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Fünftes Kapitel.

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Fräulein von Heym hatte es nicht versäumt, die Gemahlin des Kammerherrn, Gräfin Margarete von Kettenau, zu begrüßen, und diese schien es amüsant zu finden, die vielbesprochene junge Dame etwas näher kennen zu lernen, denn sie unterhielt sich längere Zeit mit ihr. Meist über modernen Sport, denn Fräulein Ellinor liebte es, sich hoch zu Roß zu zeigen oder von den Segelregattas zu erzählen, bei welchen sie niemals zu fehlen pflege, weder in England noch in Kiel!

Bisher hatte ihr Vater sehr viel Zeit für seine Bibliothekstunden beansprucht, und da sich die Tochter ihm voll lebhaften Interesses fast ausschließlich widmete, blieb leider wenig Zeit, um bei den sportlichen Veranstaltungen noch persönlicher hervorzutreten, als wie es bis jetzt der Fall gewesen!

Aber das soll nun anders werden!

Ihr Bruder Rolf-Valerian war gleich wie sie ein begeisterter Automobilfahrer, und unter seinem Schutz hoffte sie das große ›Wettrennen‹ Paris-Berlin-Petersburg im nächsten Herbst mit »rasen« zu können!

Herr von Heym, welcher sich den Plaudernden mit Malva genähert hat und ebenfalls vorgestellt ist, hört die letzten Worte und lächelt seltsam.

»Meine Schwester liebt es, Luftschlösser zu bauen, gnädigste Gräfin, und denkt nicht an die Möglichkeit, daß sich bis zum Herbst manches geändert haben kann! Ich hingegen rechne stark damit und hoffe, sie reitet alsdann lieber behaglich im Tiergarten spazieren, als den Staub ungezählter Kilometer zu schlucken!«

Die Gräfin überhört die feine Anspielung absichtlich. »Es ist schade, daß es jetzt zu kalt ist, um im Freien im Sattel zu sitzen; Sie reiten jetzt auch in der Bahn, Fräulein von Heym?« —

»Ich hoffe, Sie morgen in den Schranken begrüßen zu können, gnädigste Gräfin!«

»Scharmant! Es würde mich sehr freuen!« —

Und man traf sich tatsächlich in der Bahn, um eine Stunde lang bei Musik die edlen Renner zu bewegen.

Bonaventura, welcher sich selbstredend ein Reitpferd hielt, hatte sich den Damen zugesellt, und außer ihm tummelte noch ein Schwarm von Kavallerie- und Artillerie-Offizieren ihre stallmutigen Pferde über die weiche Bahn. —

Malva, welche die Tante stets zu begleiten pflegte, hatte auf der Tribüne Platz genommen und war kurze Zeit etwas vereinsamt dort gewesen, bis plötzlich ein langsamer, etwas schleppender Schritt hinter ihr laut wurde und eine Woge wonnigen Veilchenduftes ihr entgegenströmte.

»Empfehle mich zu Gnaden, Komtesse! Freue mich sehr, eine Leidensgenossin in Ihnen zu finden, welche heute auch nur passives Mitglied des Jockeiklubs ist!«

Die junge Gräfin schaute empor.

Neben ihr stand Herr Rolf-Valerian von Heym und rückte sehr gelassen, ganz wie selbstverständlich, einen der schweren Holzstühle an die Seite Malvas.

Diese war nicht allzu erfreut über die unerwünschte Gesellschaft, aber doch zu wohlerzogen, um diesem Unbehagen merklich Ausdruck zu geben.

Sie antwortete höflich, aber sehr kurz, und überließ es ihrem Partner, für die Unterhaltung zu sorgen.

Und so meisterlich, wie derselbe Schlittschuh lief, so vortrefflich verstand er es auch, seine Zuhörer zu fesseln, um so mehr, wenn ihm so weitgehende Interessen für alles Fremde, Anregende entgegenkamen, wie bei Gräfin Kettenau.

Rolf-Valerian hatte nicht nur die weite Welt gesehen, sondern sie mit dem Spürsinn eines Indianers auf ihre Absonderlichkeiten durchforscht, und über die Resultate dieses Pfadfindertums verstand er trotz seines ermüdenden Organs so amüsant zu erzählen, daß Malva ihr Unbehagen überwand und schließlich ihre Aufmerksamkeit mehr ihrem Nachbar, wie Roß und Reitern drunten schenkte.

Freilich, allzu scharf ansehen durfte sie den Sprecher nicht dabei.

Wenn auch in ganz anderer Art, war ihr doch sein Gesicht ebenso unsympathisch, wie das der Schwester.

Ein Leben, wie es dieser Mann führte, konnte nicht spurlos an seinem Äußeren vorübergehen — es hatte zahllose Falten und Runen in die pergamentfarbene Haut gegraben, und die rötlich-blonden Haare legten sich nur noch in zwei dünnen kleinen Wellen in die Stirn, was im Verein mit dem sonst fast kahlen Kopf dem verlebten Gesicht etwas Krankes, vorzeitig Altes gab.

Die Augen blickten nicht, wie bei Fräulein Ellinor, sentimental durch die hellen Wimpern, sondern hatten den Ausdruck jener gierigen Schärfe, wie er den Genußmenschen, der stets auf der Suche nach neuen Reizmitteln ist, charakterisiert.

Der feine, modern verschnittene Bart konnte den Defekt der Zähne nicht recht decken, und die Figur war hager, wie bei einem Menschen, welcher übertrainiert oder mit seinen Kräften bankerott ist.

Über dieser ganzen Persönlichkeit aber schwebte, ebenso wie bei der Schwester, ein Nimbus äußerster Eleganz, welcher bei Rolf-Valerian einen feinen Stich ins Gigerlhafte bekam.

Während er in seiner lässig amüsanten Art mit Malva plauderte, drehte er einen großen Veilchenstrauß in der Hand, und als ein Sonnenstrahl vergoldend durch die hohen Glasfenster fiel und auf dem aschblonden Haar der Gräfin zitternde Lichter malte, hob er denselben plötzlich recht unvermittelt neben die Wange des jungen Mädchens.

Beinahe erschrocken wich sie zurück; Herr von Heym aber sagte mit einem Ausdruck in Blick und Stimme, welche sehr auffällig gegen den früheren Konversationton abstach: »Pardon, Gräfin! Ein interessantes Problem! Als ich den Vorzug hatte. Sie gestern auf dem Eis zu sehen, fiel mir die Farbe Ihrer Augen als große Eigenart auf. — Ich habe Welt und Menschen kennen gelernt, so weit der Erdball reicht, ich kann mit dem lebenslustigen Fürst Bibitzky im Bettelstudent auch von mir singen, daß ich die Schönheit des Weibes im Nord und Süd, Ost und West studierte — ein Blau aber, wie das Ihrer Augen, Komtesse, sah ich noch nie!«

Malva fühlte, daß sie jäh errötete.

Derartige Worte, mit derartiger Betonung, waren ihr noch von keinem fremden Herrn gesagt.

Sie versuchte ihre Verlegenheit hinter einem Scherz zu verstecken.

»Das glaube ich wohl! Meine Augen — bzw. ihre Farbe war nicht waschecht, und das viele Salzwasser, welches sie seit Jahren überschwemmt, hat sie wohl fleckig gemacht. Übrigens, warum reiten Sie nicht mit Ihrer Schwester?«

Er ignorierte die letzten Worte — sein Blick hing wie in gebanntem Schauen an ihren Augen.

»Salzwasser? — Sprechen Sie sinnbildlich von Tränen? — Ganz recht, dieses wirksamste aller Schönheitsmittel verrät sich! — Denken Sie, Gräfin, in Paris versetzen sich die Damen mindestens einmal am Tage in natürliche oder künstliche Erregung, welche sie zu Tränen rührt, denn öfteres Weinen verleiht dem Frauenauge den unvergleichlich weichen Glanz der Perle, welcher noch nie seine Wirkung auf Männerherzen verfehlte.«

»So frivol gehe ich nicht mit den Tränen um!« schüttelte Malva ernst den Kopf; aber sie konnte es nicht verhindern, daß sich der Purpur auf ihren Wangen noch vertiefte.

Er lächelte: »Ja, es ist frivol, mit Männerherzen zu spielen — und doch … fragen Sie eine Blume, was ihr lieber ist: von schöner Hand gebrochen und in mutwilligem Spiel zerpflückt zu werden, oder langsam — freudlos — unter Frost, Sturm oder Sonnenbrand dahinzuwelken? — ›Und sterb ich denn — so sterb ich doch durch sie, zu ihren Füßen doch!‹ — läßt Goethe das Veilchen jubeln, welches eines holden Liebchens Fuß zertreten!« —

Malva senkte verwirrt die Wimpern und wandte sich zur Seite, nach dem bunten Reiterbild in die Bahn hinabzuschauen.

»Goethe ist ein Phantast, und seine Verse sind mir zu wenig neu! Ich finde es viel interessanter zu beobachten —«

»Ja, zu beobachten!« unterbrach er schnell; »Sie haben recht, Gräfin, auch ich kam her, um zu beobachten, ob die Farbe Ihrer Augen tatsächlich ein Veilchenblau ist —« Wieder hob er wie prüfend den Strauß: »Aber ich sehe, daß ich mich geirrt habe — der goldene Schimmer fehlt dieser alltäglichen Blume — und das warme, ins Violett spielende —«

»Alltägliche Blume?« — Malva stieß es kurz, beinahe ärgerlich hervor, in dem Bemühen, dem Gespräch auf jeden Fall eine andere Wendung zu geben. »Sprechen Sie nicht so geringschätzig von dieser sympathischsten aller Blüten, welche gewiß nichts von ihrem Werte einbüßt, wenngleich sie nur so niedrig im Moose duftet!«

»Sie lieben Veilchen?«

»Gewiß! Wer täte das nicht?« —

Er lächelte, daß sich tausend feine Fältchen um seine Augen senkten.

Mit einer scharmanten Verneigung bot er den Veilchenstrauß entgegen.

»So gestatten Sie, Gräfin, daß diese beneidenswerten ebenfalls zu den Füßen des holdesten aller Mädchen sterben.«

Malva fühlte, daß sie sich in einer wunderlichen Situation befand.

Anfänglich hatte sich ihrer eine große Verlegenheit bemächtigt, jetzt kam ihr der erlösende Gedanke, daß der Mann, welcher ihr so prima vista und in so auffälliger Weise huldigte, nicht normal genommen werden dürfe.

Wer derart als Weltenbummler rund um die Erde gereist ist und gleich einem »Fürst Bibitzky« seine Frauenstudien gemacht hat, der ist es nicht gewohnt, sich lange bei einer Vorrede aufzuhalten — er spricht flink und keck, ehe die Segel wieder gelichtet und die Anker gehoben werden. Er ist einer jener schnellebigen Menschen, welche Bekanntschaften knüpfen und lösen, welche kommen und scheiden, wie ein abgerissenes Blatt, vom Sturm landein gefegt. —

Nein, mit Herrn von Heym darf man nicht rechnen, wie mit andern Menschen — man muß diesem Sturm ruhig und kühl die Stirn bieten und durch nichts zeigen, daß man seine Worte anders auffaßt, als sie gemeint sind — leerer Schall. — Gelassen hebt sie die Hand und nimmt den Strauß entgegen.

»Wie liebenswürdig! Tausend Dank.«

»Diesen Dank lassen Sie mich aussprechen.«

Kurze Pause. —

Er erwartet wohl, daß sie die Veilchen auf der Brust oder auf dem Muff befestigen soll. —

Das geschieht nicht. Malva hält sie eine kleine Weile in der Hand und legt sie dann auf die Holzbrüstung.

Wie sie in die Bahn hinabschaut, bemerkt sie, daß Bonaventura, ihr gerade gegenüber, neben Fräulein Ellinor hält.

Sie scheint ihn auf irgend etwas aufmerksam zu machen, denn Völkern starrt mit großen, sehr überraschten Augen zu ihr empor, während seine Nachbarin mit feinem Lächeln fortfährt, ihre flüsternden Bemerkungen zu machen. —

Was bedeutet das? —

Sollte ihr Interesse dem Veilchenstrauß gelten?

Wohl möglich. —

Ellinor ist nicht geistreich; aber sie ist weltklug und raffiniert genug, um jeden Vorteil auszunutzen.

Alle Welt weiß, daß Völkern der mittellosen kleinen Komtesse stark den Hof gemacht hat, und für mimosenhafte Seelen hat solch ein Stadtklatsch etwas Verpflichtendes.

Wenn aber die kleine Komtesse sich öffentlich und auffällig von einem andern huldigen läßt, so zerreißt sie selber die feinen Fädchen, mit welchen sich der frühere Anbeter für gebunden erachtete.

Ein schnelles, wehes Lächeln bebt um Malvas Lippen.

Wozu noch dieser Liebe Müh? —

Fräulein Ellinor scheint bei all ihrem Zynismus den Auserkorenen doch etwas übertaxiert zu haben. —

Sie will ihm einen Weg ebnen, welchen er ohne alle Skrupel schon gestern kühn übersprungen. Kurmachen verpflichtet nicht, und das Herz hat wohl niemals mitgesprochen, sonst könnte es unmöglich so schnell verstummen!

Rolf-Valerian neigt sich in diesem Augenblick sehr nahe zu seiner Nachbarin herüber.

»Sie malen, Gräfin?« —

»Ich möchte es wenigstens lernen!«

»Interessieren Sie Aquarelle amerikanischer, spanischer, japanischer und italienischer Meister sowie photographische Aufnahmen, welche ich selber während der meisten meiner Reisen machte?«

Sie blickt lebhaft auf.

»O gewiß! Außerordentlich!« klingt es unwillkürlich sehr erfreut von ihren Lippen.

Er hat den Handschuh von der Rechten gestreift, ein wundervoller Solitär blitzt an dem kleinen Finger, als er langsam über den kurzgeschnittenen Schnurrbart streicht.

»Die Konsequenz wäre allerdings die, daß Sie mich als wandelnden Kommentar dazu in den Kauf nehmen müßten!«

Sie ist plötzlich ganz unbefangen. »Solch eine Konsequenz wäre nur eine Empfehlung mehr für die Bilder!« sagt sie höflich, aber merkbar kühl; »bei solch einer Wanderung durch die weite Welt bedarf es des Führers. — Sie stellen meinen Anverwandten also Ihren Besuch in Aussicht?«

»Ich beabsichtige, mir nachher bei Ihrer Frau Tante die Erlaubnis dazu einzuholen! Die Bildermappen schicke ich durch meinen Knappen als Avantgarde!«

»Bitte, versäumen Sie nicht, Tante Margarete auch von dieser Absicht in Kenntnis zu setzen!«

»Warum das?« —

Malva lächelt. »Ich glänze während der gewöhnlichen Visitenzeit meistens durch Abwesenheit, da meine Atelierstunden mich sehr lange fesseln; Tante Margaretes Sorge muß es darum sein, mir die Streifzüge durch ihre Kunstsammlung zu sichern.«

Er verneigt sich stumm, mit ausdrucksvollem Lächeln.

Ein paar Sporen klirren hinter ihnen, und durch die geöffnete Türe weht ein kalter Lufthauch. Ein paar Herren sind eingetreten, Gräfin Kettenau zu begrüßen. —

Die Unterhaltung wird allgemein, und Malva atmet auf, als auch ein paar bekannte Damen erscheinen und Rolf-Valerian sich erheben muß, seinen Stuhl anzubieten.

Die Musik hat ihre heiteren Weisen geendet, und die reitenden Damen lassen sich in der Bahn aus dem Sattel heben.

Diensteifrige Stallknechte breiten die warmen, wappengestickten Decken über die edlen Renner, und um den herrlichen Goldfuchs des Fräulein von Heym sammeln sich die Herren, mit Kennermiene das herrliche Tier in Augenschein zu nehmen.

Es schien ganz selbstverständlich, daß Bonaventura der Besitzerin der vielbewunderten »Fragilité« in allen Dingen Ritterdienste tat.

Sie selber streckte ihm in ihrer lässigen Weise die zierliche Hand, welche in einem hellgelben Stulphandschuh steckte, entgegen, um sich aus dem Sattel helfen zu lassen, und Völkern hält galant die schlanke, kraftvolle Rechte hin, dem Fuß der jungen Dame die Stütze zu geben.

Die anwesenden Herren bemerken es und wechseln verständnisvolle Blicke, hier und da raunt man sich wohl auch etwas zu, und ein dicker Rittmeister, dessen Zunge als besonders scharf gilt, scheint eine recht drastische Bemerkung über die moderne Wahlbewegung der Frauen zu machen — nur mühsam unterdrücken die Umstehenden das Lachen.

Wie könnte man auch offiziell über eine Millionenerbin spotten, welche ein derart »tiptopes« Vollblut reitet, wie Fräulein von Heym!

Wenn sie sich etwas auffällig und prima vista für Völkern entscheidet, ist das ein Frühlingssturm, welcher vielleicht doch noch abflaut, ehe ein bindendes Wort gesprochen wird.

Fürerst darf der Schwerenöter Bonaventura die Schleppe tragen — wer weiß aber, ob sich nicht doch noch ein Unwiderstehlicherer findet, welcher ihm mit energisch keckem Griff die weichen Seidenfalten aus der Hand windet und sich selber in die Rechte eines Auserkorenen einsetzt!

Als Gräfin Malva in der Bahn erscheint, wird sie von allen Seiten so lebhaft begrüßt, daß Völkern kaum Gelegenheit findet, sich zu nähern.

Als er es endlich tut, schreitet Fräulein Ellinor neben ihm und reicht ihr so vertraut und freundschaftlich die Hand, wie einer guten Freundin.

»Welch herrliche Veilchen!« sagt sie mit den »ahnungslosesten« Augen, welche man sich denken kann, und lacht leise auf: »Hängt vielleicht auch eine Schleife mit ›I love you!‹ daran, wie es bei den Veilchenfressern Sitte ist?«

Malva ärgert sich über sich selbst, daß ihr das Blut in die Wangen steigt.

Achselzuckend hebt sie den Strauß empor.

»Wie Sie sehen — nein!«

»Es kommt wohl nach!« —

»Bombensicher! Bitte, beichten Sie, Komtesse, welcher dienstfreie Bursche hat ihn heute morgen abgegeben?« —

»Fehlgeschoßen!«

Fräulein von Heym stampft abwechselnd mit den Füßen, um sich zu erwärmen; sie hebt lachend die Hand: »Ich bitte Sie, Baron, welch ein Mann, der tatsächlich Feuer gefangen, überläßt seine Huldigungen einem gebildeten Hausknecht?! Wenn er persönlich seine Gefühle durch ›die Blume‹ ausdrücken kann, wird er dies Verfahren doch stets vorziehen!«

»Hört, hört! — Beifall auf allen Seiten!«

»Was bedeuten denn Veilchen in der Blumensprache, Komtesse? «—

»So viel ich weiß: du bist sehr bescheiden!«

»Weiter nichts?«

»Unsinn, nur Lumpe sind bescheiden! Ich taxiere folgendermaßen: Frühlingserwachen und der Liebe Erwachen! Das erste Lenzeszeichen in der Natur ist das Veilchen, darum macht man es auch zur Botin junger Liebe!«

»Sehr poetisch!«

»Darf ich Ihnen nachher ein Dutzend Veilchensträuße schicken, meine Gnädigste?«

»Wenn dieselben bezahlt sind, ja!«

»Fatal! Wer wird so genau sein! — Wir haben doch heute schon den achtzehnten Januar!«

»Da sieht man, wie der Mensch in den Tag hineinlebt — schauderhaft! In allen Dingen um ein Jahrhundert zurück!«

Herr von Heym hatte in angeregtem Gespräch neben Gräfin Margarete gestanden; aber man sah es dem Ausdruck seines Gesichts an, daß ihm kein Wort der Unterhaltung entging.

Auch seine Nachbarin wurde aufmerksam und lauschte nach den Lachenden hinüber.

Dann trat sie überrascht einen Schritt näher und deutete auf die Blumen.

»Malva! Wo hast du denn plötzlich die schönen Veilchen her?« —

»Pst! Diskretion, Gräfin!!«

»Es gibt Heinzelmännchen, Tante Margarete, welche uns über Eis und Schnee hinwegtäuschen wollen!«

Das junge Mädchen versuchte zu scherzen, konnte es aber nicht hindern, daß sie bei der allgemeinen Neckerei, welche sie in solch fatale Situation brachte und welche wohl nicht ohne Ursache so geschickt von Fräulein Ellinor heraufbeschworen war, immer roter und verlegener wurde.

Bonaventura hatte stumm zur Seite gestanden; jetzt heftete er einen scharfen, durchdringenden Blick auf Malva und sagte kurz: »Und wird den Heinzelmännchen diese Suggestion gelingen, Komtesse?«

»Wenn sie keine Stümper sind und es verstehen die Sache recht anzufangen, gewiß!« scherzte Fräulein Ellinor, und Gräfin Margarete steckte fröstelnd die Hände in den Muff und lachte sehr wohlgelaunt: »Du erinnerst an Eis und Schnee, Malva! Da friert man doppelt! Ich schlage vor, wir setzen uns so schnell wie möglich in den Wagen und sausen einer Tasse heißer Bouillon entgegen.«

»Dieser Antrag wird einstimmig angenommen!« verneigte sich Rolf-Valerian sehr höflich. »Am liebsten dann, wenn Frau Gräfin den neutralen Boden eines Frühstückrestaurants bestimmen wollten, wo wir alle uns an der Bouillontasse auftauen könnten!«

»Bravo! Famose Idee!« —

»Seien Sie keine Turandot, Gräfin, und bewilligen Sie uns noch eine Stunde!« —

»Wie steht es Malva — hast du Zeit?« —

Die Komtesse sah auf ihr Uhrenarmband nieder. »Undenkbar — es ist die höchste Zeit, daß ich heimkomme — mein kleines Modell wird sonst ungeduldig und läuft mir davon! — Aber dies ist kein Grund, um die Frühstücksstunde auch für dich zu streichen! — Ich begleite dich bis an Ort und Stelle und fahre dann heim!«

»Nein, nein! — Auf keinen Fall! Auch ich möchte mich gern noch eine Weile ruhen, ehe ich zu dem Wohltätigkeitsbasar fahre! Also heute trinkt jeder seine Fleischbrühe allein, meine Herrschaften — aber das nächstemal —! Am Donnerstag erkläre ich mich zu allen Schandtaten bereit!«

Ein lautes Durcheinander — lebhaftes Bedauern — vergebliche Bitten und Versuche, Malva zum Bleiben zu bestimmen, endlich ein allgemeiner Abschied.

Man schritt durch die Bahn zu den harrenden Wagen.

Rolf-Valerian schloß sich der Gräfin und Malva an — Bonaventura behauptete den Platz an Fräulein Ellinors Seite.

Ein Schatten lag auf seiner Stirn.

»Zu schade, daß Komtesse Kettenau so sehr pflichtgetreu ist! Ich verstehe solche Energie nicht!« sagte Fräulein von Heym in ihrer überlegenen Weise, mit etwas spöttischem Zug um die Lippen. »Es muß doch zum Sterben langweilig sein, nur immer unter dem Druck zwingender Notwendigkeit zu leben! Geradezu entsetzlich! Das ist überhaupt kein Leben! Wenn ich dächte, ich sollte mir nur die geringste Freude um irgendeiner lästigen Arbeit willen versagen, welch ein unwürdiges Dasein!« —

»O ja! Es ist schön, völlig ungebunden und unumschränkter Herr über sich — seine Zeit und seine Börse zu sein!«

Völkern stieß es kurz, beinahe ingrimmig hervor.

Sie blickte naiv zu ihm auf: »Aber kann das nicht jeder?«

»Nein, mein gnädiges Fräulein, ein mittelloser Mensch ist in allem und jedem ein Sklave!«

»Schrecklich! Und die so nette Komtesse ist sehr arm, nicht wahr?« —

Er biß sich auf die Lippe. »Ich glaube es.«

»Ja, ja, völlig mittellos, sagte man mir!« fuhr Ellinor mit einem weichen, beinahe sentimentalen Klang in der Stimme fort; »so etwas muß zum Verzweifeln sein. Ich bin gewiß nicht oberflächlich, aber Armut deucht mir das Unerträglichste, was es gibt! Lieber sterben, als stets entbehren, stets wollen und nicht können — jeder Tag eine Kette neuer Entsagungen und bitterer Enttäuschungen — o, ich begreife es, wenn Ehen, die auf das Nichts gebaut sind, im mordenden Kampf um die Existenz todunglücklich werden!«

»Doch nicht immer!«

»Man wahrt äußerlich den Schein, um innerlich die Last desto ingrimmiger weiterzuschleppen. Es gibt ja Naturen, welche zu Lasttieren geboren sind und mit ihrem Joch stumpfsinnig durch das Leben keuchen; wer aber einmal kennen gelernt hat, was ›Genießen‹ heißt, der kann und wird sich nie und nimmer in der Misere einer mittellosen Ehe wohlfühlen.«

Bonaventura atmete tief auf. »Sie sprechen mir aus der Seele! — Nein, man kann es nicht; es wäre ein Verbrechen an der Unglücklichen, welche man in solche Verhältnisse hineinriß, und an sich selber, so lange man noch nicht völlig mit dem Leben abgeschlossen hat!«

»Und wer tut das freiwillig? Nur ein Narr! Im Gegenteil — nur dann erfüllt ein Mensch den ihm von der Natur erteilten Beruf, wenn er sich auslebt — wenn jede Muskel und Faser seines äußeren und jeder Nerv seines inneren Menschen im Austausch mit den vollen Werten eines reichen, sättigenden Lebens angespannt wird! Darüber lassen Sie uns noch ein wenig eingehender plaudern — es interessiert mich so sehr, Ihre gesunden, lebensfrischen Ansichten zu hören — heute abend, wenn Sie uns die Freude machen bei uns zu dinieren! — D’accord?« —

Sie reichte ihm lächelnd die Hand, diese gold-gewichtige Hand, welche jeden Zauberstab des Genusses zu schwingen vermag — und er glaubt einen feinen, jähen Druck derselben zu verspüren.

Sein Herz schlägt wild und begehrlich nach solch einem Taumelleben voll Freude und schrankenloser Gewährung auf.

Er umschließt die kühlen Fingerchen fester und zieht sie an die Lippen.

Malva küßte er noch niemals die Hand, weil es nicht Brauch ist, junge Mädchen derart auszuzeichnen — in diesem Augenblick fragt er nichts danach, was die Leute zu solch einer Ausnahme sagen werden. Sie stehen vor dem Wagen, niemand hat es wohl bemerkt; nur dort — zwei große, blaue Mädchenaugen schauen ernst zu ihm herüber.

Er hebt jäh die Hand an die Mütze und grüßt von weitem zu Malva hinüber, welche soeben nach der Gräfin einsteigt; Herr von Heym zieht noch einmal mit tiefster Verbeugung den Hut, dann eilt er hastig der eignen Equipage zu. —

»Sie fahren doch mit uns, mein bester Herr von Völkern?« sagt er sehr höflich, »wir haben für jeden Umweg Zeit — befehlen Sie nur, wo der Kutscher halten soll!«

Bonaventura ist sehr erfreut. Der Wind pfeift eisig daher, und es deucht ihm so viel bequemer und amüsanter, bei solch unbehaglichem Wetter in eleganten Atlaspolstern nach Hause zu fahren. —

Er nennt die Adresse seiner Wohnung und steigt hastig ein.

Vae Victis

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