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Zweites Kapitel.
ОглавлениеAls Bonaventura der Komtesse Malva den Arm bot, sie zum Souper zu führen, fiel es ihm auf, daß Fräulein von Heym, welche beobachtend in der Nähe stand, ihrem Tischherrn etwas zuflüsterte, worauf dieser mit einem seltsamen Lächeln höflich das elegant frisierte Haupt neigte und sich möglichst unauffällig an Völkerns Sohlen heftete.
Man aß an kleinen Tischen, welche für die Jugend teils in dem Wintergarten, teils in den daranstoßenden geräumigen Bibliothekzimmern des Hausherrn aufgeschlagen waren. Bonaventura hatte Plätze für seine Dame und sich im Wintergarten belegt, und da er nach der langen Unterhaltung mit seinem Freund Sacken merkwürdig zerstreut war, hatte er kaum daran gedacht, ein paar gute Freunde an demselben Tisch zu plazieren. Ja, als ein Garde-Ulan ihn im Vorbeischreiten fragte: »Ist noch Platz bei Ihnen, Völkern?« hatte er nur geantwortet: »En masse!« ohne sich auch nur zu erkundigen, welche Dame der Graf ihnen noch zuführen wollte.
Sonst hatte er möglichst dafür gesorgt, daß Malva und er recht ungestört plaudern konnten und nur die besten Bekannten in der Nähe saßen — heute hatte er nicht daran gedacht — ja, er drängte den Gedanken etwas gewaltsam zurück, daß er dem geliebten Mädchen besondere Worte zu sagen habe, welche für die Ohren gleichgültig fremder Lauscher nicht taugten.
Dennoch war er unangenehm berührt, als plötzlich die silberflittergestickte, in zahllosen Kreppplissees wogende Robe des Fräulein von Heym neben ihnen auftauchte und Graf Hochheim einen Stuhl ihm gegenüber höflich zurückzog mit den Worten: »Hier, mein gnädiges Fräulein, wenn ich gehorsamst bitten dürfte!«
Bonaventura erhob sich mit schneller Verneigung, der hochfrisierte Kopf mit der Reiherfontäne nickte einen Gegengruß, und Fräulein von Heym nahm mit dem ständigen Ausdruck von Sentimentalität und Arroganz ihm gegenüber Platz.
»Wir kennen uns ja schon, Komtesse!« hauchte sie herablassend dem jungen Mädchen mit dem simplen Edelweißstrauß an der Brust zu, und Malva antwortete liebenswürdig, wie stets: »Gewiß, Fräulein von Heym — ich hatte bereits die Freude!«
»Ich bin noch sehr fremd hier. — Die Hofgesellschaft ist doch größer, wie ich geglaubt; man kann erst ganz allmählich und nur mit Hilfe eines guten Physiognomiengedächtnisses sicher werden!«
Sie sprach allgemein — ihr Blick streifte dabei auch Bonaventura so auffällig, daß derselbe Notiz nehmen mußte.
»Gnädiges Fräulein haben nicht dauernd in der Residenz gelebt?«
»Nein. Jahrelang begleitete ich meinen Vater auf seinen Studienreisen von einer Bibliothek in die andere. Zuletzt besuchten wir in Weimar das Nietzschehaus, um den hochinteressanten Nachlaß dieses bedeutendsten aller Philosophen mit viel Andacht und Bewunderung durchzusehen!«
»Sie sind eine erklärte Anhängerin dieses sehr modernen Mannes?« fragte Graf Hochheim und nahm dem Diener, welcher just neben ihn trat, die Tasse voll Fleischbrühe ab.
Fräulein Ellinor richtete sich in Positur, wie ein alter Schwadronsgaul die Ohren spitzt, wenn er das bekannte Alarmsignal hört.
»Selbstverständlich, Graf — wie könnte ich mich der Überzeugung aller wissenschaftlich gebildeten und hervorragenden Menschen verschließen?«
»Aller? — Aber meine Gnädigste, es gibt Gott sei Lob und Dank noch viel kluge und geistvolle Menschen, welche nicht jenseits von Gut und Böse stehen, sondern eine recht scharfe Grenze dazwischen ziehen!«
Fräulein von Heym zuckte beinahe mitleidig die Achseln. »Ich weiß nicht, zu welcher philosophischen Richtung Sie schwören, Graf; aber ich sage es Ihnen selbst auf die Gefahr hin, zu beleidigen: jeder Mensch, welcher nicht in Nietzsche den Apostel vollster Wahrheit und den Träger höchster Vollkommenheitsideale anerkennt — der versteht ihn nicht!« —
Bonaventura lachte nervös auf. »Das ist hart, gnädiges Fräulein! Ich habe mich nie viel um philosophische Rechtsstreite bekümmert, und alles, was ich von dem Mann weiß, ist die an und für sich ganz bequeme Moral: daß der Mensch sich ausleben soll! — Darin gibt jeder junge Mann ihm nur zu gern recht; von jungen Damen war es mir bislang neu. Aber ich machte die Beobachtung, daß die Anhänger dieser ›schrankenlosen Richtung‹ — so lang als göttlich selbstherrliche, blonde oder schwarze — aber stets ausschweifende Bestien —«
»Haha! Keine Varianten, Völkern!« lachte der Graf brüsk auf. »›Einsam schweifende Bestie‹ heißt das viel zitierte Wort —«
»Welches man im allgemeinen genau und wörtlich wiederzugeben pflegt!« nickte Fräulein von Heym bissig, — lenkte aber schnell und lächelnd ein: »Ihre Variante war aber für Nietzsches Gegner entschieden ein bon mot, Herr von Völkern! Bitte, reden Sie weiter!«
Bonaventura rührte Sturm in seiner Bouillontasse. »Daß sie so lange als blonde Bestien umherschweiften und das Leben nach jeder Richtung hin genossen, bis die malträtierte Natur einen dicken Punkt dahinter setzte und die geistig, körperlich und finanziell ruinierten Menschen in das Kranken-, Irren- oder Armenhaus steckte; — dann machten sie doch wohl ein großes Fragezeichen hinter die allein seligmachende Theorie des großen Weltweisen!«
Fräulein Ellinor lächelte ironisch.
»Sie sprechen, wie alle Neulinge auf diesem Gebiete, Baron! — Als Kolumbus den Wasserweg nach Amerika entdeckte, sagte er der staunenden Menge: dort drüben liegt ein Land der Freiheit, des Reichtums, des Genusses! Wer es erreicht, hat eine neue Welt gefunden. Aber er gab keinem aus der blind losstürmenden Menge den Rat, unterwegs zu ertrinken! Und die Lehre aus diesem Beispiel? — Menschen, welche noch zu unreif sind, die hohe, göttliche Moral aus Nietzsches vielzitiertem Wort zu erfassen, die machen es ebenso, wie die, welche unterwegs ertrinken — sie stürmen sinnlos, wüst und unmäßig einem Ziele zu, es mit dem Knüppel zu erobern, während es doch nur dem klug abwägenden, überlegenden und geistvollen Menschen vorbehalten ist, als ›einsam schweifende Bestie‹ mühe- und gefahrlos den Weg zu den höchsten Höhen, zu einer wahrhaft neuen Welt zu erreichen.«
Graf Hochheim blickte die Sprecherin ganz betroffen an, und auch Bonaventura nagte einen Augenblick an der Lippe, wie einer, der sich geschlagen fühlt und es doch nicht zugeben will; nur Gräfin Malva blickte mit den großen Blauaugen fest und klar auf ihr Gegenüber und schüttelte den Kopf.
»Ihr Gleichnis scheint auf den ersten Blick sehr überzeugend, Fräulein von Heym — aber philosophisch vertiefen dürfen Sie es nicht!«
Bonaventura hob jäh den Kopf: »Ah! Sprechen Sie, Komtesse!«
»Ja, sprechen Sie, Ihre Ausführung dürfte amüsant werden!« spöttelte Fräulein Ellinor, wies durch eine kurze Kopfbewegung den Diener mit dem servierten Lachs zurück und lehnte sich erwartungsvoll vor, daß alle Edelsteine wie ein mörderisches Kreuzfeuer aufsprühten.
Zarte Röte stieg in Malvas Wangen.
»Wenn die neue Welt, welche Nietzsche durch seine Lehren verheißt, nur einem ›Amerika‹ gleicht, so ist es doppelt schade, wenn auch nur eine Menschenseele dadurch beunruhigt wird! Denn diese neue Welt hat in nichts eine Besserung gebracht, sondern nur das Elend, Mord, Tod und Kampf der alten auf sie hinübergetragen! — Und so würde es mit den Nietzscheschen Idealen auch gehen. Es sind zu wenig derart geistvolle, ausgereifte Menschen auf der Erde, welche klug genug sind, den vielleicht wirklich guten Kern aus der bitteren Schale zu lösen und durch seine Erkenntnis glücklich zu werden. — Die große Masse wird stets den Amerikastürmern gleichen und, auf gefährliche Wogen gelockt, darin zugrunde und untergehen! Ein Weltverbesserer aber, welcher nur einen einzigen Bruchteil der Menschheit beglückt, die Gesamtheit aber auf schiefe, gefahrdrohende Bahn lockt, ist in meinen Augen kein Apostel, welchem man zujubeln muß!«
»Bravo, Komtesse, bravo!« —
»Haben Sie Nietzsche gelesen?« lächelte Ellinor ironisch.
»Nein!« bekannte Malva ehrlich, »das wäre Zeitverschwendung. Ich blicke auf die Früchte, welche ein Baum trägt, und erkenne daran, welcher Art er ist!«
»Sehr recht!«
»Und die Früchte Nietzschescher Philosophie faulen im Irrenhaus oder Zuchthaus, wenn die überspannten Liebhaber, welche nicht sofort erhört werden, mit dem ›Revolver oder Dolch‹ zum Weibe gehen!«
Wieder zuckt ein beinahe mitleidiges Lächeln um Fräulein von Heyms Lippen.
»Sie schlagen sich mit eignen Waffen. Nietzsche rät diesen Männern, die Peitsche zu nehmen — die erzieht, aber mordet nicht. — Wenn die gütige Natur den Menschen das Wasser zum Trinken und Erquicken gibt — ein Fanatiker aber stößt seinen Nächsten hinein, daß er ertrinkt — wer trägt die Schuld daran? — Die Natur, welche das Wasser geschaffen —«
»Gott der Herr hat es geschaffen!«
»Wenn Sie sich die Natur als Gottheit vorstellen, Komtesse, ändert dies nichts an der Tatsache! — Also die Natur, welche das Wasser geschaffen, oder der, welcher diese Gabe mißbraucht? — Es gibt keine Lehre auf der Welt, welche sich nicht Verzerrungen und Ausgeburten gefallen lassen muß. Sie sind gewiß überzeugte Christin, Komtesse, und werfen den Glauben nicht über Bord, weil er viele Tausende von Menschen auf die Folter, den Scheiterhaufen und in die Kerker geliefert hat? — Sehen Sie die Zersplitterung der Sekten, den ewigen Kampf zwischen den einzelnen Parteien an und sagen Sie noch, die neue Welt, welche dieser Glauben geschaffen, ist vollkommen?« —
Malva hob mit blitzendem Blick den Kopf.
»Das Reich ewigen Friedens, welches uns unser teurer Glauben verheißt, Fräulein von Heym, ist nicht von dieser Welt! Jeder Christ weiß, daß wir im heißesten und bittersten Kampf stehen müssen, so lange wir durch diese Welt einer besseren entgegenpilgern — und darum wissen wir Christen es auch am besten, daß keine Wissenschaft, keine Theorie, welche nur der Geist erklügelt und welche mit Herz und Liebe nichts gemein hat, jemals auf dieser Welt eine volle Genüge schaffen kann! Was dem Verächter Nietzsche am meisten fehlt, das ist die Liebe — und nur sie allein ist die göttliche Kraft, welche sich nicht feige ›jenseits‹ von Gut und Böse hält, sondern das Böse in Gutes wandeln kann!«
Bonaventuras Blick traf aufleuchtend die Sprecherin: »Sie reden mir aus der Seele, Komtesse!« sagte er leise, hob sein Glas und leerte es schweigend bis zum Grund.
Fräulein von Heym hatte seinen Blick und den Ausdruck seiner Worte beobachtet.
Der sarkastische Zug um ihre Lippen verschwand, wie von kluger, vorsichtiger Hand weggewischt — sie seufzte mit gesenkten Wimpern leise auf und flüsterte: »Ja die Liebe! Noch lernte ich nicht an ihre göttliche, alles zwingende Macht glauben — geschieht es einmal im Leben, macht sie vielleicht auch aus mir Saulus einen gläubigen Paulus!«
Graf Hochheim atmete auf, dem heiklen Gesprächsthema eine harmlose Wendung geben zu können.
Er lachte: »Und wer entginge der Liebe, mein gnädiges Fräulein? ›Sie kommt doch!‹ behauptet ja Wilhelmine von Hillern, und ich hoffe, daß sich diese Saison, welche sehr flott zu werden verspricht, mit tausend berückenden Walzern und den glühendsten aller Rosen gegen Sie verbündet, Ihr Herz in süße Fesseln zu schlagen!«
Wieder ein sentimental arrogantes Lächeln. »Ich bezweifle es, Graf! — Ich stelle horrende Ansprüche an die Unwiderstehlichkeit eines Mannes, um ihn als Sieger anzuerkennen! Von der Ehe denke ich im allgemeinen nicht sehr hoch und finde es ein wenig stark, daß wir Kulturmenschen noch unter einem Joch seufzen, welches selbst bei den Barbaren in Rußland, Afrika und Amerika so lange schon aufgehoben wurde …«
»Ah!?« —
»Ich meine die Sklaverei, Graf!«
Sie lachte, und die beiden Herren lachten unwillkürlich mit; nur Gräfin Malva blickte stumm und ernst von der Orange, welche sie just schälte, empor.
»Sie haben recht, mein gnädiges Fräulein,« zuckte Bonaventura die Achseln; »die Ketten, welche auf dem Standesamt geschmiedet werden, sind nicht immer Rosenketten, und doch zeugen sie von dem Bedürfnis gerade der zivilisierten Welt, daß sie in ihrem fieberhaften, wüsten Drang nach Freiheit der Handschellen noch viel mehr bedarf, wie die Naturvölker. Ich bin überzeugt, daß sich im schwarzen Erdteil noch nie eine Sittenkomödie voll Ehebruch, Leichtsinn und Unmoral abgespielt hat, wie sie in den hochkultivierten Sodoms und Gomorras bei uns leider an der Tagesordnung sind!«
»Wohl möglich! Die Gesetze der ›Wilden‹ sind derart, daß sie jede Poesie bereits in der Knospe ersticken —« versuchte Fräulein von Heym mit ihrem überlegenen Lächeln zu scherzen. »Wenn eine Zuludame ihrem Gatten langweilig wird, oder wenn er merkt, daß ihre zärtlichen Gefühle gegen ihn erkalten, so verarbeitet er sie zu Beefsteak, ohne damit irgendeinem Strafgesetzbuch zu nahe zu treten —«
»Vor 50 Jahren, ja, da war es vielleicht noch so!«
»Und wenn es sich an bewohnten Küstenstrichen scheinbar geändert hat — wer kontrolliert im tiefsten Landesinnern die Gesetze? — Aber wie dem auch sei! — Soll ich einmal freiwillig den Nacken vor einem ›Herrn und Gebieter‹ beugen, so muß er in der Tat der Herrlichste von allen sein, ein Übermensch an Schönheit, Geist, Energie und Wissen —! Ich sprach diese Ansicht schon zu oft aus, als daß sie nicht allgemein bekannt geworden wäre! Nun erwartet man voll Spannung meine Wahl, diesen Gott unter Menschen kennen zu lernen —«
»Da müssen Sie freilich mit der Laterne suchen, um der verblüfften Welt solch ein Unikum zu präsentieren!«
»Wirklich, Graf?« Fräulein Ellinor lehnte momentan schmachtend den Kopf zurück und ließ die weißen Zähne durch die Lippen blinken, wie eine Wölfin, welche sich sonnt; dabei tauchte ihr Blick sekundenlang tief, tief in den ihres Gegenübers, daß Bonaventura jäh das Blut in das Gesicht schoß — schon aber, ehe ein anderer diese ›Funkentelegraphie‹ bemerken konnte, sanken die müden Augenlider wieder verschleiernd nieder, und Fräulein von Heym fuhr träumerisch fort: »Ich glaubte es lange Zeit, gleich Ihnen — aber ich wurde dennoch zu anderer Ansicht bekehrt.«
Hochheim machte eine hastige Bewegung: »Hört, hört! Geständnisse einer schönen Seele! An die Gläser, meine Herrschaften, der unbekannte Gott soll leben!«
Klingend trafen sich die hohen Champagnerkelche, und als Völkern den seinen gegen den des Fräulein Ellinor neigte, zuckte ihre kleine Hand so auffällig empor, daß ein paar perlende Tropfen über den Rand sprühten.
»Verschütteter Wein? — Ist das nicht ein Aberglauben? Was bedeutet er?« fragte der Graf, mehr höflich, wie interessiert.
»Glück, viel Glück!« — Fräulein von Heym sagte es langsam mit absonderlicher Betonung, und wieder traf ihr Blick Bonaventura, »wenn wir aufgeklärten Menschen überhaupt noch von Aberglauben reden dürfen!«
»Erlaubt ist, was gefällt!« lachte Völkern nervös und wandte sich zu Malva, »lassen Sie die Probe machen, Komtesse, ob auch Ihre gütige Hand des Glückes Füllhorn ausschüttet!«
Sehr ruhig und ernst hob Gräfin Kettenau das Glas.
Kein Zittern und Beben verriet die Erregung, unter welcher sie während der letzten Minuten gelitten; — kaum, daß die Kelche hörbar zusammenklangen.
»Nein — das Glück erweist sich Ihnen widerspenstig, Gräfin!« lächelte Ellinor mit einem scharfen Zug um die Lippen. »Man muß ihm sehr tyrannisch den Fuß auf den Nacken setzen, will man es sich untertan machen. — Apropos — Sie weilen schon längere Zeit in der Residenz?«
»Seit zwei Jahren!« lautete die beinahe tonlose Antwort.
»Sie kommen auch von dem Gut Ihres Herrn Bruders hierher, nur um die Geselligkeit mitzumachen?«
Die tiefblauen Augen schlugen mit klarem, stolzem Blick voll auf.
»Doch nicht, Fräulein von Heym! So verschwenderisch gehe ich nicht mit der Zeit um. Ich weile hauptsächlich meiner Malstudien wegen hier!«
»Ah — Sie malen? — Aus Passion?«
Die Frage wurde mit so sanfter, teilnehmender Stimme gestellt, daß man die Taktlosigkeit im ersten Moment gar nicht heraushörte. Malva zerteilte sehr gelassen die goldene Frucht auf ihrem Teller, nur ihr zartes Gesichtchen schien noch um einen Schein bleicher zu werden.
»Doch nicht. Ich hoffe, meine Kenntnisse später zu verwerten und recht viel Geld mit den Bildern zu verdienen.«
»Ah, wie interessant! Was malen Sie? Stillleben? Landschaften?« —
»Beides.«
»Scharmant! Darf ich Sie wohl einmal in Ihrem Atelier besuchen? Ich beabsichtige nämlich, mir eine Villa hier im Tiergarten zu kaufen und dieselbe sehr luxuriös und künstlerisch auszustatten! Nur die ersten und besten Meister bzw. Meisterinnen! Wie stolz würde ich sein, auch etliche Ihrer Kunstwerke in den Salons aufhängen zu können!«
Die leise, schmachtende Stimme klang wirklich sehr liebenswürdig und schmeichelhaft; darum war Völkern etwas überrascht, als Malva sehr kühl ablehnend den Kopf schüttelte mit der Bemerkung, so hohen Ansprüchen seien ihre fürs erste noch recht bescheidenen Leistungen nicht gewachsen.
Warum das? Wenn sie doch mal drauf angewiesen war, Geld zu verdienen, sollte sie diese gute und gewiß seltene Gelegenheit doch beim Schopf fassen!
Ein wenig gesprächiger, wie zuvor, wandte er sich an Ellinor, das Thema auf moderne Malerei lenkend; Hochheim und Malva saßen als wortkarge Zuhörer beiseite.
Endlich war das Souper beendet, und Bonaventura bot seiner Partnerin den Arm, sie in den Tanzsaal zurückzuführen.
Sonst hatte sein Blick stets tief in den ihren getaucht, er hatte meist die Blumen, welche die Tafel schmückten, schnell zusammengerafft, sie mit vielsagendem Lächeln in ihre Hand zu legen — heute war er zerstreut und sichtlich schlecht gelaunt; nicht einmal, daß er wie sonst flüsterte: »In diesem Tanz sind keine Extratouren gestattet.«
Im Gegenteil, als Graf Hochheim nach etlichen Runden sich vor Malva verneigte, nickte er nur zustimmend mit dem Kopf: »Selbstredend gestatte ich, bester Graf!« — Und als das Paar in dem bunten Schwarm davonwirbelte, schritt er gedankenvoll Fräulein von Heym entgegen.
Diese flog von einem Arm in den anderen, und schon vor Völkern standen bereits wieder zwei neue Tänzer, welche auf das Goldfischchen warteten.
Ein Garde-Ulan und ein Garde-Kürassier mit sehr klingenden Namen.
Alle drei Herren verneigten sich à tempo, und — o Wunder — die vielumworbene Millionenerbin nickte dem Letztgekommenen zu und sagte huldvoll: »Ah — der Walzer, welchen ich Ihnen versprochen, Herr von Völkern!«
Das war ein Triumph, und weil die Eitelkeit die Achillesverse des jungen Grenadiers war, so blitzte sein Auge siegesbewußt auf, und etwas erregter wie sonst legte er den Arm um das »Rokokopüppchen«, wie ein paar Heiratsaspiranten enthusiastisch das Goldfischchen benannt.
Und während sie tanzten, blickte Ellinor zu ihm auf und hauchte: »In den nächsten Tagen erwarten wir Gäste bei uns im Palasthotel zum Diner — ich würde mich sehr freuen, wenn Sie Tante Geldern Ihren Besuch machten.«
»Ich werde nicht ermangeln, der Gräfin meine Aufwartung zu machen und mich nach dem Befinden des gnädigen Fräuleins zu erkundigen.« —
Als er an seinen Platz zurückschritt, begegnete ihm Hochheim.
»Na, Sie Glückspilz, schon gekapert? Es ist ja toll, wie das Rokokopüppchen Sie mit ihrem Interesse beehrt!«
Völkern wollte sehr gleichgültig aussehen; aber doch flammte es in seinen Augen auf: »Wieso das? — Verstehe Sie nicht, Graf!«
»Die Heym bat mich, sie beim Souper in die Nähe von Komtesse Kettenau zu plazieren! Glauben Sie faktisch, daß dies Interesse Ihrer Tischnachbarin galt?« —
»Selbstredend! Sie hörten ja, daß sie Bilder kaufen will!«
»Na, na! — Vorwand! Übrigens die amerikanische Villa im Tiergarten! Donnerwetter ja! Luckberg erzählte, das Terrain, welches sie als Park noch dazu angekauft, habe allein eine halbe Million gekostet!«
»Die Glückliche! Wohl ihr!« —
»Und der Beneidenswerte, welcher mal in solchen Goldsäcken wühlen kann!! Na, bonne chance, Völkern — ich komme dann später mal und pumpe Sie an!« —
Bonaventura befindet sich in wunderlicher Stimmung.
So zerstreut war er noch nie.
Bei Komtesse Malva klagte er über Kopfschmerz. Er bringt ihr freilich noch den ersten Kotillonstrauß, aber den zweiten trägt er zu Fräulein von Heym und findet, daß sie ihm nicht mehr so unsympathisch erscheint, wie zu Anfang.