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Kapitel 1 Das Aventurianerkloster

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Es war noch stockdunkel, als sich die schwere Eichenholztür knarrend öffnete. Spärliches Licht drang vom Gang in die kleine Steinkammer und eine krächzende Stimme rief: „AUFSTEHEN IHR FAULPELZE!“.

Maya zog sich die Decke etwas höher ins Gesicht und öffnete müde ihre hellblauen Augen. Die Tür fiel knarrend ins Schloss und sie wusste, es würden ihr nur zehn Minuten Zeit bleiben um sich anzukleiden und in der großen Halle des Klosters zu erscheinen. Sie streckte ihre Hand aus um die Kerze auf dem Nachttisch anzuzünden und kletterte widerwillig aus ihrem Bett.

„Sarah? ... Sarah? Sarah steh auf“, flüsterte sie ihrer Freundin zu, die sich mit ihr die Kammer teilte. Aber Sarah drehte sich um und schlummerte friedlich weiter. Maya wusste, die Zeit würde knapp werden und die Strafe, die sie bei unpünktlichem Erscheinen zu befürchten hatten war sehr hart. Sie schlüpfte in ihre schwarze Klosterkutte und zog sich die Holzpantoffeln an. Anschließend versteckte sie artig ihre langen, schwarzen Haare unter einem ebenso schwarzen Kopftuch und versuchte abermals ihre Freundin zu wecken. Aber Sarah schlummerte so tief, dass es unmöglich war, sie aus ihrem Traum zu holen. Die Uhr schlug 5 Uhr als Maya die Halle betrat. Sämtliche Klosterschülerinnen, bis auf Sarah waren schon zum Morgengebet versammelt und hielten müde ihre Bibel in der Hand. Die Bibel! Maya hatte ihre Bibel in der Kammer vergessen! Schwester Theresa betrat den Raum und alle Schülerinnen grüßten im Chor: „Guten Morgen Schwester Theresa!“. Schwester Theresa war die Mutter Oberin des Klosters und lebte schon seit 50 Jahren dort.

Das Aventurianerkloster war ein altes, ausgedientes Schloss, das vor Hunderten von Jahren seine letzte Blütezeit hatte. Da es sehr spartanisch gebaut war und im Laufe der Jahre ziemlich baufällig wurde, wollte kein Adeliger es für sich beanspruchen und so verrottete es immer mehr zu einer Ruine. Eine Gruppe von Gottesanbetern hatte sich in der altchristlichen Zeit zusammengeschlossen um aus dem Schloss ein Kloster zu errichten. Das Ziel dieses Klosters war junge, elternlose Mädchen auf Gottes Weg zu bringen und zu erleuchten. Das zweite Ziel war, mithilfe dieser kostenlosen Arbeitskräfte einen gediegenen Handel an Obst, Gemüse, Getreide, Gewürzen, Tongefäßen und anderen selbstgemachten Waren zu erwirtschaften. Die jungen Mädchen benötigten nichts, außer einer Unterkunft, Kleidung und freier Kost. Somit konnte sich das Kloster sehr gut selbst erhalten. Im Laufe der Zeit hatte es so viel Gold erwirtschaftet, dass die alten Mönche es mehr oder minder gut umgebaut hatten. Das Hauptaugenmerk galt allerdings den öffentlichen Gebetszentren sowie den Gemächern der Obersten. Den Kirchentrakt zierten christliche Wandmalereien, unzählige Skulpturen, die aus reinem Plattgold gefertigt wurden und sogar der marmorne Altar wies Intarsien aus reinem Gold auf. Die besten Gläser der Stadt hatten aus den einzelnen Fenstern wahre Gemälde gezaubert.

Es wirkte berauschend wenn das Sonnenlicht durch die wallenden Gewänder von Erzengel Gabriel die Räumlichkeiten der Kirche durchflutete. Selbst der Boden und die Wände bestanden aus geschliffenen Marmorplatten. Die Zimmer der Mönche und der Oberschwestern wurden jedes Mal penibel mit einem Schloss verriegelt, damit keines der Mädchen einen Blick hinein werfen konnte. Man erzählte sich unter den Schülerinnen, dass der Prunk hinter diesen Türen die Schönheit des Kirchentraktes bei Weitem übertraf.

Die Kammern der Mädchen waren jedoch mit keinerlei Prunk ausgestattet. Sie bestanden aus schlichtem Stein und waren spärlich möbliert. Alte Holzbetten bedeckt mit einer kratzigen Wolldecke und einem Kissen, ein Nachtkästchen sowie je ein Kleiderschrank bildeten das Mobiliar. Ein einziges Fenster ließ etwas Sonnenlicht in die Kammern. Jedoch war es so winzig, dass man es eher eine Luke als ein Fenster war. Man konnte es auch nicht ganz öffnen, sondern nur kippen. Außerhalb dieser kleinen Luke waren dicke Eisenstäbe befestigt, die mehr an ein Gefängnis als an ein Kloster erinnerten. Sie sollten verhindern, dass keines der Mädchen Reißaus nehmen konnte, obwohl dies in Anbetracht der Fenstergröße ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit war.

Der Klosteralltag verlief immer gleich, egal ob es am Wochenende oder unter der Woche war. Die Mädchen wurden um 04:50 Uhr geweckt und um 05:00 Uhr mussten sie mit ihrer Bibel im Gebetssaal erscheinen. Dort wurde bis 06:00 Uhr das Morgengebet gesprochen und anschließend gab es ein spärliches Frühstück, meistens bestehend aus einer Scheibe Brot mit Marmelade und einem Glas warme Milch. Als einzige Ausnahme galt die Erntezeit, in der viele Früchte im Klostergarten wuchsen. Das unversehrte, „schöne“ Obst wurde verkauft. Aus den restlichen Früchten kochte man entweder Marmelade, backte Kuchen oder servierte es zum Frühstück. Nach dem Frühstück wurden die Mädchen nach einem strengen Plan ihren Aufgaben zugeteilt. Manche wurden in den Garten geschickt um zu jäten, pflücken und säen.

Andere hatten Küchendienst und mussten der Köchin beim Mittagessen helfen. Es gab die Töpfergruppe, die allerlei Töpfe, Vasen und Krüge für den Verkauf anfertigte und es gab auch den Basteltrupp, der Wollkleidung strickte, schöne Gewänder nähte und aus Leder kunstvolle Armbänder und andere Gebrauchsgegenstände fertigte. Die ungeschickten Mädchen wurden zum Putzen eingeteilt.

Für diese Gruppe gab es keinen Plan, sie mussten immer putzen, da sie sonst nirgends einsetzbar waren.

Die talentierten Schülerinnen bekamen täglich Chorunterricht, da diese Mädchen auch für öffentliche Kirchen gebucht werden konnten.

Jedes Mädchen hatte jeden Tag ihre Arbeit zu erledigen. Um 12 Uhr gab es Mittagessen und am Nachmittag wurden die Arbeiten wieder fortgesetzt. Um 17 Uhr hatten die Klosterschülerinnen Zeit, sich zu waschen und sauber zu kleiden, damit sie für das Abendessen um 18 Uhr und das Abendgebet danach, fertig waren. Von 20 – 21 Uhr hatten die Mädchen Kammerstunde, die als Freizeit diente. Ab 21 Uhr mussten die Bücher weggelegt und die Kerzen ausgeblasen werden, die Bettruhe hatte begonnen.

Oberin Theresa galt als die strengste aller Nonnen. Klosterschülerinnen, die ihren Dienst nicht richtig oder schlampig verrichtet hatten, wurden hart bestraft. Auch jene, die zu spät zu den vorgeschriebenen Gebetszeiten erschienen, bekamen eine Strafe. Im Kloster galt nur eine Regel und diese besagte, dass man alles richtig machen musste.

Maya wurde immer nervöser als die Oberin auf ihr Podest schritt. Sie hoffte, dass sie die fehlende Bibel nicht bemerkte, aber Maya wurde enttäuscht.

„Maya!“, rief Oberin Theresa in strengem Ton.

„Ja Frau Oberin?“, stotterte Maya.

„Wo ist deine Bibel?“. Oberschwester Theresa stierte das Mädchen streng an.

„Entschuldigen Sie bitte Frau Oberin, ich habe sie wohl in meiner Kammer vergessen“, flüsterte Maya ängstlich.

Wortlos ging Oberin Theresa auf Maya zu, packte sie harsch bei der Hand und führte sie aus dem Saal. Schweigend ließ sich Maya hinterher ziehen. Die Oberin führte sie durch den langen Korridor und blieb direkt vor Mayas Kammer stehen. „Du bewegst dich nicht von der Stelle!“, fauchte sie, ließ Maya auf dem Korridor stehen und verschwand in der Kammer. Maya zitterte am ganzen Körper, sie wusste nicht was mit ihr passieren würde. Sie blickte aus dem Fenster und sah den blauen Himmel an. Einige Wildgänse flogen über das Kloster hinweg und Maya wünschte sich, mit ihnen mitfliegen zu können. Weit weg von diesem Ort, in die Freiheit. Wie schön wäre es wohl fern dieses Klosters, in einem kleinen Häuschen zu wohnen? Sehnsüchtig blickte sie den Wildgänsen nach, als sie plötzlich ein Schrei aus ihren Träumen riss. Ein lautes Schluchzen und Flehen drang aus der Kammer und Maya wusste, dass die Oberin wohl Sarahs Abwesenheit bemerkt hatte. Die Tür öffnete sich und die Oberin zerrte Sarah aus der Kammer.

„Ihr kommt beide mit!“, sagte sie streng, packte die Mädchen an den Händen und zog sie hinter sich her. Ihr Weg führte sie den Korridor entlang, über eine Stiege in den Keller.

Die Oberin öffnete ein Verlies und stieß die Mädchen hinein. Als sie das Verlies hinter sich verschloss, wagten die beiden Mädchen sich nicht zu bewegen.

Das Verlies war kalt und dunkel, da es kein Fenster hatte. Es roch nach Moder und Schimmel und fühlte sich unangenehm feucht an. Maya kauerte sich in eine Ecke. Ihr war kalt und sie hatte Angst. Die Wände waren dermaßen feucht, dass es nicht lange dauerte, bis ihre Kutte diese Feuchtigkeit aufgesogen hatte. Es war so dunkel, dass sie nicht einmal die Umrisse ihrer Hand erkennen konnte. Aus einer anderen Ecke des Verlieses vernahm sie ein leises Wimmern.

„Sarah?“, flüsterte Maya aber Sarah antwortete nicht, lediglich das Wimmern wurde etwas lauter.

„Sarah, sprich doch mit mir. Die Oberin ist weg!“, flüsterte Maya etwas lauter.

„Ich habe solche Angst Maya“, schluchzte Sarah. Maya hatte zwar selbst Angst aber sie sprach ihrer Freundin Mut zu und begann den Boden des Verlieses abzutasten. Sie wusste zwar nicht genau was sie suchte, aber sie wollte sich ablenken und da viele Mädchen vor ihr schon in dieses Verlies gesperrt wurden, war die Möglichkeit groß, dass das eine oder andere Mädchen etwas verloren haben könnte. Etwas mulmig zumute war ihr, als sie ihre Hände über die kalten, rauen Steinfliesen gleiten lies. Schließlich konnte sie nie wissen, was sie genau ertastete. Beispielsweise eine eklige Spinne? Maya erschauderte bei dem Gedanken. Stück für Stück tastete sie den Boden ab, bis sie plötzlich auf etwas Weiches stieß. Sie zog ihre Hand reflexartig zurück. Was konnte das wohl sein?

Vielleicht ein kleines Kissen? Maya tastete sich näher heran und nahm das weiche Ding in die Hand. Plötzlich quiekte es laut auf und das Ding begann zu zappeln. Vor Schreck ließ Maya los und sie hörte kleine Schritte durch das Verlies tapsen. >>Oh Gott, eine Ratte!<<, dachte sie aber sie sagte nichts, um Sarah nicht noch mehr zu beunruhigen.

Mutig tastete sie sich weiter über den Boden, bis sie plötzlich einen länglichen Gegenstand fühlte. Sie hob den Gegenstand auf und ihre Hände fühlten, dass es sich dabei um eine Kerze handelte. Was aber sollte sie mit einer Kerze ohne Streichhölzer?

„Sarah, ich habe eine Kerze gefunden! Wir brauchen nur noch etwas um sie anzuzünden.“, freute sie sich.

„Ich habe ein paar Streichhölzer in meiner Kuttentasche“, sagte Sarah, die sich wieder beruhigt hatte.

Die Mädchen zündeten die Kerze an und warmes Kerzenlicht durchflutete den kleinen Raum.

Das Verlies war alles andere als einladend. Dicke Steinwände säumten den Raum. An einigen Stellen traten Rinnsale aus den Wänden und bildeten kleine Wasserlachen am Fußboden, der ebenfalls aus Steinplatten bestand.

Die hohe Luftfeuchtigkeit bildete Nährboden für allerlei Gewächs. Moos wucherte in den Zwischenräumen der Steinplatten und vereinzelt wuchsen einige seltsame Pilze aus den Ritzen der Platten hervor. Dann gab es noch die schwere Eisentür, die nur von außen geöffnet und geschlossen werden konnte. Es gab keine Chance sie von innen zu öffnen, da sie auf der Innenseite weder Klinke noch Knauf besaß. Außerdem war sie ohnehin abgeschlossen. Ein großer, starker Mann würde es vielleicht schaffen die schweren Eisenscharniere zu lockern, mit denen die Tür fest in der Mauer verankert war aber für zwei Mädchen wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit.

Als Maya ihren Blick durch das Verlies schweifen ließ, bemerkte sie in einer Ecke einen kleinen Haufen Stroh. >>Daraus könnte man doch bestimmt eine kleine Schlafstätte für uns bauen<<, dachte sie.

Sie kroch auf allen Vieren zu dem Strohhaufen und versuchte daraus ein kleines Bett für sich und Sarah zu basteln. „Was machst du da?“, fragte Sarah.

„Ich bastle uns eine Schlafstätte. Der feuchte Boden ist unangenehm und wer weiß wie lange wir hier noch bleiben müssen“, entgegnete Maya während sie das Stroh gleichmäßig zu einem, etwa einem Meter breiten Viereck auslegte.

„Da hinten glitzert irgendwas!“, rief Sarah.

Maya schob etwas Stroh beiseite und bemerkte, dass sich in der Wand ein kleines Loch befand.

Es schien fast so als hätte jemand, der sich vor ihnen in diesem Verlies befand, absichtlich das Stroh so drapiert, um das kleine Loch zu verstecken.

Maya bückte sich und guckte in das Loch hinein. Tatsächlich! Im Loch schien irgendetwas zu glitzern und ganz leicht zu leuchten. Es kostete sie zwar einiges an Überwindung, da kleine Käfer aus diesem Loch heraus krabbelten, aber sie steckte die Hand in das ca. 10 cm große Loch hinein und zog einen länglichen Gegenstand hervor.

Bei dem Gegenstand handelte es sich um ein tränenförmiges, kristallines Amulett. Es leuchtete bläulich und eine kleine Öse diente dazu, eine Kette daran zu befestigen. Auf einer Seite befand sich ein kleines Relief. Beim näheren Hinsehen erkannte man die Form einer Landschaft. Das Relief war extrem winzig aber man konnte trotzdem einen Wasserfall erkennen, der in einen kleinen Teich mündete. Darunter waren einige Schriftzeichen eingraviert, die Maya nicht entziffern konnte.

„Was hast du da? Zeig es mir auch!“, rief Sarah neugierig. Maya gab ihrer Freundin das Amulett und Sarah begann zu grübeln.

„Sesam öffne dich!“, kicherte Sarah. Natürlich geschah nichts aber sie hatte auch nichts erwartet.

„Vielleicht muss man daran reiben“, sagte sie und rubbelte am Amulett und wiederum geschah nichts.

„Wir sind hier nicht bei Aladdin in 1001 Nacht“, sagte Maya und tippte mit dem Finger auf die Stirn.

„Nein sind wir nicht, weil es keine Märchen gibt und deshalb ist das auch nur ein stinknormaler Anhänger für eine Halskette“, antwortete Sarah und gab Maya das Amulett zurück.

Maya nahm es wieder an sich und zuckte mit den Schultern. Sie war zu müde um das auszudiskutieren. Die ganzen Erlebnisse des Tages hatten sie sehr psychisch sehr mitgenommen und angestrengt. Deshalb kauerte sie sich auf ihr Bett aus Stroh, das sehr unbequem war aber sie war so müde, dass es sie nicht weiter störte. Sarah legte sich zu ihr und es dauerte nicht lange bis sie eingeschlafen war. Maya jedoch fand keinen Schlaf, obwohl sie sehr erschöpft war. Zu viele Gedanken beschäftigen sie. Sie dachte an die Oberin und das düstere Verlies, in dem sie beide jetzt schlafen mussten. Eine dicke Träne kullerte über ihre Wange. Maya wischte sich schniefend mit ihrer Hand die wieder Träne weg. Sie bemerkte jedoch nicht, dass die Träne das Amulett in ihrer Hand benetzte und es anfing bläulich zu leuchten. Das Leuchten war anfangs so sanft, dass man es kaum wahrnehmen konnte. Maya spürte wie ihre Augenlider immer schwerer wurden und schließlich zufielen. Sie sank in einen tiefen Schlaf, weshalb sie nicht bemerken konnte, dass sich das kleine Kellerverlies in gleißend blaues Licht tauchte.

Das Vermächtnis der Kristallkönigin

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