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Viertes Kapitel.
ОглавлениеWie oft hatte Bonaventura schon Malvinas Hand umschlossen, wenn er nach bestrickenden Walzerklängen mit ihr über das glatte Parkett dahinflog, und jedesmal war es, als ginge ein Strom heißen, wohligen Lebens von dieser eleganten, schlanken Männerhand aus, deren leiser Druck, so dezent und respektvoll er auch war, dennoch so unendlich viel zu sagen wußte!
Heute wehte eine so kalte Schneeluft daher, daß es schien, als sei auch die Rechte kühl und starr geworden, welche die ihre höflich und formell gefaßt hielt.
Wie ein Frösteln schlich es sich von ihr empor durch Malvas Glieder, kühl und lähmend, bis an das Herz hinan — dort blieb es wie Zentnerlast stehen und raubte den Atem.
Es lag plötzlich etwas Fremdes, Unheimliches zwischen ihnen.
So reckt das unbarmherzige Schicksal seine knöcherne Hand aus und trennt durch jähen Schlag, was vorher so innig verbunden, froh und glücklich war.
Und dennoch hieß es plaudern, heiter, unbefangen, ebenso freundschaftlich interessiert wie früher. —
Völkern schien gewaltsam lustig. — Sein Lachen klang nervös, sein Blick hatte etwas Unstetes und wich dem ihren absichtlich aus, anstatt wie sonst voll warmen, zärtlichen Entzückens darin zu ruhen.
Auch die Unterhaltung war sprunghaft und zerstreut, und Bonaventura schien ängstlich bemüht, sie bei den harmlosesten und gleichgültigsten Themen festzuhalten.
Dabei deuchte es Malva auffällig, daß er nach einer Gelegenheit suchte, ihr das zu sagen, was sie zweifellos heute hören sollte. Sein Blick schweifte suchend über die Menge und schärfte sich plötzlich.
Fräulein von Heym stand in einem Kreis von Verehrern und hackte recht gelangweilt und unliebenswürdig mit dem Schlittschuh auf dem Eise herum.
»Haben Sie eigentlich unsere Tischnachbarin von gestern abend schon begrüßt?« fragte er plötzlich.
»Nein, sie ist noch nicht zu mir gekommen!« sagte Malva lächelnd, mit sehr viel Festigkeit in der Stimme.
Er blickte jäh zu ihr nieder, sichtlich amüsiert. »Ah … Sie sind auch im Verkehr mit jungen Damen formell?«
»Nicht mit allen, aber doch mit einigen.«
»Und Fräulein von Heym rangiert unter diesen ›einigen‹?« —
»In erster Linie!«
»Warum?«
»Weil es unrecht ist, Menschen, welche so viel Anlage zur Überhebung haben, durch falsche Höflichkeit noch in dieser Untugend zu bestärken.«
»Sehr richtig! Fräulein Ellinor ist nicht zu bescheiden — aber solcher Fehler ist heutzutage mehr Lebensbedingung, wie Untugend. Er hilft mächtig vorwärts, und in einer Beziehung ist er sogar geboten!«
»Ah!?«
»Ich meine bei der Wahl des Zukünftigen! Diesem gegenüber hat Fräulein von Heym ihre Ansprüche allerdings bis in das Unglaubliche gesteigert, und wenn sie Erfolg damit hat und das Gesuchte tatsächlich findet, so kann man jedem jungen Mädchen nur anraten, in die Fußtapfen dieser Vorkämpferin zu treten!«
Ein feines Zucken bebte um die Lippen der jungen Gräfin — ein schneller Blick flog beobachtend zu dem Sprecher auf.
In diesem Augenblick imponierte ihr die Professorentochter tatsächlich, denn sie erwies sich als geschickte Menschenkennerin. —
Bonaventuras Eitelkeit war seine Achillesverse, und wenn Gold und Flitter erfolglos die Funken nach seinem Herzen geworfen hätten — das Bewußtsein, von der anspruchsvollsten aller Damen als Verkörperung eines »Übermenschenideals« gewählt zu werden, das mußte Erfolg haben und das Opfer auf die Knie zwingen.
»Wenn man nicht ein derart stark vergoldetes Wappenschild zum Turnier mitbringt, wie diese Vorkämpferin, dürfte der Erfolg solcher tugendhaften Anmaßung doch ein sehr zweifelhafter sein!«
»Stark vergoldet! Ja — Sie haben recht, Komtesse, der Sieg hängt viel von der zweckmäßigen Rüstung ab! Fräulein von Heym ist in sehr beneidenswerter Lage, sie verfügt selbständig über ein enormes Vermögen, und dieses schöne Bewußtsein macht keck und sicher. Ich freute mich sehr, daß Sie in ihr eine gewiß recht generöse Käuferin für Ihre Bilder fanden! Noch war sie nicht bei Ihnen?«
»Gott sei Dank — nein!«
»Gott sei Dank?!« —
»Auch ich bin etwas arrogant, wie in jeder Künstlerseele die kleine Schlange des Selbstbewußtseins lauert! Ich möchte es nicht gern hören, daß Fräulein von Heym meine Bilder schlecht macht, und ohne sie zu erwerben wieder fortgeht!«
Völkern faltete finster die Brauen. »Solch eine Taktlosigkeit ist doch undenkbar! Das würde ich unerhört finden!«
»Durchaus nicht. Wer künstlerisch produziert, muß sich die Kritik gefallen lassen — ob gerecht oder ungerecht, ist eine Sache für sich. — Fräulein Ellinor aber ist in jedem Urteil scharf, und unliebsamen Motiven gegenüber dürfte sie das Seziermesser wohl mit bitterbösem Gesicht ansetzen!«
Der junge Offizier blieb unwillkürlich stehen und blickte etwas verwirrt in das ruhige, liebenswürdig lächelnde Gesicht der Sprecherin nieder.
»Was malen Sie denn jetzt, Komtesse?« —
»Heiligenbilder!« — Ein beinahe humorvoller Ausdruck lag sekundenlang in den schönen Augen. »Ich möchte gern Menschen malen, und da es zum Porträtieren noch nicht ganz ausreicht, übe ich mich, schöne Gesichter und Gestalten klassischer Meister zu kopieren. — daß die Madonnen und Märtyrerinnen dabei in erster Linie in Betracht kommen, ist wohl selbstverständlich.«
»Gewiß. Und Sie glauben, derartige Bilder seien nicht nach dem Geschmack des Fräulein von Heym?«
Malva schüttelte plötzlich sehr ernst den Kopf. »Nein; wer die Devise der Aufklärung auf sein Lebensbanner geschrieben, hat für Kirchenbilder weder Geschmack noch Verständnis.«
»Halten Sie Fräulein Ellinor wirklich für überzeugte Atheistin?!«
»Da sie die Schülerin ihres Vaters und eine sehr begeisterte Anhängerin aller Freigeister ist, welche die Fackel der Wissenschaft zum Höllenbrand machen wollen, so ist diese Annahme wohl begründet. Außerdem sprach sie ja ihre Ansicht über die ›Schöpferin Natur‹ zwar kurz — aber doch recht klar und deutlich aus!« —
Völkern zuckte lachend die Schultern.
»Wie ernst nehmen Sie das ›kluge Geschwätz‹ eines kleinen Fräuleins! Soviel Ehre darf man einer törichten Koketterie wirklich nicht antun!«
»Aber noch weniger darf man derartig verblendete Menschen unterschätzen!«
Bonaventura lachte noch mehr; aber man sah ihm an, wie unbehaglich es ihm zumute war, und wie er bestrebt war, Fräulein Ellinors Philosophie möglichst harmlos hinzustellen.
»Wo sollten wir hinkommen, Komtesse, wenn wir jede Ansicht, welche der unseren etwas widerstrebt, wie einen Erbfeind bekämpfen wollten! Ohne verschiedene Meinung gibt es kein angeregtes Gespräch — ohne Wortgefechte keinen Sieg! — Ich bin weit davon entfernt zu glauben, daß Fräulein von Heym es selber auch nur im mindesten versteht, was sie da an fremder Weisheit auskramt — ja, es amüsiert mich sogar, den Fehdehandschuh aufzuheben und den munteren Waffengang zu wagen! Soeben erst habe ich einen allerliebsten Sieg über die kleine Spötterin erfochten — habe ihr klar gemacht, daß der Grundgedanke unserer Religion doch die Liebe sei, und daß infolgedessen zwei Menschen, die sich wahrhaft lieben, stets — selbst unbewußt — religös sind!«
groß und fest schaute Malva in sein erregtes Gesicht: »Wie schön wäre es, wenn alles, was die leichtsinnige Welt ›Liebe‹ nennt, auch wahrhaft göttlich, rein und heilig wäre! Fräulein Ellinor wird diesen ›Naturtrieb‹ in all seiner unerklärlich großen, weltentreibenden Kraft gewiß anerkennen — ob aber in dem gläubig frommen Sinne, wie wir? — Auch die Atheisten haben ihre Religion — aber ihre Göttin heißt ›Vernunft‹!«
Völkern strich mit dem Taschentuch über die Stirn, drückte die Mütze wieder tief in das Gesicht und machte eine beinahe ungeduldige Handbewegung.
»Wir sind auf dem besten Wege, sehr langweilig zu werden, Komtesse, und um Kaisers Bart zu streiten! Mag doch jeder auf seine eigne Fasson selig werden und sich Himmel und Erde nach bester Überzeugung einrichten! Ich rege mich über Fräulein von Heyms kleine Marotte nicht auf, denn Sie wissen doch selbst: ›Zu den Launen schöner Frau’n — sollst du immer vergnüglich schau’n!‹ — Ihre philosophische Weisheit neide ich ihr gewiß nicht — aber — aber —!« und der Sprecher seufzte plötzlich tief auf und senkte mit finsterem Blick das Haupt.
»Nun?« Beinahe erschrocken blickte Malva zu ihm auf.
Seine Hand umkrampfte plötzlich die ihre, er biß die Zähne zusammen und murmelte: »Wir sind immer gute Freunde gewesen — ist’s nicht so, Komtesse?« —
»Ich hoffe es, Herr von Völkern.«
»Sie verstehen mich recht — wenn das, was ich sage, auch noch so ketzerisch klingt!« —
»Ja, ich verstehe Sie.« Das klang leise, tonlos, wie ein Seufzerhauch.
Er hob mit beinahe leidenschaftlich blitzendem Auge den Kopf.
»Ich beneide ihr den Reichtum! Dieses viele, rote, gleißende Gold, welches einzig und allein die Freiheit eines Menschen einschließt! — Nun, was sagen Sie dazu? — Erbärmlich! Nicht wahr?«
Wie ruhig und unverändert blieb ihr Antlitz, wie tief drang ihr Blick in seine Seele — so tief, daß er verwirrt die dunklen Wimpern senkte. —
»Nein, das sage ich nicht, im Gegenteil, ich finde diesen ungestümen Wunsch recht begreiflich und natürlich!«
»Ah! — Sie überraschen mich!« —
»Wenn man wahrlich überzeugt ist, daß Glück und Freiheit nur am Golde hängen, so wäre es ja ein Unding, sich diesen wichtigsten aller Faktoren nicht zu wünschen!«
»Sind Sie etwa nicht davon überzeugt?«
»Nein, gewiß nicht.«
»Dann lernten Sie noch nie das infame, deprimierende Gefühl kennen: zu wollen — und doch nicht zu können!«
»Nein — denn ich habe immer nur das gewollt, was ich konnte!«
Er schüttelte beinahe unwillig den Kopf. »Das ist so tugendhaft, daß es mir beinahe wie Unnatur vorkommt. Ich bin sehr anders beanlagt — sehr anders. —«
»Das verstehe ich sehr wohl: der Mann will die Welt besitzen — das Weib möchte sie verschenken.«
Das klang so weich und lind, wie ein voller Glockenton in grelle Mißakkorde.
Er empfand es; etwas wie Rührung lag in dem Blick, mit welchem er sie ansah. —
»Nicht jedes Weib — wohl nur die, welche mit Engelsschwingen durch dieses Leben gehen — so wie Sie, Komtesse Malva. — Also Sie verstehen mich — Sie schlagen keine drei Kreuze vor mir? Das danke ich Ihnen von Herzen. — Ja, wenn man jung ist und die Lebenslust durch jeden Nerv und jede Ader glüht, dann möchte man freilich die Welt erobern — besitzen — alles in großen, durstigen Zügen genießen, was sie an Schönem und Lockendem bietet. — Wenn ein Vogel einmal die Schwingen in Freiheit, Duft und Sonnenglanz gebadet, dann kann er nicht wieder zurückkriechen in den engen Käfig — er stößt sich den Schädel an dem Gitter ein. — Man verlangt von mir, daß ich mich für die Kriegsakademie vorbereite; man wird mich scharf verurteilen, daß ich es nicht tue. — Auch Sie, Komtesse?« —
»Ich verurteile Sie nicht, aber ich bedauere es von Herzen.«
»Warum?« —
»Weil Sie es später gewiß bereuen werden, eine Gelegenheit versäumt zu haben, welche Ihnen die Möglichkeit gab, alle Ihre geistigen Fähigkeiten zu entfalten und in interessantester Arbeit, im Erreichen hoher Ziele, erst eine wahrhafte Befriedigung zu finden.«
»Wohl möglich; — vorläufig fehlt mir das Verständnis für diese Perspektive — sie reizt mich nicht. — Sie sehen, ich habe bei allen Lastern doch noch eine Tugend — die Aufrichtigkeit.«
»Davon überzeugte ich mich schon oft. Ich aber bin keine Schulmeisterin, welche Moral predigen will! Ich habe die Überzeugung, daß jeder Mensch sich sein Schicksal selber gestalten soll und muß. Nichts belehrt besser, als die Erfahrung; darum ist guter Rat, mit welchem viele Leute so gern aufwarten, meist recht überflüssig und unangebracht.«
Bonaventura nickte lebhaft. »Ganz meine Ansicht! Ich hasse es, wenn man vernünftige, große Menschen wie unmündige Kinder beeinflußen will. — Sie haben bewundernswerte richtige und dabei doch so liebenswürdige Grundsätze! Gestatten Sie mir noch eine Frage, deren Beantwortung mich sehr lebhaft interessiert! —« Der Sprecher atmete unruhig, und sein Blick brannte wieder so heiß und vielsagend wie sonst auf dem Antlitz der einzigen, welche er liebte, tatsächlich liebte.
Malva empfand diesen Blick und versuchte eine Befangenheit, welche sie plötzlich beschleichen wollte, hinwegzuscherzen.
»Eine Frage hat bekanntlich jeder frei an das Schicksal.«
»An das Schicksal —!« Sein Auge bekam einen weichen, träumerischen Glanz. »Wie viel sprechen Sie ahnungslos mit diesem Worte aus! —« Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er hastig fort: »Was halten Sie von der Freundschaft?« —
Einen Augenblick schwieg Gräfin Kettenau überrascht, dann sagte sie sehr ruhig: »So viel, daß es beinahe an Phantasterei grenzt.«
»Was heißt das?«
»Wahre, edle und aufrichtige Freundschaft deucht mir die reinste Form der Liebe, von welcher alle Schlacken der Materie abgestreift sind.«
Er sah ein wenig verständnislos an ihr vorüber auf die weißglitzernde Schneefläche.
»So meine ich es nicht — einen derart hohen Gedankenflug nahm ich in diesem Augenblick nicht. Ihre Ansicht ist fraglos sehr schön und ideal, aber doch wohl nur in Ausnahmefällen richtig. Meine Frage bezog sich auf die Beständigkeit der Freundschaft. — Glauben Sie, daß es Damen gibt, welche trotz einer herben Enttäuschung, trotz einer bitteren Erfahrung, welche sie an dem Freund machen, dennoch die bestehenden, guten Beziehungen aufrechterhalten?«
Malva lächelte. »Wenn dieser ›Freund‹ ihnen wirklich als Freund nahestand — selbstredend.«
»Das sagt sich so leicht!« Er seufzte. »Aber in Wirklichkeit —«
»Kann es erst recht nicht schwer sein!«
»Nehmen wir ein Beispiel —«
»Gut! — Ein Beispiel?«
Er nagte einen Augenblick sichtlich erregt an der Lippe. »Also eine junge Dame und ein junger Herr sind sehr befreundet. Sie tanzten und verkehrten viel zusammen, sie traten sich durch einen aufrichtigen Austausch ihrer Gedanken näher wie andere Leute sonst während einer kurzen Wintersaison.— Es schien beinahe, als ob sie sich sehr lieb gewonnen hätten. — Es schien nur so; — Wahrheit durfte es nicht werden, weil die notwendigen Existenzmittel zu einer Heirat fehlten. — Nun lernte ›er‹ eine sehr reiche Erbin kennen, und weil er ja sein Schicksal doch einmal besiegeln muß, heiratet er sie. — Nun — wird die andere ihm verächtlich, zürnend und entfremdet den Rücken kehren?« —
Dunkle Röte war während der letzten Worte in des Sprechers schönes Gesicht gestiegen, beinahe ungeduldig, gebieterisch blitzte sein Auge durch die dunklen Wimpern.
Um so ruhiger erschien Malvas liebliches Angesicht; das feine, schmerzliche Beben ihrer Lippen sah er nicht.
»Ich wüßte keinen Grund, warum sie ihm die Freundschaft kündigen sollte!« lächelte sie; »es würde ja kleinlich sein, einer anderen das Glück zu mißgönnen, welches ihr selber versagt bleiben mußte!«
Er atmete tief auf. »Und sie würde auch fernerhin mit ihm tanzen — plaudern — verkehren, so wie ehemals —?«
»Das ist unter guten Kameraden doch selbstredend.«
Wieder schwieg er einen Augenblick; dann flog das alte, strahlend heitere und kecke Lachen über sein Gesicht.
»Wie gütig, wie tröstlich hat mir das Schicksal geantwortet!« sagte er, faßte ihre Hände abermals mit festem Druck und stürmte weiter mit ihr über die glitzernde Eisfläche. »Nun graut es mir nicht mehr vor der Zukunft, nun weiß ich, daß keine Schatten hinter mir liegen werden! — Ah … Fräulein von Heym! — Sehen Sie, Komtesse, wie sie uns sucht und uns zu erreichen strebt? Ihre Reserve hat erzieherisch auf die anspruchsvolle junge Dame gewirkt!«
»Wer weiß, ob Sie recht hätten, wenn sich nicht die Gesetze magnetischer Anziehungskraft mit mir verbündet hätten!«
Er sah ihren neckenden Seitenblick und lachte.
Gott sei Dank! Sie hatte ihn verstanden, und die engelsgütige Versicherung ihrer Freundschaft galt ihm.
Welch ein liebenswertes, herziges Mädchen ist sie! Nie zuvor hatte er ihren vollen Wert so erkannt wie in diesem Augenblick, wo er im Begriff steht, den ersten Schritt zu tun, welcher ihn ewig von ihr trennen wird! —
Noch hält er die weichen, warmen Händchen in den seinen, noch leuchten ihre Augen wie zwei treue Sterne nahe — ach, so nahe den seinen! — Ein kurzer Entschluß — ein energisches Sichaufraffen zu Arbeit — Schaffen — Ringen — Kämpfen — und er fesselt für ewig den guten Engel an seine Seite! —
Wie ein Windstoß daherfegt, faßt es wiederum sein Herz und wühlt es bis in die tiefsten Tiefen auf.
Welch ein Zwiespalt, welch ein Kampf in seinem Innern zwischen Liebe und kalter Vernunft!
Er sieht Fräulein Ellinor entgegen. — Wie rot, wie häßlich ihre Augen mit dem herablassend, überlegenen Blick! Wie unsympathisch der Ausdruck ihres Gesichts, auf welches alle zynische Weltweisheit ihren Stempel gedrückt hat!
Gräßlicher Gedanke — ein ganzes, langes Menschenleben hindurch an die Seite solch frivoler herz- und glaubensloser Spötterin gebannt zu sein! —
Und doch!
Bonaventuras Blick schweift weiter, an der zierlichen Gestalt herab, bis zu dem Kleidersaum, welcher in breitem Streifen von dem kostbarsten aller Pelze umrandet wird. Wie schlicht sticht Malvas glatter Rock dagegen ab. —
Eine breite, herrlich gearbeitete Goldkette in Schlangenform liegt über des Goldfischchens Schultern, den wertvollen Muff zu halten; wie eine Schnalle ruht der Schlangenkopf auf dem weichen, seidenglänzenden Rauchwerk, und feine, große Rubinaugen glühen im hellen Sonnenlicht. Wenn Fräulein Ellinors Röcke bei schnellen Wendungen um die Füße flattern, rauscht und knirscht das schwere Seidenfutter, und von dem Strauß köstlicher Nilrosen, welche der Schlangenkopf auf dem Muff festhält, weht ein feiner, eleganter Duft empor. —
Die Handschuhe und die hohen Knöpfstiefelchen sind tadellos.
Völkern hat stets eine Schwäche für luxuriöse Toiletten gehabt; er liebt alles, was den Nimbus der »Unbeschränktheit« trägt, und wenn er plötzlich wieder daran denkt, wie schön es doch sein muß, eine Wünschelrute schwingen zu können, zu gebieten und zu sehen, wie es allsogleich dasteht — ja, dann legt sich plötzlich der Sturm in seinem Innern, und es wird still — unheimlich kalt und still. —
Außerdem sieht er, wie die Kameraden sich bemühen, bei der Vielumworbenen Eindruck zu machen, wie manch scharfer Blick ihn trifft mit dem mißgünstigen Zugeständnis, daß man sehr wohl durchschaut, warum Fräulein von Heym durchaus noch einmal Komtesse Kettenau sprechen wollte!
Das gibt wieder einen feinen Stich in die Achillesferse!
Völkern kostete schon oft das süße Gift heimlicher Triumphe über andere; so ostentativ wie diesmal sind ihm die Lorbeeren aber doch noch nie vor die Füße gelegt.
Wenn sie an und für sich auch reizlos sind und das Herz kühl lassen — ihr Duft berauscht dennoch wie Opium und gaukelt die schönsten und glänzendsten Träume vor.
Und so lösen sich unmerklich Bonaventuras Hände von denen der jungen Gräfin; wie feine, magnetische Fäden zieht es ihn, sich der reichen Erbin höflich zuzuwenden und ihr mit einem seiner unwiderstehlichsten Blicke ein paar heitere Worte zuzurufen.
»Wer ist der Zivilist an ihrer Seite?« fragt Malva leise und wendet unwillkürlich den Kopf, als geniere sie der scharfe, stechende Blick, mit welchem der Fremde sie sehr ungeniert mustert.
»Ich ahne es nicht!« antwortet Völkern ebenso leise; »aber ich denke, wir werden es gleich erfahren!«
Schon hat sich Fräulein von Heym genähert und reicht der Gräfin die Hand entgegen. »Warum ›schweifen Sie so einsam‹, Komtesse?« lächelt sie im Gemisch von Scherz und Ironie, »dazu sind Sie nicht blond genug! Ich freue mich, Sie heute wiederzusehen, und mein Bruder bittet um den Vorzug, Ihnen vorgestellt zu werden!«
Eine lässige Handbewegung.
Der große, überschlanke Zivilist an ihrer Seite gleitet auf den blitzenden Schlittschuhen näher und macht eine tadellose Verbeugung. Das Monokel fliegt dabei aus seinem Auge, und sein Blick trifft, schnell unter den buschigen Brauen hervorzuckend, das Antlitz der jungen Dame.
Mit gewandter Bewegung steht er an ihrer Seite.
»Meine Schwester hat mich durch ihre Anwesenheit auf dem gestrigen Ball bei dem Botschafter um eine Pferdelänge geschlagen!« sagte er, leise und undeutlich sprechend. »Sie hat dadurch den Vorteil, schon in der Gesellschaft bekannt zu sein, während ich mir noch als Neuling das Terrain erobern muß!«
»Sie sind erst später hier eingetroffen?«
»Ich komme direkt von London, gnädigste Gräfin. Eine junge Sängerin, welche ich vor drei Jahren in Sydney entdeckte und ausbilden ließ, feierte als ›schwarzer Stern‹ ihr erstes Debüt in England, welchem ich selbstredend beiwohnen mußte!«
Malva blickte überrascht auf. »Ah! Eine Negerin?«
Er lächelte — wenn anders man das schnelle Zucken seines faltigen Gesichts so nennen konnte.
»Vollblut! — Hochoriginell!« —
»Und sie hatte Erfolg?« —
»Wie alles Neue und Fremdartige!«
»Trat sie im Konzert oder in einer Oper auf?« Malva fragte es interessierter, als sie eigentlich beabsichtigte, denn dieser neue Zuwachs der Gesellschaft deuchte ihr durchaus nicht sympathisch.
»Selbstredend Oper! Der Impresario, ein schlauer und zielbewußter Italiener, hatte den vorzüglichen Trick ersonnen, die ebenholzfarbene, kleine Miß Kurru-Kru in der Rolle der Afrikanerin einem verblüfften Publikum zu präsentieren!«
»Als Afrikanerin? Wie passend für eine Australnegerin!« Malva lachte belustigt auf, und in das lederfarbene Gesicht des Herrn von Heym gruben sich auch ein paar Fältchen.
»Ihre Nationale stand nicht auf dem Theaterzettel, Komtesse —! Und für die große Menge bleibt schwarz — eben schwarz! — Wenn es Sie interessiert, erzähle ich Ihnen ein paar Details von dieser Feuerprobe meines Schützlings — darf ich bitten?«
Der Sprecher faßte ganz wie selbstverständlich die Hand seines Gegenübers und dirigierte Malva »seeein«!
Diese warf einen schnellen Blick zurück. Sie sah, wie Bonaventura auch seinerseits die Hände mit denen des Fräulein Ellinor kreuzte und ihnen in lebhaftem Gespräch mit seiner Dame folgte.
Etwas widerwillig gehorchte Gräfin Kettenau ihrem Partner.
Selten war ihr ein Herr so unsympathisch erschienen, wie er.
Die Sonne schien ihr voll in das Gesicht und blendete sie, so daß sie die Einzelheiten seiner Erscheinung nicht allsogleich erfassen konnte — mechanisch flog sie an seiner Seite dahin und kam wenigstens zu einer vorteilhaften Meinung über ihn: er lief brillant Schlittschuh! —