe ein Sonnenuntergang all seine Purpurlichter über ihre Wangen gegossen.
Eberhard nannte das „ihr Alpenglühen!“ —
„Tanzen? — O gewiss, sehr gern, Herr von Kronstadt, wenngleich ich Ihnen ehrlich gestehe, dass ich sehr wenig Übung habe! Meine Tanzstunde auf dem Lande war sehr einseitiger Natur!“
Eberhard sah beinahe noch überraschter aus, wie seine Schwester. „Famos! sehr nett, Kronstadt — aber ich halte es auch für besser, Sie tauschen den Lancier in einen Walzer um, — ich weiss nicht, ob unser alter Dorfschulmeister die Quadrille so ganz à la cour einstudiert hat!“
„Einen Walzer?“ — der Ulan zögerte ein wenig: „Ich weiss wirklich nicht, mein gnädiges Fräulein, ob ich das riskieren darf! Die Rundtänze sind mir noch verboten, weil nach meiner schweren Kontusion am Kopf leicht noch Schwindel eintritt, und solche Zufälligkeiten vor den Augen der höchsten Herrschaften riskieren — —“
„Sie dürfen nicht tanzen? Sie waren krank?“ rief Resi ganz entsetzt — „um Himmelswillen, keinen Schritt —!“
Und Eberhard machte eine jähe Geste mit der Hand und nickte: „Donnerwetter ja! Ihr Sturz in Hoppegarten! — Nee zum Teufel! da lassen Sie mal das Geschwenke gut sein!“ —
„Gestürzt? Mit dem Pferd gestürzt?“ wiederholte Resi atemlos, und in ihrem Auge spiegelte sich eine solch unverhohlene Angst, dass Kronstadt in seiner ruhigen, etwas förmlichen Weise den Kopf neigte und lächelte: „Das ist bei einem Kavalleristen keine allzu grosse Seltenheit und hat nur den einen übeln Beigeschmack, welcher ein ehrgeiziges Herz mehr schmerzt, wie eine Schramme oder ein zerschlagener Knochen, dass man nämlich den Ärmsten für einen schlechten Reiter hält!“ —
Die Musik schmetterte eine Fanfare, und der Sprecher sah die junge Dame bittend an: „Befehlen gnädiges Fräulein? Der Tanz beginnt.“