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4. Kapitel: Musikverein

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Und sie kam. Ich werde den Tag nie vergessen. Es war der 22. Februar und doch schien es mir wie der erste Frühlingsabend. Am Karlsplatz hing lauwarm die Sonne über den Baumkronen und verwandelte im Zwielicht den flachen Teich vor der ausladenden Kirche in ein munteres Stelldichein. Fidel scharten sich Touristen und Studenten der angrenzenden Technischen Universität in kleinen Gruppen auf den das Wasser umsäumenden Treppen vom lauen Abend animiert zusammen, an denen ich nun frisch parfümiert mit dem Rad vorbeisegelte, meiner Gewohnheit nach eine Stunde zu spät zum vis à vis gelegenen Musikverein.

Mein Zeitplan richtete sich nach dem Anfang der grossen Symphonie. Der grosse Saal galt als komplett ausverkauft. So war mir die Pause willkommen, zwischen Sektgläsern und belegten Kaviarbrötchen hindurch unbemerkt den oberen Stock zu erklimmen. Grau in grau sassen die Herren in den Sitzreihen des Parketts, getrennt nur durch die dezenten Tupfer der altmodisch glitzernden Roben ihrer betagten Begleiterinnen. Schnell und gewandt stürzte ich von links in das hintere Areal des goldenen Musikvereinssaales.

Er schließt oben mit einer Holzkacheldecke und zwei kleinen Ventilatoren ab. Ein Hohl-Geschoss unter dem Parkett-Boden sorgt – ähnlich wie bei einer Geige – für einen Resonanz-Raum. Genauso lässt die Saal-Decke, die nicht einfach aufliegt, sondern am Dachstuhl aufgehängt ist, den Klang im Saal vorteilhaft schwingen. Auf den kunstvoll gearbeiteten quadratischen Deckenpanelen wiederholte sich die Laute und der Schwan in ornamentaler Abwechslung – sinnbildliche Attribute der griechischen Minerva – in Indien der Saraswati – Göttin der Kunst und der Musik, die im Großen Saal als goldene Statue auf beiden Seiten 16 mal die Seitenbalkone trägt. Die Japaner haben versucht, den Klang des Saales in minutiöser Nachbildung zu kopieren – vergeblich. Sie haben die Rechnung ohne die Minerva gemacht. Sie gibt hier den Ton an.

Im Moment, wo ich nach dem Halbzeitgetummel in die Mitte des rückwärtigen Raumes husche, sehe ich Saskia schon und laufe freudig auf sie zu. Für gewöhnlich stürzte ich alleine und argwöhnisch in diese Dunkelheit. Nun erhellte mich ihr Gesicht.

„Begrüße Sie“, meinte sie gut gelaunt. „Am Stehplatz? Aber stehen Sie nicht sowieso den ganzen Tag in der Schule? Da muss ich Ihnen das nächste Mal einen Sitzplatz kaufen. Heute sitzt meine Freundin dort, sie ist schwanger.“

Sie deutete auf eine junge, nette Frau in einem schwarz-weiss-geblühmten Kleid in der letzten Sitzreihe. Sie erhob sich und grüsste. Ein einfaches, nicht wenig hübsches, natürliches Mädchen. Dass sie vom Land war, merkte ich am Akzent. Ihr Gesicht hatte ein angenehmes Leuchten, stärker noch, als ich es von Hochschwangeren gewohnt war.

„Ah, das macht nichts, eine Stunde auf zwei Füssen. Ich schaff´es eh immer erst nach der Orchesterpause.“

„Na, da müssen Sie wenigstens keinen Eintritt zahlen.“

Sie hatte mich ertappt. Sie schaffte es, dass mir die Schmetterlinge im Bauch tanzten. Meine Gefühle schockierten mich und schlossen bei mir alle Scheuklappen. Es reichte die Vorstellung, dass mir die Zuneigung vom Gesicht abzulesen war, um mich perplex werden zu lassen. So konzentrierte ich mich schnell auf das Einspiel der Geiger. „Bruckner ist aus meiner Heimat Oberösterreich“, gab ich an.

„Schau an.“

„Ja, ich kenne auch den Dirigenten. Er war früher ein Kollege meines Vaters im Bruckner-Orchester.“ Sie schien beeindruckt von meinen Belehrungen.

Die Philharmoniker hielten ihr Versprechen, eines der besten Orchester der Welt zu sein.

Es war ein wunderschönes Konzert. Ihre Nähe vertiefte das Erlebnis – womit ich sie mühelos als Musikliebhaberin identifizierte. Sie blieb bis zum Schluss an meiner Seite und verwickelte mich am Ausgang mit ihrer Freundin noch in ein lebendiges Gespräch. Zu dritt standen wir vor dem großen Portal des roten Hauses der Musik, bis die letzten schwarzen Regenschirme über den eleganten Paaren vor unseren Augen verschwanden. Sie lachte laut und ich hatte jetzt nicht mehr das Gefühl, dass sie über mich lachte.

„Wissen Sie, ich wollte vor ein paar Jahren einen Einheimischen heiraten, in Indien. Dort erfährt man erst in der Nacht, wen man am nächsten Tag ehelicht. Arrangierte Ehe nennt man das.“

„Na servus“

„Er war klein und schmächtig, vom Land. Wir hatten nur eines gemeinsam: Wir verwechselten beide die vier und die sieben. So habe ich mich bei meinen Heiratsangaben verschätzt und war nicht nur vier Zentimeter größer, sondern auch drei Jahre älter als er. Nachdem er auf dem Eheformular dieselben Zahlen verschusterte, bemerkte keiner von uns den Fehler vor der ersten Begegnung.“

„In Indien heiratet man zuerst auf dem Papier“, bemühte sich ihre Freundin zu erklären.

„Beide Unterschiede waren für den Inder untragbar. So konditioniert war er“, lachte sie laut. Eine Anspielung auf meine Steifheit? Die Anekdote belustigte beide Freundinnen jedenfalls ungeheuer.

Gerne wäre ich ein Teil der Lebensfreude der Beiden geworden. Doch der Ernst kehrte nach der Schilderung aus dem bunten Indien, welches an trockenen Daten und Fakten erstickte, zu mir zurück: Meine auf dem Papier existierende Noch-Frau schickte mich in der Sekunde per sms zu ihr in die Wohnung, um ihr beim Zusammenpacken zu helfen. Sie mußte am nächsten Tag auf eine Schulreise. Ihr Ruf war wie eine schwarze Wolke, die mich einholte, ohne bunten Regenschirm in dunkler Neumondnacht zu ihr zu fahren. Viel lieber wäre ich mit den beiden auf ein helles, freundliches Bier gegangen.

„Kommen Sie noch mit auf einen Drink?“ fragte Saskia sichtlich angeregt und erheitert, indem sie meine Gedanken erriet.

„Leider, ich muss nach Hause“, wand ich steif ein.

Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben – doch nicht für lange. Schnell fand sie wieder mit einem witzigen Thema zu ihrem eigentümlichen Humor zurück und huschte mit ihrer Freundin lachend Richtung Naschmarkt. Während ich mein Rad aufsperrte und den Beiden nachsah, bereute ich schon meine Entscheidung. Wieder hatte ich den Spielverderber abgegeben. Dieses Verhaltensmuster sollte mich noch lange verfolgen.

Am Donnerstag, dem 29. Feber nach der Schule lichtete sich die dichte Wolkenwand, die bereits wie üblich die ganze Woche über der Stadt hing. Das Licht strahlte frech vom Karlsplatz hinüber über den hellen, offenen Schwarzenbergbrunnen bis zu unserer Schule und brachte den Regen an allen Hausecken wie Diamanten zum Funkeln und unsere Fenster zum Glitzern – vor allem dort, wo sie wartete.

Sie hatte den Tischtennisschläger noch in der Hand und damit offensichtlich vor dem Regenguss mit den Schülern gespielt.

„Tischtennis?“ fragte ich.

„Ja, leidenschaftlich.“

„Da müssen wir uns eine Partie geben.“

„Gerne.“

Sie war ein Profi und die Schüler umringten uns bald, indem sie natürlich die Mutter anfeuerten, ihren Lehrer zu besiegen. Auch wir hatten mächtigen Spaß am Spiel, obwohl mir die vielen Zuseher ein wenig peinlich wurden. Bald hatte ich genug von dem Trubel.

„Es reicht Ihnen?“ bemerkte sie meine Zweifel.

„Ja danke, ein bisschen müde nach sechs Stunden Unterricht.“

„Das merkt man.“

Ich zog es vor, mein Rad zu schieben, anstatt sofort loszufahren. So gingen wir Richtung Karlsplatz in der regenfrischen Luft nebeneinander her. Die noch winterlich tiefe Nachmittagssonne jagte lange Lichtstrahlen zwischen die taufrischen Hausfronten. Direkt auf uns zu.

„Sie haben einen Schal an.“

„Den trage ich immer.“

„Ihr Hals. Ihr Hals ist entzündet.“

„Woher wissen Sie das? Ich verwende im Winter immer einen Schal.“

„Am Zeigefinger. Der ist ganz heiss, und der Zeigefinger korreliert mit dem Hals. Deswegen zeigen wir so auf einen Anderen.“ Sie deutete mit dem Indexfinger auf mich.

„Du“, sagen wir so, fügte sie lächelnd hinzu. Dieser Finger korrelliert mit der Kommunikation, dem Miteinander und der Freundschaft. Wenn man meditiert, kann man den subtilen Zustand an den verschiedenen Fingern erkennen. Jeder Finger steht für einen Nervenplexus an unserer Wirbelsäule. Kühl bedeutet frei von Belastung und Wärme will heissen, dass ein Misstand darauf wartet, entfernt zu werden. Das Chakra dreht sich dann nicht perfekt und wir sollten es von der Hitze befreien.

Sie können das selbst verändern jetzt.“ Sie blieb abrupt stehen.

„Massieren Sie den Scheitel, die Fontanelle, bis es oben kühl herauskommt, halten Sie die rechte Hand und Ihre Aufmerksamkeit zehn Zentimeter über dem Kopf und dann drehen sie diese im Uhrzeigersinn vor dem Hals. So!“

Ich lehnte das Rad an meine Hüfte, tat, wie befohlen und hielt meine linke Hand dabei ausgestreckt mit der Handfläche nach oben.

Es ströhmte zuerst heiss aus der Fontanelle und kühlte dann langsam ab, zurück blieb ein frischer Hauch. Dann drehte ich meine rechte Hand vor dem Hals, dort, wo sich eine Mulde bildet und ich eine Art Magnetismus wahrnahm. Das Chakra war heiss.

„Spüren Sie etwas?“, fragte sie.

„Ja, es wird wärmer“.

„Dann müssen Sie die Hitze hinausziehen und wegschmeissen.“

„Einfach so auf den Boden?“

„Ja. Aber nicht mir auf die Füsse“, lachte sie.

Mein Hals fühlte sich wirklich an, als würde er kochen.

Das Entziehen der Blockade aber kühlte ihn merklich. Die Technik kam mir simpel vor.

„Das müssten Sie jeden Tag machen, wenn Sie keine Halsentzündung wollen.“

„Und das funktioniert? „

„Sicher. Einfacher, als jede Medizin.“

„Ich nehme immer Halstabletten mit in die Schule.“

„Das brauchen Sie jetzt nicht mehr. Es kommt vom vielen Sprechen. Es ist aber auch immer ein Zeichen für eine gestörte Kommunikation.“

Es war mir unheimlich, dass sie das alles wußte. Ich hielt ihre Aussage für eine Anspielung auf meine Tendenz zur passiven Aggression. Gleichzeitig machte sie mich auch neugierig. Frauen, die mir geistig etwas vorraus hatten, faszinierten mich.

Das Licht bahnte sich einen letzten Weg zwischen den vom Regen getränkten Ulmen und wir schlenderten über den Karlsplatz in die angrenzende Margaretenstrasse.

„Und Ihre Hände, sind die dann immer eiskalt?“, fragte ich neugierig.

„Selbst ausprobieren!“, antwortete sie provokativ und lachte.

„So oft es geht. Sollte ich in eine unangenehme Situation kommen, werden sie warm. Zum Beispiel bei einem Gespräch mit einem Menschen, der lügt.“

„Und was tun sie dann, damit sie wieder kalt werden?“

„Ich meditiere“

„So mit Kerze und im Schneidersitz am Boden?“

„Mit der Aufmerksamkeit auf dem Scheitel. Es ist ganz einfach. Schauen Sie: Drücken Sie wieder Ihre rechte flache Hand – mittig – auf die Fontanelle, auf den Scheitel, sehen Sie. Dann wird es ganz kühl. Und jetzt versuchen Sie, ihr Bewusstsein auf diesen Punkt über dem Kopf zu halten. Automatisch wird man dadurch gedankenfrei.“

Ich tat, wie empfohlen, aber ehrlich gesagt spürte ich schon den ganzen Weg von der Schule bis hierher einen kühlen, angenehmen Windhauch über den Kopf. Es fühlte sich an, wie eine Antenne zu einer unerschöpflichen Energiequelle. Ich hätte Bäume ausreissen können in diesem Moment. Ob sie dasselbe empfand?

„Eine Meditation kann ich Ihnen ja einmal vorführen. Übrigens heisse ich Saskia“

Ich schüttelte verlegen die entgegengestreckte Hand. „Christof“, erwiderte ich.

„Ich meditiere auf dem Rad und – so oft es geht – in Konzerten, um nach dem Schulalltag zur Ruhe zu kommen“, gab ich zu, „falls ich nicht selbst probe oder Schüler bei mir zu Hause unterrichte.“ Ich fühlte mich unwissend und versuchte mit diesen kurzen Anekdoten meine Position auszuweiten.

„Immer in den Musikverein?“

„Nein, auch in Jazz-Konzerte.“

„Jazz, in Wien? Gibt es das? Ich war früher in München viel in Jazz-Konzerten aber in Wien noch nie.“

Inzwischen waren wir schon in der Margaretenstrasse angelangt und bikende Studenten zischten auf beiden Seiten an uns vorbei.

„Welche Richtung gehen Sie?“

„Immer gerade bis zur Pilgramgasse.“

Ich kramte in meiner prall gefüllten, blauen Baumwoll-Umhängetasche. Blau mit gelb-orange aufgenähten Streifen, die ich immer bei mir trug. Das Bienen-Muster war eine Warnung an die Welt, sich nicht an mir zu vergiften. Mein ständiger Begleiter war immer vollgestopft mit allerhand nützlichen und unnützen Dingen, Büchern und Heften, wie jetzt der Konzertkalender vom Wiener Jazzclub Porgy & Bess. Immer ärgerte ich mich über das Gewicht, jetzt war ich froh, den Katalog griffbereit zu finden.

„Schauen wir mal, vielleicht spielen sie diese Woche etwas Interessantes.“

Wir blieben kurz stehen an der Strassenkreuzung des alten, mit schönen Herrschaftshäusern, Holzgiebeln und Balkönchen geschmückten Margaretenplatzes.

Sie war interessiert. Ein neuer Club, eine neue Veranstaltung, damit konnte ich sie locken. Sicher war ihr Leben voll von Abenteuern und Neuigkeiten. Besaß sie nicht eine Eventfirma? Das hatte sie doch vor Wochen erzählt. Natürlich weltweite Events – damit konnte ich nicht punkten. Wieder stieg Neid in mir auf. Die Mißgunst war mein ständiger Begleiter – gleich meinem Rad und meiner Tigertasche.

Noch immer spürte ich es kühl über dem Kopf, wie jedesmal, wenn sie mir ihre volle Aufmerksamkeit schenkte. Mir war, als klaffte oben auf meinem Scheitel ein Wallnuss-grosses Loch. Diese Sensation wollte ich ganz bestimmt für mich behalten, um mir gegenüber Saskia und ihrer glamourösen Welt keine Blöße zu geben. Zeitlebens war ich nicht unbedingt grosspurig, sondern klein, filigran und verläßlich gewesen. Eine andere Übermacht als die des Vaters, der Ehefrau oder des Schuldirektors kannte ich nicht. Wann immer in mir ein Gefühl von Größe aufstieg, habe ich es als winziges Rad in einer gewaltigen Maschine zu unterdrücken gelernt. Jeder Meter weg von meinen Gewohnheiten, Riten oder Tagesabläufen flößte mir Angst ein. Jetzt war ich stolz auf eine Verbindung, die sich mühelos über meinem Kopf einstellte und mich so hervorhob, mir Grandiosität einflößte, die mir zwar überlegen, aber jetzt ein Teil von mir war.

Gerne kehrte ich Saskia gegenüber mir bekannte Gefilde, wie das Thema meiner Konzerte heraus. Mit kurzen Bemerkungen musterte ich alle Bands, die diese Woche auftreten sollten. Sie hatte keine Ahnung von österreichischen Musikern, wie konnte sie auch – als Weltfrau. Ich versuchte, deren Namen auszukosten und jede Anekdote zu den auftretenden Ensembles kunstvoll über ihr Wissen und ihre Weisheit zu heben.

„Freitag, das könnte passen, moderiert von einem Komiker des ORF.“

„Aha, den kenne ich flüchtig“, musterte sie die Ankündigung. „Vom Namen her.“

Sie gutierte freiwillig meinen Akt zur Überlegenheit und ergab sich damit meinem oberösterreichischen Kleingeist aus Pasching, einem Vorort vor Linz, in dem ich aufwuchs. “Pasching” klang wie “Pischinger” – auf jeden Fall war man abgepascht, wenn man in Pasching geboren war. Linz war schon nichts als Stahlbau und Sportunion, in Pasching hatte man nichts verloren. Nie hatten mich meine Wege weiter als bis Wien geführt. Höchstens auf mein mickriges Gartenhaus in den Bergen der Steiermark oder auf unsere Ferieninsel Rab, auf der ich mit meiner Familie seit 28 Jahren Urlaub machte. Das war´s. Jetzt erfand ich mich neu: Als Ansager und Organisator ihrer Freizeit.

„Können wir machen, spontan“, meinte sie freudig, „aber jetz muß ich weiter.

Falls ich komme, kann ich Dir mehr über den kühlen Hauch erklären“, verabschiedete sie sich rasch und segelte auf ihrem Scooter flink die Pilgramgasse hinunter.

Ich schaute ihr nach. Lange war ich nicht so gespannt auf eine Verabredung gewesen. Wie im Flug fuhr ich ohne Wind oder Widerstand zum Bacherplatz, wo ich seit der Trennung von meiner Noch-Frau vor drei Jahren wohnte. Meine Tochter hatte mir diese zwei Zimmer Wohnung ausgesucht, um mir den Übergang von der Psychatrie und der kurzen psychologischen Crash-Beratung zurück in ein normales Leben ohne meine heiß geliebte Treuelose zu erleichtern. Das Planquadrat vor meinem Haus war ein Spiel-Park mit Mimosen, den aussen grosse Kastanien umzäunten. Ich dachte an die kommende Blütenpracht mit ihren Bienen über buntem Kindergeschrei der Flüchtlingskinder aus 23 Herren Ländern, die hier täglich in buntem Sprachgemisch mehr Spaß hatten, als der Rest der Stadt zusammen. Ich fuhr mit dem Rad so schnell ich konnte and benommen vor Freude vor die Nummer 13, öffnete die Tür und schob das Fahrrad die Schiene links der Eingangsstiege des reich stuckatierten Zinhauses in den Mezannin hinauf. Mein Fahrzeug liess ich unversperrt vor meiner Wohnungstür Nummer 6 an der Wand stehen. Schon sank ich trunken auf den Schemel hinter dem schmalen Gang an meinem kleinen quadratischen Küchentisch in blaßgrünem Retro-Stil aus den 50er Jahren, öffnete das Fenster in den Nord/West-seitigen, immer schattigen Efeu-bewachsenen Innengarten und war wie gelähmt. In jede meiner Zellen sackerte Opiumtrunk. Sie würde mich sehen! Ich wollte ihr Geheimnis lüften.

Nach so vielen Jahren der Einsamkeit fühlte ich mich heute nicht mehr allein, sondern in Gesellschaft aller Engel, Elfen und Kobolde der Welt. Unfähig, zu einem Glas zu greifen, noch weniger in der Lage, mir etwas zu Essen zu machen, klebte ich in Trance am Stockerl und blickte verträumt den Vögeln und Insekten hinterher. Lauter, geräuschvoller waren sie, als bisher, als hätten sie vorher nur geschwiegen und als wäre ich erst heute in der Lage, ihre Tonlage mit meinen geschärften Sinnen wahrzunehmen. Wie verzaubert lag der Garten vor meinem Fenster. Nicht dunkel und traurig, meine Einsamkeit folternd, sondern sprechend, einen Schatz haltend, als gelte es, Runensprüche aufzusagen, um damit die Tür in eine neue, verborgene, eklesiastische Welt aufzustoßen. Nach drei tristen Jahren, den Blick fest auf den kommenden Freitag gerichtet, öffnete sich das Seelentor aus meinem eintönigen Dasein. Ich verharrte fassungslos, in meinem Drogenrausch der Sinne eine Stunde völlig bewegungsstarr, bevor ich mich fasste, um im anliegenden Wohnzimmer meinen kargen Alltag in einem neuen, klärenden Licht zu anzugehen.

Doch zu Hause wollte ich in solch einem befreienden Moment nicht bleiben. So entfloh ich durch den Park in ein türkisches Fast-Food-Restaurant.

Der EIndringling

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