Читать книгу Von Gottes Gnaden - Band II - Nataly von Eschstruth - Страница 6
XV.
ОглавлениеVor dem Opernhaus herrschte das aussergewöhnlich rege Leben, Hasten und Treiben, welches jede Premiere mit sich zu bringen pflegt.
Pünktlicher wie gewöhnlich rollten die Equipagen herzu, elegante Schleppen rauschten durch die Foyers, Uniformen blitzten, eine auffallende Menge von Herren in Frack und Klapphut befand sich unter dem erregten Publikum.
Wahrhafte Freunde der Musik, kunstsinnige Laien und ausübende Künstler, Fremde im markierten Reisekostüm und skandalsüchtige Mitglieder der Gesellschaft, welche keine Erstaufführung versäumen wollen, in der Hoffnung, einen „kleinen Radau“ zu erleben. —
Eine neue Oper ist immer ein Ereignis, und mit welch ausserordentlicher Spannung es diesmal erwartet wurde, bewies der Ausdruck der Gesichter, das lebhafte Gestikulieren, das Für- und Widerreden der einzelnen Trupps, welche plaudernd zusammenstanden.
Die grimme Schar der Kritiker, teils wohlwollend unparteiisch, teils von vornherein absprechend und missgünstig nach den unbedeutenden Erstlings-Kompositionen des jungen Künstlers urteilend und um ihretwillen sofort alle weiteren Leistungen verurteilend, nahmen voll hoher Erwartung ihre Plätze ein, die Brillengläser putzend, wie ein Schlächter das Messer wetzt.
Agenten tauschten ihre Hoffnungen und Befürchtungen aus, die „Geschäftsleute“ der Musikbranche berechneten und überlegten ... aller Augen hafteten an dem Vorhang, als hinge das Wohl und Wehe eines Weltalls von seinen Enthüllungen ab.
Der erste Rang war von sehr vielen Damen besetzt. Die Mütter voll stolzer Genugthuung, dem Hause des jungen Komponisten gesellschaftlich nahe zu stehen, die Töchter glühend und fiebernd in freudiger Ungeduld, alle aber überzeugt davon, dass der heutige Abend ein grosser, eminenter Triumph für Joël Eikhoff und seine Anhänger werden müsse.
Waren nicht schon so viele alarmierende Nachrichten in die Öffentlichkeit gedrungen, wie die Intendanz, die Kapelle und die Sänger begeistert von dem neuen Werke wären?
Ein Klopfen am Notenpult des Kapellmeisters. Das leise Schrillen und wirre Durcheinander des Geigenstimmens bricht ab. —
In die Loge des Intendanten ist die Mutter des Komponisten getreten. Eine wundervolle Toilette glimmert und schillert in leuchtenden Atlasfalten um ihre elegante Figur. Sie nimmt Platz, entfaltet den Fächer und beugt sich vor, voll ungenierter, selbstbewusster Sicherheit den Bekannten zuzunicken.
An ihrer Seite erscheint eine Mädchengestalt, ganz in Weiss gekleidet, eine schlichte, liebliche Erscheinung mit schüchtern gesenkten Augen und wechselnder Blässe und Röte auf den Wangen. Neben Frau Elly sieht sie aus wie ein Schneeglöckchen neben der Königin Rose.
Im Hintergrund der Loge, kaum zu erkennen, lehnt ein blonder, breitschulteriger Civilist an dem Pfeiler, höflich zurücktretend, um der Familie des Intendanten den Weg zu den Sesseln neben der Geheimrätin frei zu geben.
Und nun das erste Zeichen des Taktstockes.
Totenstille.
Da brausen und wirbeln die Klänge in rasendem Tempo einsetzend, wie ein jäh entfesselter Feuerstrom durch das grabesruhige Haus, eine feuerblütige, ganz eigenartige Melodie entwickelt sich, sie packt den Zuhörer und übt einen gewaltigen Reiz aus. Und immer genialer, oft etwas unvermittelt und sprunghaft, spinnt die Ouverture ihre goldenen Fäden, zeitweise einen hohen, wahrhaft dramatischen Aufschwung nehmend, meist aber eine Fülle von Melodien ausströmend, welche ihren Eindruck nicht verfehlen. Die Musik wirkt in hohem Grade originell und darum zündet sie.
Als ein greller, überraschender Trommelwirbel, in welchen sich als Übergang hinter dem Vorhang ein rollender Donner mischt, und ein zischender Klang der Becken, welcher von flammenden Blitzen illustriert wird, die Ouverture abschliesst und der Vorhang empor rollt, um die entzückende Scenerie einer gewitterdurchstürmten nächtlichen Dorfstrasse zu zeigen, — da wagte sich ein erster, stürmischer Applaus hervor, erstirbt jedoch unter der Stimme der Sängerin, welche im höchsten Affekt der Leidenschaft als Hilfeschrei das Wetter durchgellt.
Und Scene folgt auf Scene.
Das Libretto ist packend und erschütternd, die Musik gleicht einem Zauberquell, welcher unerschöpflich neue Melodiengarben versprüht.
Als der Vorhang nach dem ersten Akt fällt, schweigt das Publikum sekundenlang wie unter dem Bann eines Rausches, dann aber bricht der Sturm mit doppelter und dreifacher Gewalt hervor, ein jubelnder, unaufhaltsamer Beifall ruft den jungen Künstler vor die Lampen.
Er erscheint, — die Vertreterin der Dorflurle voll bescheidener Eleganz dem Auditorium zuführend, als sei der Erfolg einzig ihrer meisterlichen Vertretung zu danken.
Von neuem durchbraust der Beifall das Haus, zum zweiten und dritten Mal muss Joël sich den begeisterten Zuhörern zeigen. Er thut es in sehr anspruchsloser Weise, sein schönes Antlitz drückt die liebenswürdigste und gewinnendste Dankbarkeit aus.
Die Geheimrätin sitzt hoch aufgerichtet, ihre Augen strahlen, die Erregung droht ihr die Brust zu zersprengen. Sie umkrampft Erikas Hand und stösst hochatmend durch die Zähne hervor: „Ein solcher Augenblick wiegt Kaiserkronen auf!! — Erika, Mädchen ... jener Mann dort, der grösste Künstler, der gottbegnadete Unsterbliche — er ist mein Sohn!“
Das junge Mädchen nickt stumme Antwort. Sie will sprechen, aber sie kann es nicht. Tausend leidenschaftlich erregte Gefühle schwellen ihr Herz! Gehört dieser Erfolg nicht auch zur Hälfte ihr? Riefen nicht viele Stimmen im Publikum: „Librettist! — Dichter des Textes!“
Das ist sie. — Gehört sie nicht an Joëls Seite? Gewiss; dieser Beifall, dieser Jubel ruft auch sie. Ach wie gut, dass sie sich hier im dunklen Winkelchen verstecken kann, sie würde sterben vor Verlegenheit, wären aller Augen auf sie gerichtet, wie soeben auf Joël! — Nein, sie verlangt nicht auf die Bühne, sie erntet hier noch viel besser, viel beglückender ihren Teil des Lorbeers.
Sie hört, sie sieht, dass ihr Werk gefällt, mehr verlangt sie nicht. Das Bewusstsein, etwas Schönes und Herzbewegendes geschaffen zu haben, die eigene, tiefergreifende Freude bei dem Anblick ihres Stückes, die Gestalten ihrer Phantasie verkörpert vor Augen zu sehen, ist genug des Lohnes! —
Was würde es ihr nützen, wenn Hunderte von neugierigen Augen sie anstarren in dem Gedanken: „Also dieses unbedeutende, kleine Mädchen hat die ‚Dorflurle‘ ersonnen!“ — es würde sie höchstens beschämen. Nein, sie wird ihr liebes Geheimnis keiner Menschenseele verraten, höchstens ... höchstens ihm! — Heute abend, ganz leise will sie es ihm gestehen!
Ihre Seele schwankt zwischen dem brennenden Wunsch, in seinen Augen einen Triumph feiern, seinen Erfolg mit ihm teilen zu können, und dem spröden Stolz, welcher dieses Mittel verschmäht, sein Herz zu gewinnen.
Die Gedanken, welche hinter ihrer Stirn wirbeln, haben sich noch nicht geklärt, als der Vorhang zum zweitenmal aufrollt.
Wieder brilliert die Musik in den originellsten, reizvollsten Phantasien. Wort und Dekoration, sowie die meisterliche Wiedergabe der Künstler unterstützen sie und der Beifall wächst zu stürmischen Ovationen an. Nur Erika starrt regungslos, mit grossen, entsetzten Augen auf die Bühne, öffnet mit bebenden Fingern das Textbuch und liest die Worte nach.
Sie glaubte nicht recht verstanden zu haben, aber nein ... hier ... hier steht es wahrlich schwarz auf weiss. Die gedruckten Buchstaben tanzen vor Erikas Augen, glühende Blutwellen schiessen in ihr Antlitz.
Ihr Text ist abgeändert.
Die keuschen, zarten Verse, welche die „Dorflurle“ klagend zu singen hat, dass sie ein verlassenes, verratenes Weib ist, dass ihr Gatte den heiligen Schwur vor Gottes Traualtar gebrochen, — die sind gestrichen und anstatt ihrer ist ein wilder Ausbruch der Leidenschaft gesetzt, der verrät, dass die Heldin eine gesunkene und verlorene Seele, dass sie nicht das Weib, sondern die Geliebte gewesen, dass ihr Sohn ein Kind der Schande ist!
Wie ein Schwindel des Entsetzens erfasst es Erika. Welch ein anstössiges Stück, voll sinnlicher Begierde und Leidenschaft ist aus ihrem so rein empfundenen Werk geworden!
Man hat eine weisse Rose genommen und sie in den Sumpf getaucht!
Und neue, immer neue Abänderungen! — In den Augen des jungen Mädchens erscheinen sie schmachvoll. — Nicht der hohe Psalter der Liebe klingt aus ihren Worten wieder, sondern eine lasterhafte Liebesglut, vor der sich ihre unberührte Kinderseele entsetzt! — Und zu diesem Stück soll sie sich als Autorin bekennen?
Sie würde vor Scham vergehen!
Was die wenig skrupulösen Residenzler höchstens pikant und prickelnd anmutet, entsetzt das keusche Heidekind und lässt ihre Wangen erbleichen.
Thränen der Empörung blitzen in ihren Augen, mit übermenschlicher Anstrengung kämpft sie dieselben nieder. Welch ein Glück, dass die Geheimrätin von glückwünschenden Schmeichlerscharen umdrängt wird, dass sie in ihrem betäubenden Glück ganz vergisst, die Nichte vorzustellen.
Die übermächtige Erregung muss sich in ihren Zügen spiegeln, sie sieht wenigstens, wie Wigand neben sie tritt und ihr mit angstvoll forschendem Blick in die Augen schaut.
Da presst sie die Zähne zusammen und beherrscht sich. Aber ihr Herz zittert vor Empörung und vor ihrem Munde liegen seit dieser Stunde sieben Siegel, welche auch vor Joël ihr Geheimnis hüten sollen. — Nun kann sie sich ja niemals zur Verfasserin eines Stückes bekennen, dessen Inhalt sie erröten lässt, — auch Joël gegenüber nicht, denn dann muss sie ihm Vorwürfe über die eigenmächtige Verunglimpfung ihres Werkes machen, und dieses Thema ausführlich mit ihm zu besprechen, vermag sie nicht. Wie geistesabwesend starrt sie auf die Bühne, woselbst sich der Vorhang zum dritten und letzten Male hebt.
„Eine grossartige Steigerung des Textes!“ hörte sie einen Herrn mit goldener Brille, welcher, im Parkett stehend gegen ihre Logenbrüstung lehnt, einem andern Civilisten zuflüstern, den die Geheimrätin ihr zuvor als bedeutenden Kritiker und Recensent genannt hat, „und die Musik hält wahrlich bis zum Schluss mit geradezu verschwenderischem Melodienreichtum gleichen Schritt!“
„Hm, recht viele originelle, sehr ansprechende Melodien, aber keine rechte Einheitlichkeit! Mir kommt die Oper vor wie ein Potpourri, das eine Anzahl schöner Weisen in oft nachlässig trivialer Art zusammenschmilzt. Die Instrumentierung lässt stellenweise viel zu wünschen übrig und die ‚Technik‘ ist gleich Null. Aber das verzeiht man dem Anfänger um seiner wahrhaft genialen Schöpfung willen! — Da sagt man nun, das Publikum der modernen Richtung habe dem melodiösen Tongemälde abgeschworen! Lächerlich! — Heute abend kann man sich überzeugen, welch unwiderstehlichen Reiz eine fein empfundene, eigenartige und feurige Melodie auszuüben vermag!“
Erika überzeugt sich auch davon.
Selten hatte ein derart tumultuarischer Applaus das Haus erschüttert, wie an diesem Abend, und als Joël wieder und immer wieder erscheinen musste, als die Lorbeerkränze dichter und dichter zu seinen Füssen niederfielen, da hob der gefeierte Künstler das Haupt stets selbstbewusster auf den Schultern und das Lächeln, mit dem er dem Publikum dankte, war nicht mehr so liebenswürdig, wie zuvor, sondern drückte nur noch nachlässige Huld aus. —
Wenige Augenblicke danach erschien er in der Loge, um seiner Mutter die Hand zu küssen. Es geschah in der ihm eigenen, etwas theatralischen Weise, welche stets den Effekt bei dem Zuschauer berechnet. —
Wieder stürmte die Schaar der begeisterten Freunde, der Agenten und Neugierigen die Loge, die Ovationen „en detail“ zu wiederholen, und Erika stand im fernsten, dunkelsten Eckchen und wunderte sich, mit welch blasierter Gleichgültigkeit Joël seinen Erfolg plötzlich aufnahm. Hatte sie doch seine fiebernde Aufregung gesehen, in welcher er vor Beginn der Oper im Salon daheim auf und nieder gerast war.
Da zitterte er in dem Gedanken, dass irgend eine Widerwärtigkeit, ein tückischer Zufall, eine Rancüne seiner Gegner und Neider die Dorflurle noch im letzten Augenblick zu Fall bringen könne, und nun stand er so erhaben lächelnd, als sei ihm keinen Augenblick ein Zweifel an seiner Unfehlbarkeit gekommen. Wie war ein solches Wesen in dieser Stunde möglich? — Das junge Mädchen begriff es nicht.
Ehe die herbe, schmähliche Enttäuschung kam, welche sie durch die Verunstaltung des von ihr geschriebenen Textes erlitten, war ihre ganze Seele voll Licht, voll inniger, dankbarster, warmherzigster Begeisterung.
Wie musste die tiefe Bewegung, das Glücksgefühl dieser erhebenden Stunden sich erst auf Joëls Antlitz spiegeln, bei ihm, dessen höchstes Ziel, dessen jahrelang brennender Wunsch, dessen ganzes Streben und Verlangen an diesem Abend so glänzend erfüllt wurde! — Und nun stand er da, kaum sich höflich verneigend, das Haupt selbstbewusst im Nacken, mit der Miene eines Triumphators, der nicht seinen Tribut vom Volke dankbar entgegen nimmt, sondern ihn fordert.
Die Lorbeerkränze hatte er achtlos beiseite auf einen Sessel geworfen, seine Augen suchten aufblitzend in den Reihen des Publikums, als wolle er noch von jedem einzelnen Gesicht einen Hymnus der Verzückung ablesen.
Da ein kleines Ballett die Vorstellung beschliessen sollte, nahm die Menge ihre Plätze nach kurzer Pause wieder ein.
Joël trat hinter den Sessel seiner Mutter. „Ich hatte eigentlich die Absicht, dich hinter die Coulissen zu führen, liebe Mama, damit du den Sängern auch ein paar Worte der Anerkennung sagen solltest. Die Zeit ist aber zu knapp geworden und ich denke, du holst das Versäumte nachher in unserm Hause nach. Mit deiner gütigen Erlaubnis habe ich die mitwirkenden Künstler eingeladen, noch ein Glas Sekt auf das Wohl des ‚Neugeborenen‘ bei uns zu leeren. Wie ich hörte, hast auch du soeben noch Einladungen ergehen lassen. Sind wir irgendwie an Platz und Raum gebunden?“
„Durchaus nicht, Darling! Ich habe mich auf viele Gäste eingerichtet und darum Buffet bestellt.“
Die Sprecherin wandte sich hastig um, zu Mister Smith, welcher mit einem gigantischen Blumenstrauss erschien, um auch der Mutter des Gefeierten eine Huldigung darzubringen.
Sie war entzückt, brillierte sehr laut mit ihrem tadellosen Englisch und nahm den ziemlich schweigsamen Sohn Albions durch zahllose kleine Liebenswürdigkeiten derart in Anspruch, dass weder er noch sie Zeit für ihre Umgebung hatten.
Mister Smith lächelte wie ein Kater im Sonnenschein und liess die Koketterie der schönen Frau widerstandslos über sich ergehen.
Joël wandte sich zum erstenmal zu Erika und Wigand, ihnen gönnerhaft die Hände entgegen zu strecken.
„Nun, Kinder — seid ihr ganz — oder halb weg?“ — scherzte er. —
„Erika ist sprachlos und Landen wortlos — na — auch in diesem Verstummen liegt eine Eloge, dieselbe, welche die schöne Helena empfand, als sie in den Rat der Männer trat und diese bei ihrem Anblick vor Staunen und Entzücken ebenfalls — — sich ... ausschwiegen!“ — Er lachte wohlgelaunt auf, gleicher Zeit sich etwas vorneigend und starr in die gegenüber liegende Loge schauend
„Die schöne Helena!! bless me! wenn man von dem Fuchs spricht, steht er bereits hinter der Hecke! — Sehen Sie doch einmal, Heideblümchen, welch eine eigenartige Frauengestalt mir soeben die Ehre erweist, ihr Opernglas auf mich zu richten! — Erkennen Sie die Dame, Erika? Ich meine die weissgekleidete — à la griechische Statue anzuschauen!“ —
„Sie ist mir bereits als interessante Schönheit aufgefallen!“ — nickte das junge Mädchen zerstreut, während Wigand etwas missbilligend das Haupt wegwandte.
„Ihre Erscheinung ist derart auffallend, dass ich noch nicht ganz einig mit mir bin, auf welches Genre von Emancipation ich sie taxieren soll!“ —
„Auffallend! — o du keuscher Josef! Wenn du diese decente Toilette schon auffallend nennst, was wirst du erst beim Anblick unserer extravaganten Schönen sagen! Jene Dame hat sich etwas griechisch gekleidet — der goldene Gürtel, die Frisur mit dem antiken Diadem — findest du es etwa geschmacklos? ich nicht. Ah! endlich lässt sie das Glas sinken. Welch scharmantes Lächeln! Ich glaube ‚sie errötet unter meinem Blick! — Geistvolles, pikantes Gesicht, ganz meine Passion! Aha ... Madame will ein wenig kokettieren ... gut, ich nehme Amors Fehdehandschuh auf!“ —
Joël strich das dunkle Schnurrbärtchen herausfordernd empor, und blitzte das fremdartige Gegenüber mehr kühn wie respektvoll an.
Die Dame in Weiss wandte sich brüsk ab und redete sehr lebhaft mit den Herren und Damen ihrer Umgebung.
„Länger wie zwei Minuten schmollt sie nicht; wetten Wigand?“ — lachte Eikhoff.
Keine Antwort.
Statt dessen ein leises Auflachen des Sprechers.
„Da haben wir sie schon wieder! — ‚Blickchen hin und Blick hinüber!‘ — zappelt bereits wie ein Fisch an der Angel. Was auf der Bühne passiert, ist ihr absolut gleichgültig. Mein Wort darauf — im Foyer begegnen wir uns nachher.“
Da Erika und Landen mit vollstem Interesse dem sehr poetischen und hübschen Ballett zu folgen schienen, widmete sich der Komponist der Dorflurle mit um so ungeteilterer Aufmerksamkeit der schönen Ausländerin. —
Ausländerin! Wie ein Blitz schoss ihm jählings ein Gedanke durch den Kopf. Daphne! Wäre es denkbar, dass er die Gesuchte hier vor Augen hat?
Die Beschreibung, welche man ihm in Gutland von ihr gemacht, könnte genau stimmen.
Das leicht gewellte Haar, sehr tief in die Stirn gelegt, die dunklen, geistsprühenden Augen, das zarte, etwas wachsbleiche Gesicht mit den schön gezeichneten Lippen ... ihre aussergewöhnliche Kleidung, welche fraglos eine Nachahmung griechischen Gewandes sein soll ...
Aber unglaublich! wie sollte sie diese kleine Komödie, diese übermütige Reisetollheit auch hier in der nüchternen, nordischen Hauptstadt fortführen? Spielt sie etwa auch hier die göttliche Daphne, welche vor einem Apollo flieht?
Eikhoff lächelt mit der Miene des sieggewohnten Frauenlieblings.
„Bah, kleine Unsterbliche — den Apollo sollst du finden! und wenn ich genug gelernt in Weiberaugen zu lesen, — so entfliehst du ihm dieses Mal nicht! — einen Teil von dir habe ich heute schon erbeutet, den Lorbeer, in welchem deine verzauberte Seele wohnt!“
Es war, als ob die eigenartige Frau seine Gedanken von weitem aus seinem Auge abgelesen und verstanden hätte. Sie gab das prüde Abwenden und Verstecken hinter dem Fächer auf, um ihre Blicke lang und träumerisch, gross aufgeschlagen auf ihm haften zu lassen. So starrt ein Reh gebannt und geängstigt in ein helles Licht, welches blendend vor ihm aufzuckt.
Joël hatte viel zu viel Erfahrung in solchem „Vorpostengeplänkel“, um nicht überzeugt zu sein, dass dieser Augenaufschlag, dieses „Festsaugen“ des Blickes gar fleissig und wohlberechnet vor dem Spiegel eingeübt war, aber gerade diese Überzeugung reizte ihn an, der schönen Sirene waghalsig in den Weg zu treten.
War es Daphne, so hatte eine neue, pikante, kleine Liebesepisode ihren interessanten Anfang genommen — für einen echt griechisch sonneglühenden und liebesprühenden Inhalt zu sorgen, soll sein Werk sein, und es soll ebenso sieghaft glücken, wie schon so manches andere. —
Joëls Blick sprang plötzlich ab und streifte Erika. Er lächelte, lächelte über sich selber und sein flatterhaftes, unberechenbares Herz.
Soeben hatte er neben der kleinen Unschuld vom Lande Platz genommen, mit dem Vorsatz, ihr ein wenig die Cour zu machen und sich an dem naiven, übermächtigen Eindruck zu ergötzen, welchen ein derartiger Triumph auf ein so unberührtes, weltfremdes Kinderherz machen musste, und nun sitzt er an ihrer Seite und liegt mit allen Gedanken in dem Zauberbann eines fremden, koketten Weibes. just, als habe klein Erika der Erdboden verschlungen, Wie ist er überhaupt auf die absurde Idee gekommen, dieses nüchterne, duftlose Blümlein hierher unter Belladonna und fliegende Herzen zu holen?
Wenn er ihr beinahe starres, heute so bleiches und kühl abweisendes Gesichtchen ansieht, begreift er nicht, was ihm eigentlich an dem Beifall dieses so absolut uninteressanten Wesens liegen konnte!
Je nun, der Abwechslung halber hatte er sich einmal mit einem Heideblümchen schmücken wollen, weil er sich an dem modernen Blumenflor der leichtlebigen Grossstadt satt geschaut hatte.
Nun war etwas Unerwartetes dazwischen getreten.
Der Lorbeer, welcher die verzauberte Daphne birgt, ist vielleicht der seltenste und eigenartigste Schmuck für einen Künstler.
Die mandelförmigen, träumerischen Augen der schönen Griechin brennen immer heisser in den seinen. Sie macht kaum noch ein Hehl daraus, dass Joël Eikhoff das einzige Wesen im weiten Weltraume ist, welches sie interessiert.
Wer aber hätte an dem heutigen Abend anders empfunden?
Wohin der gefeierte Mann blickt, grüsst ihn die Bewunderung und Begeisterung aus jedem Auge, und dennoch kehrt sein Blick stets zu dem einen Antlitz zurück, welches sich mit dem reizenden Schleier des Geheimnisvollen umhüllt. Wie gleichgültig, wie teilnahmlos sitzt Erika an seiner Seite!
Das thörichte Ballett, harmlos wie Zuckerwasser und poetisch solide wie eine Kindergeschichte, scheint sie derart zu fesseln, dass sie ganz und gar vergisst, neben wem sie eigentlich sitzt.
Was würden sämtliche anwesende Damen darum gegeben haben, in dieser Stunde neben dem Komponisten der Dorflurle sitzen und zeigen zu dürfen, dass ein verwandtschaftliches, freundschaftliches, oder noch zarteres Band sie aneinander fesselt. Wie leicht hätte die Kleine ein paar Strahlen seiner Ruhmessonne auch auf sich hinüberleiten können, wie leicht die Aufmerksamkeit der Menge auch auf sich lenken, um Zinsen daraus zu schlagen, so dicht am Brennpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen!
Aber der Begriff Eitelkeit schien für das harmlose Kind ein völlig unbekannter zu sein und so sehr, wie sonst das Ewig-Weibliche es liebt, sich in gutem Lichte zu präsentieren und vor einer neugierigen Menge alle Mittel spielen zu lassen, so gleichgültig und verständnislos wies Erika jeden Vorteil zurück, sie zerrann wie ein fahler Nebelstreif in dem Strahlenglanz des aufgehenden Ruhmesgestirns eines Joël Eikhoff.
Die Vorstellung näherte sich dem Ende; ein Applaus welcher nur wie ein schwaches Echo des Vorhergegangenen erklang, erstarb schnell in dem lauten Geräusch des allgemeinen Aufbruchs.
Stühle klappten, Stimmen brausten durcheinander, Lachen, Rufen, Schlurren, ein Begrüssen und Lebewohlsagen.
Wieder waren Mutter und Sohn Eikhoff der stürmisch umringte Mittelpunkt einer Menge, welche gar nicht Worte genug finden konnte, ihren Enthusiasmus dem „göttlichen Unsterblichen“ gegenüber auszudrücken. Erika stand weit zur Seite und liess sich von Wigand den Mantel um die Schultern legen.
„Was fehlt dir, Kousinchen? Du siehst so ... so absonderlich aus, als ob die Dorflurle auf dich nicht den Eindruck gemacht hätte, wie auf die Schar jener Sterne dort, welche die Sonne umkreisen! — Gefiel dir die Oper nicht? Auf mich hat die Musik einen schönen, wirklich grossen Zauber ausgeübt!“
Sie nestelte mit bebenden Fingern an dem Mantelhaken, so eifrig, dass sie nicht aufblickte.
„Und der Text?“ fragte sie leise, —„wie gefiel dir der?“
Er zuckte die Achseln. „Das dürfte allerdings Geschmackssache sein. Mir ist es unfasslich, warum die moderne litterarische Kunst sich meist so anstössige Vorwürfe wählt. Man hätte die Dorflurle mit Leichtigkeit zu einer schuldlosen, sehr sympathischen Frauengestalt machen können. Aber diese Verirrung des Dichters darf man doch unmöglich dem Komponisten zum Vorwurf machen!“
„So? — wahrlich nicht?“ Ihre Stimme klang so eigentümlich gedehnt, dass er sie überrascht anblickte.
„Hältst du Joël etwa auch für den Librettisten?“
Sie schüttelte beinahe heftig, mit ironischem Lächeln das Köpfchen. „Nein!“
„Nun, wie wäre er alsdann verantwortlich?“
„Lass uns nachher darüber sprechen.“
„Warum später? Wir stehen hier so isoliert, dass kein Mensch auf uns achtet oder hört.“
„Gut. Denke dir, ich habe die Überzeugung, dass Joël den Text abgeändert hat, dass er den Dichter bestimmte, ein Werk, seinem Geschmack angemessen, in solch schmutzige Tinten zu tauchen.“
„Glaubst du? Das wäre empörend. — Warum taxierst du aber Joëls Geschmack so sehr niedrig? Lag in seiner Musik nicht ein so edler, idealer Zug, dass man kaum an eine realistische Richtung glauben konnte?“
„Nach Joëls eigenem Ausspruch interessiert ihn kein weibliches Wesen, welches als Verkörperung der Tugend erscheint!“
„Und das sagst du?!“ — Heisse Glut stieg in Landens Antlitz, er neigte sich vor, als habe er nicht recht verstanden.
Erika senkte in momentaner Verlegenheit die Augen. „Und warum soll ich es nicht sagen? — Können wir alle uns nicht täglich davon überzeugen? Machte er ein Hehl daraus, dass ihm die Dame in dem griechischen Kostüm, welches du tadeltest, lebhaft interessierte, so lebhaft, dass er ununterbrochen mit ihr kokettierte?“
Momentan schwieg Wigand. Die Freude, welche er soeben empfunden, neigte schon wieder schmerzlich enttäuscht das Haupt.
Eifersucht! — Was er für klaren, ruhigen Scharfblick gehalten, war nichts anderes, als ein Gefühl bitterer, leidenschaftlicher Eifersucht!
Wie war das auch anders möglich! — Welch ein Herz, dessen Liebe einem Joël Eikhoff gehört, konnte an diesem Abend gleichgültig bleiben, wo dem jungen Komponisten nicht nur Lorbeeren, sondern auch ungezählte purpurrote Rosen zu Füssen gelegt wurden?
„Das ist leider die hässliche Angewohnheit und Einbildung von so vielen Künstlern, dass sie in dem frivolen Wahn stehen, nicht nur für eine, sondern für alle leben zu müssen! Die Bräute und Frauen berühmter Männer dürfen nicht eifersüchtig sein, sondern müssen das Herz des Geliebten mit der ganzen Welt teilen. Dafür ist die Ehre und Auszeichnung, unter Tausenden die Erkorene zu sein, der einzige Lohn!“
Erika presste die Lippen zusammen. „Wie schlimm wäre es, sollte es von dieser bösen Regel nicht auch Ausnahmen geben! — Glaubst du auch, dass es die Künstlerinnen den Künstlern gleichthun?“
„Ich kenne zu wenig berühmte Damen, um darüber urteilen zu können. Aber ich gestehe dir ehrlich, dass ich der Ansicht bin: Wer so mit allen Gedanken und allem Schaffen und Arbeiten nur für das Publikum, die Menge, lebt, kann unmöglich das Herz in einen so kleinen, engbegrenzten Horizont einer einzigen Liebe zwängen!“
Sie blickte beinahe entsetzt zu ihm empor. Ihr Antlitz brannte wie in Schamesglut.
„Gott im Himmel, wie furchtbar wäre es, wollten alle so urteilen, wie du. Leider Gottes mag sich viel Leichtsinn und Flatterhaftigkeit hinter den Schild der freiliebenden Künstlerseele flüchten, aber diese Menschen sind wohl nicht die massgebenden und echten Künstler, sie sind nicht die von Gottes Gnaden, sondern nur deren Zerrbilder, welche die gesamte Genossenschaft in Misskredit bringen.“
Sie unterbrach sich, wandte sich erregt um und folgte der Geheimrätin, welche dringend nach ihnen rief. Es war die höchste Zeit, wenn nicht die Gäste das Eikhoffsche Haus eher betreten sollten, wie die beiden so sehr in Anspruch genommenen Wirte.
Wigand schloss sich den Voranschreitenden an. Er war betroffen durch Erikas Heftigkeit und wusste sie nicht zu deuten.
Hatten nicht Thränen des Ingrimms und Zorns in den sonst so sanften, lieblich strahlenden Augen geblitzt?
Wie hoch mussten die Wogen der Erregung in dieser jungen Seele gehen, wie tief musste die Neigung für Joël in ihr wurzeln, dass der Erfolg dieses Abends so schmerzliche Schatten über den Glückshimmel des armen Mädchens werfen konnte!
Landen seufzte tief auf.
Wie glücklich und zuversichtlich hatte er gestern noch dem so lange gefürchteten Abend entgegengeschaut, und nun hatte derselbe ihm so traurige Enthüllungen gebracht.
„Wo ist Joël geblieben? Joël, Joël!“ rief die Geheimrätin aufgeregt.
Die Equipage fuhr vor. „Wir dürfen nicht zögern, sonst schickt der Schutzmann den Wagen sofort in die Reihe zurück.“
„So lass uns doch fahren, Tantchen! Wir schicken den Kutscher zurück. Bis Joël sich aus den Polypenarmen seiner Enthusiasten gerissen, ist Heinrich längst zurück.“
„Sehr recht, liebes Kind! Bitte, einsteigen.“
Wigand schaute Erika starr an. War sie es wahrlich gewesen, welche so ruhig und gleichgültig den Vorschlag machte, ohne den Gefeierten heimzufahren?
Die schöne Griechin stand noch auffallend zögernd in der Nähe des Portals und musterte Erika mit zwinkerndem Blick; überliess sie Joël wirklich so ohne Widerstand einer eventuellen Annäherung mit dieser Circe?
Ja! Wie sie soeben der Geheimrätin die „neueste Schwärmerei“ ihres Sohnes zeigte und lächelnd bejahte, als Frau Elly die Fremde sehr schön und eigenartig fand, schien sie die verkörperte Gleichgültigkeit zu sein.
Wigand presste die kalte Hand gegen die Stirn. Er war nie ein grosser Menschenkenner gewesen, aber sich auf Mädchenherzen und Weiberlaunen verstehen — das ging über sein Können!