Читать книгу In Ungnade - Band I - Nataly von Eschstruth - Страница 5

II.

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Gesäet hab’ ich meine Freude

Tief in die Erde hinein!

Anast. Grün.

Der junge Offizier strich mit schwerem Atemzug über die Stirn. Kalter Schweiss stand darauf, sein Haupt sank tiefer, als breche es unter der Wucht der Erinnerung nieder.

War er wirklich ein schwerfälliger, schroff und unliebenswürdiger Bursche gewesen, wie seine Mutter oftmals voll Spott oder Zorn ihm versichert? Wohl möglich. Er hatte niemals Freunde gehabt, er ging seinen eignen, einsamen Weg, und als er sein fünfzehntes Lebensjahr erreicht, stand er müde und gleichgültig, wie ein alter Mann, inmitten der tollen, leichtlebigen Welt und schaute finstern Blicks auf ihren Karneval, der mit rasselnden Schellen über Leichen und Gräber tanzt. Er wunderte sich nicht, als ihn seine Mutter eines Tages in ihren Salon rufen liess, ihm den Oberstleutnant von Dahlen als zukünftigen Stiefvater vorzustellen. Er staunte nur, dass es nicht schon längst so gekommen war.

Dahlen war ein reicher, stattlicher Mann, passionierter Kavallerist, derb, beinahe rüde, gesellschaftlich von heiterer, lebenslustiger Art, im näheren Verkehr von eisernem, meist rücksichtslosem Willen. Da hatte der Schmetterling eine energische Faust gefunden, welche ihm die Flügel band.

Eine kurze Zeit schien sich das Leben Aurels unter der braven Fürsorge des Stiefvaters und den geregelteren Verhältnissen im Elternhause besser zu gestalten, aber die prophetischen Lästerzungen der Residenz hatten recht gehabt: „Ungleich kann mit Ungleich nur in Liebe sich verbinden“, und hier fehlte die Liebe, wenigstens auf der Seite der noch immer schönen, aber auch ebenso flatterhaften und leichtsinnigen Frau vollkommen.

Es kam bald zu heftigen Scenen, bei denen Aurel nur zu oft Zeuge war. Wie eine schillernde Schlange bäumte sich die eigenwillige Frau gegen das Regiment des Gatten, und seine jähzornige Art verstand es nicht, sie mit der Schalmei und Pfeife zu besänftigen, sondern schlug in sinnloser Heftigkeit mit Keulen darein. Und dennoch hatte er recht, wenn er sein Weib nicht auf den Trödelmarkt der Welt liefern, sondern für sich allein bewahren wollte. Das waren entsetzliche Zeiten für Aurel, den der Klang von Hader und Streit bis in die tiefsten Träume verfolgte.

Und dann kam eine Zeit bleierner Ruhe. Seine Mutter war in unbeschreiblich gereizter Stimmung und schloss sich viel ein, — der Oberstleutnant war selten zu Hause, entweder versah er seinen Dienst, oder er huldigte seiner Passion auf dem Rennplatz.

Wie still, wie entsetzlich öde war es in dem grossen Haus! Aurel sass noch tief in der Nacht bei seinen Arbeiten, und er lehnte die heisse Stirn auf die verschränkten Arme und hätte aufschreien mögen vor Herzeleid. — Wie Heimweh überkam ihn die Sehnsucht nach einem einzigen lebenden Geschöpf, welches er mit aller Überzeugung lieb haben könnte! Und wär’s nur ein Hund, ein treuer, braver Hund, er wollte sich an ihn klammern, wie an eine Planke inmitten der wirbelnden Lebensflut, welche ihre ekelhaften Untiefen von Falsch, Gemeinheit und Verrat nur zu oft schon vor seinen jungen Augen aufgerissen! Nur ein einzig lebendes Geschöpf, das er lieben kann, und das ihn wieder liebt! — Seine Augen brennen, er möchte weinen und aufschreien in seiner Verlassenheit.

Da laufen eilige Schritte über den Korridor, vor seinem Zimmer zögern sie momentan. Dann wird die Thüre aufgerissen. Die alte Christiane steht vor ihm, einen wunderlichen Ausdruck im Gesicht, halb boshaft, halb mitleidig.

„Sie sind noch munter, Herr Aurel? Na, dann kommen Sie nur mal mit und sehen Sie sich die Geburtstagsbescherung an, die Ihnen die Mama für morgen aufgetischt hat! Hihi, ein Brüderlein! ein kleiner Dahlen! Nun ist es nichts mehr für Sie mit der dereinstigen Erbschaft! — A bah, werden sich schon selber durchs Leben schlagen, Sie sind ja ein so kluger, junger Herr.“

Aurel starrt sie an wie im Traum. „Richtig, morgen ist ja mein Geburtstag“, murmelte er, „und was hat man mir aufgebaut? Ein Brüderlein? Was heisst das?“ Und dann wie in jähem Verstehen aufspringend, umklammert er den Arm der Alten und schreit auf wie in gellendem Jubel: „Einen Bruder, einen kleinen Bruder habe ich?“

„Na na, für Sie ist die Freude dabei wohl nicht so arg“, schüttelt Christiane seine Hand unwirsch von sich ab. „Warten Sie nur noch ein paar Jährchen, dann werden Sie schon sehen, was das kleine Maul Ihnen für einen fetten Brocken wegschluckt!“

Aurel hörte kaum noch, was sie sagt, sein Herz klopft ihm hoch im Hals, er hat nur das Gefühl, als müsse er die widrige Schwätzerin mit Fäusten zu Boden schlagen und dann zu dem kleinen Bruder eilen, diesem Himmelsgeschenk, welches der barmherzige Herrgott selber für ihn, den Armen, Einsamen, in die Wiege drunten gelegt!

Leise, vorsichtig tritt er in das matterleuchtete Gemach, weit entfernt von dem Schlafzimmer seiner Mutter, in welches man die Wiege mit dem Neugeborenen gestellt. So feierlich ist es ihm kaum zu Mut gewesen, wenn er Sonntags in die Kirche getreten; er hält den Atem an und blickt starr auf die grünseidenen Vorhänge, hinter welchen ein Wesen atmet, das ihn wie durch Zaubergewalten zu sich heran zieht. Ein unendlich zartes, aber frischkehliges Geschrei begrüsst ihn, und wie Aurel behutsam die Stofffalten beiseite zieht, blickt er hochklopfenden Herzens in ein Kindergesichtchen, hochrot und ärgerlich verzogen vom Weinen, und zwei kleine, wunderkleine Händchen regen sich auf der Decke, als ob sie sich dem Bruder vorwurfsvoll entgegen heben wollten, „du siehst, wie man mich vernachlässigt, komm und hilf mir!“

Voll Entzücken fasst Aurel das winzige Patschchen, und Wunder über Wunder, der Kleine umklammert den Finger mit kräftigem Fäustchen, hält sich fest, ganz fest an ihm und schliesst die Augen zum Schlaf, als sei er nun zufrieden gestellt.

Wie ein Aufjubeln unbeschreiblicher Freude geht es durch das Herz des einsamen Knaben, er hält die Hand regungslos, zieht sich mit der Linken leise einen Stuhl heran und setzt sich neben der Wiege nieder.

Die Amme kommt und sieht nach dem Kind; es schläft, und die Bäuerin stampft träg und müde in das Nebenzimmer zurück.

So war Aurels Platz seit der ersten Stunde an der Seite des kleinen Bruders gewesen, und er blieb es sein Leben lang. Als Ortwin der Amme entwachsen war und Tag und Nacht mit gar kräftig durchdringendem Stimmlein das Elend durchbrechender Zähne beklagte, als die Kinderfrau in unwirscher Weise über den Schreihals klagte und seine Mutter ebensowenig Zeit hatte, wie ehemals für den ältesten Sohn, da wunderte man sich kaum und verwehrte es durchaus nicht, als Aurel eines Tages das Kinderbettchen mit starken Armen fasste, es in sein Zimmer neben sein eignes Lager zu tragen. Da nahm er stummen, aber energischen Besitz von dem Brüderchen, und dieweil er über seinen Arbeiten sass, bewegte er mit der freien Hand den Babywagen, unterbrach sich, den Kleinen mit rührender Geduld zu speisen, mit ihm auf dem Arme stundenlang in der Nacht umher zu wandern, ihn zu hegen und zu pflegen. Man freute sich eines solch braven Bruders, der nie ein Wort darüber verlauten liess, ob ihm ein solch mühevolles Kinderwarten Last oder Vergnügen sei, dessen Augen aber in unbeschreiblichem Entzücken strahlten, sobald ihr Blick auf dem kleinen Herzblatt ruhte. Er stürmte aus dem Gymnasium heim, warf die Bücher von sich und hob das Brüderchen voll schier mütterlicher Zärtlichkeit an die Brust empor, wenn der Kleine ihm voll Jubel entgegenkrähte; jede freie Minute gehörte Ortwin, und je mehr das stramme, blonde Bürschchen heranwuchs, je fester und inniger verschmolzen die Bruderherzen in Liebe und treuer Kameradschaft. Aurel war dem Kleinen alles. Anfänglich teilte er zwar noch des Brüderchens Liebe mit dem Oberstleutnant, welcher in seiner Art das Söhnchen verhätschelte und viel herzliche Freude an dem heranwachsenden Bübchen hatte, als aber eines Tages der Vater im stolzen roten Kleid zur Parforcejagd geritten und nicht mehr heimgekommen war, sondern mit gebrochenem Rückgrat im kleinen Jagdschloss Föhrheide lag — da war Aurel dem verwaisten Knaben Vater und Bruder zugleich geworden. Nun gehörte ihm Ortwin ganz und gar zu eigen, und niemand machte ihm mehr seinen Besitz streitig, denn die verwitwete Frau von Dahlen liess ihrer Reisepassion nun vollends die Zügel schiessen, und Ortwin hörte nur von seiner Mutter, wenn der Bruder ihm aus flüchtiger Postkarte vorlas, wo Mama sich zur Zeit amüsiere.

Aurel lebte nur noch für sein Brüderchen; jede Faser seines Herzens gehörte ihm. Er pflegte ihn während seiner Krankheiten, er spielte und lernte mit ihm, er wachte über ihn, wie über ein Heiligtum. Da war kein Gedanke in Ortwins Herzen, welchen der abgöttisch geliebte und verehrte, stille, ernste Bruder nicht gewusst hätte, und wie ein Vater seinen Liebling vor jedem Gifthauch der Welt hüten möchte, so hielt Aurel die Hände über das einzige Wesen, welches ihm Leben und Dasein lieb machte, voll eifersüchtiger Angst bemüht, ihn allem fern zu halten, was Weib hiess, denn die Frauen waren die düstern Schatten, welche ihm Herz und Seele seit Kind auf in Nacht gehüllt hatten.

Ortwin wuchs empor, ein frisches, glückseliges Kind, ein Knabe von sprudelnder Heiterkeit, voll Lebenslust und reicher Begabung, dem aber zu Aurels heimlichem Kummer auch jener eine Tropfen leichten Blutes als mütterliches Erbteil überkommen, welcher sich flott und gewissenlos über Schranken hinweg setzt, welche die Pflicht zieht. Aurel erkannte die Gefahr, und wie ein guter Gärtner war er rastlos bemüht, dieses eine Pflänzlein Unkraut zu roden und auszumerzen, eine Arbeit, welche der liebe Herrgott zu segnen schien, denn das liebe, sorglos lachende Gesicht gewöhnte sich daran, ernster zu schauen und zu denken, als man bei so grosser Jugend verlangen konnte. Aurel erweckte ihm ein fast übertriebenes Ehrgefühl, und aus Sorge nichts zu dulden, was bei Ortwins leichter Beanlagung zum Unsegen für ihn werden könne, erzog er ihn in fast pedantisch strengen Grundsätzen, welche sich wie sichere Anker an des Schmetterlings kecke Schwingen hängen sollten. Möglich, dass er darin zu viel that, aber — kann man des Guten je zu viel thun? Kann Rechtlichkeits- und Pflichtgefühl je zu gross sein?! Aurel meinte es so gut, seine ganze Seele wurzelte ja in dem kleinen Liebling, seine einzige Mission auf der Welt war es ja, im Sorgen, Hüten, Pflegen und Beschützen des Bruders aufzugehen.

Das einzige Glück, welches er noch neben Ortwin kannte, war sein Studium. Er hatte keinen grösseren Wunsch, als sein Leben im stillen Studierzimmer zu fristen, in ernstem Forschen und Schaffen zum Segen der Menschheit zu werden. Sein Abiturientenexamen war glänzend bestanden, nun sollte es auf die Universität gehen, selbstverständlich auf diejenige der hiesigen Residenz — Ortwins wegen, denn trennen konnte und durfte er sich ja nie von dem Kleinen!

Da kam ein schwerer Schlag, und wieder war es eine Weiberhand, welche voll sündhaften Leichtsinns all sein geträumtes Glück zerschmetterte. Seine Mutter kehrte hochgradig nervös und übellaunig von ihren Reisen zurück, weil sie der Mangel an Geld heimgetrieben. Da stellte es sich heraus, dass das Vermögen ihres ersten Gatten, welcher sie, und nicht Aurel, zur Erbin gemacht, weil er das Eigentum des Kindes in mütterlichen Händen am sichersten bewahrt geglaubt, vollständig verbraucht war. Herr von Dahlen aber hatte sein grosses Vermögen dem Sohn Ortwin sichergestellt und seiner Gemahlin, mit welcher er sehr unglücklich gelebt, nur eine bescheidene Rente ausgesetzt. Da war Aurel durch den Leichtsinn der Mutter zum völlig mittellosen Menschen gemacht; an Studieren war kein Gedanke mehr, und mit knirschenden Zähnen, voll unsagbarer Erbitterung, musste sich der junge Mann entschliessen, in billiger, weltferner Garnison als Avantageur einzutreten. Ein alter Onkel von ihm, leidenschaftlicher Soldat, versprach den Neffen zu unterstützen, falls er sich entschliessen wolle, Offizier zu werden und in seinem alten Regiment einzutreten. Aurel wurde ungern Soldat. Er fühlte sich herausgerissen aus den Bahnen seiner ureigentlichen Bestimmung, und das machte den so wie so schon ernst und finster beanlagten jungen Mann noch unzugänglicher und pessimistischer, als zuvor. Von Ortwin aber trennte er sich nicht. Wie ein Verzweifelter bekämpfte er die Schwierigkeiten, welche ihm Ortwins Vormundschaft in den Weg legte, und setzte es nach langen Mühen durch, dass der Stiefbruder ihn in die norddeutsche Garnison begleitete, die dortige Schule zu besuchen. Er selber hatte sich anheischig gemacht, für die Studien des jungen Dahlen zu sorgen, und da man seinen Kenntnissen sorglos vertrauen durfte, so liess man ihn nicht nur Vater und Bruder, sondern auch Lehrer des Knaben sein. Die Geselligkeit der kleinen Stadt existierte nicht für ihn, er zog sich völlig zurück und widmete jede dienstfreie Minute dem Bruder. Man nahm es ihm seltsamerweise nicht übel, im Gegenteil, das rührende Verhältnis dieses ungleichen Brüderpaares bildete lange Zeit das Gesprächsthema der ganzen Stadt, und manches Frauenauge weilte voll herzlichen Wohlgefallens auf den beiden, wenn sie einträchtiglich und voll inniger Zärtlichkeit Arm in Arm daher wandelten.

Wie zu einem lieben, unfehlbaren, andächtig verehrten Meister blickte der goldblondlockige Knabe mit dem rosigen Gesicht und den blauen, lachenden Augen zu dem jungen Offizier empor, der hoch, schlank, blass und ernst an seiner Seite schritt und dennoch so unbeschreiblich zärtlich zu dem Kleinen herniederlächeln konnte.

Man sprach viel darüber, auch über die mehr als sonderbare Mutter der beiden, deren Leumund ein erschreckender war, dessen schrille Missklänge selbst bis hierher in die weltferne kleine Stadt getragen waren. Die jungen Damen schwärmten heimlich für den interessanten Herrn Heusch von Buchfeld, welcher so gar keine Notiz von ihnen nahm, sondern mit seinem kalten, finsteren Blick so gleichgültig über sie hinweg und an ihnen vorüberschaute, als wandle er mutterseelenallein durch ein Feld von Kohlköpfen.

Verlangte es die kameradschaftliche Pflicht, dass er in geselligem Kreise im Haus seiner Vorgesetzten erschien, so stand er nach steifem Kompliment vor den anwesenden Damen, mit irgend einem älteren Herrn in mehr oder minder lebhafter Unterhaltung in einer Ecke, und musste er eine Dame zu Tisch führen, so war er ein so schweigsamer Nachbar, dass den Gastgebern der Angstschweiss ausbrach, und er das nächste Mal als überzähliger Herr den chevaleresken Verpflichtungen enthoben wurde.

Man nahm es ihm nicht übel; er war nun einmal solch wortkarger, wunderlicher Heiliger, und gerade dieses damenfeindliche Schweigen machte ihn so interessant und gab ihm in den Augen der Mütter und Töchter einen ganz besonderen Nimbus. Nun sollte und musste er erobert werden!

Die bildschöne, etwas leichtlebige Frau eines Kameraden versuchte es mit Kokettieren, — einmal und nicht wieder. Es lag ein so unbeschreiblicher Ausdruck in den düsteren Augen, welche ihr schier zornig entgegenflammten, ein so verächtliches Zucken um die schmalen Lippen des jungen Offiziers, dass es der „Madame Potiphar“ höchst unbehaglich über den marmorweissen Nacken rieselte. Sie ward verlegen, belachte ihren riskierten Scherz allein und wandte sich nach einem zweiten missglückten Versuch, ihren unzugänglichen Nachbar mit feurigsten Augenblitzen zu entflammen, zu ihrem Tischherrn, um demselben mit schaudernd hochgezogenen Schultern zu recitieren: „Mich friert, mich friert, ich möcht’ zu Hause sein!“ Sie fand bei ihm glücklicherweise mehr Verständnis für „leben und leben lassen“, und als sie später an das Klavier trat und in ihrer Soubrettenmanier die modernsten Couplets sang, da zuckte ihr Blick voll Ironie zu dem „prüden Joseph hinüber“, als sie mit schelmischem Knix trillerte:

Überm Baum, unterm Baum

D’s Eichelkatz springt.

Sucht sich a anner’ Nuss,

Wann’s die a net aufbringt!

Sang’s und that’s.

O, wie hasste, wie verabscheute Aurel diese Weiber mit dem weiten Gewissen und der laxen Moral! Lachen und singen, „immer mit leichtem Sinn tanzen durchs Leben hin“, um dabei mit schneeweissen Händchen das Lebensglück der eignen Kinder zu untergraben! Eine wie die andere. Sie tragen nur verschiedenfarbene Mäntelein, das Truggold der Satanellenflitter damit zuzudecken.

Kokettieren verfing nicht bei dem wunderlichen Patron, das sahen die Damen bald ein, und für „anschmachten“ und „anschwärmen“ hatte er vollends kein Verständnis. Ein ältlicher Blaustrumpf versuchte ihn durch geistvolle Unterhaltung zu reizen, aber sie hatte die Kenntnisse des blassen Leutnants unterschätzt und nicht geglaubt, dass er so nervös und ungeduldig werden könne, wenn eine Dame gelehrten Unsinn redet, darum war sie über seine „schroffe Lehrmeistermanier“ pikiert.

Aurel aber hatte in ihr eine neue, höchst unangenehme Species von Frauen kennen gelernt, und er legte die Hand auf den blonden Lockenkopf des Lieblings und seufzte: „Könnte ich dich doch vor der Schlange im Paradiese schützen, mein Ortwin! Mit den Löwen und Tigern wirst du schon allein fertig werden, aber die Versucherin steckt in gar schillernder Haut und gleitet so sacht — und ringelt sich so fest um die starken Männerherzen, dass sie ihr unterthan werden.

Und wenn er mit Ortwin die Klassiker las, so runzelte er oftmals die Brauen, wenn der heranwachsende Knabe voll feuerblütiger Begeisterung sich seine Ideale unter den Heldinnen wählte. Und welch einen gefährlichen Geschmack hatte er! Eine „Prinzessin Eboli“, eine „Adelheid“ im Götz von Berlichingen, eine „Helena“, die durch ihre treulose Flucht so namenloses Kriegselend heraufbeschworen hatte, interessierten ihn bei weitem mehr, wie eine „Amalia“ oder „Iphigenie“, und wenn Aurel ihm zornblitzenden Auges die Schlechtigkeit und Gefährlichkeit solcher Weiber klar legte, so warf der Bruder mit selig leuchtenden Augen das lachende Angesicht zurück, breitete die Arme weit aus und rief: „Aber sie sind ja so schön, Aurel! Siehst du, die Eboli denke ich mir gerade so, wie die Frau Leutnant von Barning, die den Spitznamen „Madame Potiphar“ bei dir hat. Siehst du, der bin ich heute auf dem Eise eine Stunde lang nachgelaufen, nur um sie anzusehen. Wie war sie so entzückend hübsch, als sie mit deinen Kameraden scherzte und lachte. Und denk doch, mir hat sie auch zugenickt — nicht einmal, nein zweimal!“

Aurel biss die Zähne zusammen, und er ward diesmal so unbarmherzig und erschreckend in seinen Zornreden gegen alles, was da Weib hiess, dass der Bruder ganz erschrocken verstummte. Einmal aber kam er mit hochgerötetem Kopf und strahlenden Augen und hielt ein Buch in der Hand: die Familiengeschichte der Dahlen, welche sein Onkel, der kommandierende General, ihm zur Konfirmation geschenkt hatte. Da stand die alte Familienlegende von dem Kunibert zu lesen, der seiner so treu und hoffnungslos geliebten Prinzessin Emma zum Lebensretter wurde, der stolz seine eigne Brust darbot und, tödlich getroffen, zusammensank mit dem ritterlichen Rufe; „Bin ich ein Schandbub, dass ich ein Weib verrate?!“

„Wenn die Frauen allesamt so schlecht und bösartig wären, wie du meinst, Aurel, würde dann mein Ahnherr eines so herrlichen Todes für die Dame seines Herzens gestorben sein?“ rief er in flammender Begeisterung.

Da war ein schwerer, mächtiger Felsen auf die sorgsam gehütete Lebensbahn geschleudert worden, und wenn Aurel auch dem Bruder an der Hand wissenschaftlicher Forschungen die Nichtigkeit dieser Tradition nachweisen konnte, da die Prinzessin Emma niemals mit Einhard, dem Biographen Karls des Grossen, entflohen ist, so stiess er diesmal auf hartnäckigen, beinahe trotzigen Widerstand bei dem so leicht entflammten jungen Menschen. Gerade in den schwärmerischsten Jahren stehend, hatte er diese herrliche Legende voll Begeisterung aufgenommen, hatte die Worte des Ahnherrn als Devise auf dem Schild geschrieben, unter welchem er für das ewig Weibliche kämpfen und siegen wollte. „Du bist eben kein Dahlen!“ hatte er ungestüm gerufen. „Du hältst das Vermächtnis meiner Väter nicht in Ehren, ich aber will es mein Leben lang thun!“

Das war das einzige Streitwort gewesen, welches je zwischen den beiden Brüdern gefallen, und als Aurel sich mit schmerzlich und herbe geschlossenen Lippen ohne Antwort an seine Arbeit setzte, da schlang Ortwin voll Reue und Zärtlichkeit die Arme um ihn und bat ihn um Vergebung.

Wie hätte Aurel diesen glückseligen Kinderaugen widerstehen können? Er zog den Liebling in die Arme und sagte leise: „Ich habe dich lieb, Ortwin! Ich möchte dich beschützen, denn meine Augen sind hell und sehen die Zukunft. Die aber kann nicht glücklich sein, solange du ein Weiberknecht bist. Gebe Gott, dass du dereinst unter all den giftgen Blumen die dornenlose Rose finden mögest — solange ich bei dir bin, soll dir keine Belladonna die Augen blenden!“

Ja, hätte er ihn immer bei sich behalten können, das Unglück wäre nie geschehen! — Ortwin war reich, sein Vormund, der General, hatte ihn für die Kavallerie bestimmt, aber die Brüder hingen in so viel Liebe und unverbrüchlicher Treue aneinander, dass der junge Dahlen voll hartnäckiger Konsequenz darauf bestand, um Aurels willen auch Infanterist werden und in seinem Regiment eintreten zu wollen. Wer aber vermag gegen den eisernen Schritt der Militaria anzukämpfen? Er zermalmt unbarmherzig die Pflänzlein Wunsch und Hoffnung und reisst auseinander, was doch mit Herz und Seele verwachsen ist.

Ortwin ward zwar Infanterist, aber den Bemühungen des Onkels war es gelungen, den jungen Mann in einem Regiment der Residenz anzubringen, und Aurel presste die geballten Hände gegen die Stirn und fluchte der Grausamkeit des Schicksals. Er war von Natur ein leidenschaftlich aufbrausender Charakter, und der düstere Ernst seines Wesens war nur das Resultat seiner unnatürlichen Erziehung.

Nun musste er seinen Liebling, seinen Sonnenschein, dahingeben, musste das blutjunge Bürschchen, vor dem die Welt noch wie ein grosses, unverstandenes Wunder in eitel Licht und Rosenglanz lag, allein hinausschicken in ein Leben voll Versuchung und Gefahr! Er hatte nur für diesen Bruder gelebt und existiert — seine Liebe für Ortwin war der gute Engel gewesen, welcher manchen Dämon der Leidenschaft in ihm gebändigt und niedergehalten hatte; nun riss der Wille des militärischen Gesetzes dieses einzig auf der Welt ihm nahe stehende Wesen unter seinen schirmenden Händen fort. Er musste sich fügen, aber er that es voll Groll und Bitterkeit.

Ortwins Briefe waren die Lichtblicke in seinem öden, vereinsamten Dasein — sie kamen sehr häufig und waren voll überströmender Liebe und Zärtlichkeit, voll Jubel und Entzücken über Welt und Leben, welches sich ihm, dem Fähnrich, bereits in liebenswürdigstem Glanze zeigte. Durch Konnexionen war der junge Mensch, noch ehe er die Epaulettes trug, in die Geselligkeit der Residenz eingeführt, und er schrieb voll wahrhaft kindlicher Begeisterung über jedes einzelne Fest, über die Menüs, die anwesenden, interessanten Persönlichkeiten, über Theater und Konzerte — über irgend eine Dame nie. Er hatte seit jener einen heftigen Scene über den Ahnherrn Kunibert niemals wieder ein Thema berührt, welches das Gespräch auf die Frauensrage hinüberspielen konnte.

So war die Zeit dahingegangen, die Brüder benutzten jeden Urlaub, sich wiederzusehen, und weil es Aurel wünschte, kam der Jüngere zu ihm; die Residenz und ihr flottes Leben war dem wunderlichen Grillenfänger Heusch von Buchfeld verhasst. Nie fiel ein Wort, welches ihn um des jungen Bruders Glück besorgt machen konnte, bis plötzlich wie ein Blitz aus heiterem Himmel die entsetzliche Nachricht kam, welche ihn an die Bahre des Lieblings rief. Da war alles aus, da lag alles Lebensglück zertrümmert.

Der bleiche Träumer sprang empor und presste mit flackerndem Blick die eiskalten Hände gegen die Schläfen. Was sollte er nun noch auf der Welt? Was kettete ihn noch an ein Leben, das jeglichen Wert und jeden Reiz, für ihn verloren? Ein Leben, welches ihn stiefmütterlich und grausam vernachlässigt hatte, solange er denken konnte. Wie das Blut ihm wirbelnd in die Schläfen schiesst! Es kreist und wallt blutrot vor seinen Augen — nur eines fasst sein stierer Blick, nur eines sieht er noch, und das lockt und zieht ihn wie mit teuflischen Gewalten. — Der Revolver liegt vor ihm, welcher Ortwins Leben geendet. Warum endet er nicht auch das des Bruders? Es ist überflüssig geworden, nutzlos und finster. Seine Finger fassen die Waffe und umkrampfen sie — all seine Sinne sind krank und wirr, sein guter Geist hat ihn verlassen, er hat nur noch einen Gedanken: ein Ende zu machen! Da schlägt seine Hand mit dem Revolver hart auf den Tisch zurück. Wie ein Irrsinniger schaut er auf den Bataillonsadjutanten, welcher vor ihm in der Thür steht.

„Verzeihen Sie, Herr von Buchfeld, würden Sie momentan in der Lage sein, eine wichtige Unterredung zu gewähren?“

„Ihnen?“

„Nein — eine Dame wartet in meinem Zimmer; ich teile Ihnen zuvor das Nähere mit.“

In Ungnade - Band I

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