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Teil 1 - Nordlichter - Kapitel 1
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November 1976
Heute würde sie ihm begegnen. Liv Lindstrøm wusste in dem Moment, in dem sie erwachte, das heute der Tag war, an dem sie dem Vater ihrer beiden zukünftigen Töchter, über den Weg lief. Ihre fast moosgrünen Augen strahlten, wie Abertausend kleine Regenbogen die sich in ebenso vielen Tautropfen widerspiegelten. Zufrieden kuschelte sie sich in ihre Decke und blickte zum Fenster ihres Hotels hinaus, wo die Nacht immer noch Herrschaft zu halten schien, obwohl der Morgen bereits fortgeschritten war. Tromsø war aber einer jener magischen Orte, an dem Menschen aus Allerherren Länder, den magischen Tanz der Nordlichter bewunderten. So wie sie gestern Abend.
Pure Liebe für ihr Land durchflutete Liv, während sie immer noch voller Bewunderung daran dachte, während die Vorfreude auf die bevorstehende Begegnung ihr beinahe schon Flügel verlieh. Flügel, deren Besitzer Elfen und nicht Engel waren, dachte sie, die einer Religion dienten, die es beinahe geschafft hätte die skandinavischen Götter und Göttinnen zu vernichten.
Beinahe, dachte Liv, beinahe wären sie dem Untergang geweiht gewesen, lange bevor Ragnarök, wo der Großteil der Götter ihr leben lassen würde, seinen Lauf nehmen würde.
Aber auch wenn die alten Mythen, Legenden und Erzählungen, tief in ihren Herzen und in ihrer Seele verwurzelt und verankert waren, so spürte sie dennoch mit großer Sicherheit, dass da irgendwo in all dem Wirrwarr aus Religion, Kultur und Geschichte, etwas verborgen lag, das tiefer reichte als das geschriebene Wort der historischen Bücher jemals enthüllen, würde können. Etwas das sie alle mehr miteinander vereinte denn trennte. Ganz wie eine Melodie, die aus der weit entfernten Vergangenheit in die weit entfernte Zukunft und ihrer aller greifbaren Gegenwart reichte.
Dennoch oder gerade, weil sie dies mit absoluter Gewissheit wusste, war es ihr auch relativ egal, ob es anderen Menschen gefiel, das sie sich dennoch eher zu den alten Göttern und Göttinnen ihres Landes hingezogen fühlte.
Außerdem war es so auch leichter für sie, ihre Magie für sich zu nutzen und mit dieser zu leben. Einer Magie, die sie noch vor gar nicht allzu langer Zeit, auf den Scheiterhaufen gebracht hätte, während in der heutigen Welt die Menschen nicht nur offener für alles was sie umgab, wurden, sondern immer mehr und mehr erwachten, um vielleicht noch in dieser Lebenszeit, ihre Seelen und Mutter Erde, auf eine neue Daseinsebene erhoben, die die Menschheit endlich vereinte.
Alles hatte seine Zeit, dachte sie. Und dies war eine Zeit, in der es an der Zeit war, sich selbst mit einem anderen Menschen zu spiegeln, mit dessen Seele sie lange vor ihrer Geburt vereinbart hatte dies zu tun. Wie lange sie dann mit dieser Person zusammen sein würde, blieb ein Geheimnis des Lebens und seiner vielen rätselhaften Umstände.
Seufzend blickte sie sich in ihren, von der Dämmerung umwölkten Zimmer um. Natürlich hoffte sie das es bis an ihr Lebensende sein würde, so wie es ihren Eltern beschieden war. Die beiden hatten sie ziemlich spät bekommen und sie war das einzige Kind der beiden liebevollsten aber auch gerechtesten Menschen, die sie ihre Eltern nennen durfte. Für Liv war das Ableben der beiden viel zu früh gewesen. Aber Astrid und Olaf Lindstrøms Zeit auf dieser Welt war verstrichen und Skuld hatte ihren Lebensfaden durchtrennt, welcher ihre Seele an ihren irdischen Körper hielt. Liv fragte sich ob einer von ihnen oder gar beide das Glück einer Wiedergeburt innerhalb der eigenen Familie beschieden war.
Schnell schüttelte sie den Gedanken beiseite und sie schälte sich aus der Wärme ihres Bettes, in die Kühle des kleinen Badezimmers und stellte sich unter die Dusche, wo die Träume der vergangenen Nacht endgültig fortgespült wurden.
Sie beobachtete sie. Die Atmosphäre, in der sie sich befand, erlaubte ihr eine Freiheit, von der sie in ihren letzten Leben nur geträumt hatte. Im wahrsten Sinne des Wortes, bedachte man das der Schlafzustand dem Tod auf gewisse Weise ähnelte und das was sie alle als Träume erlebten das war, was man durchaus als parallele oder geistige Welt bezeichnen konnte. Eine Welt, die ebenso real war wie die stoffliche Welt, in die sie dann und wann hinein katapultiert wurden, um Erfahrungen zu sammeln, die sie niemals ohne den Besitz eines Körpers erlebt hätten. Tanzen dachte sie und das Pendant zum menschlichen Auge schloss sich selig. Sie hatte es geliebt zu tanzen. Aber auch zu singen und Speisen zu sich zu nehmen die göttlich waren und dies mit einem Menschen, einer anderen Seele zu tun, mit der man infolgedessen die körperlichen Begierden und Freuden teilte, indem Versuch miteinander zu verschmelzen und sich gleichzeitig zu spiegeln, um ein Spiegelbild von sich selbst zu erschaffen, das auch dann noch existieren würde, wenn der Lebensfaden längst durchtrennt war. Ob die nächste Generation sich dann ebenfalls spiegelte, blieb ein Geheimnis des Lebens und seiner Umstände, obwohl das Schicksal an sich durchaus noch ein Wörtchen mitzureden hatte, wenn es um den Lebensweg eines oder mehrerer Menschen ging, die miteinander verwoben waren. Und ebendieses Schicksal würde Liv und ihren zukünftigen Gefährten zusammenführen und auch wieder trennen, sobald sich dieses erfüllt hatte. Oder auch nicht, dachte sie, während sie Liv dabei beobachtete, wie sie sich ankleidete und in den dämmrigen Tag hinaus ging, um ihrem Schicksal zu begegnen. Vielleicht, so hoffte sie, würde sich dieses von seiner guten Seite zeigen und den beiden ein langes gemeinsames Leben schenken, das voller Freude und guter Momente sein würde. Aber das war bloß eine Hoffnung und es würde sich zeigen, ob sie sich für sie ebenso erfüllte, wie sie sich einst für sie erfüllt hatte und vielleicht wieder erfüllen würde. Schließlich wusste Liv noch nicht, dass sie eine ihrer beiden Töchter sein würde. Sie die einst ihre Mutter gewesen war und solange gelitten und gekämpft hatte bis sie sie endlich bekommen hatte. Astrid Lindstrøm hatte nicht aufgegeben und sich dem Schicksal mit kämpferischer Pose entgegen gestellt und am Ende gewonnen. Das war für sie der Beweis gewesen, dass man das eigene Schicksal ändern konnte und wenn sie dieses Leben noch einmal leben müsste, so würde sie es wieder so tun. Aber das stand hier weder zur Debatte noch würde es das jemals wieder tun. Schließlich galt es sich auf ein neues Leben vorzubereiten, das zwar in direkter Linie mit diesem in Zusammenhang stand, aber niemals so werden würde, wie dieses einst gewesen war. Sobald sich ihre Seele in die Gebärmutter ihrer Tochter eingenistet hatte, würde sie zu deren Tochter werden und ein neues Spiel würde beginnen, das auf der stofflichen Ebene seinen Verlauf nahm. Was dann geschah, lag in den Händen eines anderen Körpers, der erst noch ihrer werden musste und des eindeutig veränderbaren Schicksals. Ihre Mundwinkel zogen sich nach oben, während das Schicksal unten auf der stofflichen Ebene auf einen weiteren Höhepunkt zusteuerte, der das Leben zweier Menschen für immer verändern sollte. Ihr zukünftiger Vater erblickte ihre Tochter/Mutter und hielt genau auf sie zu, während diese gefangen von dem Spiel der Nordlichter war, die nicht ruhten, miteinander zu tanzen.
„Wunderschön, nicht?!“ Liv holte tief seufzend Luft, bevor sie sich umdrehte und ihr der Atem stockte. „Ja“, flüsterte sie und meinte beides. Die Nordlichter ihrer Heimat und die irisierende Ausstrahlung seiner Aura, die durch das innere Leuchten seiner Seele Ausdruck in seinen Augen fand. „Liv“, flüsterte sie und er sah sie an. Liv hielt ihm ihre Hand hin. „Mein Name ist Liv.“ Sie schluckte, während sein Blick durch sie hindurchging und die kurze Zeitspanne, bis er endlich ihre Hand ergriff, sich zu einer Ewigkeit auszudehnen schien. „Lukas Bachmann“, erwiderte er und die Berührung ihrer Hände löste einen Stromschlag zwischen den beiden aus. „Du solltest ein Warnschild tragen“, meinte er und duzte sie, wie es in Norwegen üblich war, während er sich die Handinnenflächen rieb. „Vorsicht! Entflammbar!“ „Wieso ich?“ Liv sah ihn herausfordernd an. „Ich bin nicht die Einzige die elektrisiert.“ Er sah sie kopfschüttelnd an, während sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen. „Was glaubst du“, fragte er sie, „welche große Schlacht wurde geschlagen und wer wurde von den Walküren auserwählt, an Odins Tafel zu speisen.“ „Ich glaube kaum das es an Odins Tafel überhaupt noch einen freien Platz gibt“, erwiderte sie lachend. „Vielleicht nicht,“ stimmte er ihr zu, „aber an meiner Tafel ist immer ein Platz frei.“ Mit funkelnden Augen blickte sie ihn, eine Braue hochziehend, an. „Wenn das eine Einladung gewesen sein soll“, flüsterte sie sich seinem Gesicht nähernd, „dann nehme ich sie gerne an.“ Schnell huschten ihre Lippen über seine und gemeinsam setzten sie sich an einen der aufgestellten Tische, an denen hungrige und durstige Touristen und Einheimische, sich aus mitgebrachten Picknickkörben bedienten.
Lukas teilte sein mit Ei und Käse belegtes Brot und den heißen, mit etwas Honig gesüßten Tee, mit ihr. Währenddessen unterhielten sie sich rege miteinander und bereits nach wenigen Augenblicken erschien es ihnen, als wenn sie sich schon ein ganzes Leben und mehr kannten.
Irgendwie kam ihr Gespräch wieder auf die Götter und die Frage ob Thor wohl mit Mjöllnir, seinen Hammer wirklich Donner kreieren konnte, wenn er diesen gen Erde schleuderte. Liv musste lachen, während ihre Hormone bereits Amok tanzten. „Keine Ahnung“, meinte sie schließlich lachend und sah ihn lange an. „Denkst du, wir könnten Donner kreieren?“ Fragend hob sich ihre Augenbraue und sie hielt ihm ihre Hand entgegen. Lukas ergriff sie und blickte von ihren ineinander verschlungenen Händen, in ihre Augen. „Wenn du willst, können wir es ja herausfinden.“ „Das sollten wir“, flüsterte sie, und während ihr inneres Feuer immer höhere schlug und beinahe den Schnee um sie herum zu schmelzen hätte bringen können, erhoben sich die beiden und beeilten sich in ihr Zimmer zu gelangen. Lächelnd verschloss Liv die Türe und wie in einen Tanz befreiten sie sich beide gegenseitig von der sie verhüllenden Kleidung, während Liv gleichzeitig die Nadeln aus ihren Haar löste, welches wie ein dunkelblonder Wasserfall bis zur Mitte ihres Rückens hinunter fiel und ihr das Aussehen einer antiken Göttin verlieh, die gerade eben wieder zum Leben erweckt wurde.
Liv gefiel dieser Vergleich und mit sinnlicher Erhabenheit, umschlang sie lächelnd seinen Nacken, bevor sie ihn küsste. Tiefer grollender Donner rumorte irgendwo in der Tiefe des nächtlichen, vom Tanze der Nordlichter erhellten Himmels und beide mussten unwillkürlich lachen. „Und dabei haben wir noch nicht einmal wirklich angefangen“, meinte sie den Kopf zur Seite neigend. „Dann sollten wir das tun“, flüsterte er und seine Augen blitzten funkelnd auf. „Ja“, wisperte sie und ließ sich von ihm zum Bett hinüber tragen, „das sollten wir tun.“ Irgendwo in den Tiefen der Erde schlugen Trommeln einen tiefen, zeitlosen Rhythmus, der sich mit ihrem Herzschlag verband und diesen widerspiegelte, während ihre Körper endlich zueinanderfanden.
Die Nordlichter tanzten mit ihnen, die Eruptionen der Sonne übertrafen sich selbst und schienen mit den unzähligen Regenbogen der Vergangenheit und Zukunft in Konkurrenz treten zu wollen. Kräftige Farben erhellten den Himmel in einen Tanz, den man beinahe schon göttlich nennen konnte und der einfach nur atemberaubend war.
Ebenso wie der Tanz der beiden, der sich zu einem intensiven Crescendo mit den Trommeln in der Tiefe, dem Donnern des Himmels und dem Tanz der Nordlichter vereinte und den Weg für die erste ihrer beiden Töchter bahnte, die ihnen bestimmt war. Völlig außer Atem lösten die beiden sich voneinander und Liv konnte bereits die Veränderung, die ihrer beider Leben für immer in eine andere Richtung lenkte, spüren.
Diese Unterwasserwelt fühlte sich wunderschön an. Beinahe so schön wie der schwerelose Zustand ihrer Seele zwischen den Leben. Das, was einmal ihre Hand werden sollte, erhob sich und streifte durch das Wasser. Ein Lachen gurgelte in ihrer noch nicht existenten Kehle und sie dachte bei sich, das, wenn es diesen Zustand nicht geben würde und eine Verbindung zwischen der Unendlichkeit der Seele und dem sterblichen Körper darstellte, würde es auf der Welt ziemlich trostlos und einsam aussehen. Wie eine Wüste ohne Sand oder die Arktis ohne Schnee. Ihr gefiel dieser Vergleich und sie freute sich schon auf die Zeitspanne, die sie in dieser wundersamen Welt verbringen durfte, die allein ihr gehörte und in der noch niemand etwas anderes von ihr wollte, als das es ihr gut ging und in der man nicht von ihr verlangte etwas anderes zu sein, als sie es eigentlich war. Eine alte Seele, die sich dazu entschlossen hatte, ein erneutes Leben auf der stofflichen Ebene in Angriff zu nehmen und zu versuchen, es diesmal nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Sie seufzte, denn genau das war es, was in ihren letzten Leben schief gelaufen war und weswegen sie es erneut versuchen musste. Anerkennung. Respekt. Aber vor allen Dingen das Recht ihrem Weg zu folgen. Melancholie ergriff sie und der plötzliche Wunsch dieses Leben doch nicht in Angriff zu nehmen und einfach so die Nabelschnur zu durchtrennen schlich sich in ihre Seele. Unsinn, dachte sie und zog ihre Hand wieder zurück. Sie würde dieses Leben leben und jeder, der sich ihr dabei in den Weg stellte, um ihren in eine falsche Richtung zu lenken, konnte sich jetzt schon einmal warm anziehen. Sie holte tief Luft und fragte sich wie in aller Welt es geschehen war, das diese düsteren Gedanken es geschafft hatten, sich an sie heranzuschleichen. Nun, sie wusste es nicht, aber sie hatte sie vorerst vertrieben und es galt, sich bald mit ihrer Mutter in Verbindung zu setzen. Wenn sie schon quasi unter den Nordlichtern gezeugt wurde, so wollte sie auch einen Namen besitzen, der das nicht nur widerspiegelte, sondern jedem klar machte, dass sie dem alten Weg folgte.
Ebenso wie Liv Lindstrøm es tat und wie deren Eltern es getan hatten, auch wenn dieser Weg noch nicht seine verdiente Anerkennung erhalten hatte, obwohl wenn man es recht bedachte, alles mit allem verbunden war. Sie scheuchte die erneute Welle aufkommender Traurigkeit davon und ließ Namen vor sich schweben, die es wert waren von ihr getragen zu werden.
Wie die Nordlichter in ihrer göttlichen Schönheit kristallisierte sich ein Name besonders heraus. Astrid. Und ebendieses bedeutete er auch, göttliche Schönheit. Zudem war dieser Name auch einmal im Besitz ihrer Großmutter gewesen, wie sie aus den Erinnerungen ihrer Mutter wusste, da sie in dieser neuen Phase des Werdens nicht mehr wusste, das sie es war, die einmal ihre Großmutter gewesen war.
Eine perfekte Wahl, dachte sie und sandte ihrer Mutter einen Traum, in dem Astrid ihr vermittelte das sie so und nicht anders heißen wollte. Langsam wurde sie müde und ihr kleiner, im Werden befindlicher Körper, schwebte langsam auf eine kleine Kuhle zu, in die er sich einnistete und bereits träumend dem wohlverdienten Schlaf entgegen driftete.
Träume von Dämonen, die auf überdimensionalen Pferden durch die dunkle von Feuern erhellte Nacht ritten und vor ihr zu stehen kamen.
„Wir sind Sterne“, flüsterten die Dämonen mit silbrigem Atem, „und können von niemandes Körper oder Seele Besitz ergreifen.“ Die Pferde schnaubten zustimmend, während sie Letztere in Gedanken hören konnte. „Wir sind nichts weiter als Kometen und auch wenn wir, dass hier und da, Chaos auf den einem oder anderen Planeten auslösen, sind wir dennoch keine Boten des Todes.“ „Warum erzählt ihr mir das“, wollte sie wissen, „ich bin nicht diejenige, die an so etwas glaubt.“ „Das wissen wir“, erwiderten sowohl Dämonen und Pferde gleichermaßen, „aber eines Tages werden deine Schwester, du und andere den Menschen dies hier zeigen.“ Vor ihren Augen erschien das Sternbild des Orions, das sie in all ihren Leben immer gern bei Nacht betrachtet hatte. Die drei Sterne seines Gürtels hoben sich hervor und das ganze Sternbild drehte sich vor ihren Augen, sodass die drei Sterne des Gürtels nun übereinander waren. „Achte auf die sieben Schwestern“, flüsterten die Dämonen und ihr Blick wanderte nach oben, zu den ebenfalls nun hervor gehobenen Sternen. „Und nun sieh genau hin,“ hallte es von allen Seiten. Unter den Sternen, sowohl denen des Gürtels als auch denen der sieben Schwestern, erschienen unzählige Landschaften, Städte und Monumente, die sich wie Landkarten unter die Sterne betteten. Die Pyramiden von Gizeh als auch Stonehenge zählten dabei zu den bekanntesten, während weniger offensichtliche wie Rom oder Jerusalem, ebenfalls dazugehörten. Immer rasanter schnellten die Bilder darunter vorbei und zeigten ihr auf, dass auf jeden Kontinent Spuren der Sternenkarten zu finden waren. „Sieh hin“, flüsterten sie erneut und die sieben Schwestern betteten sich leuchtend in das Sternbild des Stiers ein, „das Goldene Kalb, das gleichermaßen biblisch ist, als auch in vielen anderen Kulturen zu finden ist, wo es verehrt wird.“ Just in diesen Moment legten sich die Höhlenmalereien von Lascaux unter die Sterne, während Dämonen und Pferde sich neben sie gesellten, um das Bild gemeinsam mit ihr eine Weile zu betrachten. „Die Menschenkinder haben die Wahl“, versicherten sie ihr, „ob sie sich der kommenden kosmischen Wiedervereinigung anschließen wollen und den Schleier von ihren Augen heben oder ob sie weiterschlafen wollen und sich weiterhin belügen lassen wollen.“
Noch bevor Astrid etwas sagen konnte, verschwanden sowohl Dämonen als auch Pferde wieder, während ihr klar wurde, dass wenn die Menschheit davon wusste, dass alle Religionen von ein und derselben kosmischen Quelle abstammten, sämtliche religiöse Unterschiede als auch Kriege mit einem Schlag beendet werden konnten. Wenn, ja wenn die Menschenkinder sich wieder an ihren Ursprung erinnerten.
***
Liv erwachte und kuschelte sich noch enger an Lukas, als sie es ohnehin schon tat. Sie kannten einander nun schon einige Monate und waren gemeinsam zurück nach Oslo gefahren. Dort wo sie lebte und wo er zu ihren unsäglichem Glück studierte. Schnell hatte sie ihm angeboten, bei ihr zu wohnen. Schließlich sahen sie einander ohnehin ununterbrochen und es war einfach nur dumm, wenn er Miete bezahlte, wo er doch ohnehin bei ihr war, wenn er nicht gerade in der Universität hockte, und versuchte den Stoff in seinen Kopf zu bekommen. Voller Liebe blickte sie ihn an und strich ihm eine Strähne seines kurzen Haars aus der Stirn, bevor sie ihm einen federleichten Kuss verpasste, der leise schmatzend ein Echo hinterließ. Er wachte auf und sah sie schlaftrunken an. Kichernd drehte sie sich um und kuschelte sich mit den Rücken an ihn und blickte wieder zu ihm auf. „Wovon hast du geträumt?“, wollte sie wissen, während sie noch genau wusste, wovon sie geträumt hatte. „Das weiß ich nicht mehr,“ gähnte er und fügte hinzu: „Aber es muss bestimmt von dir gewesen sein.“ Liv verdrehte die Augen und holte tief Luft. Jetzt war ebenso ein guter oder auch schlechter Moment ihm zu sagen, das sie beide ein Kind erwarteten. Vor allem nach diesem Traum, dachte sie, in der ihre gemeinsame Tochter ihr ihren Namen verraten hatte. „Nun“, meinte sie lang gedehnt, „ich habe von Astrid geträumt.“ „Von wem?“, fragte er und drehte sie ganz zu sich herum, damit er sie besser ansehen konnte. Für einen Moment glaubte sie einen Fehler begangen zu haben, aber nun war es ohnehin zu spät und früher oder später wäre es ohnehin nicht mehr zu verbergen gewesen. „Von Astrid“, flüsterte sie und musterte ihn vorsichtig. „Unserer zukünftigen Tochter.“ „Unserer was?!“ „Unserer Tochter,“ wiederholte sie, nahm Lukas Hand in ihre und legte sie auf ihren noch flachen Bauch. Für einen Moment glaubte sie, das Aufflackern von Entsetzen in seinen Augen zu erkennen. Aber es war ebenso schnell wieder verschwunden, wie es aufgekommen war und Liv glaubte, dass sie sich geirrt hatte. „Wir bekommen ein Kind“, flüsterte er und sah sie mit Tränen in den Augen an, als hätte er niemals erwartet, jemals in seinen Leben Vater zu werden. „Ja, das tun wir, min kjære, das tun wir.“ Sie berührte ihn an der Wange und sein in die Ferne wandernder Blick kehrte zu ihr zurück. „Jeg elsker deg, Lukas. Ich liebe dich sehr.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, bevor er sie küsste und fest in seine Arme zog. „Jeg elsker deg også, min kjære,“, flüsterte er, „ich liebe dich auch, mein Schatz.“ Schaudernde Hitze durchflutete ihre Adern und das Gefühl endlich zuhause angekommen zu sein, das sie auch schon empfunden hatte, als sie Lukas Bachmann zum ersten Mal begegnete war, manifestierte sich in ihren Herzen und ihrer Seele. Sie vertraute ihm vollkommen und war bereit ihr Leben für ihn zu geben wenn nötig. Er küsste ihre Schultern und sie musste plötzlich lachen. „Was ist?“ Sein amüsierter Blick traf auf ihren und sie zog ihn zu sich herunter. „Nichts, min kjære, mach einfach nur weiter,“ lachte sie und küsste ihn mit einer Intensität, die ihnen beiden den Atem raubte, während dieser zu einem verschmolz indem Versuch den einen in den anderen zu ziehen und so aus zwei Hälften eine einzige zu kreieren.
Zufrieden beobachtete sie sie erneut und hoffte das ihre zukünftige ältere Schwester, kein allzu großes Schlachtfeld für sie hinterließ. Obwohl das wohl eher unwahrscheinlich war, dachte sie, da sie ohnehin eine neue Wohnstube bekäme, wenn es endlich so weit war. Seufzend drehte sie sich um, als sie bemerkte, wie eine andere Seele sich ihr näherte. Eine die schon längst geboren war und auf der stofflichen Ebene lebte, aber immer noch wusste, wie sie mit der seelischen in Kontakt treten konnte. „Ich warte auf dich“, sagte sie nur und ihre Seele zog sich schmerzlich zusammen. „Wie oft hast du das schon gesagt“, flüsterte sie und er zuckte mit den Schultern. „Glaubst du mir nicht?“ „Doch,“ nickte sie, „aber ich bin viel zu pragmatisch, um mir irgendwelche Hoffnungen zu machen. Schon zu oft haben wir uns versprochen, dass das nächste Leben endlich das sein würde, indem wir uns begegnen und zueinanderfinden.“ Sie sah ihn an und wusste das sie einen wunden Punkt getroffen hatte. „Das ist nicht fair“, murmelte er, „du weißt selbst das es nicht immer meine Schuld war.“ „Es gibt keine Schuld“, murmelte sie und ihre Seele umkreiste seine. „Es gibt Fehler, aus denen wir lernen, sonst nichts.“„Dein letztes Leben hat dir wohl sehr imponiert.“ „Ich habe erfahren was bedingungslose Liebe wirklich bedeutet“, erklärte sie ihm und erneut zuckte er zusammen. „Du weißt, dass ich dich liebe“, flüsterte er. „Ja, das weiß ich, aber in all unseren Leben, gab es immer Umstände, die dazu geführt haben, dass wir nie lange oder überhaupt nicht zusammen waren. Manchmal sind wir uns sogar gar nicht begegnet.“ Er senkte den Blick und holte tief Luft, während sie, der Versuchung widerstand ihn, mit einer Berührung ihrer Seele Zuneigung zukommen zu lassen. „Schlägst du gerade vor, das wir uns nie wieder begegnen sollten?“ Erschrocken blieb sie dort, wo sie gerade war, schweben. „Bist du verrückt,“ entfuhr es ihr. „Du weißt genau, was das für Konsequenzen hat.“ Er zuckte mit den Schultern und durchbohrte sie mit seinen derzeitig blauen Augen, die wirkten als hätte das Meer den Himmel geküsst, um diesen unentwegt zu reflektieren. „Ich dachte du wärst so pragmatisch“, sagte er, „das du die Konsequenzen gerne in Kauf nimmst und ....“ „Lass uns einen Pakt schließen“, unterbrach sie ihn und er musterte sie interessiert. „Lass uns abwarten, was dieses Leben bringt und auf welche Art und Weise unsere Wege uns zusammenführen oder auch nicht.“ „Ein Joker“, flüsterte er und sie nickte. „Ja, ein Joker. Was hältst du davon?“ Er blickte sie lange nachdenklich an und nickte schließlich. „Es kommt auf einen Versuch an“, meinte er und zuckte mit den Schultern. Sie spürte seine Unschlüssigkeit, aber noch bevor er die Gelegenheit, dazubekam es sich noch einmal anders zu überlegen, machte sie Nägel mit Köpfen. „Dann ist es also beschlossene Sache“, sagte sie und sandte ihm einen Blick zu, der keinen Widerspruch duldete. „Das ist es,“ nickte er, und noch bevor einer von ihnen die Möglichkeit hatte, den geschlossenen Pakt wieder rückgängig zu machen, verschwand er. Sie blickte ihm hinterher und wandte sich wieder ihren zukünftigen Eltern zu, die gerade dabei waren Sachen für das Baby einzukaufen, das sie einmal Schwester nennen würde. Wohl eher Astrid, dachte sie, während ein Schmunzeln sich über ihre noch nicht vorhandenen Lippen stahl.
„Das ist doch viel zu groß“, meckerte Liv, riss Lukas den Strampler aus den Händen und legte ihn wieder zurück ins Regal. „Noch,“ stimmte er ihr zu nahm es wieder aus dem Regal und legte es ihr auf den leicht gewölbten Bauch. „Aber sie wird schneller hineinwachsen als uns lieb ist.“ Er sah sie bestimmt an und die Art, wie er das tat, ließ ihren Wutanfall schneller verpuffen, als er gekommen war.
„Schön,“ ein wenig kleinlaut nahm sie es ihm wieder aus der Hand und legte es in den kleinen Einkaufskorb. „Aber findest du nicht auch ...,“ begann sie verstummte aber als sie merkte, dass er eigentlich recht hatte. Frustriert strich sie sich eine vorwitzige Strähne aus dem Gesicht und holte tief Luft. „Du findest das wohl besonders lustig,“ warf sie ihm vor, als sie ihn wieder anblickte und er sich schmunzelnd das Kinn rieb. Sein Dreitagebart ließ ihn älter wirken, als er war und obwohl sie diese Dinger nicht mochte, bewirkten ihre Hormone seltsamerweise das sie ihn damit sehr sehr anziehend fand. Und wenn sie sich nicht in einem Geschäft befunden hätten, hätte sie ihm auf der Stelle die Kleider vom Leib gerissen und ...Liv räusperte sich und fächelte sich, die dringend benötigte Luft zu, während sie sich dazu zwang an den bevorstehenden Abend zu denken. Heute wollte sie ihm endlich sagen, das sie eine Seidr, eine Zauberin und noch mehr war.
Sie war schon ziemlich nervös deswegen und hoffte, dass Lukas sich danach nicht von ihr abwandte und sie mit anderen Augen als bisher ansah. Sie nagte an ihrer Unterlippe und währenddem ihre Augen, durch den heimeligen kleinen Laden wanderten entdeckte sie ein einsam vor sich hinvegetierendes Stofftier, das nur darauf wartete, endlich ein neues Zuhause zu bekommen. Sie steuerte direkt auf den kleinen Wolf zu und nahm ihn in die Hand. Zustimmung durchflutete ihren Körper und die Verkäuferin, die sich direkt neben ihr befand und andere Stofftiere in die Regale sortierte, blickte sie irgendwie erleichtert an. Einem Impuls folgend tastete Liv sich in ihre Gedanken vor und hielt überrascht inne, als die andere sie bemerkte. „Seidr“, flüsterten ihre Gedanken und Liv tastete nach ihrem silbern glänzenden Baumanhänger, den sie trug, um sich den Wesen aller neun Welten nahe zu fühlen.
Ein kosmisches Wesen, eine kosmische Schlange, die sich scheinbar um das gesamte Weltall erstreckte, als ein Symbol ewiger Weisheit. Weisheit, die so universell war, das jeder versuchte sie als seine eigene auszugeben, indem sie so adaptiert wurde, wie es gerade passte, um die Menschenkinder, in all ihren zahlreichen und bunten Facetten zu trennen, indem sie Unterschiede hervorhoben, die sie verfeindeten und zu ewigen Sklaven von so vielen Glaubensvorstellungen machten, dass sie noch nicht einmal ahnten, dass sie diese überhaupt waren. Sklaven einer Elite, die sich auf ihren Knochen bereicherten und die glaubte, die wirklich glaubte sie wären etwas Besseres als wie das niedere „Fußvolk“.
Unwillkürlich dachte sie an den Moment, wo sie den Anhänger gefunden hatte und erneute Energie floss durch ihre Adern. Wie ein Leuchtfeuer hatte der Anhänger, inmitten all der anderen Schmuckstücke, beinahe schon schreiend ihre Aufmerksamkeit erregt.
Sie war weggegangen, aber sie hatte wieder umkehren müssen, um ihn sich zu holen, weil der Ruf des Anhängers ebenso groß und mächtig war, wie der ihres Blutes. Blut das ebenso wie das Blut, der gesamten Menschheit, der Schlüssel war für die fehlende Verbindung, die sogenannte Schatzjäger weltweit nach dem verlorenen Gral suchen ließen. Aber wie so oft war, dass man suchte, ganz in der Nähe verborgen. Und es war bloß eine Frage der Zeit, wann und wie man das Gesuchte endlich fand und die Suche endlich ein Ende hatte.
„Ja“, erwiderte sie und musterte die andere Frau, deren Augen ebenso alt und weise wirkten wie ihre eigenen. Beide erkannten einander als Mitglieder ein und derselben Seelenfamilie, wissend das sie zueinander gehörten, wie die Wellen des Meeres, das an das Ufer brandete, während sie auf die Zyklen des Mondes hörten, der ihren Weg bestimmte. Beide wurden erfasst von den Wellen der Wiedersehensfreude und ihre Seelen tauschten rasant, eine Unmenge an Informationen aus, die teils gefiltert und zensiert die jeweils andere erreichte. Schließlich wollten beide zumindest einige ihrer Geheimnisse noch eine Weile für sich behalten, bevor sie sich auf diese neue Freundschaft, in diesem Leben einließen. „Wie heißt du in diesem Leben?“ Neugierig blickte Liv sie an, während sie ihre langen dunkelblonden Haare, in einer gedankenverlorenen Geste, wieder über die Schultern warf. „Sylvelin“, erwiderte sie und ihr Gesicht strahlte. „Sylvelin Magnussen.“ Sie holte tief Luft. „Und der deine?“ „Liv Lindstrøm.“ Liv holte ebenfalls Luft und ihre Augen strahlten wie Sterne in der Nacht. „Schön dich in diesem Leben wiederzusehen.“ „Ja,“ nickte Sylvelin und Liv spürte, dass sie die Verbindung bald unterbrechen mussten. Schließlich befanden sie sich in aller Öffentlichkeit und gingen ein großes Risiko ein, ihre Kunst zu nutzen. Bedauernd lösten sie sich voneinander und griffen auf das profane Hilfsmittel ihrer Stimmen zurück. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns hier begegnen,“ lachte Sylvelin und Liv nickte zustimmend. „Vor allen Dingen, wenn man bedenkt, was beim letzten Mal geschehen ist, als wir uns sahen.“ Beide Frauen brachen in heiteres Gelächter aus, als sie an den armen Kerl dachten, den sie an der Nase herumgeführt hatten, um ihn in aller Öffentlichkeit bloß zustellen, weil er es einfach nicht hatte lassen können, seine ganze Familie zu drangsalieren. Dass ihr Schabernack ihnen anschließend das Leben gekostet hatte, übersahen beide geflissentlich, denn für beide war immer noch vorrangig, dass er seine gerechte Strafe erhalten hatte und den Spott der Gemeinde. Noch immer sahen beide wie er mit Pech und Federn versehen durchs Dorf jagte, um sie für seine Scham zu bestrafen. Dass sie zwei Tage später auf dem Scheiterhaufen brennen würden, ernüchterte sie zwar, aber sie wussten wenigstens das ihr Ableben nicht umsonst gewesen war, denn sie hatten seiner Frau zur Flucht verholfen. Einer Frau die, wie es der Zufall so wollte, eine direkte Vormutter Livs wurde, nachdem sie in das weit entfernte Raeren geflohen und dort einen liebevollen Mann gefunden hatte der sie ehelichte und deren Tochter noch für Furore sorgen sollte. Das heißt, dachte Liv und spürte das sowohl Vergangenheit und Zukunft nach ihr griffen, während sie sich mit Sylvelin unterhielt, deren Seele und die ihres Seelengefährten.
„Wir sollten uns bald treffen“, meinte sie denn auch zu Sylvelin, welche geflissentlich nickte, als sie aufblickte und amüsiert mit der Stirn runzelte. In just diesen Moment räusperte Lukas sich hinter ihr und sie drehte sich wie ertappt um. „Was haltet ihr beiden hiervon?“ Er hielt ein Mobile hoch, an dem viele bunte Blätter baumelten und er blickte auf Livs Anhänger. „Ich dachte das wäre eine schöne Verbindung zwischen dir und Astrid.“ „Ihr habt schon einen Namen?“ Überrascht blickte Sylvelin sie beide an und Liv lachte. „Ja,“ nickte sie. „Sie hat ihn mir im Traum mitgeteilt“, flüsterte Liv in Gedanken. „So wie es sein sollte“, erwiderte Sylvelin. „Eine gute Wahl“, meinte sie laut und legte eine Hand auf Livs Bauch. „Segen für dich und dein Kind.“ „Ich ...wir danken dir.“ Sylvelin ließ sie wieder los und Liv kramte in ihrer Tasche nach Zettel und Stift, der mal wieder ganz zuunterst zum Vorschein kam. „Hier“, meinte sie und kritzelte ihre Adresse und Telefonnummer darauf, „damit wir uns nicht wieder aus den Augen verlieren.“
„Wohl kaum,“ lachte Sylvelin und nahm das Stück Papier entgegen. „Schließlich werde ich noch eine ganze Weile hier sein.“ Sie deutete um sich und Liv musste lachen, während Lukas sie in seine Arme zog und auf die Stirn küsste. „Was hältst du davon“, begann er, „wenn deine wiedergefundene Freundin die Patin unserer kleinen Schönheit wird?!“ Gerührt drehte Liv sich zu ihm um und spürte, dass ihr heutiger Abend wohl besser laufen würde, als sie es sich erhoffte. „Wenn Sylvelin damit einverstanden ist“, meinte sie diese anblickend, „dann würde ich mich sehr darüber freuen.“
Nervös begab sie sich auf die stoffliche Ebene hinab. Sie wollte näher bei ihren zukünftigen Eltern sein, wenn Liv ihm endlich mitteilte, was sich außer ihren gewählten heidnischen Wurzeln, noch hinter ihren Wesen befand. Ihre zukünftige Mutter kochte Fiskebøllers mit Kartoffeln und Salat und als Nachtisch hatte sie Mini-Bløtkake gemacht, auch wenn noch lange nicht der 17.Mai war. Ungeduldig schwebte sie von einem Fenster zum nächsten und lauschte dem Gespräch der beiden, das sich ausschließlich über ihre Schwester und die „wiedergefundene“ Freundin drehte.
Die noch nicht vorhandenen Augen verdrehend durchflog sie mühelos die Mauer und setzte sich ihren zukünftigen Eltern gegenüber auf die Couch. Die Beine überschlagend und die Arme verschränkend sah sie sie an und hoffte, dass Liv endlich hinmachte und sie die restliche körperlose Zeit genießen konnte, solange ihr diese noch beschieden war. Und endlich spürte sie die Bereitschaft ihrer Mutter, das heikle Thema endlich anzuschneiden. Sie beugte sich vor und lauschte der Stimme ihrer Mutter, während sie ihm erzählte, welche Art von Magie es gab und wie sie ihm diese gleich auch vorführte. Liv wurde ziemlich blass als erwartete sie, dass Lukas jeden Moment aufspringen und vor ihr davon laufen würde. Als er das aber nicht tat, spürte sie die Welle der Erleichterung auf sich zurollen. Und gerade als Liv aufatmend wollte, ergriff Lukas ihre Hand und sah ihr lange und tief in die Augen. Er erinnerte sie daran, dass er, obwohl Deutscher mit deutschen Nachnamen, selbst norwegische Vorfahren habe, die ebenso wie ihre die Magie eines Landes in sich trugen, indem der Mensch wirklich noch mit der Natur im Einklang lebte, so wie einst überall auf der Welt.
Interessiert blickte sie ihn an und spürte die Sprachlosigkeit ihrer Mutter, während Lukas ihr bewies, dass er selbst Magie in sich trug und diese auch zu benutzen verstand. Tränen liefen über das Gesicht ihrer zukünftigen Mutter, und als sie Lukas diese in eine impulsive, atemberaubende Umarmung zog, zog sie sich leise wieder zurück. Schließlich wollte sie nicht, dass die beiden dachten, dass sie sich Sorge um ihre zukünftige Zeugung machte, sollten die beiden sie womöglich noch entdecken. Auch wenn das wirklich der Beweggrund gewesen war, warum sie eigentlich hergekommen war. Seufzend begab sie sich wieder auf die seelische Ebene und ließ diese mit einem Crescendo alter, neuer und zukünftiger Musik erklingen, in der sie so ausgelassen tanzte, wie es nur Seelen zu tun vermochten, die wie sie auf einen neuen Körper warteten, oder aber, dachte sie lächelnd, die in ihren Träumen, wieder hierher zurückkehrten, um dies und noch viel viel mehr zu tun.