Читать книгу Das Vermächtnis der Kristallkönigin - Nathalie O'Hara - Страница 5

Kapitel 2 Cerridwen

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Dicke Nebelschwaden durchzogen das gesamte Terrain und ließen nur selten Blicke auf die Landschaft zu. Selbst den Boden konnte man aufgrund des dichten Nebels nicht erkennen, vielmehr schien es so, als würde es hier außer Nebel nichts Anderes geben. Dieser mystische Ort wirkte fast unheimlich und die Stille war beunruhigend, da man die meiste Zeit aufgrund des dichten Nebels seine eigene Hand vor dem Gesicht nicht sehen konnte. Als sich der Nebel kurz lichtete, konnte man in weiter Ferne ein kleines Haus inmitten der Wolken erkennen. Das Häuschen war durch seine weiße Fassade kaum von den Wolken zu unterscheiden und man konnte nur dann Teile davon erkennen, wenn sich die Nebelschwaden kurz lichteten. Dieses Haus war die Heimat von Cerridwen, der Hüterin des Portals.

Cerridwen, eine ältere kleine Dame mit mondweißen langen Haaren, eilte geschäftig durch die Küche um alles für ihren Besuch vorzubereiten. Eine würzige Pilzsuppe dampfte auf dem alten Steinofen und verströmte einen köstlichen Duft. Immer wieder zückte Cerridwen einen hölzernen Kochlöffel, der sich in einer Seitentasche ihres langen, violetten Samtkleides befand, um die Suppe zu probieren und nachzuwürzen.

Die kleine Küche des Hauses war gemütlich und ziemlich urig eingerichtet. Überall standen Regale mit Gewürzen und kleinen Tontöpfen und in einer Ecke gab es einen Kessel, der auf einem Drahtgestell über einer Feuerstelle befestigt war. Direkt daneben befand sich der Steinofen mit der Suppe und in einer weiteren Ecke gab es noch einen kleinen Holztisch mit ein paar Stühlen. Eine Tür führte ins Freie, eine andere Türe führte in die anderen Räumlichkeiten des Hauses. Cerridwen breitete eine weiße Tischdecke über den Tisch und stellte eine Vase mit rosa Blumen darauf. Außerdem legte sie noch drei Löffel und einen Korb mit frischgebackenem Brot zurecht.

Als Maya ihre Augen öffnete fand sie sich in einem weißen Zimmer wieder. Sie lag in einem Bett, das sie an dicke, flauschige Wolken erinnerte. Ein leichtes Schwindelgefühl quälte sie und sie versuchte mit zusammengekniffenen Augen ihr Umfeld zu erkunden. Wo war sie? Sie konnte sich weder daran erinnern hier eingeschlafen zu sein, noch konnte sie sich daran erinnern diesen Ort je zuvor gesehen zu haben. Sie bemerkte, dass sie sich nicht alleine in diesem Raum befand. Sarah lag etwas entfernt von ihr, in einem ebenso weichen, flauschigen, wolkenhaften Bett und schlief tief und fest. Bis auf die beiden Betten war der Raum leer. Es gab keine Fenster und obwohl auch keine Lichtquelle vorhanden war, war es ziemlich hell, sodass Mayas Augen sich erst an diese Helligkeit gewöhnen mussten. Darum dauerte es etwas länger, bis sie die Tür, die eher an ein weißes Portal erinnerte, erspähte. Als sich ihr Schwindelgefühl gelegt hatte, kletterte sie aus ihrem Bett und ging über den Wolkenboden zu Sarah. Bei jedem Schritt sanken ihre Füße in die Wolken ein und somit dauerte es eine ganze Weile, bis sie die Distanz von anderthalb Metern zurückgelegt hatte.

Sarah wachte auf und erschrak als sie bemerkte, dass sie sich an einem fremden Ort befand. „Wo sind wir?“, fragte sie.

„Keine Ahnung aber wir finden es heraus“, antwortete Maya und deutete auf die Tür.

„Irgendwie wirken wir in diesem weißen Wolkenraum mit unseren schwarzen Kutten wie schmutzige Rußteufel“, kicherte Sarah und stieg aus ihrem Bett. „Hallo, ich bin Frau Ruß und komme aus dem Ofen“, lachte Sarah und hüpfte auf dem Wolkenboden herum, sodass sie bis zu den Knien einsank.

„Hör mit diesem Unsinn auf, wir haben jetzt andere Sorgen!“, schimpfte Maya und machte sich auf den Weg zur Tür. Als sie dort angekommen war, bemerkte sie, dass auch der Griff der Tür aus Wolke bestand. Jedes Mal wenn sie die Türe öffnen wollte, löste sich der Griff in Luft auf. Sie versuchte es mit Druck und stemmte ihren ganzen Körper gegen die Tür aber ohne Erfolg. Die Tür wollte sich einfach nicht öffnen lassen.

>>Das gibt es doch nicht, da muss ein Trick dahinter stecken!<<, dachte sie.

Auch Sarah hatte die Tür erreicht und strich bewundernd über die Zeichen, die in die Tür geschnitzt waren. Plötzlich wurde das Portal von außen geöffnet und Cerridwen stand vor den Mädchen.

„Ich habe schon auf euch gewartet“, flüsterte sie leise und deutete den beiden ihr zu folgen. Die Mädchen betraten den langen Korridor, der halbrund um eine riesige Glaskugel verlief. Es war nicht erkennbar, wo die Kugel anfing und auch nicht wo sie endete. Am Korridor befand sich eine einzige Tür, die Tür zum Zimmer der Mädchen, die an einem Ende des u-förmigen Ganges lag. Am anderen Ende befand sich ein großes, seltsam schimmerndes Feld. In der Mitte des Ganges führte ein schmaler Durchlass in die Küche. Als die Mädchen die Küche erreicht hatten, wurden sie von Cerridwen gebeten, sich auf die Stühle an den Tisch zu setzen. Während die alte Dame dampfende Suppe in kleine, halbrunde Tonschüsseln füllte und vor die beiden hinstellte, hatten sie Zeit sich etwas umzusehen, bevor sie vom Hunger übermannt wurden. Gierig löffelten sie ihre Suppe und aßen das frischgebackene Brot dazu. So etwas Gutes hatten sie schon lange nicht mehr bekommen. Das Klosteressen war immer sehr geschmacklos und ohne Liebe zubereitet worden. Bei dieser Suppe jedoch merkte man, dass sie von der Köchin mit sehr viel Liebe gekocht wurde.

Cerridwen stellte ihnen auch eine Karaffe mit Kristallwasser auf den Tisch, die von den durstigen Mädchen kurz darauf leergetrunken wurde. Als sie frisch gestärkt waren, fragte Sarah: „Was ist das hier für ein Ort?“.

Cerridwen sammelte schweigend die leeren Schüsseln ein und wusch sie in einem Eimer mit Wasser. Danach drehte sie sich zu den Mädchen um und machte mit ihrer rechten Hand eine kreisende, langsame Bewegung. Plötzlich verschwanden die Regale, der Ofen, der Tisch, die Gewürze und sogar die Wände und sie befanden sich von inmitten von Wolken im Nirgendwo.

Cerridwen antwortete: „Ihr befindet euch in der Zwischenwelt. Hier ist das Nichts zwischen den Welten“.

„Und wer sind Sie?“, wollte Maya wissen. Cerridwen winkte ab… „eines nach dem anderen liebes Mädchen“.

„Was ist die Zwischenwelt?“, wollte Sarah wissen.

„Die Zwischenwelt ist die Welt zwischen eurer irdischen Welt und Astorien. Ich bin Cerridwen die Hüterin der Zwischenwelt und des Portals, durch das man beide Welten betreten kann. Es können ausschließlich Wesen durch dieses Portal gehen, die von mir darauf vorbereitet wurden und auch nur ich entscheide, welches Wesen in welche Welt gehen darf“, erklärte sie.

„Was ist Astorien?“, fragte Maya.

„Astorien ist das Land der Vollkommenheit, der Wunder, ein Land wo jedes Wesen seinen Platz hat und jedes Wesen reinen Herzens willkommen ist. Ihr Menschen würdet es als Paradies bezeichnen aber das ist es nicht. Es ist Astorien“, war die Antwort Cerridwens.

„Und was passiert, wenn man durch das Portal geht ohne, dass man darauf vorbereitet wurde?“, fragte Maya weiter.

„Niemand vermag es die Welt selbst auszuwählen, denn wie das funktioniert ist mein Geheimnis. Ich alleine kenne dieses Geheimnis und somit bin ich die Einzige, die jedes Wesen in die richtige Welt schicken kann. Wenn jemand dieses Portal ohne mich betritt, landet er in der Welt der Geister.“

„Das bedeutet, jeder, der dieses Portal ohne deine Hilfe betritt, stirbt?“, fragte Sarah erschrocken.

Cerridwen nickte und sprach: „Eure Zeit ist bald gekommen um dieses Portal zu betreten. Aber vorher müsst ihr noch ein bisschen älter werden. Kindern ist es nicht möglich den Weg nach Astorien zu gehen“.

„Gibt es denn in Astorien keine Kinder?!“, stießen Maya und Sarah zugleich hervor.

“Doch, es gibt dort Kinder aber aufgrund der derzeitigen Umstände im Land hat Prinzessin Aria beschlossen, keine weiteren Kinder nach Astorien zu lassen, bis die Probleme dort gelöst sind. Erst wenn ihr eure Kindheit vollendet habt und in das Alter der Erwachsenen eintretet, werdet ihr in der Lage sein in das Land zu reisen. Allerdings tritt man in der Zwischenwelt und auch in Astorien erst mit 20 in das Alter der Erwachsenen ein“, erklärte Cerridwen.

„Wir sind jetzt 13, soll das heißen wir sitzen jetzt 7 lange Jahre hier fest?!“, entsetzte sich Maya.

“Die Zeit wird hier für euch vergehen wie im Flug“, versicherte Cerridwen, schloss mit einer Handbewegung wieder den Blick auf die Wolkenlandschaft und die Mädchen befanden sich wieder in der kleinen, urigen Küche.

„Was sollen wir überhaupt in Astorien? Wir gehören doch in unsere Welt!“, bemerkte Sarah.

„Nun, ich kann euch gerne wieder in das Kloster zurückschicken, aus dem ihr gekommen seid, wenn ihr das unbedingt möchtet“, entgegnete Cerridwen ruhig.

Maya schüttelte den Kopf, dahin wollte sie keinesfalls zurück. Und auch Sarah war von dieser Idee überhaupt nicht begeistert. Zu viel Leid ist ihnen in diesem Kloster widerfahren.

„Ich schlage vor, ihr gönnt euch jetzt ein schönes Bad und zieht euch andere Kleider an. Diese schwarzen, schweren Kutten sind Teile eurer Vergangenheit und behindern euch nur in eurer Zukunft“, sprach Cerridwen und führte die Mädchen über den Korridor zurück zur Tür. Dort angekommen berührte sie mit ihrer rechten Hand sanft die Tür und das Weiß begann zu schimmern.

„Geht hinein, es ist alles vorbereitet“, lächelte die alte Dame und machte sich auf den Weg zurück in die Küche.

Maya jammerte: „Toll! Wie sollen wir die Tür ohne Knauf öffnen?“. „Aber da ist doch ein Knauf“, sagte Sarah und öffnete problemlos die Tür. Maya begutachtete die Tür genauer aber konnte immer noch keinen Knauf erkennen. Verwundert folgte sie Sarah in das Zimmer.

Die beiden trauten ihren Augen nicht. Der Raum, in dem vorher nur zwei Wolkenbetten standen, sah jetzt völlig anders aus. Die Wolkenbetten und der Wolkenboden waren verschwunden. Der ganze Raum existierte nicht mehr, denn die Tür führte jetzt direkt ins Freie. Die Mädchen gingen durch die Tür und fanden sich in einem großen Garten wieder. Dieser Garten war so riesig, dass es den Anschein hatte, er wäre unendlich. Exotische bunte Blüten wuchsen in den azurblauen Himmel empor und verströmten einen wunderbaren Duft. Warme Sonnenstrahlen drangen durch die unzähligen Palmen, die einen herrlichen Wasserfall umrahmten.

Ein Wasserfall, das war es scheinbar was Cerridwen unter einem Bad verstand. Die Mädchen gingen langsam den schmalen Pfad zum Wasserfall entlang und kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die unterschiedlichsten Pflanzen wuchsen am Wegesrand und bildeten ein grünes Dickicht, welches den Mädchen über ihre Kutten peitschte. Kleine Risse bildeten sich in dem schwarzen Stoff. Die beiden ignorierten die Risse und so wurden aus den kleinen Rissen, große Löcher die sich durch alle Teile der Kutten zogen. Die Löcher wurden immer größer und langsam löste sich der ganze Stoff, bis er schlussendlich wie Staub von den Körpern der Mädchen fiel. Ihre Schritte wurden immer schneller und schneller und je mehr die alten, schweren Kutten von ihren Körpern fielen, desto unbeschwerter und glücklicher wurden sie. Sie fühlten sich leicht und die alten schweren Lasten fielen als Ballast von ihren Seelen ab. Sie begannen zu laufen und ihre Jahre im Kloster schienen nur noch ein Schleier ihrer Vergangenheit zu sein. Sie begannen fröhlich zu lachen und genossen den Wind, der durch ihre Haare streifte. Nur noch wenige schwarze Fetzen der Kutten waren vorhanden und je näher der Wasserfall kam, desto schneller lösten sie sich auf, bis sie schließlich völlig verschwunden waren. Der sanfte Wind streifte ihre nackten Körper und das Dickicht wirkte nun nicht mehr peitschend sondern streichelte ihre nackten Beine und Füße.

Als sie am Wasserfall ankamen setzten sie sich ein paar Minuten auf einen grauen, von der Sonne gewärmten Stein. Dieser Ort war atemberaubend schön. Der Wasserfall schien vom Himmel herab in einen rundlichen, von unzähligen Blumen umrandeten Teich zu fallen. Das Wasser war so herrlich klar, dass sie den Grund des Teiches sehen konnten. Golden schimmernde Fische tummelten sich im Teich und schwammen durch zartrosa schillernde Wasserpflanzen. Das Sonnenlicht brach sich im Wasser und ein spektrales Funkeln durchzog wie kleine Kristalle alle Blumen, die üppig den Teich umrahmten.

Die Mädchen stiegen langsam in das kühle Nass des Teiches und das klare, frische Wasser perlte angenehm auf ihrer Haut. Sie schwammen zum Wasserfall und ließen sich von seiner Strömung umhüllen.

Einige wohlduftende Seerosen wurden von sanften Wellen zu ihnen gespült und als sie bemerkten, wie gut ihr Nektar duftete, beschlossen sie, mit diesem Nektar ihre Körper und ihre Haare zu waschen. Einige Stunden vergingen, in denen sie unbeschwert im Wasser tobten, sich gegenseitig vollspritzten, lachten und einfach Kinder sein konnten. Sie erlebten jene schönen und unbeschwerten Stunden der Kindheit, die ihnen all die Jahre im Klosteralltag verwehrt geblieben war.

Nach einiger Zeit versiegte der Wasserfall und eine kristalline Höhle kam dahinter zum Vorschein.

Neugierig betraten sie die Höhle, deren Wände aus reinem blauem Aquamarin bestanden. In der Mitte der Höhle lagen auf einem kristallinen Tisch zwei prächtige Gewänder in ihrer Größe. Die weißen Kleider hatten glockenförmige Ärmel und waren bodenlang. Vorne über der Brust verlief in Zickzackform eine goldene Kordel, die man am Rücken enger ziehen konnte. Neben den Kleidern lagen zwei wunderschöne, weiße Blumenkränze, 2 Paar weiße Schuhe und zwei kristalline Amulette.

Die Mädchen hüllten sich in diese prachtvollen Kleider, zogen sich die zarten Schuhe an, setzten die Blumenkränze auf ihre zierlichen Köpfe und legten sich die Amulette an.

Dann kehrten sie ins Haus von Cerridwen zurück, die schon im Korridor erwartete.

Die alte Dame schloss die Tür zum Garten und sagte: „Ihr seid jetzt gewiss sehr müde, ihr solltet zu Bett gehen.“ Als sie die Tür wieder öffnete war der Garten verschwunden und der Raum mit den zwei Wolkenbetten war wieder da. Müde und zufrieden gingen die Mädchen zu Bett und schliefen tief und fest, ohne auch nur einen kleinen Traum zu träumen.

14. Am nächsten Tag wurden sie von einem Sonnenstrahl geweckt, der von einem Spiegel in zwei Strahlen gebrochen wurde um beiden Mädchen gleichermaßen ins Gesicht zu scheinen. Der Strahl drang durch ein kleines Loch in der Wolkendecke und kitzelte ihre Nasen.

Sarah war die Erste, die aus dem Bett stieg und den großen, kristallinen Spiegel bewunderte, der sich am Vorabend noch nicht in ihrem Zimmer befand. Als sie ihr Spiegelbild sah, wich sie erschrocken zurück. Ihre vorher schulterlangen, blonden Locken schienen über Nacht gewachsen zu sein und sie wirkte etwas größer als am Vortag. „Maya, steh auf! Irgendetwas scheint hier nicht zu stimmen!“, rief sie erschrocken. Maya kletterte müde aus dem Bett und wich vor ihrer Freundin zurück.

„Oh mein Gott! Was ist mit dir geschehen?!“, stieß sie verwundert hervor. Aber als sie selbst vor den Spiegel trat, erkannte sie, dass auch sie sich verändert hatte. Sie war größer geworden und ihre Brüste fingen an zu wachsen. Wo am Tag zuvor nur Brustwarzen zu sehen waren, befanden sich jetzt zwei kleine Hügel und auch ihre Haare waren länger geworden.

Sie stand vor dem Spiegel und strich sich über die Wölbungen ihrer neuen Brust. Schnell schlüpften sie in ihre Kleider und gingen zu Cerridwen in die Küche.

„Cerridwen, was geschieht mit uns?“, fragte Sarah.

Cerridwen lächelte und sagte ruhig: „Keinen Grund zur Sorge, wie ich bereits erwähnte, vergeht die Zeit in der Zwischenwelt schneller als in eurer Welt. Ihr werdet mit jedem Tag älter aber hier macht sich das deutlicher bemerkbar“. Die Mädchen setzten sich an den Tisch und aßen nachdenklich und schweigend ihr Frühstück.

Nach dem Essen hatte Cerridwen für jede von ihnen eine Aufgabe vorbereitet.

Da jedes Mädchen eine andere Aufgabe zu erfüllen hatte, wurden sie von Cerridwen einzeln unterrichtet. Sarah kam als Erste dran und wurde von der Hüterin zu der großen Kristallkugel im Korridor geführt.

Die alte Frau ließ ihre Hand über die Kugel gleiten und plötzlich erschienen Landschaften darin. Als Sarah genauer in die Kugel sah, erkannte sie den Klostergarten, in dem ihre ehemaligen Klosterschwestern bei großer Hitze Beeren von den Sträuchern pflücken mussten. Daneben stand die Mutter Oberin mit einer Haselnussrute und peitschte auf den Boden um die Kinder noch mehr bei der Arbeit anzutreiben. Die Klosterschülerinnen schwitzten und bettelten nach Wasser aber die Mutter Oberin hatte kein Erbarmen und schlug mit der Haselnussrute fest auf die bettelnden Hände. Sarah war entsetzt und ihre Vergangenheit, die sich durch die schöne Zeit hier wie eine schlechte Erinnerung anfühlte, holte sie plötzlich wieder ein.

Cerridwen nahm Sarah tröstend in ihre Arme und sprach: „Deine Aufgabe ist es, durch diese Kugel den Menschen Gutes zu tun. Das Gute macht sich auch durch Kleinigkeiten bemerkbar. Aber damit du auch die Umstände erkennst, wo du es einsetzen musst, fangen wir heute mit einer Situation an, die dir sehr gut bekannt ist.“

„Wie kann ich helfen?“, fragte Sarah hilflos.

„Du musst einfach nur auf dein Herz hören und den Menschen mit kleinen Hilfestellungen die Situationen erleichtern“, sprach Cerridwen. Sarah legte ihre Hände auf die Kristallkugel und konzentrierte sich auf die Liebe in ihrem Herzen. Plötzlich begann es im Klostergarten zu regnen, weshalb die Mutter Oberin ins Kloster stürmte und die Tür hinter sich zuschloss.

Die Schülerinnen, die im Garten Beeren pflücken mussten,

wurden durch das Nass erfrischt und konnten daher viel schneller ihre Körbe füllen. Der Regen wurde stärker und füllte einen leeren Eimer, der ebenfalls mit Beeren bestückt werden sollte. Die Mädchen nahmen ihn und reichten ihn herum, bis jede von ihnen ihren Durst gestillt hatte.

„Du hast das wunderbar gemacht! Das war erst der Anfang. Wenn du geübt bist, wirst du immer das Richtige tun, sofern du immer auf dein Herz hörst“, lobte Cerridwen.

Das kleine Glück der Klosterschülerinnen erfüllte Sarah mit Freude und so entstanden immer mehr Situationen in der Kristallkugel, die Sarah mit Liebe und Glück erfüllen konnte. Da wusste Cerridwen, dass sie ihre Aufgabe verstanden hatte und ging zu Maya zurück.

„Nun ist die Zeit gekommen um dir deine Aufgabe zu zeigen Maya“, sagte sie und nahm das mittlerweile ebenfalls 14jährige Mädchen an der Hand.

Der Weg führte sie wieder durch den Korridor, vorbei an Sarah, die immer noch mit Freude bei der Kristallkugel stand und der ihre Aufgabe immer mehr Spaß bereitete.

Wieder stand Maya vor der Tür zu ihrem Zimmer und blickte Cerridwen erwartungsvoll an.

„Am Anfang hast du dich gewundert, warum mein Haus außer der Küche nur einen Raum hat, richtig?“, schmunzelte Cerridwen. Maya nickte und wunderte sich, dass der alten Hüterin das aufgefallen war.

„Meine Küche ist der Raum, der immer da sein muss, denn wenn ich schnell einen Trank brauche, ist jeder Schritt und jede Handbewegung pure Zeitverschwendung. Daher ist die Küche einer von zwei fixen Bestandteilen meines Hauses. Der zweite fixe Bestandteil ist dieser Korridor mit seiner Kristallkugel und dem Portal. Auch der Korridor hat oberste Priorität, da er schließlich das Tor zu den Welten beherbergt. Das letzte Element ist dieser Allzweckraum, der immer dem jeweiligen Zweck dient und daher immer veränderbar ist“, erklärte sie.

„Und wo schläfst du?“, fragte Maya neugierig.

„Schlafen?“, Cerridwen lachte laut und fuhr fort:

„Deine erste Aufgabe ist, diese Tür alleine öffnen zu können.“ Sie deutete auf die Zeichen und Maya verstand plötzlich, warum ihr das bisher nie gelungen war. Sie hatte das Portal viel zu oberflächlich betrachtet. Sie musste mit viel mehr Liebe an die Sache herangehen.

Sanft und langsam ließ sie ihre Finger über die zarten Schnörkel gleiten und unter ihren Berührungen fingen die Windungen an, sich zu erweitern. Filigrane Blätter und Blüten wuchsen aus den Schnörkeln hervor und fingen unter ihren Fingern leicht zu schimmern und glänzen an.

Die anfänglich langweiligen Zeichen bildeten nun ein wunderschönes Blütenmuster und je länger Maya es beobachtete, desto mehr Entzücken fand sie daran. Mit Hingabe betrachtete sie die kleinen zarten Blumen, die wie kleine Röschen wirkten und als sich ihr Herz bei dieser Schönheit öffnete, gewährte ihr die Tür Einlass.

Dieses Mal befand sich hinter der Tür weder der Garten mit dem Wasserfall, noch ihr Zimmer mit den Wolkenbetten. Was sie dieses Mal sah, übertraf ihre Vorstellungen um ein Vielfaches. Langsam ging das Mädchen durch die Tür, die kurz danach hinter ihr verschwand und fand sich an einem einsamen Ort wieder. Karge Felder, soweit das Auge reichte, durchzogen von einem violetten Fluss, der sich zwischen schroffen Felsen ins Abseits schlängelte.

Die Sonne brannte stark vom Himmel auf die verdorrten Gräser, die wie auch die Landschaft, an eine afrikanische Steppe erinnerten. Hie und da spendete ein Olivenbaum etwas Schatten, aber im Großen und Ganzen war man hier der Sonne komplett ausgeliefert. Ab und zu wehte ein kleines Lüftchen und spendete eine kurze Erfrischung. Meistens jedoch brannte nur die Sonne erbarmungslos herab.

Maya wischte sich den Schweiß von der Stirn und krempelte die Ärmel ihres langen, weißen Kleides hoch. Plötzlich nahm sie in ihren Augenwinkeln eine große, schlanke Gestalt wahr. Sie hielt sich die Hände vor die Augen um nicht mehr so stark von der Sonne geblendet zu werden.

Die Umrisse der Person wurden zwar schärfer, allerdings konnte sie aufgrund der starken Sonnenblendung dennoch nichts genaueres erkennen. Maya stand wie angewurzelt da und starrte die Gestalt an, die sich ihr in hohem Tempo näherte. Cerridwen, die die ganze Zeit neben Maya stand, lächelte und legte ihr die Hand auf die rechte Schulter.

„Keine Sorge meine Kleine. Das ist nur Siran, der gekommen ist um dir zu helfen“, sagte sie.

Siran war ein junger, schlanker Elf mit olivbraunem Teint und meerblauen Augen. Seine langen, braunen Haare wallten ihm seidig über die Schultern. Er hatte ein paar kleine Zöpfe und Lederbänder hinein geflochten, was Maya etwas belustigend empfand. Bekleidet war er mit einer einfachen Lederhose, die sich eng um seine schmalen aber muskulösen Beine schmiegte und einem einfachen, weißen Leinenhemd. Eine aus Lederbändern, Federn und Muscheln selbst gebastelte Kette, baumelte über seine braune Brust, die aufgrund des halboffenen Hemdes, leicht zum Vorschein kam. Irgendwie erinnerte er sie an die letzte Kostümparty ihrer Schulklasse, welche sie vor dem Einzug in das Kloster besucht hatte.

Ein ehemaliger Klassenkamerade war damals so ähnlich gekleidet wie dieser Waldelf. Sie erinnerte sich, wie frech er damals mit seinem Plastikschwert die Mädchen ärgerte. Für einen kurzen Moment vergaß sie, dass sie gerade mit Cerridwen in einem ihr unbekannten Gebiet, vor einem ihr völlig fremden Elfen stand und musste herzhaft lachen.

„Was gibt es hier zu lachen?“, fragte Siran und holte sie wieder in die Realität zurück.

„Nichts. Schon ok. Du hast mich nur an jemanden erinnert“, antwortete sie ihm.

„Ich gebe dich jetzt in die Hände von Siran. Er wird dir alles beibringen was du benötigst um dich perfekt verteidigen zu können“, sprach Cerridwen und verschwand durch die unsichtbare Türe.

„Verteidigen? Wovor soll ich mich verteidigen?“, fragte Maya mit großen Augen.

„Jenseits des Portales erwartet Euch eine Welt in der Ihr Euch verteidigen müsst um zu überleben“, sprach Siran mit ruhiger Stimme und drückte ihr einen Köcher mit Pfeilen sowie einen Bogen in die Hand.

Danach führte er sie zu einem der Olivenbäume. Der Waldelf spannte seinen hölzernen Bogen, zielte auf die grünen Früchte und schoss eine Olive nach der Anderen gekonnt vom Baum. Maya staunte und versuchte ihr Glück ebenfalls, doch ganz so einfach war es nicht, wie sie sich das vorstellte. Ihr Pfeil flog zwischen den Ästen hindurch und außer ein paar Blätter, hatte sie nichts getroffen.

„Ihr müsst Eure Hand ruhiger halten und das Ziel etwas mehr fokussieren“, sagte Siran, stellte sich hinter sie und half ihr eine besonders große Olive mit dem Pfeil ins Visier zu nehmen und sie vom Baum zu schießen. Maya strahlte über das ganze Gesicht. „Das macht ja unglaublich viel Spaß!“, rief sie fröhlich.

Die beiden übten bis die Sonne begann am Horizont zu verschwinden und die ganze Landschaft in ein wunderschönes, rötliches Licht tauchte. Erst dann führte Siran sie zu dem Ort zurück, wo sich die unsichtbare Tür befand. Er hielt ihr galant die Türe auf.

„Übrigens. Ihr müsst an Eurer Sprache arbeiten. Bald seid Ihr den Kinderschuhen entwachsen“, sagte er.

„Wie meinst du das?“, fragte Maya verwirrt.

„Zur richtigen Zeit werdet Ihr auch das erfahren“, war seine Antwort und egal wie oft Maya auch nachfragte, er bliebt dabei.

In der Küche wartete schon Cerridwen mit dem Abendessen auf die beiden.

„Ihr müsst ordentlichen Hunger haben! Ich habe deshalb etwas ganz Feines zubereitet“, sagte sie und stellte einen Topf mit dampfender Kräutersuppe auf den Tisch.

„Ist das alles?“, fragte Maya enttäuscht.

„Ich sterbe vor lauter Hunger!“

„Natürlich nicht“, Cerridwen schmunzelte, holte eine würzige Pastete aus dem Backofen und stellte sie ebenfalls auf den Holztisch.

„Ich habe gehört, dass es hier jemanden mit großem Hunger gibt?“, Sarah kam freudestrahlend bei der Tür herein und brachte ein Tablett mit gegrilltem Fisch und einer Tonschüssel mit Blütensalat. „Das habe ich alles selbst zubereitet“, sagte sie und stellte das Essen neben die Pastete auf den Tisch. Als sie Siran sah, wurde sie nervös und hielt vor lauter Aufregung das Tablett etwas schief, sodass der Blütensalat um ein Haar auf dem Tisch gelandet wäre. Verlegen setzte sie sich zu den anderen und das Festmahl konnte beginnen.

Sie aßen schweigend die leckeren Köstlichkeiten, bis Maya bemerkte, dass Sarah die ganze Zeit den Waldelf beim Essen beobachtete. Sie stupste sie mit dem Bein unter dem Tisch und warf ihr ein breites Grinsen zu. Sarah wurde hochrot im Gesicht, senkte ihren Kopf und versuchte ihre Freundin zu ignorieren, indem sie sich weiter dem Essen widmete. Als sie damit fertig war, verabschiedete sie sich hastig, warf Siran noch einen schüchternen Blick zu und flüchtete in das Wolkenzimmer.

„Was hat sie denn?“, fragte er verwundert. „Der Tag war lang und sie wird müde sein, ich bin es auch. Daher werde mich ebenfalls ins Bett begeben“, erwiderte Maya und verabschiedete sich bei Cerridwen und Siran.

Sie ging den Flur entlang bis zur ihrer Zimmertür, strich mit der Hand sanft über die Schnörkel und die Tür ließ sie direkt zum gewünschten Wasserfall hinaus. Nachdem sie sich ausgiebig in dem klaren Wasser gebadet hatte und ihre Haare wieder angenehm nach Blüten dufteten, kehrte sie auf den Flur zurück, schloss die Tür um sie gleich im Anschluss wieder zu öffnen und das Wolkenzimmer zu betreten.

Langsam schlich sie zu Sarahs Bett, setzte sich auf die Bettdecke und fragte: „Bist du noch wach?“.

„JA ICH BIN NOCH WACH! MUSSTEST DU MICH SO BLAMIEREN?!!!“, fuhr Sarah sie an.

„Ich habe dich doch nicht blamiert, ich fand es nur amüsant wie sehr du Siran angehimmelt hast“, antwortete Maya und konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.

„ES REICHT JETZT!“, fauchte Sarah, drehte sich um und zog sich die Decke über das Gesicht.

Maya entschuldigte sich bei Sarah, die jedoch ziemlich beleidigt auf sie war. Nach einigen Minuten gab Maya auf und legte sich ebenfalls ins Bett. Doch je sehr sie es auch versuchte, sie konnte keinen Schlaf finden. Der ganze Tag mit seinen Erlebnissen ging ihr durch den Kopf. Außerdem fragte sie sich, wie es wohl den Kindern im Heim ergehen würde und was wohl morgen alles passieren wird. Sie wälzte sich die halbe Nacht herum, bis sie zu sehr später Stunde, endlich einen leichten Schlaf fand.

15. Für Maya war die Nacht ziemlich kurz, denn sie wurde nach wenigen Stunden Schlaf von Sarah aus den Träumen gerissen. „MAYA, WACH AUF!“, schrie Sarah entsetzt.

Maya rieb sich die verschlafenen Augen und blinzelte müde zu Sarah, die schon vor dem Spiegel stand.

„BEI MIR WACHSEN KNOTEN IN DER BRUST!“, schrie Sarah, immer noch mehr als beunruhigt.

„Was? Das kann nicht sein, warte ich schaue mir das an“, sagte sie und kletterte aus dem Bett. Doch als sie vor dem Spiegel stand, bemerkte sie, dass auch bei Ihr Knoten in der Brust gewachsen sind.

„Oh mein Gott! Mir geht es genauso!“, sagte sie erschrocken, sprang durch den Raum und riss die Tür auf. „CERRIDWEN, CERRIDWEN!! KOMM SCHNELL!“, rief sie durch den Korridor und es dauerte nicht lange, da kam die alte Hüterin auch schon angerannt.

„Was ist denn los?“, fragte diese erstaunt.

„Bei uns wachsen Knoten in der Brust!“, rief Sarah entsetzt.

Cerridwen trat näher, bückte sich und als sie die Brüste der Mädchen begutachtete, musste sie grinsen.

Beide Mädchen sahen sie ob dieses Grinsens entsetzt an.

„Wie ich euch bereits gesagt habe, vergeht die Zeit hier schneller als in eurer Welt. Deshalb seid ihr jetzt mitten in der Pubertät, wodurch auch das Wachstum eurer Brüste begonnen hat“, erklärte die Hüterin.

Nachdem die beiden Mädchen eingehend ihre Brüste im Spiegel betrachtet hatten, gingen sie in die Küche um zu frühstücken.

Nach dem Frühstück wurden die Aufgaben des Tages verteilt. Es dauerte nicht lange, da kam Siran durch das Portal spaziert um Maya für ihre nächste Lektion im Bogenschießen abzuholen. Seltsamerweise schien der Waldelf keinen Tag älter geworden zu sein, er wirkte immer noch wie ein junger Mann im Alter von 20 Jahren. Als sie die Hüterin danach fragte, wurde ihr erklärt, dass in der Zwischenwelt nur Menschenkinder altern, die sich dafür entschieden hatten, ihr weiteres Leben in Astorien zu verbringen. Aber auch nur während der Zeit, in der das Land unter massiven Problemen zu leiden hatte.

„Kommen denn viele Menschenkinder hier her?“, fragte Maya.

Cerridwen schüttelte den Kopf: „Meistens besuchen mich nur Verstorbene, die auf den Weg ins Jenseits sind. Und zwar jene, die ihren Tod noch nicht akzeptieren können. Ich muss sie dann darauf vorbereiten. Alle anderen gelangen direkt zu dem Fährmann, der sie hinüber bringt.“

„Also gibt es das Jenseits wirklich?“, wollte das Mädchen wissen.

„Aber natürlich gibt es das Jenseits. Wohin denkst du, gehen die Seelen denn sonst nach ihrem Tod? Sie kehren heim. Dort warten schon alle anderen Seelen auf sie, die ihren vorausgegangen sind“, erklärte Cerridwen und lächelte Maya freundlich an.

Sarah bekam von diesem Gespräch nichts mit. Ihre Augen verfolgten jede Bewegung Sirans.

Sie bewunderte seine muskulösen Unterarme, seine wundervollen blauen Augen und seine seidigen langen, dunkelbraunen Haare. Als sie selbst bemerkte, wie sehr sie ihn anstarrte, wandte sie schnell ihren Blick zur Cerridwen, um sie nach ihrer Lektion des heutigen Tages zu fragen. Während Siran mit Maya durch die Tür verschwand, drückte Cerridwen dem Mädchen einen geflochtenen Weidenkorb in die Hand. „Heute wird dir beigebracht, welche Kräuter man essen kann und wo du Obst und Gemüse pflücken kannst.“

Mit einer schnellen Handbewegung ließ sie die Küchenwände verschwinden und Sarah fand sich in einem großen Garten wieder. >>Oh Mann, daran werde ich mich wohl nicht so schnell gewöhnen<<, dachte Sarah und folgte der Hüterin über einen schmalen Pfad, der durch die Wolken hindurch, zu einem üppig wachsenden Obstgarten führte.

Hier fand man alles was das Herz begehrte. Wunderschön blühende Obstbäume, deren Blüten einen zarten, angenehmen Duft versprühten. Prächtiges Gemüse in den buntesten Farben und würzige Kräuter, die ebenfalls herrlich dufteten. Manche der Obstbäume trugen bereits Früchte, die Sarah das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Ein besonders großer Kirschbaum, war so prall voller Früchte, dass seine Äste teilweise bis zum Boden reichten. Sarah rannte hin und steckte sich die süßen, großen Kirschen in ihren Mund. Sie schmeckten herrlich!

Auch die Apfelbäume und die Marillenbäume trugen schon größtenteils Früchte.

Zwischen dem saftig grünen Gras wuchsen zahlreiche Pilze, bei denen Sarah aber nicht wusste, welche man essen konnte und welche giftig waren. Unzählige Kräuter versprühten einen würzigen Duft und das ganze Geruchsgemisch, das in der Luft lag, erinnerte das Mädchen an den Urlaub mit ihren und Mayas Eltern, die gut miteinander befreundet waren. Es war ein grauenvoller Urlaub, der Schlimmste den Sarah je erlebt hatte und der das Leben beider Mädchen nachhaltig verändern sollte.

Es war im Jahr 2009 in Ägypten. Ihre Eltern waren gemeinsam mit Mayas Eltern auf einer zweiwöchigen Reise in Kairo. Abends schlenderten sie meistens durch die schmalen Gassen der Stadt. Besonders der bunte Basar hatte es ihnen angetan, da Mayas Mutter besessen davon war, Souvenirs für die Verwandten zu Hause zu kaufen. Sarah mochte die verschiedenen exotischen Düfte. Sie genoss das ganze Flair, das in der Luft lag wenn die Händler ihre Waren zum Kauf anpriesen. Eines Abends waren sie wieder gemeinsam am Basar unterwegs. Sarah erinnerte sich noch, dass ihre Mutter mit einem Verkäufer um ein violettes Tuch feilschte als plötzlich ein ohrenbetäubender Knall ertönte. Die ganze Luft erfüllte sich mit Rauch, sodass sie zuerst kaum ihre Hand vor Augen sehen konnte.

Die Leute begannen zu schreien und als sich der Nebel lichtete, sah Sarah verletzte Menschen am Boden kauern, die stark aus klaffenden Wunden bluteten. Manche Personen lagen am Boden und bewegten sich nicht mehr. Sie wurden von Freunden oder Familienangehörigen, mit denen sie unterwegs waren, gerüttelt, in der Hoffnung, dass sie sich bewegen würden. Aber diese Menschen bewegten sich nie mehr.

Nach dem ersten Schock suchte Sarah verzweifelt nach ihren Eltern aber es war schwierig, da die ganze Menge panisch durch die Gegend rannte. Der Händler, der mit ihrer Mutter um das Tuch gefeilscht hatte, lag schwer verletzt über seinen Verkaufstisch gebeugt und blutete stark aus dem Kopf. Aber Sarah hatte keine Zeit sich um den Händler zu kümmern. Sie zwängte sich durch die Massen und rief nach ihren Eltern. Ohne Erfolg. Wie durch ein Wunder war sie unverletzt und irrte verzweifelt über den Basar bis sie Maya kauernd am Boden sitzen sah.

Weinend deutete sie auf zwei blutende Bündel, die tot neben ihr am Boden lagen. Entsetzt wandte Sarah ihren Blick ab, umarmte ihre Freundin um sie zu trösten und wollte sie von den Leichen wegzerren aber Maya wehrte sich und schlug Sarah sogar die Hände weg. Sarah ließ sie am Boden sitzen, um nach ihren eigenen Eltern zu suchen.

Sie hatte vor später wieder zurück zu kehren um Maya zu holen. Mama und Papa würden schon wissen, was zu tun sei. Panisch lief das damals 10jährige Mädchen durch die mit Leichen übersäten Straßen, zwängte sich durch die kreischende Menschenmenge und fand sich vor dem Stand wieder, an dem sie ihre Mutter zuletzt gesehen hatte. Aber sie konnte sie einfach nicht finden. Völlig verängstigt suchte sie um den Stand herum, hob die Tücher hoch, die ihn bedeckten. Sarahs Mutter lag zwischen Müll und Unrat, der offensichtlich vom Verkäufer einfach nur achtlos unter den Stand geworfen wurde.

Ruhig, mit leicht geöffneten Lippen lag sie am Boden. Ihre Augen starrten leblos ins Leere und ihr ganzer Oberkörper war vom Halsansatz bis zur Taille zerfetzt. Sarah brach neben ihr zusammen, weinte gegen ihre Schulter, flüsterte ihr liebevolle Worte ins Ohr, strich ihr über die blutgetränkten Haare und bettelte sie an, wieder aufzuwachen. Doch sie bewegte sich nicht und je mehr dem Mädchen bewusst wurde, dass sie sich nie wieder bewegen wird, desto mehr fing es an zu weinen. Voller Schmerz saß sie neben ihrer toten Mutter, legte sich ihren Kopf auf den Schoß und schloss ihr mit den Händen sanft die Augen um sie danach immer wieder über die Wangen zu streicheln.

„Alles wird gut Mama, du wirst wieder gesund“, flüsterte sie leise und dicke Tränen kullerten über ihre Wangen.

Unvermutet legten sich zwei Arme von hinten um ihre Schultern und sie fühlte sich von einer Person gedrückt. Sarah erschrak und fuhr herum. Aber es war nur Maya, die mit schmutzigem Gesicht, weinend ihre blutverschmierten Arme um sie legte.

„Vater? Wo ist mein Vater? Ich muss meinen Vater finden“, flüsterte Sarah.

„Komm mit, ich führe dich zu ihm“, antwortete Maya leise.

Taub vor lauter Schmerz ließ sich Sarah von ihr zurück zu dem Platz führen, an dem sie vorher ihre toten Eltern liegen sah. Maya deutete abermals auf die zwei blutenden Bündel, die dort am Boden lagen. Sarah war etwas verwundert und verstand nicht, warum Maya wollte, dass sie sich diesen furchtbaren Anblick noch einmal antun sollte, aber sie tat es einfach und kniete sich neben die Leichen. Mayas Vater lag mit dem Gesicht nach oben, zumindest mit dem was von seinem Gesicht noch übrig war. Die Bombe hatte seinen halben Kopf zerfetzt, lediglich ein Auge und der halbe Mund waren noch vorhanden. Sarah drehte ihren Kopf zur Seite, sie konnte sich das nicht mehr ansehen. Als sie sich wegdrehen wollte, blieb ihr Blick am zweiten Bündel hängen und sie hatte das Gefühl, ihr Gesicht würde gleich einfrieren. Hier lag nicht Mayas Mutter, hier lag ihr eigener Vater. Vermutlich hatte sie das deshalb nicht beim 1. Mal gesehen, weil sie es nicht erkennen wollte.

„SIE SIND TOT!! SIE SIND ALLE BEIDE TOT!““, Sarah brach zusammen und schlug mit den Fäusten gegen den Boden, bis ihre Hände ganz blutig waren. Maya konnte nichts tun, außer sie zu umarmen und ihr in ihrer kindlichen Art beizustehen. Sie fühlte sich hilflos aber sie wollte trotzdem versuchen, ihrer Freundin so gut es ging Trost zu spenden. Sie saßen eine Weile kauernd neben den Leichen, hielten einander fest um sich gegenseitig zu trösten und nahmen das Getümmel um sich herum nicht mehr wahr. Erst als ägyptische Einsatzkräfte die Leichen ihrer Väter abtransportierten, lösten sie ihre Umarmung. Ein Sanitäter nahm sich der Mädchen an und brachte sie zu einem Krankenhaus, wo sie untersucht wurden und ein paar Tage zur Beobachtung bleiben mussten. Sie standen unter einem schweren Schock, von dem sie sich nur langsam erholen sollten. Wenige Tage später kam eine, mit Kopftuch bekleidete Frau zu ihren Krankenpritschen. Da sie kein Wort Englisch sprach, versuchte sie mit Gesten und ägyptischen, kurzen Sätzen ihr Anliegen den Mädchen verständlich zu machen. Sie zogen sich ihre schmutzigen Kleider an, die neben den Pritschen lagen und folgten ihr aus dem Krankenhaus hinaus, die Straße hinunter bis zu einem großen Gebäude mit einer britischen Fahne darauf.

Die Mädchen wurden bereits von einer modern gekleideten Dame erwartet, die auch in ihrer Sprache sprechen konnte. Dort wurde ihnen erklärt, dass sie sich in der britischen Botschaft von Kairo befanden, ihre Eltern bei dem Bombenanschlag auf dem Basar höchstwahrscheinlich ums Leben gekommen seien und dass sie sie zur Abklärung in einer Halle identifizieren mussten.

Die Mädchen nickten stumm, stiegen zu der Dame, die sich Mrs. Atkins nannte, ins Auto und fuhren durch die Straßen Kairos bis zu einem großen Gebäude, das etwas abseits der Stadt stand. Dort angekommen, wurden sie in eine schäbige Lagerhalle geführt. Der ekelhaft süße Geruch der Verwesung drang in ihre Nasen und sie mussten sich beherrschen, um sich nicht gleich übergeben zu müssen. Überall waren Planen, auf denen tote Menschen lagen. Der Verwesungsprozess hatte aufgrund der enormen Hitze bereits eingesetzt und der bestialische Gestank in der stickigen, schwülen Halle, war kaum auszuhalten.

Auf manchen Körpern tummelten sich schon Fliegen, die ihre Larven in das verwesende Fleisch hinein legten.

Mit gesenkten Köpfen ließen sie sich von Mrs. Atkins zu dem hinteren Teil des Raumes führen, wo ihre Eltern lagen. Sarah nickte stumm beim Anblick der zerfetzten Körper und brach abermals in Tränen aus. Sie nahm die Hand ihrer toten Mutter ein letztes Mal, um sie zu küssen und um sich zu verabschieden.

Nachdem sie auch von ihrem Vater Abschied genommen hatte, drehte sie sich zu Mrs. Atkins und nickte stumm.

Maya hingegen, war mit einem anderen Problem beschäftigt. Auch sie hatte sich von ihrem Vater bereits verabschiedet, aber die Frau die neben ihrem Vater lag, war nicht ihre Mutter. Sie drehte sich zu Mrs. Atkins um und sprach sie darauf an. Diese jedoch, zuckte nur mit den Schultern.

„Vielleicht liegt deine Mutter einfach ganz woanders in diesem Raum“, sagte die Dame trocken und deutete auf die ganzen Leichenbahnen in der Halle. „Komm, ich helfe dir suchen“, sagte Sarah und fing damit an, sich die verzerrten, verletzten, verwesenden Körper anzusehen. Der Anblick dieser vielen toten Menschen war einfach grauenvoll. Teilweise lagen nur zerfetzte Körperteile auf den Planen. Gliedmaßen, wie Arme oder Beine, machten Sarah weniger etwas aus, selbst wenn sie ziemlich zerfleischt waren. Das was Sarah unvergesslich bleiben sollte waren die abgetrennte Köpfe, die sie mit toten Augen und offenen Mündern anstarrten. Wenn man sich diese Schädel so ansah, konnte man kaum glauben, dass es sich einmal um lebendige Menschen handelten. Vielmehr wirkten sie wie die Fratzen von bösen Monstern, die aus der Hölle entstiegen waren. Zumindest im Kopf eines achtjährigen Mädchens war dem so. Sarah wusste, dass sie jetzt für eine lange Zeit, nachts keinen Schlaf mehr finden würde.

Auch Maya begann zu suchen und lief zwischen den Leichenbahnen umher. Sie suchte fieberhaft den Körper ihrer Mutter, aber sie konnte ihn einfach nicht finden. Auch nachdem sie die Halle mehrmals penibel abgegrast hatten, ihre Mutter befand sich nicht unter den Toten.

Nach ein paar Stunden der Suche meinte Mrs. Atkins, dass es keinen Sinn mehr hätte weiterzusuchen und brachte die Mädchen in die Botschaft. Dort angekommen wurden sie gebadet und bekamen frische Kleidung, da ihre Kleider völlig verschmutzt und auch teilweise kaputt waren. Erschöpft fielen sie ins Bett.

Am nächsten Tag telefonierten Mitarbeiter der Botschaft mit dem Hotel, das die Mädchen mit ihren Eltern bewohnt hatten, um die vollständige Identität und Herkunft mittels Buchungsnachweisen festzustellen. Außerdem wurde nachgefragt ob Mayas Mutter sich im Hotel aufhielt oder ob sie nach dem Anschlag im Hotel gewesen sei.

Die Nachforschungen dauerten den ganzen Tag lang aber man konnte Mayas Mutter weder in der nochmals abgesuchten Halle, noch in den Krankenhäusern finden.

Nach etwa zwei Wochen wurden die Suchaktionen seitens der ägyptischen Behörden eingestellt.

Die Mädchen wurden trotz neuseeländischer Staatsbürgerschaft, dem Jugendamt in London übermittelt.

Von dort betraute man die neuseeländischen Behörden mit der Aufgabe, nach weiteren Angehörigen der Mädchen zu suchen. Diese jedoch kamen zu keinem positiven Ergebnis. Sarahs Eltern waren Waisen und hatten keine Angehörigen, zumindest keine, die ihnen bekannt waren. Mayas Verwandte waren alle verstorben, bis auf einen einzigen Onkel, der als das schwarze Schaf der Familie galt und lebenslang hinter Gittern saß. Was er genau verbrochen hatte, wusste Maya nicht aber sie vermutete, dass es wohl Mord gewesen sein musste.

Obwohl es keine Angehörigen mehr gab, war es im Gesetz so vorgesehen, dass die Mädchen in ihre Heimat Neuseeland zurückgebracht werden mussten. Dort würde man schon ein Waisenhaus für sie finden. Bis dahin wurden sie von der Mutter Oberin eines britischen Klosters betreut, die kurz vor dem Transfer den Behörden anbot, die Mädchen in ihr Kloster aufzunehmen. Nachdem mit den neuseeländischen Behörden alles abgesprochen war, wurde der Transfer abgebrochen, die Mädchen bekamen britische Pässe und wohnten seitdem in dem abgelegenen Kloster. Das Kloster lag in einer ziemlichen Einöde, mehrere hunderte Kilometer von London entfernt. Es stellte sich später heraus, dass regelmäßig junge, verwaiste Mädchen in das Kloster gebracht wurden, um dort für ein wenig Essen und eine spärliche Unterkunft, schwere Arbeiten zu verrichten.

„Sarah? Bist du eingeschlafen?“, fragte Cerridwen und riss das Mädchen aus den Gedanken.

„Damit können wir leckere Marmelade herstellen“, sagte die Hüterin und deutete auf einen Ast voll reifer Marillen. „Worauf hättest du sonst noch Lust? Was kochen wir heute?“, fragte sie.

Sarah löste sich mühsam von den trüben Gedanken der Vergangenheit, lächelte die Hüterin an und begann die orangen Früchte von dem Baum zu pflücken.

„Ich hätte gerne wieder einmal ein saftiges Steak oder ein knuspriges Brathuhn mit Kartoffelbrei und Bratensaft“, sagte Sarah und leckte sich über die Lippen. Der pure Gedanke an saftiges Fleisch ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Cerridwen schüttelte den Kopf: „Wir sind keine Jägerinnen, wir können Fleisch nur dann essen wenn uns ein Jäger welches bringt. Wir beschränken uns auf die Fischerei und das Sammeln von Kräutern, Beeren, Obst, Wurzeln und Gemüse.“

Sarah seufzte und die Hoffnung nach gutbürgerlicher Küche verschwand allmählich.

„Aah, ich weiß was ich dir anbieten kann“, sagte Cerridwen, hastete zwischen den Himbeersträuchern hindurch, die den schmalen Weg säumten und kam mit einem Blattkorb voller Eier wieder zurück.

„Ich bin mir sicher, dass dir das auch ganz gut schmecken wird, selbst wenn es kein Fleisch dazu gibt.“

Der Blattkorb bestand aus einem einfachen grünen, überdimensional großen Blatt, dessen kurzer Stiel durch eine Seite gebohrt wurde und so einen Henkel bildete. Diesen Korb hatte Cerridwen mit seltsamen, bläulichen Eiern gefüllt, die etwas größer waren als Hühnereier. „Der Wasserpfau hat viele Eier gelegt und ich dachte mir, wir machen aus der Hälfte davon ein leckeres Pilzomelette und aus dem Rest einen Himbeerkuchen. Wir haben noch Kräutersuppe von gestern, die wir auch noch aufessen müssen. Außerdem hat mir ein Bauer gestern, als ihr bereits geschlafen habt, frische Kuhmilch aus der anderen Welt gebracht. Die können wir zum Kuchen servieren“, schmatzte Cerridwen.

Als sie ihre Körbe mit den prächtigsten Pilzen, Himbeeren, Kräutern und Früchten gefüllt hatten, machten sie sich auf den Weg zurück in die Küche und stellten die Zutaten in den Vorratsschrank. Danach gingen sie zurück in den Obstgarten und Sarah wurde alles an Kräuterkunde beigebracht, was sie zum Kochen, Backen und Heilen benötigen würde. Cerridwen war eine außerordentlich gute Lehrerin und binnen weniger Stunden hatte sich Sarah so ein weitreichendes Wissen angeeignet, dass sie eine gesamte Armee gesund pflegen hätte können.

Es machte ihr großen Spaß dieses Wissen zu lernen, vor allem weil ihr vorher nicht bewusst war, wie einfach man Heiltränke und Elixiere herstellen konnte. Als sich die Sonne langsam dem Untergang entgegen neigte, gingen sie zurück in die Küche und Sarah lernte die Kunst des Kochens und des Backens. Ein herrlicher Duft durchzog die Küche und das Mädchen freute sich, dass ihr erster Kuchen so toll gelungen war.

Als die Sonne am Horizont verschwunden war, kamen Maya und Siran durch die Türe herein und setzten sich hungrig an den Tisch.

„Ich bin hundemüde, hungrig und meine Arme schmerzen“, jammerte Maya und schlang ihr Pilzomelette und den warmen Himbeerkuchen hinunter als hätte sie einen Wüstenritt hinter sich. Als sie ihr Glas Milch in einem Zug gelehrt hatte, verabschiedete sie sich von allen und ging ohne ein Bad im Wasserfall, zu Bett.

Sarah saß am Tisch, vor ihr der leere Teller und warf Siran verstohlene Blicke zu. Er schien es zu bemerken, drehte sich zu ihr und lächelte sie freundlich an. Sarah schmolz dahin, wurde aber von Cerridwen ziemlich bald aus ihren Träumen gerissen. Da morgen wieder ein großer Tag sei, sollte sie heute schon früher zu Bette gehen.

Sarah wäre lieber noch neben Siran gesessen und machte sich mürrisch auf den Weg zum Wasserfall. Während sie ihren Körper und ihre Haare wusch, überlegte sie,

wie sie sich morgen besonders hübsch zurechtmachen könnte. Es war das erste Mal, dass sie so ein Flattern im Bauch verspürte.Da sie aber am Abend nie wusste, welches Kleid am nächsten Tag für sie bereit liegen würde und auch die Blüten für den Haarkranz frisch sein sollten, entschied sie, den Blumenkranz morgen noch vor dem Frühstück zu gestalten. Zurück im Wolkenzimmer, bürstete sie sich die nassen Haare mit der knorrigen Wurzelbürste, die Cerridwen für die Mädchen angefertigt hatte, zog sich ihr langes, weißes Nachtkleid an und legte sich ins weiche Bett. Zufrieden und müde vom Tag schloss sie ihre Augen.

>>Welch schöne blaue Augen er doch hat… und dieses Lächeln… ich liebe sein Lächeln..<<, schwärmte sie und schlief mit einem Lächeln auf den Lippen ein.

16. Es war noch ziemlich früh als Sarah ihre Augen öffnete. Maya schlief noch tief und fest in ihrem Bett.

Ab und zu drehte sie sich um, zog ihre Decke wieder höher und schlummerte friedlich weiter. Leise huschte Sarah zu dem weißen Kleiderschrank in ihrem Zimmer und öffnete erwartungsvoll seine Türen. >>Neeeein, schon wieder ein weißes Kleid!<<, ärgerte sie sich insgeheim und zog sich enttäuscht an. Dieses Mal war das Kleid am Saum bestickt und hatte vorne über der Brust zwei Kordeln, die im ZickZack-Verlauf bis zur Taille verliefen und dort gezogen werden konnten um die Weite bei der Brust zu verändern. Da Sarahs Brust schon ziemlich feminine Formen annahm, waren die Kordeln sehr praktisch. Sie schlüpfte in ihre bestickten Schuhe und schlich leise aus der Kammer.

Tür geschlossen, Tür geöffnet und da war er wieder, der wunderschöne Wasserfall.

Sarah ging hinaus in den Garten, setzte sich auf einen Felsen, überlegte und ließ ihre Blicke durch den Garten schweifen. Wie könnte sie ihr Kleid etwas aufpeppen?

Als sie die großen, roten Blumen sah, kam ihr eine Idee. Sorgfältig pflückte sie ein paar handgroße Blüten und flocht sich daraus einen Gürtel. Danach suchte sie nach ein paar kleineren, rötlichen Blumen und steckte sich ein paar davon in ihr wallendes, mittlerweile bis zur Taille reichendes, goldblondes Haar.

Als sie in die Küche ging, wartete Cerridwen schon mit einem frischen Blaubeerkuchen, auf dem zwei Kerzen steckten und einem dampfenden Getränk auf sie.

„Das ist Honigtee“ lächelte die Hüterin und schenkte Sarah eine Keramiktasse von dem Tee ein. Siran, der bereits am Tisch saß, stand auf und ging zu Sarah.

Er nahm sie zärtlich in die Arme und flüsterte ihr ins Ohr: „Ihr seht heute einfach wunderschön aus. Alles Liebe zu Eurem 16. Geburtstag. Bald seid Ihr eine junge Frau“.

Sarahs Herz klopfte bis zum Hals und als er sie an sich drückte, konnte sie seinen maskulinen, hölzernen Duft riechen. Sie schloss ihre Augen und nahm seinen Geruch tief in sich auf. Sie wünschte sich, dass dieser Moment endlos anhalten würde und sie in seinen Armen bis in alle Ewigkeit versunken bleiben könnte.

Aber daraus wurde leider nichts, denn der Waldelf löste sich aus der Umarmung und setzte sich wieder auf seinen Platz. Enttäuscht nahm Sarah auf einem der Holzstühle Platz. Noch immer war sein Duft in ihrer Nase.

Als Maya noch etwas schläfrig die Küche betrat, wurde ihr dieselbe liebevolle Umarmung wie Sarah zuteil. Eifersucht machte sich in Sarah breit. Sie sprang vom Stuhl, sprintete in ihr Zimmer und ließ die Tür ins Schloss knallen. Die Anderen sahen ihr verwundert mit großen Augen nach. „Ich sehe nach ihr“, sagte Maya und folgte ihrer Freundin.

Als sie das Zimmer betrat lag Sarah auf dem Bett und weinte. Maya setzte sich neben sie und streichelte ihr zärtlich durch die Haare.

„Maus? Es gibt keinen Grund zur Eifersucht“, sagte sie leise.

„ICH BIN NICHT EIFERSÜCHTIG!“, fauchte Sarah und grub trotzig ihr Gesicht in das Wolkenkissen.

„Selbstverständlich bist du eifersüchtig. Denkst du ich merke nicht, dass du dich von Anfang an in Siran verliebt hast?“, sagte Maya ruhig. „Du musst dir aber keine Gedanken machen, wir sind nur Freunde und er lehrt mir lediglich die Kunst der Verteidigung. Das ist aber alles. Da ist nicht mehr.“ Sie lächelte Sarah an und gab ihr einen kleinen Kuss auf den Kopf. Sarah hob ihr tränenverschmiertes Gesicht aus dem Kissen und wischte sich die zerzausten Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Sicher?“, fragte sie leise.

„Sicher!“, antwortete Maya lächelnd.

„Jetzt schäme ich mich. „Was wird er wohl von mir denken?“, seufzte Sarah.

„Wir sagen einfach, du hattest plötzlich Magenkrämpfe“, lächelte Maya.

„Das ist auch gar nicht gelogen, ich habe heute auch Magenkrämpfe“, sagte Sarah und stieg aus ihrem Bett. „OH GOTT!! WAS IST DAS DENN??“, rief sie.

Auf ihrem weißen Kleid, machte sich unterhalb des Bauches ein großer, dunkelroter Fleck breit.

„Nun, ich schätze es wird deine Periode sein“, sagte Maya. „Ich habe meine schon vor zwei Tagen bekommen aber Cerridwen sagte, wir haben hier maximal einen Tag die Periode. Stell dir vor, in Astorien gibt es gar keine.

Wie toll muss das denn sein?!“.

„Und was mach ich jetzt? Mein ganzes Kleid ist voller Blut!“, jammerte Sarah.

Maya stand auf und besorgte bei Cerridwen ein frisches Kleid. Nachdem sich Sarah das Blut von der Vagina gewaschen und sich neu gekleidet hatte, ging sie zurück in die Küche um mit Cerridwen und Maya den Kuchen zu verzehren. Siran war schon gegangen, da er angeblich etwas anderes zu tun hatte. Den ganzen Tag verbrachten die Mädchen mit Cerridwen, gingen im Obstgarten spazieren, genossen ihre freie Zeit und setzten sich gemütlich an den Wasserfall um zu plaudern.

Die Freizeit tat ihnen gut und so sanken sie am Abend zufrieden in ihre Betten.

17. Nachdem die Mädchen ausgeruht waren und ihr Frühstück verzehrt hatten, wartete Cerridwen mit einer besonderen Überraschung auf sie.

„Heute ist der letzte Tag eurer Kindheit und der Tag an dem ihr euch auf euer Erwachsensein vorbereiten werdet. Wir haben so Einiges vor!“, sprach die alte Hüterin und führte die Mädchen über den Korridor zu ihrem Zimmer.

Sie legte ihre alten, faltigen Hände auf die Zeichen der Tür und als sie sich öffnete, strahlte gleißend helles Licht nach draußen auf den Korridor. Die Mädchen mussten ihre Augen schließen, da sie das Licht sehr stark blendete.

„In diesem Zimmer befindet sich die Traumfabrik für junge Frauen“, grinste Cerridwen, nahm die Mädchen an der Hand und führte sie in die helle Kammer. Kurz darauf dämpfte sich das Licht zu einem angenehmen Maße. Die Mädchen öffneten ihre Augen und blieben mit offenem Mund stehen. Sie standen inmitten einem großen Ankleidezimmer, das ein bisschen an eine Schneiderei und auch an einen Juwelier erinnerte. In einer Ecke lag ein Stapel bestickter Stoffe, auf dem zwei kauzige Zwergenfrauen saßen und an wundervollen Kleidern nähten. Neben Ihnen befanden sich zwei lange Kristalltische, die von den prächtigsten Kleidern bedeckt waren, die die Mädchen je gesehen hatten. Die Kleider waren aus alle Farben genäht, teilweise mit Gold, Silber oder Perlen bestickt und jedes Einzelne davon sah aus wie ein Kunstwerk. Sarah konnte sich gar nicht satt daran sehen.

In einer anderen Ecke befand sich ein Berg aus verschiedenen Edelsteinen, Perlen, Silber und Gold. Ein paar winzige Feen, nicht größer als der Zeigefinger einer Hand, fädelten Edelsteine auf eine Kette und bastelten Ringe und Armreifen. Neben Ihnen standen silberne Schmuckkästchen, die mit den prächtigsten Schmuckstücken gefüllt waren. Auf der linken Seite des Raumes stand ein großer Spiegel, der sich über die ganze Wand zog. Außerdem konnten die Mädchen noch eine alte Holztruhe und eine Frisierkommode mit Haarutensilien erkennen.

„Eure heutige Aufgabe ist es, gemeinsam mit den Zwergenfrauen, Kleider für euren morgigen großen Tag anzufertigen, euch passenden Schmuck und Schuhe zu besorgen. Hier auf der Frisierkommode findet ihr weitere Dinge, die ihr möglicherweise benötigt.

Ihr dürft euch für morgen alles aussuchen, was ihr möchtet, denn morgen tretet ihr in das Alter des Erwachsenseins ein und deshalb soll euch auch an nichts fehlen“, sprach Cerridwen und verließ den Raum.

Die Mädchen fühlten sich wie im Traum, bastelten mit den Feen prächtige Schmuckstücke, suchten sich edle Stoffe für ihre Kleider aus und ließen sich von den Zwergenfrauen zeigen, wie man Säume näht und Spitzen stickt.

Sie hatten sehr viel Spaß dabei und so ließen sie sich den ganzen Tag dafür Zeit.

Als sie sich mehrmals lachend und kichernd im Spiegel betrachtet hatten und das Outfit für ihren großen Tag schlussendlich fertig war, gingen sie in die Küche um ihr Abendessen einzunehmen. Gleich danach fielen sie müde, aufgeregt aber vollends glücklich in ihre Wolkenkissen. Aufgeregt, was sie wohl am nächsten Tag erwarten würde.

18. Der große Tag begann für die Mädchen, indem eine quirlige Cerridwen schwunghaft die Tür zu ihrem Zimmer öffnete und ein fröhliches „Guten Morgen“ ins Zimmer flötete. Während Sarah sofort aus ihrem Bett sprang, zog Maya noch grummelt die Decke über ihr Gesicht und versuchte noch weiterzuschlafen.

„Nichts da, du kleine Schlafmütze! Heute wirst du eine junge Frau also raus aus den Federn!“, rief die Hüterin vergnügt und zog Maya die Decke weg.

„Nur noch fünf Minuten“, sagte Maya und angelte nach ihrer Decke aber sie hatte keine Chance. Cerridwen schnippte mit dem Finger und plötzlich verschwand das Wolkenbett, sodass Maya etwas unsanft auf dem Wolkenboden landete.

„Genug des Unfugs, ihr werdet bereits im Ankleideraum erwartet“, sagte Cerridwen bestimmt und verließ den Raum.

Maya rappelte sich knurrend hoch und suchte müde nach ihrem Kleid aber der Kleiderschrank war leer und auch am Glastisch lag nichts.

„Was machst du denn da?“, fragte Sarah ungeduldig.

„Ich glaube unsere Kleider warten im Ankleideraum auf uns also komm schon, ich will wissen wie meines aussieht!“.

Widerwillig ließ sich Maya, nur in Unterwäsche bekleidet auf den Korridor ziehen.

„Aaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhh“, kreischte Sarah entsetzt. Ihre Augen waren weit geöffnet und sie starrte zum Weltenportal am Ende des Korridors.

„Was zum….?“, fragte Maya genervt, schaute ebenfalls zum Portal und entdeckte Siran, der gerade durch das Portal gereist kam und die Mädels nun breit grinsend ansah.

Sarahs Kopf lief knallrot an. Nervös fummelte sie an der Tür herum, die sich aber nicht öffnen lassen wollte. Maya kam ihr zu Hilfe und gemeinsam öffneten sie die Tür ihres Zimmers, die nun zum Ankleideraum führte.

Als die Tür ins Schloss fiel, sank Sarah auf den Boden und hielt sich vor lauter Scham die Hände vor das Gesicht.

In jüngeren Jahren hätte sie jetzt bitterlich geweint aber hier in der Zwischenwelt war sie mittlerweile zu einer jungen, hübschen Dame herangewachsen. Maya kniete sich neben sie, legte ihr den Arm um die Schulter und sprach ihr tröstende Worte zu.

„Hey, sieh es positiv. Jetzt weiß er wenigstens, was ihn unter dem weißen Kittel erwartet“, grinste sie.

Sie stupste Sarah sanft in die Seite, bis diese sich von ihrem Kichern anstecken ließ. „Komm, wir machen uns jetzt hübsch“, sagte Maya und reichte Sarah die Hand.

Die beiden waren derart mit sich selbst beschäftigt, dass sie die kleine, pummelige Zwergin nicht bemerkten, die schon die ganze Zeit mit den Kleidern auf sie wartete und sich jetzt mit einem lauten Räuspern Aufmerksamkeit verschaffte.

„Wollt ihr eure Kleider nicht anprobieren?“, fragte Dorida, die Zwergenfrau und händigte den Mädchen die neuen Gewänder aus.

Wooooooooooooooow!“, rief Sarah voller Entzücken als sie ihr Kleid zum ersten Mal begutachtete. Schnell schlüpfte sie hinein und streichelte über den seidigen, zartrosa Stoff, der sich sanft um ihren schlanken Körper schmiegte.

Das bodenlange Kleid hatte über der Brust kleine, schimmernde Perlen eingearbeitet und eine goldene Kordel schmiegte sich um die Taille.

Es war schulterfrei und passte Sarah wie angegossen. Sie strahlte über das ganze Gesicht als sie sich im Spiegel begutachtete. Mayas Kleid hingegen bestand aus zwei verschiedenen Stoffen, hatte lange Fledermausärmel und verlief ab der Taille glockenförmig bis zum Boden. Der vordere Teil des Kleides, von der Brust über den Bauch bis zum Boden hin, war in strahlend weißem Stoff geschneidert. Die beiden Seitenteile des Kleides inklusive beider Ärmel bestanden aus dunkelblauem Stoff. Ein Zickzacksystem aus einer dunkelblauen Kordel sorgte dafür, dass man das Kleid bei der Brust enger oder weiter stellen konnte. Goldene Bordüren zierten die Säume der Seitenteile und waren bei beiden Ärmeln in der Höhe des Ellbogens aufgenäht.

Als die Mädchen angekleidet waren, bekamen sie von Dorida noch passende Schuhe ausgehändigt.

Fertig angezogen standen sie vor dem großen Spiegel und bestaunten sich gegenseitig. Dorida zupfte an ihren Rockzipfeln und überreichte Ihnen jeweils eine kleine, mit Edelsteinen verzierte Truhe. In Sarahs Truhe befand sich eine silberne, filigrane Halskette mit dem tränenförmigen Amulett darauf, dass sie einst im Verlies des Klosters gefunden hatten. Außerdem bekam sie noch einen hübschen Kristallring und eine silberne Tiara. Sie schmückte sich mit diesen Kostbarkeiten, kämmte sich ihre goldblonden Haare und setzte sich die Tiara auf den Kopf.

Mayas Truhe enthielt dieselbe Halskette, ebenfalls einen Kristallring nur in einem kräftigen Saphirblau und statt der Tiara bekam sie einen Stirnreif aus Elfensilber.

„Ohh, ich bekomme gar kein Krönchen!“, rief sie enttäuscht und nahm den Stirnreif aus der Truhe. Aber als sie ihn auf ihren Kopf setzte, erkannte sie, dass er einen wunderschönen Kontrast, zu ihren langen, seidigen schwarzen Haaren bildete. Der kleine Amethyst, der sich vorne am Reif befand, funkelte wie ein kleiner Stern.

Als die Mädchen fertig angekleidet waren, bedankten sie sich bei Dorida und gingen in die Küche, wo sie schon von Cerridwen erwartet wurden.

Sarah war etwas enttäuscht als sie Siran nicht erblicken konnte, ließ sich das aber so gut es ging, nicht anmerken.

„Gibt es kein Essen?“, Mayas Magen knurrte laut.

„Geduld junge Dame, wir feiern nicht hier!“, antwortete die alte Hüterin und führte die Mädchen zum Wasserfall.

Dort stand unter unzähligen blühenden Bäumen, ein prächtig gedeckter Tisch, mit vielen leckeren Köstlichkeiten.

Es gab bunte Früchte, würziges Brot, dampfende Suppen, gekochten Spargel, verschiedene Saucen, gefüllte Pilze, gebratene Fische, zwei köstliche Torten, viel frisches Gemüse und Kelche, gefüllt mit teurem Wein. Sogar gegrilltes Fleisch lag auf den Silbertabletts. Maya lief das Wasser im Mund zusammen.

Als auch Sarah den Tisch sah, strahlte sie über das ganze Gesicht. Weniger wegen dem leckeren Essen, sondern wegen Siran, der neben dem Tisch auf sie wartete. Er kam auf die Mädchen zu, umarmte sie warmherzig und drückte Ihnen einen Kuss auf die Stirn. Als sie gegessen hatten, war es Zeit für die Geschenke. Cerridwen überreichte jedem Mädchen, ein in Leder gehülltes Paket, mit dem Beisatz dass sie es erst an ihrem 20. Geburtstag öffnen dürften. Siran hatte sich ganz besondere Geschenke für die Mädchen ausgedacht. Er pfiff durch seine Finger und das Gebüsch neben dem Wasserfall begann zu rascheln. Die Zweige bogen sich entzwei und eine schwarze, seidig glänzende Stute trabte hindurch. Die Stute war gesattelt und gezäumt und trug auf ihrem Rücken ein Lederbündel.

Sie blieb vor Siran stehen, er streichelte sie über den seidigen Hals und nahm das Bündel von ihrem Rücken. Gespannt warteten die Mädchen darauf, dass er es öffnete. Ein leises Wimmern war aus dem Bündel zu hören und Siran holte einen kleinen, süßen Welpen hervor. Langsam ging er zu Sarah und überreichte ihr das flauschige Knäuel.

„Wenn Ihr gut für ihn sorgt, wird ein großer Beschützer aus ihm heranwachsen“, sagte er. Sarah strahlte Siran an und drückte glücklich den kleinen Welpen an sich. „Vielen vielen Dank“, flötete sie und taufte das Hündchen Naris, als Erinnerung an denjenigen, der es ihr schenkte. Maya bekam einen neuen Köcher mit Pfeilen und einen edlen Bogen aus Elbenholz geschenkt. Bewundernd ließ sie ihre schlanken Finger über das geschliffene Holz gleiten als Siran ihr die Zügel der Stute in die Hand drückte.

„Das ist Ophelia, Eure neue Gefährtin. Auf ihrem Rücken werdet Ihr jedes Ziel schnell und sicher erreichen“, sprach er.

Als die Geschenke überreicht waren, saßen sie noch neben dem rauschenden Wasserfall, tranken Wein, lachten und scherzten gemeinsam. Cerridwen hatte die Runde schon längst verlassen, als sie immer noch einen Kelch nach dem anderen tranken und zu einer noch viel späteren Stunde betrunken um das Lagerfeuer tanzten.

19. Als Maya am Tag ihres 19. Geburtstages die Augen öffnete, schmerzte ihr Kopf und alles drehte sich.

Ihr war kotzübel. Sie konnte sich nicht erinnern wie sie am Vortag ins Bett gekommen war. Sie zog die Decke wieder über ihren Kopf aber es dauerte nicht lange, bis sie vor lauter Übelkeit nicht mehr liegen konnte. Mit eingeschränkten Körperfunktionen kroch sie aus ihrem Bett und suchte auf allen Vieren die Tür in den Korridor. So sehr sie es auch versuchte, es gelang ihr einfach nicht die Tür zu öffnen. Völlig entkräftet von den Nachwirkungen des Weines, sank sie am Boden zusammen und schlief vor der geschlossenen Tür wieder ein.

Etwas Raues, Feuchtes strich über ihr Gesicht und es fühlte sich nicht sehr gut an. Als Sarah erwachte, hatte sie einen üblen Geschmack im Mund und wachte zwischen dichtem Gestrüpp auf. Das Erste was sie sah, waren die violetten Augen der schwarzen Stute, die ihr gerade den salzigen Schweiß von der Stirn leckte. Grummelnd drückte Sarah die Pferdenase von ihrem Gesicht weg, aber Ophelia ließ sich nicht beirren und leckte unaufhörlich weiter.

Sarah rappelte sich hoch und bemerkte erst jetzt, dass sie unter einem warmen, Fell gelegen war. Ein Fell, das irgendjemand über sie gebreitet hatte, allerdings hatte sie keinerlei Erinnerungen daran. Es fröstelte sie und sie wickelte das Fell um ihre Schultern, öffnete die Tür und ging zu Cerridwen in die Küche.

Dort bekam sie eine Tasse heißen Lavendeltee und etwas Schnittlauchbrot zu essen. Viel bekam sie nicht hinunter, daher ging sie über den Korridor zu ihrem Zimmer, öffnete die Tür und stolperte fast über die am Boden schlafende Maya, bevor sie sich in ihr Wolkenbett legte um dort ihren Rausch auszuschlafen.

Maya wurde unsanft durch einen Tritt in den Bauch geweckt, als Sarah an ihr vorbei in das Bett torkelte. Sie war so müde, dass sie selbst nach diesem Tritt weiterschlafen hätte können, wenn sich die Türe nicht wieder geöffnet hätte und Siran mitten im Raum gestanden wäre.

Er griff ihr unter die Arme und half ihr hoch. Allerdings nicht so wie sie dachte, um sie in ihr Bett zu legen.

Er half ihr hoch um sie zum Wasserfall zu bringen und ihren Kopf mehrmals in das kalte Wasser zu tauchen.

Ihre Haare trieften vor lauter Wasser und hingen ihr ins Gesicht, aber sie fühlte sich besser. Nachdem sie sich angekleidet hatte, brachte er ihr das Reiten bei.

Aber nicht nur das. Die lernte auch, wie man während des Ritts mit dem Bogen schießt und wie man ein Pferd richtig pflegt. Zu guter Letzt brachte er ihr bei, wie man ohne Proviant und andere Hilfsmittel in der freien Natur überlebt.

Nach diesem sehr anstrengenden Tag fiel sie müde in ihr Bett und fand schnell einen guten und tiefen Schlaf.

20. Leichte Sonnenstrahlen fielen durch das Wolkendach und kitzelten Maya an der Nase.

Sie gähnte und streckte sich ausgiebig, bevor sie aus dem Bett stieg. Als sie den Schrank öffnete, befand sich kein übliches weißes Kleidchen mehr darin. Dieses Mal wartete ein dunkelgrünes, langes Kleid auf sie. Der Stoff über der Brust und auch Teile der Ärmel bestanden aus weißem Stoff. Ein paar Elemente waren noch in dunkelbraunem Leder gehalten, aber größtenteils war das Kleid aus dunkelgrünem Leinenstoff genäht. Als sie es aus dem Schrank holte, fand sie auch noch zwei braune Lederstiefel und einen kleinen Lederbeutel im Schrank.

Sie zog das Kleid an, band sich den kleinen Beutel, der an einem Gürtel befestigt war, um die Taille und schnürte sich die Stiefel zu. Als sie vor dem Spiegel stand und ihre Haare kämmte, bemerkte sie wie fraulich sich ihr Körper verändert hatte. Sie war mittlerweile auf eine Größe von 1,70 m gewachsen und hatte dementsprechend große Brüste, die aber gut zu ihrer schlanken Silhouette passten. Sie streichelte über ihre weiche, olivbraune Haut und fand sich eigentlich ganz hübsch. Allerdings wünschte sie sich etwas Wimperntusche um ihre ohnehin schwarzen, langen Wimpern noch etwas mehr zur Geltung zu bringen. Ihre Mutter hatte sie zu Karneval immer mit Wimperntusche geschminkt. Langsam ließ sie sich in den Ohrensessel, der neben dem Kristalltisch stand, sinken und dachte über ihre Mutter nach. Wo sie sich jetzt wohl befand? War sie tot oder wurde sie damals nur entführt?

Ihre Mutter wäre bestimmt stolz auf sie gewesen, wenn sie sehen könnte zu welcher hübschen, jungen Dame sie geworden war. Maya seufzte und eine dicke Träne lief aus ihren hellblauen Augen über ihre zierlichen Wangen.

Als sie den Korridor betrat, hatte Sarah scheinbar schon gefrühstückt, denn sie stand bereits vor der Kristallkugel und war gerade dabei ein paar durstigen Tieren erfrischenden Regen zu schicken. Maya bewunderte die Hingabe ihrer Freundin, wie sie den ganzen Tag lang vor dieser Kugel stand um den Wesen dort Hilfe zu spenden.

Eine schöne Sache aber Maya war eher der aktive Typ. Es machte ihr mehr Spaß, mit ganzem Körpereinsatz für eine Sache zu kämpfen. In diesem Punkt war sie ein kleiner Wildfang.

Als Sarah ihr den Kopf zuwandte um ihr einen guten Morgen zu wünschte, strahlte sie eine unglaubliche Harmonie und Ruhe aus. Auch sie war erwachsen geworden und hatte sich zu einer geduldigen, liebevollen und warmherzigen Frau entwickelt, die mit Eifer und viel Herz ihre anvertrauten Aufgaben erledigte.

In ihrem weinrotem Kleid und den langen, leicht gelocktem goldblondem Haar, erinnerte sie Maya an Helena von Troja. Maya ging in die Küche und setzte sich zum Frühstücken an den Tisch. Als sie damit fertig war rief Cerridwen zur Versammlung beim Wasserfall. Als die Frauen dort ankamen, wartete schon Siran auf sie.

In seinen Händen hielt er die Zügel zu zwei Pferden, die am Rücken einige Lederbündel trugen. Eines davon war die schwarze Stute Ophelia, deren Zügel er Maya in die Hand drückte. Außerdem händigte er ihr einen Köcher mit neuen, scharfen Pfeilen und einen ebenfalls neuen Bogen aus. Maya testete gleich ein paar Schüsse und freute sich über ihren Erfolg. Den restlichen Tag verbrachten sie gemeinsam am Wasserfall. Sie schwammen im kühlen Wasser, fingen Fische und brieten sie über einem selbstgebastelten Lagerfeuer. Sie aßen frisches, von Cerridwen gebackenes Brot und bunte Früchte und hatten eine schöne Zeit miteinander. Als sich die Mittagssonne geneigt hatte und es nicht mehr so heiß war, ging die Hüterin ins Häuschen und die beiden jungen Frauen folgten ihr.

Siran füllte noch frisches, klares Quellwasser in zwei Wasserbeutel, nahm die Pferde und ging ebenfalls ins Haus.

Als sie alle vor dem Portal versammelt waren, sprach Cerridwen ruhig: „Es ist an der Zeit Abschied zu nehmen.“ Sie hatte einige Beutel mit Proviant gefüllt, die Siran auf die Rücken der Pferde band. Außerdem übergab sie dem Waldelf noch ein paar Bündel, die er ebenfalls an den Satteln befestigte.

Cerridwen ging langsam auf Maya zu und übergab ihr ein kleines Fläschchen, welches mit einer gelblichen Flüssigkeit gefüllt war.

„Das ist ein Heiltrank, der viele Wunden heilt, nur nicht das Herz“, sagte sie und zwinkerte der jungen Frau zu.

Danach erinnerte sie Maya an das kleine, lederne Päckchen, das sie zu ihrem 20. Geburtstag auspacken sollte.

Maya lief schnell in ihr Zimmer zurück um es zu holen. Gespannt öffnete sie den Lederumschlag, in dem das Geschenk verpackt war. Verdutzt hielt sie eine knallrote Erdbeere in ihrer Hand. „Eine ERDBEERE? Ernsthaft?“, fragte Maya erstaunt und fühlte sich ein bisschen veräppelt.

Cerridwen grinste und sagte: „Lass sie dir schmecken.“

„Warum darf ich die erst heute essen? Es ist doch nur eine Erdbeere. Sie hätte faulen können!“, sagte Maya und wollte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken lassen. Allerdings war das so offensichtlich, dass es Cerridwen natürlich nicht verborgen blieb.

„Das ist keine gewöhnliche Erdbeere. Das ist eine astorianische Wandelerdbeere“, sprach sie beruhigend.

„EINE WANDELERDBEERE?!“, stieß Maya hervor. „Schmeckt die anders als eine normale Erdbeere?“

„Wenn du sie isst, verwandelt sie dich teilweise in eine Astorianerin. Das bedeutet, du bekommst in Astorien keine Periode mehr. Als Mensch hättest du sie dort auch bekommen. Mit Periode würde der Weg, der vor dir liegt, ziemlich beschwerlich werden. Außerdem hilft sie dir, dich den Gepflogenheiten und der Sprache des Landes anzupassen“ antwortete Cerridwen. Maya steckte sich die Erdbeere in den Mund und aß sie neugierig auf. Sie schmeckte wie eine normale Erdbeere aber Maya fühlte, wie ihr Körper von einer warmen Welle durchzogen wurde.

„Bin ich jetzt eine Astorianerin?“, fragte sie kichernd.

„Leider ist es nicht möglich dich mit einer Wandelerdbeere zu einer ganzen Astorianerin machen. Du bist immer noch zur Hälfte Mensch. Zu einer ganzen Astorianerin kann dich nur die Elfenprinzessin ernennen aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg“, sprach die Hüterin.

Sie umarmte Maya und drückte sie liebevoll an sich.

Danach deutete sie auf das Portal.

„Was ist mit mir?“, fragte Sarah.

„Für dich gibt es jenseits des Portals keine Aufgabe zu erfüllen“, antwortete die alte Hüterin.

„Für dich ist der Tag der Entscheidung gekommen.

Entweder du bleibst hier bei mir oder du kehrst als erwachsene Frau zurück in deine Welt. Dort wird es dir möglich sein, ein neues Leben in einem Land deiner Wünsche zu leben. Du könntest dich verlieben, eine Familie gründen, ein Haus bauen, neue Freunde finden und viele Situationen erleben, die dein Leben glücklich gestalten würden.“

„Das klingt sehr schön“, sagte Sarah. „Aber ich entscheide mich dafür hier zu bleiben. In meiner Welt wartet keine Familie mehr auf mich und ich habe niemanden, den ich dort vermisse. Dich jedoch würde ich sehr vermissen.“

Das Vermächtnis der Kristallkönigin

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